VwGH 16.01.1976, 2302/74
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Norm | HVG §56 Abs2; |
RS 1 | Die Beschädigtenrente ist auch dann neu zu bemessen, wenn der Anspruch darauf deshalb abgewiesen wurde, weil die MdE weniger als 25 Prozent beträgt. |
Normen | |
RS 2 | Die Unterlassung des Parteiengehörs in erster Instanz kann im Verfahren vor dem VwGH nicht mehr mit Erfolg gerügt werden, wenn die Partei es unterließ, diesen Verfahrensmangel im Zuge des Berufungsverfahrens zu rügen, obwohl die präzise Angabe des entscheidenden Beweismittels im erstinstanzlichen Bescheid enthalten war. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 0001/57 E RS 1 |
Normen | |
RS 3 | Es liegt keine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, wenn der Inhalt einer sachverständigen Stellungnahme in allen wesentlichen Teilen erst im erstinstanzlichen Bescheid wiedergegeben wird und die Partei es unterlassen hat, in der Berufung oder im Zuge des Berufungsverfahrens die darin festgehaltenen Tatsachen und die aus diesen Tatsachen gezogenen Schlüsse zu bestreiten. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 1935/72 E VwSlg 8424 A/1973 RS 4 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Skorjanec und die Hofräte Dr. Kirschner, Dr. Liska, Dr. Schubert und Dr. Hoffmann als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Jisa, über die Beschwerde des HT in F, vertreten durch Dr. Wilhelm N. Leitgeb, Rechtsanwalt in Klagenfurt, Theaterplatz 5, gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Kärnten vom , EV. Zl. 80.802, betreffend Heeresversorgung (Beschädigtenrente), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 720,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer erlitt im ordentlichen Präsenzdienst einen Bruch des rechten Sprunggelenkes. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom anerkannte die Schiedskommission beim Landesinvalidenamt für Kärnten gemäß § 2 des Heeresversorgungsgesetzes (BVG) einen "Zustand nach Bruch des inneren Knöchels mit Teilverrenkung des Sprungbeines nach hinten und Abriß eines hinteren Dreieckes am unteren Schienbeinende rechts" als Dienstbeschädigung, wies aber den nach den §§ 21 und 22 HVG erhobenen Anspruch auf Beschädigtenrente mit der Begründung ab, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nur 20 v.H. betrage. Im Mai 1973 stellte der Beschwerdeführer neuerlich den Antrag, ihm eine Beschädigtenrente zuzuerkennen und brachte vor, daß sich sein Gesundheitszustand verschlechtert habe und er dadurch gezwungen sei, den Beruf zu wechseln. Das Landesinvalidenamt führte ein Ermittlungsverfahren durch, in dem es zunächst das Gutachten des ärztlichen Sachverständigen Prim. Dr. W vom einholte, einen Fragebogen über die Berufsverhältnisse an den Beschwerdeführer richtete, eine gutachterliche Stellungnahme des Facharztes für Unfallchirurgie Dr. S zur Beurteilung gemäß § 22 HVG einholte und dem Beschwerdeführer das Ergebnis dieser Beweisaufnahme mitteilte. Im Hinblick auf die in der Niederschrift vom abgegebene Äußerung des Beschwerdeführers setzte das Landesinvalidenamt das Ermittlungsverfahren fort und schaffte vom Landessonderkrankenhaus Stolzalpe die Krankheitsgeschichte über die stationäre Behandlung des Beschwerdeführers in der Zeit vom 6. bis bei, holte das Gutachten des Facharztes für Unfallchirurgie Dr. S vom ein sowie eine neuerliche gutachterliche Stellungnahme dieses Sachverständigen zur Beurteilung gemäß § 22 HVG.
