VwGH 11.06.1981, 2498/80
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | BauO Tir 1978 §6 Abs2; BauO Tir 1978 §7 Abs4; BauRallg impl; VwRallg impl; |
RS 1 | "ERKER" iSd § 6 Abs 2 bzw § 7 Abs 4 TBO sind, wie sich aus dem Vergleich der sonstigen privilegierten baulichen Anlagen ergibt, vorspringende Gliederung eines Gebäudes, denen der Charakter eines Raumes fehlt (Hinweis E , 3174/78). |
Normen | BauO Tir 1978 §6 Abs2; BauO Tir 1978 §7 Abs4; BauRallg impl; VwRallg impl; |
RS 2 | Bei der Beurteilung, ob es sich um zulässig über die Baufluchtlinie vorspringende Gebäudeteile handelt, kommt es nicht auf ziffernmäßige Verhältnisse, sondern auf den konkreten Eindruck an; es können daher nicht einzelne Bauteile für sich allein mit der Gesamtfassade verglichen werden, da sich der maßgebende optische Eindruck nur aus der Gesamtschau ergibt. Keinesfalls darf der Eindruck einer neuen geschlossenen Gebäudefront vor der Baufluchtlinie entstehen. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Lehne und die Hofräte Dr. Straßmann, DDr. Hauer, Dr. Würth und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissär Dr. Forster, über die Beschwerde der Firma F-GesmbH in I, vertreten durch Dr. Adolf Ortner, Rechtsanwalt in Innsbruck, Meinhardstraße 7, gegen den Bescheid der Berufungskommission in Bausachen der Landeshauptstadt Innsbruck vom , Zl. St.S.31/1980, betreffend Abänderung einer Baubewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat der Landeshauptstadt Innsbruck Aufwendungen in der Höhe von S 2.400,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck vom wurde der Beschwerdeführerin die Baubewilligung zur Errichtung eines Wohnhauses in Innsbruck, G-gasse 10, erteilt. Darnach sollte das Gebäude unmittelbar an die nördliche Straßenfluchtlinie gebaut werden, sodaß diese der Baufluchtlinie nach den Bestimmungen der Tiroler Bauordnung entspreche. Im ersten, zweiten und dritten Obergeschoß sind nach dem bewilligten Plan je zwei Balkone mit einer Breite von 3 m und je zwei Erker mit einer Breite von 2,60 m vorgesehen, die 1,50 m vor die Baufluchtlinie ragen sollten.
In der Folge hatte die Beschwerdeführerin beantragt, in Abänderung des bewilligten Planes im ersten bis dritten Obergeschoß des Hauses Erker und dreiseitig umschlossene Balkone anbauen zu dürfen. Darnach sollten Erker und Balkone zwar nicht weiter als in der genehmigten Variante über die Baufluchtlinie hinausragen, jedoch dadurch miteinander verbunden werden, daß die zwei in jedem Geschoß befindlichen Erker auf die gesamte Zimmerbreite von 4,77 m ausgedehnt werden und jeweils zwei weitere Erker im gleichen Ausmaß von 4,77 x 1,50 m jeweils mit den verlängerten Balkonen sich abwechseln sollten. Dieses Ansuchen lehnte die Baubehörde erster Instanz ab; mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung als unbegründet ab. Begründend wies sie darauf hin, durch die Verbreiterung und Hinzufügung weiterer Erker je im Ausmaß von 4,77 x 1,50 m und die Ausfüllung der Zwischenräume durch Balkone, die dann als Loggien zu qualifizieren seien, werde bewirkt, daß im ersten, zweiten und dritten Obergeschoß eine neue geschlossene Gebäudefront mit einspringenden Loggien entstehe; es ragten also nicht mehr, wie nach den ursprünglich genehmigten Plänen, bestimmte Erker und Balkone vor die Baufluchtlinie, vielmehr komme die gesamte geschlossene Gebäudefront, die aus den vorstehenden Teilen (von der Beschwerdeführerin als "Erker" bezeichnet) und Loggien bestehe, 1,50 m vor der Baufluchtlinie zu stehen. Auch bei Interpretation des Begriffes "Erker" unter Berücksichtigung des üblichen Sprachgebrauches sei darunter ein über die Fassade des Gebäudes vorstehender Gebäudeteil zu verstehen, der im Verhältnis zur übrigen Gebäudefront eine relativ geringe Breite aufweise. Die vor die Gebäudefluchtlinie ragenden Gebäudeteile erfaßten jedoch zirka 40 Prozent der Frontlänge. Damit könne nicht von einer im Verhältnis zur Länge geringen Breite gesprochen werden, weshalb diese Bauteile schon deshalb nicht als Erker zu qualifizieren seien. Durch die Verbindung der vorspringenden Mauerteile mit dreiseitig umschlossenen Balkonen (Loggien) werde außerdem bewirkt, daß eine neue geschlossene Gebäudefront im ersten, zweiten und dritten Obergeschoß entstehe, die 1,50 m vor die Baufluchtlinie rage. Eine Betrachtung der in den Planunterlagen enthaltenen graphischen Darstellung der Nordseite des Gebäudes zeige deutlich, daß kein Teil der ursprünglich an der Baufluchtlinie verlaufenden Fassade erhalten bleibe. Auch wenn man aber die neu entstehenden Loggien unabhängig von den übrigen Fassadenteilen betrachte, dürften diese nicht vor die Baufluchtlinie ragen. Die Ausnahmebestimmung des § 6 Abs. 2 lit. b TBO beziehe sich nämlich ausdrücklich nur auf offene Balkone, nicht jedoch auf Loggien (dreiseitig umschlossene Balkone). Auch aus diesem Grund widerspreche daher das Bauvorhaben den Bestimmungen des Bebauungsplanes.