VwGH 26.06.1959, 2496/56
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | AVG §37; AVG §39 Abs2; AVG §45 Abs2; AVG §45 Abs3; AVG §52; VwGG §42 Abs2 litc Z3; VwGG §42 Abs2 Z3 litc impl; |
RS 1 | Der Grundsatz der Amtswegigkeit des Verfahrens befreit die Partei nicht von der Verpflichtung, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes beizutragen und Verzögerungen des Verfahrens hintanzuhalten. Daher ist die Verfahrensrüge einer Partei abzulehnen, die im Verwaltungsverfahren untätig geblieben ist, um erst vor dem Verwaltungsgerichtshof ihre Zurückhaltung abzulegen und das Verfahren als mangelhaft zu bekämpfen, an dem sie trotz gebotener Gelegenheit nicht genügend mitgewirkt hat. |
Normen | AVG §37; AVG §39 Abs2; AVG §45 Abs3; AVG §52; AVG §58 Abs2; KOVG 1957 §34; KOVG 1957 §36 Abs2; VwGG §42 Abs2 litc Z3; VwGG §42 Abs2 Z3 litc impl; |
RS 2 | Die gegenüber den Parteien und Beteiligten bestehende Begründungspflicht der Behörde reicht nicht weiter als das von der Rechtsordnung anerkannte Rechtsschutzinteresse. |
Normen | |
RS 3 | Zur Begründung eines Bescheides gemäß § 58 Abs 2 und 60 AVG, insbesondere hinsichtlich der Begründung von einander widersprechenden Sachverständigengutachten. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Dietmann und die Räte Dr. Strau, Dr. Mathis, Dr. Lehne und Dr. Klecatsky als Richter, im Beisein des Richters Dr. Kirschner als Schriftführer, über die Beschwerde der RG in H gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Steiermark vom , Sch.Zl. I - 2755/4/56, betreffend Kriegsopferversorgung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Das Landesinvalidenamt für Steiermark wies den von der Beschwerdeführerin erhobenen Anspruch auf Witwenrente und Witwenbeihilfe nach ihrem am verstorbenen Ehegatten JG gemäss den §§ 34 und 36 Abs. 2 KOVG ab. Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. Zur Begründung wurde angeführt, dass der Tod des JG weder die unmittelbare noch die mittelbare Folge einer Dienstbeschädigung sei und dass der Verstorbene nicht Schwerbeschädigter gewesen sei, da er eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 v.H. bezogen habe. Die belangte Behörde stützte sich bei Erlassung des angefochtenen Bescheides insbesondere auf ein im Berufungsverfahren eingeholtes Gutachten des ärztlichen Sachverständigen Dr. G. vom .
Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Die Beschwerde erblickt die geltend gemachte Rechtswidrigkeit zunächst darin, dass die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid auf das erwähnte Sachverständigengutachten vom gegründet habe, dieses Gutachten aber in mehrfacher Hinsicht mangelhaft sei. Aus den Akten des Verwaltungsverfahrens ergibt sich, dass die belangte Behörde dieses Gutachten im Hinblick auf die Berufungsausführungen der Beschwerdeführerin einholte und dass der ärztliche Sachverständige Dr. G. es in Kenntnis dieser Berufungsausführungen abgab. Die belangte Behörde teilte mit Rückscheinbrief vom dem Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin mit, dass er bis Gelegenheit habe, das Gutachten einzusehen und hiezu eine Stellungnahme abzugeben. Diese Gelegenheit nahm laut Aktenvermerk der belangten Behörde vom ein durch Vollmacht vom ausgewiesener Vertreter der Beschwerdeführerin am wahr. Der Aktenvermerk trägt im Anschluss an die darin getroffene Feststellung, dass dem bevollmächtigten Vertreter Einsicht in das Sachverständigengutachten gewährt worden sei, die offenkundig von dem bevollmächtigten Vertreter eigenhändig geschriebene und namentlich gefertigte Erklärung. "Kein Einwand". Die belangte Behörde berief sich denn auch in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf diese Erklärung. Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholte, so etwa in seinen Erkenntnissen vom , Zl. 102/54, und vom , Zl. 1062/56, ausgesprochen hat, befreit der Verfahrensgrundsatz, dass die Verwaltungsbehörde von Amts wegen vorzugehen hat (§ 39 Abs. 2 AVG 1950), die Partei nicht von der Verpflichtung zur Ermittlung des massgebenden Sachverhaltes beizutragen und Verzögerungen des Verfahrens hintanzuhalten. Daher ist - wie der Verwaltungsgerichtshof weiter ausgesprochen hat - die Verfahrensrüge einer Partei abzulehnen, die im Verwaltungsverfahren untätig geblieben ist, um erst im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ihre Zurückhaltung abzulegen und das Verwaltungsverfahren als mangelhaft zu bekämpfen, an dem sie trotz gebotener Gelegenheit nicht genügend mitgewirkt hat. Da die Beschwerdeführerin durch ihren bevollmächtigten Vertreter das Sachverständigengutachten vom ohne Einwand zur Kenntnis genommen hat, kann in der Übernahme der darin enthaltenen Feststellungen und Schlüsse in den angefochtenen Bescheid kein im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpfbarer Verfahrensmangel erblickt werden.
