VwGH 03.11.1955, 2396/54
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Norm | AVG §58; |
RS 1 | Einer als Auflage anzusprechenden Nebenbestimmung eines Baubewilligungsbescheides kann der Rechtskraft dieses Bescheides auch dann teilhaftig werden, wenn ihr nach ihrem Inhalt bloß deklarative Bedeutung zukommt. Maßgebend dafür, ob dies im Einzelfall zutrifft, ist allein die sprachliche Fassung einer solchen Nebenbestimmung. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Werner und die Räte Dr. Höslinger, Dr. Kaniak, Dr. Hrdlitzka und Dr. Lehne als Richter, im Beisein des Ministerialoberkommissärs Dr. Hezina als Schriftführer, über die Beschwerde des KK, des AD in W und der LO in M in Kärnten gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom , Zl. Mag. Abt. 64 - B X - 3/54, betreffend Verfügung der Ersatzvornahme und Erteilung eines Auftrages zur Kostenvorauszahlung bezüglich einer Gehsteigherstellung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen
Begründung
Der Magistrat der Stadt Wien, Mag. Abt. 37 erteilte mit Bescheid vom gemäß § 70 der Bauordnung für Wien den heutigen Beschwerdeführern als Eigentümern der Liegenschaft Wien X., G-gasse Nr. 66, die Bewilligung, die durch Kriegsereignisse entstandenen Schäden an ihrem vierstöckigen Wohnhaus zu beseitigen und im Hof einen nicht unterkellerten Einstellraum zu errichten. Im Punkt 11 der Vorschreibungen dieser Baubewilligung wurde auf die Verpflichtung zur Gehsteigherstellung gemäß § 54 der Bauordnung für Wien Bezug genommen. Der Bescheid vom erwuchs in Rechtskraft und es wurden die bewilligten Bauherstellungen ausgeführt. Unter dem Datum erging nun ein als "Verständigung" bezeichnetes Schreiben des Magistrates der Stadt Wien, M.Abt. 37, Außenstelle f. d. X. Bezirk. Es war an den Hauseigentümer KK gerichtet und enthielt zunächst die Feststellung, ein Augenschein habe ergeben, daß die in der Baubewilligung vom "rechtskräftig vorgeschriebene Verpflichtung" zur Gehsteigherstellung noch nicht erfüllt sei. Dieser Feststellung wurde folgende Aufforderung angefügt: "Der Eigentümer des Hauses X. Bez., G-gasse 66, wird daher beauftragt, durch einen befugten Gewerbetreibenden binnen 6 Wochen nach Zustellung des Bescheides und nach vorher bei der Mag. Abt. 37 (Vermessung) erwirkter Bekanntgabe der Breite und der Bauart den im obgenannten Bescheid vorgeschriebenen Gehsteig herstellen zu lassen, widrigenfalls ein Strafverfahren gemäß § 135 der Bauordnung für Wien eingeleitet bzw. die Ersatzvornahme gemäß dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz zwecks Bewerkstelligung der mangelnden Leistung auf Gefahr und Kosten des Hauseigentümers angeordnet werden müßte." Diese Erledigung wurde dem Miteigentümer KK am zugestellt. Ein vom datiertes Schreiben der Hausverwaltung in dieser Angelegenheit, in dem u.a. erklärt wurde, die Hauseigentümer seien außerstande, den Gehsteig herzustellen und es bleibe nur die Möglichkeit einer Herstellung im Wege der Ersatzvornahme und eine Mietzinserhöhung zur Tragung der Kosten durch die Mieter; langte beim Magistrate der Stadt Wien, Mag. Abt. 37 erst am ein. Der Magistrat der Stadt Wien, Mag. Abt. 64 erließ sodann am eine Vollstreckungsverfügung. Unter Punkt I dieses Bescheides wurde festgestellt, daß mit dem Bescheid vom (Baubewilligung) der Auftrag zur Gehsteigherstellung erteilt worden sei. Da diesem Auftrag innerhalb der Erfüllungsfrist nicht entsprochen worden sei, erteile der Magistrat der Stadt Wien in seiner Eigenschaft als Vollstreckungsbehörde gemäß § 4 Abs. 1 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes dem Eigentümer den Auftrag, binnen einer Woche mit den noch ausständigen Arbeiten zu beginnen und diese Arbeiten in ununterbrochener Folge zu beenden, widrigenfalls die mangelnde Leistung auf Gefahr und Kosten des Eigentümers bewerkstelligt werde. Unter Punkt II wurde dem Verpflichteten gemäß § 4 Abs. 2 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes die Vorauszahlung der voraussichtlichen Kosten im Betrage von 24.000 S aufgetragen. Nunmehr langte eine Berufung gegen diesen Bescheid vom ein, in der zunächst dargelegt wurde, daß die Baubewilligung nur eine Ermächtigung der Partei sei und daß die in diesem Bescheid vorgeschriebenen "Bedingungen" nicht vollstreckbar seien. Es liege daher der Berufungsgrund nach § 10 Abs. 2 lit. b VVG. vor. Ferner wurde ausgeführt, daß der § 54 der Bauordnung für Wien nur einmal Anwendung finden könne. Die Grundeigentümer hätten bereits die Verpflichtung zur Herstellung des Gehsteiges erfüllt; dieser sei in die fernere Erhaltung der Gemeinde übernommen worden. Damit habe aber die Gemeinde Wien die Verpflichtung übernommen, die künftige Erhaltung des Gehsteiges auf ihre Kosten durchzuführen, da sie Eigentümerin des Gehsteiges geworden sei.