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Nach ihren Ausführungen fühlt sich die Beschwerdeführerin dadurch beschwert, daß die von ihr in der Umplanung vorgesehenen "Erker" nicht der Ausnahmebestimmung des § 6 Abs. 2 lit. b TBO unterworfen worden seien.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber erwogen:
Gemäß § 6 Abs. 1 der Tiroler Bauordnung, in der wiederverlautbarten Fassung LGBl. Nr. 43/1978 (TBO), wird der Abstand baulicher Anlagen von der Verkehrsfläche durch die im Bebauungsplan festgelegte Baufluchtlinie bestimmt. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung können, soweit das Straßenbild hiedurch nicht beeinträchtigt wird, folgende Gebäudeteile und bauliche Anlagen vor der Baufluchtlinie errichtet werden:
…"b) offene Balkone, Erker u.ä. bis zu 1,50 Meter vor der Baufluchtlinie;"…
Da die von der Beschwerdeführerin in der Umplanung vorgesehenen und von ihr als Erker bezeichneten Gebäudeteile unbestritten vor die Baufluchtlinie vorragen, und zwar um 1,50 m, ist die Frage, ob die Änderung des Bauvorhabens bewilligt werden kann, vom Begriff des "Erkers" in § 6 Abs. 2 lit. b TBO abhängig. Zu dieser Frage hat der Gerichtshof bereits im Erkenntnis vom , Zl. 3174/78, zu dem gleichlautenden § 7 Abs. 4 TBO ausgeführt: Wie sich aus dem Vergleich der übrigen in § 7 Abs. 4 TBO privilegierten baulichen Anlagen ergibt, handelt es sich durchwegs um vorspringende - sei es horizontale oder vertikale - Gliederungen des Gebäudes, denen der Charakter eines Raumes fehlt.
Gerade aus der Gegenüberstellung offener Balkone und Erker ergibt sich, daß der Gesetzgeber geschlossene Balkone ab einer bestimmten Größe nicht mehr der Ausnahmsbestimmung unterstellen; wollte; ratio legis ist offensichtlich, daß es sich dabei - nach der Verkehrsauffassung - nicht um "Räume" handeln soll. Der Gerichtshof sah daher in dem damals zu prüfenden geschlossenen Balkon in einer Länge von 6 m und der Höhe eines Stockwerkes eine so kompakte Anlage, daß sie nicht mehr als ein einem "Erker" ähnlicher Bauteil angesehen werden könne. Im vorliegenden Fall entsprechen die "Erker", wie die Beschwerdeführerin selbst betonte, durchaus der Breite eines Raumes. Schon damit könne die vorspringenden Gebäudeteile nach Ansicht des Gerichtshofes nicht mehr unter den Begriff des "Erkers" im Sinne des § 6 Abs. 2 lit. b TBO subsumiert werden. Erst recht aber kann der Ansicht der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, daß durch die Verbindung der Erker durch damit dreiseitig geschlossene Balkone der Eindruck einer neuen geschlossenen Gebäudefront vor der Baufluchtlinie entstehe. Dies würde vielmehr grob dem Sinn der Ausnahmebestimmungen des § 6 Abs. 2 TBO widersprechen. Da es jeweils auf den konkreten Eindruck ankommt, sind ziffernmäßige Verhältnisse von geringerer Bedeutung. Keinesfalls aber können einzelne Bauteile für sich allein mit der Gesamtfassadenfläche verglichen werden, da sich der maßgeblich optische Eindruck nur aus der Gesamtschau ergibt.
Da die belangte Behörde daher zutreffend die Bewilligung der beantragten Änderungen versagt hat, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 abzuweisen. Hinsichtlich der nichtveröffentlichten Erkenntnisse des Gerichtshofes wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 221/1981.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | BauO Tir 1978 §6 Abs2; BauO Tir 1978 §7 Abs4; BauRallg impl; VwRallg impl; |
Schlagworte | Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Baurecht allgemein spezielle Zuordnung offen BauRallg12 Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Erker |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1981:1980002498.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAF-58708