VwGH 14.09.1962, 2305/61
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Norm | BAO §236 Abs1 |
RS 1 | Ein allfälliger Mangel in der Gesetzgebung kann nicht durch Nachsicht einer Abgabe behoben werden. Es fehlt in diesem Fall an der auf den Einzelfall beschränkten Unbilligkeit. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie VwGH Erkenntnis 1957/06/07 1760/56 1 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Wasniczek als und die Hofräte Dr. Koprivnikar, Dr. Schimetschek, Dr. Eichler und Dr. Kaupp als Richter, im Beisein des Polizeikommissärs Dr. Primmer als Schriftführer, über die Beschwerde der Firma D in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA VII - 1723/1-1961, betreffend Nachsicht von Gewerbesteuer, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Bei Bemessung der Gewerbesteuer der beschwerdeführenden Firma für das Jahr 1959 waren dem Gewinn aus Gewerbebetrieb Dienstbezüge des Ehemannes einer Kommanditistin im Betrage von S 240.000,-- gemäß § 7 Z. 5 Gewerbesteuergesetz 1953 (in der ursprünglichen Fassung) hinzugerechnet worden. Nachdem jedoch der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Zl. G 12/60-10, die Bestimmung des § 7 Z. 5 Gewerbesteuergesetz 1953 als verfassungswidrig aufgehoben hatte (vgl. die Kundmachung BGBl. Nr. 11/1961), beantragte die beschwerdeführende Firma einen teilweisen Erlaß der Gewerbesteuer 1959 in der Höhe von S 40.080,--. Sie begründete dieses Begehren damit, daß sie eine unbillige Härte darin erblicke, "die weitere Anwendung der verfassungswidrigen Zurechnungsbestimmung erdulden zu müssen".
Das Finanzamt wies diesen Antrag mit der Begründung ab, daß eine Unbilligkeit in der weiteren Auswirkung einer für den betreffenden Fall noch gültigen gesetzlichen Bestimmung nicht gegeben sei, zumal die Vorschrift des § 14 Abs. 2 AbgEG auch keine Rechtsgrundlage dafür biete, eine bloße Änderung der Gesetzesanwendung auf Grund späteren gerichtlichen Erkenntnisses durch eine Billigkeitsmaßnahme zu berücksichtigen. Im übrigen entbehre der geltend gemachte Grund auch der Besonderheit des einzelnen Falles.
Dagegen erhob die Firma Beschwerde, wobei sie im wesentlichen die im Nachsichtsansuchen für ihr Begehren geltend gemachten Gründe wiederholte.
Die belangte Behörde gab der Beschwerde mit dem angefochtenen Bescheide keine Folge. Sie begründete ihre abweisende Entscheidung damit, daß gemäß § 14 Abs. 2 AbgEG, die Frage, ob die Einziehung einer Abgabe unbillig sei, nach der Lage des einzelnen Falles beurteilt werden müsse, woraus folge, daß eine Unbilligkeit im Sinne dieser Bestimmung nur angenommen werden könne, wenn besondere Umstände des Einzelfalles dies rechtfertigen. Solche nur für die Beschwerdeführerin geltenden Umstände lägen aber nicht vor. Es müsse vielmehr darauf hingewiesen werden, daß die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Gründe nicht bloß bei ihr, sondern auch bei einem nicht unbedeutenden Teil der übrigen Steuerpflichtigen zutreffen. Es wäre daher unzweckmäßig und dem Sinn des Gesetzes widersprechend, allen in der gleichen Lage befindlichen Steuerpflichtigen eine entsprechende Abgabennachsicht zu gewähren. Die Gewährung einer solchen Nachsicht an einen einzelnen Steuerpflichtigen oder nur an wenige Steuerpflichtige in der gleichen Lage würde zu einer ungleichen Behandlung der Steuerpflichtigen und damit zu Unbilligkeiten führen. Wohl könne die Einziehung einer dem Gesetze gemäß vorgeschriebenen Abgabe auf Grund besonderer Umstände des einzelnen Falles unbillig sein. Solche Umstände müßten aber außerhalb der gesetzlichen Regelung der Abgabenvorschreibung liegen. Denn die Bestimmung des § 14 Abs. 2 AbgEG gebe keinesfalls die Möglichkeit, einer dem Gesetz entspringenden Unbilligkeit allgemein im Wege einer Nachsicht abzuhelfen, selbst dann nicht, wenn ein Mangel des Gesetzes oder ein offensichtliches Versehen des Gesetzgebers vorliege. Auch die durch den Verfassungsgerichtshof verfügte Aufhebung des § 7 Abs. 5 Gewerbesteuergesetze 1953, für deren Inkrafttreten eine Frist bis gesetzt worden ist, biete an sich keine Handhabe für Billigkeitsmaßnahmen.
Über die gegen diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriftn erhobene Beschwerde hat der Gerichtshof erwogen:
Gemäß § 14 Abs. 2 AbgEG können allfällige Abgabenschuldigkeiten auf Auftrag ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einziehung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Im vorliegenden Fall erblickt die Beschwerdeführerin die Unbilligkeit der Einziehung eines Teiles der Gewerbesteuer 1959 darin, daß sie eine Steuer auf Grund einer Gesetzesbestimmung bezahlen müsse, die nachträglich vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufgehoben worden ist. Die gegenständliche Steuervorschreibung beruht somit auf einem (wenn auch verfassungsrechtlich mangelhaften) Gesetz, das sich gegenüber allen Steuerpflichtigen, auf welche die betreffende gesetzliche Bestimmung anzuwenden war, in gleicher Weise auswirkt. Nach § 14 Abs. 2 AbgEG muß aber die Unbilligkeit, die zu einer Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten führen kann, in der Lage des Falles, d.h. in den Besonderheiten des Einzelfalles begründet sein, weshalb ein Mangel eines Gesetzes, der alle von diesem Gesetz erfaßten Steuerpflichtigen berührt, nicht durch Nachsicht behoben werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Slg. Nr. 1662/F).
Auch verkennt die Beschwerdeführerin völlig die Wirkung der Aufhebung eines Gesetzes durch den Verfassungsgerichtshof. Abgesehen vom Anlaßfall wirkt nämlich die Aufhebung eines Gesetzes nicht zurück, sondern nur für die Zukunft vom Tage des Wirksamkeitsbeginnes der Aufhebung ab. Es dürfen daher die Gerichte und Verwaltungsbehörden von der Anwendung des vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig anerkannten Gesetzes nur bezüglich jener Tatbestände absehen, die sich erst nach dem Wirksamkeitsbeginn des aufhebenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes ergeben haben. Hingegen sind die Gerichte und Verwaltungsbehörden nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet, das betreffende Gesetz, obgleich es vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erkannt wurde, noch auf Tatbestände anzuwenden, die vor dem Wirksamkeitsbeginn der Aufhebung liegen (vgl. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes Slg. Nr. 1415, 2412, 2688, 2839 und 2949).
Bei dieser Rechtslage kann daher auch in der Aufrechterhaltung der seinerzeit rechtmäßig vorgeschriebenen Gewerbesteuerveranlagung 1959 und der Einziehung der sich daraus ergebenden Gewerbesteuer im allgemeinen keine Unbilligkeit erblickt werden, weshalb die belangte Behörde das gegenständliche Nachsichtsbegehren, ohne daß es noch weiterer Erhebungen bedurft hätte, mit Recht abgewiesen hat.
Die vorliegende Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1952 als unbegründet abzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Norm | BAO §236 Abs1 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1962:1961002305.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
HAAAF-58461