Die Beschwerde rügt weiter, dass die belangte Behörde dem angefochtenen Bescheid das Sachverständigengutachten vom zu Grunde gelegt habe, ohne zu begründen, warum sie diesem Gutachten und nicht einem in den Versorgungsakten erliegenden, in der Berufung für den Standpunkt der Beschwerdeführerin geführten Gutachten eines ärztlichen Sachverständen Dr. T. vom gefolgt sei. Diese Rüge stellt das innere Ausmass der den Verwaltungsbehörden obliegenden Pflicht zur Begründung ihrer Bescheide zur Erörterung. Nach § 58 Abs. 2 AVG 1950 sind Bescheide nicht schlechthin zu begründen, sondern nur insofern, als dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen oder Anträge von Beteiligten abgesprochen wird. In der Begründung sind nach § 60 AVG 1950 auch die bei der Beweiswürdigung massgebenden Erwägungen klar und übersichtlich zusammenzufassen. Zweifellos hat die Behörde im Rahmen dieser Pflicht zur Zusammenfassung der für die Beweiswürdigung massgebenden Erwägungen auch aufzuklären, warum sie bei Vorliegen einander widersprechender Sachverständigengutachten dem einen und nicht dem anderen den Vorzug gibt. Allein die Pflicht zur Zusammenfassung der für die Beweiswürdigung massgebenden Erwägungen (§ 60 AVG 1950) kann ja als ein Teil der Begründungspflicht überhaupt (§ 58 Abs. 2 AVG 1950) nicht weiter reichen als eben diese. Besteht keine Begründungspflicht, so kann auch keine Pflicht zur Zusammenfassung der für die Beweiswürdigung massgebenden Erwägungen bestehen. Die im § 58 Abs. 2 AVG 1950 behandelte Begründungspflicht kann, abgesehen von der noch zu erörternden, in der eben zitierten Bestimmung selbst enthaltenen Einschränkung, schon nach den auch die positive Gesetzgebung beherrschenden Denkgesetzen keine grenzenlose sein. Das im § 58 Abs. 2 AVG 1950 verwendete Zeitwort "begründen" kennzeichnet kraft seiner Ableitung aus dem Hauptwort "Grund" eine Tätigkeit, die auf Herstellung einer Verbindung zwischen einem "Grund" und dem zu Begründenden gerichtet ist. Im Bereich der Beweiswürdigung, also eines Denkprozesses, kann dieser Grund nur ein konkreterweise axiomatisches Urteil (im logischen Sinn) sein; dies deshalb, weil jedes, durch menschliches Denken erzeugte Urteil (im logischen Sinn) abstrakterweise als beweisbedürftig erklärt werden könnte und damit der Begründungsvorgang in einem ins unendliche fortschreitenden und daher sich selbst zur Absurdität führenden Denkprozess untergehen würde. In einer Denkbewegung, die der Rechtskonkretisierung dient, ist die Axiomatik des vom Begründungsvorgang angesteuerten Urteiles (im logischen Sinn) rechtlich bedingt. Ein Urteil (im logischen Sinn) wird im Bereich des Rechtes jedenfalls dadurch axiomatisch, dass es von Rechtswegen nicht mehr bestritten werden kann. Ein solches Urteil (im logischen Sinn) steht begrifflich ausserhalb der konkreterweise in Betracht kommenden Rechtsschutzsphäre, von der aus auch Sinn und Zweck der den Behörden obliegenden Begründungspflicht zu beurteilen ist. Durchaus auf dieser sich schon aus den Denkgesetzen ergebenden Linie liegt die Vorschrift des § 58 Abs. 2 AVG 1950, nach der eben Bescheide nur zu begründen sind, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen oder Anträge von Beteiligten abgesprochen wird. Ohne eine solche Begründung ist den Parteien und Beteiligten eine zweckmässige, gegen den Bescheid gerichtete Rechtsverfolgung unmöglich. Dort aber, wo eine Rechtsverfolgung nicht stattfinden kann, ist auch eine Begründung überflüssig. Die gegenüber den Parteien und Beteiligten bestehende Begründungspflicht reicht also nicht weiter als das von der Rechtsordnung anerkannte Rechtsschutzinteresse.