Mit Beschluß vom (ausgefertigt mit dem Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom gleichen Tage) wies die Wiener Landesregierung die Berufung als unbegründet ab und bestätigte den angefochtenen Bescheid. In der Begründung des Berufungsbescheides wurde der Standpunkt eingenommen, daß die Verpflichtung zur Gehsteigherstellung durch die Baubewilligung zwar rechtskräftig auferlegt, damit aber noch keine taugliche Grundlage für die Vollstreckung geschaffen worden sei, weil hiefür ein eigener baupolizeilicher Auftrag erforderlich wäre. Diese Grundlage für die Vollstreckung sei jedoch in der als Bescheid zu wertenden "Verständigung" vom gegeben.
Gegen den Bescheid vom ist die vorliegende Beschwerde gerichtet, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird (Rechtsirrige Annahme des Bescheidcharakters der Verständigung vom , Verletzung der Begründungspflicht, unzulässige Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides, unrichtige Unterstellung des Bauvorhabens unter § 54 der Bauordnung für Wien).
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Beschwerde wird unter Punkt b ausführlich dargelegt, weshalb im vorliegenden Fall eine Verpflichtung zur Herstellung des Gehsteiges für die Eigentümer nicht mehr bestehe. Mit diesen Ausführungen wenden sich die Beschwerdeführer gegen die Annahme der belangten Behörde über das Bestehen einer solchen Verpflichtung, sohin gegen ein Sachverhaltselement (aktenwidrige Annahme des Sachverhaltes). Infolgedessen ist zu untersuchen, ob in dieser Hinsicht die belangte Behörde vom Bestehen einer Verpflichtung zur Gehsteigherstellung ausgehen durfte. Die Baubewilligung vom enthielt in ihrem Spruch verschiedene Vorschreibungen, die in 29 Punkten gefaßt waren. Diesen Vorschreibungen war der Passus "vorgeschrieben wird" vorangesetzt. Punkt 11 lautete: "Gemäß § 54 der Bauordnung für Wien besteht die Verpflichtung zur Gehsteigherstellung entlang der Baulinie. Zwecks allfälliger Stundung der endgültigen Gehsteigherstellung und Bekanntgabe der Bedingungen für die Herstellung eines vorläufigen Gehweges hat der Bauwerber ein Ansuchen an die M.Abt. 28 zu richten." Es ist nun zu prüfen, ob im Hinblick auf den Umstand, daß die Baubewilligung unangefochten geblieben ist, in dem angeführten Punkt 11 ein rechtskräftiger Abspruch über den Bestand der Verpflichtung zur Gehsteigherstellung erblickt werden kann. Daß als Auflagen anzusprechende Nebenbestimmungen eines Bescheides der Rechtskraft des Bescheides, dem sie beigefügt sind, teilhaft werden können, kann an sich nicht bestritten werden. Dies gilt sowohl in Ansehung solcher Verpflichtungen, hinsichtlich deren der Bescheid konstitutiven Charakter besitzt, als auch für solche Vorschreibungen, denen nur deklarative Bedeutung zukommt. Es wird jedoch im einzelnen Fall stets darauf ankommen müssen, ob der betreffenden Nebenbestimmung nach ihrer sprachlichen Fassung entnommen werden kann, daß es sich um eine der Rechtskraft fähige pflichtenbegründende Verfügung oder um eine derartige Feststellung von Pflichten nach Art einer sogenannten Vollziehungsverfügung, nicht aber um eine bloße Belehrung über die Rechtslage handelt. Der Punkt 11 des Bescheides vom konnte als bloße Belehrung verstanden werden, weil aus dem Wortlaut nicht in zwingender Weise abgeleitet werden kann, daß ein baupolizeilicher Auftrag für den Fall erteilt werden sollte, daß von der erteilten Baubewilligung für die geplanten baulichen Herstellungen Gebrauch gemacht werde.
