VwGH 30.06.1975, 2343/74
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Norm | BauO Wr §129 Abs1 |
RS 1 | Ausführungen zur Frage, ob die Verwendung von Räumen zu Bürozwecken in einem auf "Wohnhaus" lautenden Konsens aus dem Jahre 1868 gedeckt ist (Vermerk: Wohngebäude - Industriebau = (Fabriken, Werkstättengebäude und Lagerräume somit nicht Bürogebäude oder Gebäude, in denen Wohnungen und Büros untergebracht sind); Weiters Hinweis auf § 6 Abs 3 BO für Wien, wonach "Geschäftsraum" mit "Wohngebäude" nicht unvereinbar ist). |
Normen | AVG §56 implizit VwRallg |
RS 2 | Der rechtliche Inhalt individueller behördlicher Akte ist im Zweifel an den für diese maßgebenden generellen Vorschriften zu messen. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Striebl und die Hofräte Dr. Rath, Dr. Hrdlicka, Dr. Straßmann und Dr. Draxler als Richter, im Beisein des Schriftführers prov. Landesregierungskommissär Dr. Funovits, über die Beschwerde des OM und der RS, beide in W, beide vertreten durch Dr. Emmerich Fritz, Rechtsanwalt in Wien I, Schulerstraße 1 - 3, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom , Zl. MDR-B 1-17/74, betreffend einen baupolizeilichen Auftrag, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 2.400,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom wurde den Beschwerdeführern als Eigentümern des Hauses Wien, J-gasse 14, gemäß § 129 Abs. 1 der Bauordnung für Wien der Auftrag erteilt, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des Bescheides die widmungswidrige Verwendung der Räume der Wohnung Tür Nr. 36 im zweiten Stock der Stiege 1 als Büroräume aufzulassen. In der Begründung des Bescheides hieß es u. a., es sei laut Baubewilligung vom 22. Mai 1868, GZ. 70.358, das bestehende Gebäude seinerzeit als „Zins-Wohnhaus“ errichtet worden. Die Verwendung der Wohnräume zu Bürozwecken erfolge nachweislich im Dezember 1973 und sei hiefür keine Baubewilligung erwirkt worden.
Die Beschwerdeführer erhoben Berufung. Es könne, so wurde darin geltend gemacht, von einem konsenswidrigen Zustand keine Rede sein, da eine Widmungsunterscheidung zwischen Wohnraum und Geschäftsraum nach der damaligen Rechtslage nicht zu treffen gewesen sei und weder die Baubewilligung vom noch der Plan irgendwelche Einschränkungen enthielten.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 abgewiesen und der Bescheid des Magistrates der Stadt Wien bestätigt. In Erwiderung auf das Berufungsvorbringen führte die belangte Behörde in der Begründung des Bescheides aus, es sei den Beschwerdeführern zuzugeben, daß die im Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung des Hauses gültige Bauordnung für Wien keine Bewilligungspflicht für Widmungsänderungen von Wohnräumen in Büroräume gekannt habe. Dessenungeachtet sei davon auszuziehen, daß das hier in Rede stehende Gebäude als Wohnhaus errichtet worden sei. Die vom angefochtenen Bescheid erfaßten Räumlichkeiten seien weiters der Aktenlage und dem Berufungsvorbringen zufolge bis zum Jahre 1973 als Wohnräume benützt worden. Die derzeit gegebene Rechtslage folgere nun von Büroräumen gewisse Voraussetzungen, welche an Wohnräume nicht gestellt würden. Der Gesetzgeber gehe daher davon aus, daß eine Änderung der Verwendung von Wohnräumen in Büroräume öffentliche Interessen im wesentlichen Maße berühre, weshalb eine derartige Änderung der Verwendung von Räumen als bewilligungspflichtig anzusehen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde, mit der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen „Rechtswidrigkeit“ beantragt wird, und die Gegenschrift, der belangten Behörde erwogen:
Die Beschwerdeführer bringen vor, es würden die Aufenthaltsräume des Bestandobjektes Tür Nr. 36 entsprechend dem mit dem Mieter abgeschlossenen Mietvertrag zu Bürozwecken verwendet. Das gegenständliche Haus sei in der Baubewilligung vom als „Zins-Wohnhaus“ bezeichnet worden, was entsprechend der Terminologie des Liberalismus des 19. Jahrhunderts ein Miethaus bedeute. Die Aufenthaltsräume dieses Hauses seien entsprechend der damals gültigen Bauordnung in ihrem Benützungskonsens weder auf die Benützung als Wohnung noch auf die Benützung als Geschäftsräumlichkeiten beschränkt. Da demnach die gegenständlichen Räume allgemein als Aufenthaltsräume gewidmet seien, sei der ergangene Auftrag rechtswidrig.