Daran ändert auch die Vorschrift des § 67 AVG 1950 nichts.
Danach gelten die Vorschriften des III. Teiles des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 auch für die Bescheide der Berufungsbehörden, doch ist der Spruch auch dann zu begründen, wenn dem Berufungsantrag stattgegeben wird. Diese Vorschrift hat für die Sphäre der Parteien und Beteiligten keine selbstständige rechtliche Bedeutung, sondern offenkundig nur für die Unterbehörden, die auf diese Weise über die Beweggründe der Berufungsinstanz aufgeklärt werden sollen. Soweit durch den Berufungsbescheid die Rechtssphäre der Parteien und Beteiligten verletzt werden kann, gilt auch für die Begründungspflicht der Berufungsbehörde kraft des ersten Halbsatzes des § 67 AVG 1950 die Vorschrift des § 58 Abs. 2 AVG 1950. Indes ist dies für die hier zur Erörterung stehende Frage des inneren Ausmasses der Begründung gleichgültig, weil ja - wie dargelegt - dieses innere Ausmass schon kraft der logischen Stellung der Begründung vernünftigerweise an einem ausserhalb der Rechtsschutzsphäre liegenden axiomatischen Urteil (im logischen Sinn) das Ende hat.
Betrachtet man unter diesem, nach den Denkgesetzen allein vertretbaren Gesichtswinkel die im angefochtenen Bescheid gegebene Begründung für die Heranziehung des Sachverständigengutachtens vom , so erweist sich diese Begründung als hinreichend. Die belangte Behörde erklärte: "Die Schiedskommission hält das von ihr eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten für schlüssig und beweiskräftig und schließt sich ihm aus dessen Gründen an. Der bevollmächtigte Vertreter der Berufungswerberin hat gegen das Gutachten nach Einsichtnahme ebenfalls keine Einwendungen vorgebracht." Die belangte Behörde berief sich damit auf einen außerhalb der von der Rechtsordnung anerkannten Rechtsschutzsphäre liegenden und daher rechtlich axiomatischen Grund: die Unterlassung der Beschwerdeführerin, das Sachverständigengutachten mit sachgerechten Einwendungen zu bestreiten, eben die Unterlassung, die der Beschwerdeführerin nach den vorstehenden Darlegungen nun die erfolgreiche Anfechtung des Gutachtens vor dem Verwaltungsgerichtshof verwehrt. Die Beschwerde erkennt den Zusammenhang zwischen Begründungspflicht und Rechtsschutzinteresse, wenn darin ausgeführt wird, die Beschwerdeführerin sei durch die mangelnde Begründung des angefochtenen Bescheides an der Verfolgung ihrer Rechte auf Hinterbliebenenversorgung gehindert, weil sie nicht erkennen könne, welche Erwägungen und Umstände bei der Entscheidung über ihren Anspruch maßgebend gewesen seien. Sie übersieht nur eben, dass dieses rechtliche Hindernis durch das der Beschwerdeführerin zuzurechnende Verhalten ihres bevollmächtigten Vertreters im Verwaltungsverfahren erzeugt wurde.