Nunmehr ist zu untersuchen, welche Wirkung der "Verständigung" vom zukam. Im zweiten Teil dieser Verständigung war, wie die Darstellung des Sachverhaltes zeigt, ein Auftrag zur Gehsteigherstellung unter Festsetzung einer Erfüllungstrist enthalten. Wenn auch das in Betracht kommende Schriftstück mit "Verständigung" überschrieben war, so hatte es doch die Erteilung eines baupolizeilichen Auftrages und die Androhung von Zwangsfolgen zum Inhalt. Trotz der unterlaufenen Verstöße gegen die Formvorschriften des AVG (§ 58) mußte sohin dem Empfänger dieser Erledigung der Bescheidwille der Behörde und die Notwendigkeit der rechtlichen Gegenwehr zum Bewußtsein kommen. Da nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht die Form der behördlichen Erledigung, sondern ihr Inhalt für die Qualifikation der Erledigung als Bescheid maßgeblich ist (vgl. etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. 40 A, vom , Slg. 66 A, und vom , Slg. N.F. Nr. 1390/A; das von den Beschwerdeführern zitierte Erkenntnis vom , Slg. N.F. Nr. 2291/A, besagt, es sei für den Bescheidcharakter einer behördlichen Erledigung wesentlich, ob sie einen Spruch enthalte, der die Rechtssache bindend regle und in Rechtskraft erwachsen könne; dies liegt aber auch dann vor, wenn, wie im vorliegenden Fall, aufbauend auf der wenn auch irrigen Annahme, es sei ein Abspruch über ein bestimmtes Thema bereits erfolgt, ein darauf gestützter Auftrag erlassen wird, der seinerseits eine Verpflichtung auferlegt), durfte bei Erlassung des angefochtenen Bescheides davon ausgegangen werden, daß die Verpflichtung zur Gehsteigherstellung gegeben ist, weil die Erledigung vom nicht mit einem Rechtsmittel angefochten wurde. Würde man das Schreiben der Hausverwaltung vom als Rechtsmittel werten, so wäre es allerdings verspätet gewesen.
Unter diesen Umständen kann auf die unter Punkt b der Beschwerde dargelegten Argumente gegen den Bestand einer Verpflichtung zur Herstellung des Gehsteiges nicht mehr eingegangen werden.
Die Beschwerdeführer rügen des weiteren vor allem, daß der angefochtene Bescheid zum Unterschied von dem erstinstanzlichen in seiner Begründung statt des Baubewilligungsbescheides, der im erstinstanzlichen Bescheid als Titel angeführt gewesen sei, die Verständigung vom als Vollstreckungstitel werte. Zu einer solchen Änderung des Bescheides muß aber die Berufungsbehörde auch im Verwaltungsvollstreckungsverfahren befugt sein, weil das Prinzip, daß die Berufungsentscheidung eine reformatorische Entscheidung in der Sache selbst sein soll, auch in diesem Verfahren Geltung hat. Gemäß § 10 Abs. 1 VVG gelten nämlich, soweit sich aus dem VVG selbst nichts anderes ergibt, die Bestimmungen des IV. Teiles des AVG über den "Rechtsschutz" und damit auch die Bestimmungen des § 66 Abs. 4 AVG für das Vollstreckungsverfahren.
Die von der Behörde aufgeworfene Frage, ob eine in einer Baubewilligung bereits auferlegte und rechtskräftig gewordene Verpflichtung, um vollstreckbar zu werden, noch der Transformation in einem gesonderten baupolizeilichen Auftrag mit Erfüllungsfrist bedarf, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Der Bescheid ("Verständigung") vom enthielt nämlich eine sechswöchige, ab Zustellung des "Bescheides" laufende Erfüllungsfrist, wobei unter "Bescheid" in diesem Zusammenhang nur die Verfügung vom selbst gemeint sein konnte.
Die Beschwerde erweist sich nach dem Gesagten in allen Punkten als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Norm | AVG §58; |
Sammlungsnummer | VwSlg 3871 A/1955 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1955:1954002396.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
OAAAF-58596