Die Behörde stützte den bekämpften Auftrag auf § 129 Abs. 1 der Bauordnung für Wien. Nach dem - hier in Betracht kommenden - ersten Satz dieser Gesetzesstelle ist für die bewilligungsgemäße Benützung der Räume der Hauseigentümer verantwortlich. In Anwendung dieser Vorschrift durfte die Behörde, wenn eine bewilligungspflichtige Änderung der Raumwidmung vorgenommen wurde, dem Hauseigentümer die Auflassung der bewilligungswidrigen Benützung auftragen (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 117/70, und vom , Slg. N. F. Nr. 8239/A).
Die belangte Behörde hat sich mit dem Berufungsvorbringen der Beschwerdeführer, es sei die Benützung der gegenständlichen Räumlichkeiten zu Bürozwecken in der Baubewilligung vom gedeckt, nicht näher auseinandergesetzt. Sie ging vielmehr, offenbar unter Berücksichtigung des ihr vorgelegenen Konsensaktes aus dem Jahre 1868, davon aus, daß das in Rede stehende Gebäude „als Wohnhaus errichtet wurde“.
Dem angeführten Konsensakt zufolge lautete die Baubewilligung auf die Errichtung eines „vier Stock hohen Wohnhauses“. Auch in den Bauplänen ist das Gebäude als „Wohnhaus“ ausgewiesen. Eine nähere Zweckbestimmung der Räumlichkeiten ist darin nicht angegeben.
Diese Baubewilligung ist im zeitlichen Geltungsbereich der Bauordnung für Wien vom 23. September 1859, RGBl. Nr. 176, erteilt worden. Das Gesetz enthielt keine Umschreibung des Begriffes „Wohnhaus“. Seinen Vorschriften kann - bei Bedachtnahme auf die der Baubehörde damit übertragenen öffentlichen Interessen - ferner nicht entnommen werden, daß dieser Begriff vom Gesetzgeber in einer Bedeutung verwendet wurde, die eine teilweise Verwendung eines als „Wohnhaus“ bewilligten Gebäudes zu Bürozwecken ausschloß. Auch die weitere Rechtsentwicklung spricht dagegen, daß der behördliche Wille darauf gerichtet war, ein „Wohnhaus“ ausschließlich Wohnzwecken vorzubehalten. So wird im § 62 der am 29. Dezember 1868 in Kraft getretenen Bauordnung für Wien vom 2. Dezember 1868, Landesgesetz und Verordnungsblatt für das Erzherzogtum Österreich unter der Enns Nr. 24/1868, dem Begriff „Wohngebäude“ der Begriff “Industriebau“ gegenübergestellt; unter dem „Industriebau“ verstand der Gesetzgeber - „im Gegensatz zum Wohngebäude“ - „alle Fabriken, Werkstättengebäude und Lagerräume“, demnach nicht Bürogebäude oder Gebäude, in welchen Wohnungen und Büros untergebracht sind. Angemerkt wird, daß auch nach dem geltenden Recht, wie, sich aus § 6 Abs. 3 der Bauordnung für Wien ergibt, der „Geschäftsraum“ mit dem Begriff “Wohngebäude“ nicht unvereinbar ist.
Der rechtliche Inhalt individueller behördlicher Akte ist im Zweifel an den für diese maßgebenden generellen Vorschriften zu messen. Nach der dargestellten Rechtslage schloß die hinsichtlich der Bestimmung der einzelnen Räumlichkeiten nicht weiter unterscheidende, für ein „Wohnhaus“ erteilte Bewilligung vom 22. Mai 1868 jedenfalls dessen teilweise Verwendung für Bürozwecke ein. Demnach ist die Verwendung der vom bekämpften polizeilichen Auftrag erfaßten Räume zu Bürozwecken im Konsens vom 22. Mai 1868 gedeckt.
Da es somit an Gier wesentlichen Voraussetzung für den bekämpften Auftrag, nämlich an einer bewilligungswidrigen Benützung der gegenständlichen Räume fehlt, wurden die Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in dem als Beschwerdepunkt aufzufassenden Recht auf Verwendung der Räume zu Bürozwecken verletzt. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die Bestimmungen der §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung über die Pauschalierung der Aufwandersätze im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof, BGBl. Nr. 4/1975.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1975:1974002343.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
EAAAF-58530