Unbegründet ist schließlich auch der Beschwerdeeinwand, die belangte Behörde hätte zu begründen gehabt, auf welche Weise die Einschätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit des JG vorgenommen worden sei. Sowohl das Landesinvalidenamt als auch die belangte Behörde stellten fest, dass JG bis zu seinem Tod eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 v.H. bezogen habe, er demnach nicht Schwerbeschädigter im Sinne des Gesetzes gewesen sei. Diese Sachverhaltsannahme wird durch den Inhalt der dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Versorgungsakten bestätigt. Mit Bescheid des Landesinvalidenamtes vom wurde dem Beschwerdeführer eine Grundrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 v.H. zuerkannt. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom keine Folge gegeben. Mit Bescheid des Landesinvalidenamtes vom wurde ein Antrag des Beschwerdeführers auf Neubemessung der Grundrente gegen Verschlimmerung der anerkannten Dienstbeschädigung abgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom keine Folge gegeben. Der Fall liegt also anders als etwa die mit den hg. Erkenntnissen vom , Slg. N.F. Nr. 3870/A, vom , Zl. 3545/53, und vom , Zl. 3262/54, entschiedenen Beschwerdefälle. Da nach § 9 Abs. 2 KOVG Beschädigte mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 v.H. oder darüber Schwerbeschädigte heissen, waren die Behörden im Recht, wenn sie annahmen, dass JG nicht als Schwerbeschädigter im Sinne des Gesetzes anzusehen gewesen und daher die Bestimmung des § 36 Abs. 2 KOVG unanwendbar sei. Die Tatsache, dass JG im Zeitpunkt seines Todes zufolge rechtskräftiger Bescheide von der Rechtsordnung die Anerkennung als Schwerbeschädigter versagt war, könnte nur kraft einer rechtlichen Fiktion zu Gunsten des von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Anspruches überlagert werden. Eine Rechtsnorm, die eine solche rechtliche Fiktion schüfe, besteht indes nicht. Ohne Bestehen einer solchen Rechtsnorm ist es aber auch darüber hinaus ein logisch unvollziehbarer Gedanke, dass zwar JG als das unmittelbare Kriegsopfer von der Rechtsordnung nicht als Schwerbeschädigter anerkannt worden sei, er aber dies für den behaupteten Anspruch der Beschwerdeführerin als eines nur mittelbaren Kriegsopfers sein könnte. Die belangte Behörde hatte daher in der Begründung des angefochtenen Bescheides lediglich die notorische Tatsache festzustellen, dass JG im Zeitpunkt seines Todes von der Rechtsordnung nicht als Schwerbeschädigter anerkannt war.
Die Beschwerde, war daher gemäss § 42 Abs. 1 VwGG 1952 als unbegründet abzuweisen.
Wien, am
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Normen | AVG §37; AVG §39 Abs2; AVG §45 Abs2; AVG §45 Abs3; AVG §52; AVG §58 Abs2; AVG §60; BAO §93 Abs3 lita impl; KOVG 1957 §34; KOVG 1957 §36 Abs2; KOVG 1957 §4 Abs1; KOVG 1957 §90 Abs1; VwGG §42 Abs2 litc Z3; VwGG §42 Abs2 Z3 litc impl; |
Sammlungsnummer | VwSlg 5007 A/1959 |
Schlagworte | Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Allgemein Ursächlicher Zusammenhang und Wahrscheinlichkeit Allgemein Gutachten Parteiengehör Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Begründung hinsichtlich einander widersprechender Beweisergebnisse Verfahrensrecht Aufgabe der Behörde Überprüfung von Sachverständigengutachten Verfahrensbestimmungen Amtswegigkeit des Verfahrens Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht Begründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Begründung der Wertung einzelner Beweismittel |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1959:1956002496.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
NAAAF-58702