Mit Bescheid vom wies das Landesinvalidenamt den Antrag des Beschwerdeführers gemäß den §§ 21, 22 und 56 HVG ab. In der Bescheidbegründung berief sich die Behörde einerseits auf das Gutachten des ärztlichen Sachverständigen Prim. Dr. W, andererseits darauf, daß sie entsprechend dem Vorbringen des Beschwerdeführers vom Landessonderkrankenhaus Stolzalpe die Krankheitsgeschichte eingeholt und eine neuerliche Begutachtung durch den Facharzt für Unfallchirurgie Dr. S veranlaßt habe. Nach dem Gutachten dieses Sachverständigen vom sei im klinischen Befund keine Änderung eingetreten. Die Behörde gab den Inhalt dieses Gutachtens im einzelnen in der Bescheidbegründung zum Teil wieder, darunter auch die Auseinandersetzung des Sachverständigen mit den in der Krankheitsgeschichte des Landessonderkrankenhauses Stolzalpe angeführten "Veränderungen im Bereiche des oberen Sprunggelenkes". Im übrigen ging die Behörde von dem im früheren Einschätzungsverfahren dem Beschwerdeführer nach der Berufsgeschichte billigerweise zumutbaren Beruf eines Elektroinstallateurs aus und vertrat die Auffassung, daß auch bei der Beurteilung in diesem Punkt keine Änderung eingetreten sei.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, daß er ständig an großen Schmerzen im rechten Sprunggelenk leide, die bis zum Kniegelenk ausstrahlten; insbesondere in der Nacht träten Schmerzen auf. Mit dem angefochtenen Bescheid gab die Schiedskommission der Berufung nicht Folge. Sie stellte auf Grund der von der Behörde erster Instanz eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten des Prim. Dr. W und des MedRates Dr. S fest, daß im Zustand der Dienstbeschädigung im Vergleich zu den maßgeblichen Vorgutachten (ärztliche Sachverständigengutachten von Prim. Dr. W vom und Ergänzungsgutachten desselben Sachverständigen vom ) keine maßgebende Änderung eingetreten sei. Die beiden Sachverständigengutachten erachtete die Schiedskommission als schlüssig, weil sie sich auf ausführliche, klinische und röntgenologische Befunde stützten und weil sich besonders MedRat Dr. S mit den Befunden in der Krankheitsgeschichte des Landessonderkrankenhauses Stolzalpe über den stationären Aufenthalt in der Zeit ab , die vom Beschwerdeführer als Beweis für die angebliche Verschlechterung im Zustand der Dienstbeschädigung angeführt worden seien, auseinandergesetzt habe. Es bestehe daher gemäß § 56 HVG kein Anspruch auf neuerliche Einschätzung der MdE gemäß den §§ 21 und 22 leg. cit., zumal in diesem Zusammenhang weiterhin die Gesichtspunkte zu gelten hätten, die bereits im Bescheid der Schiedskommission vom eingehend erörtert worden seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 56 Abs. 2 HVG ist unter anderem die Beschädigtenrente neu zu bemessen, wenn eine für die Höhe der Leistung maßgebende Veränderung eintritt. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der im wesentlichen gleichlautenden Bestimmung des § 52 Abs. 2 KOVG 1957 ist die Rente auch dann 'neu zu bemessen', wenn der Anspruch auf Beschädigtenrente lediglich deshalb abgewiesen wurde, weil die MdE weniger als 25 v.H. beträgt. Die belangte Behörde ist daher mit Recht davon ausgegangen, daß im Beschwerdefall § 56 Abs. 2 HVG anzuwenden ist. Sie hat die Frage, ob eine maßgebende Veränderung seit der Erlassung des Bescheides vom eingetreten ist, verneint.
Die Beschwerde macht zunächst Verletzung des Parteiengehörs geltend. Da die belangte Behörde ein Ermittlungsverfahren nicht durchgeführt hat, bezieht sich diese Rüge offenbar auf das erstinstanzliche Verfahren. Es ist zwar richtig, daß die Behörde erster Instanz dem Beschwerdeführer nicht Gelegenheit gegeben hat, zu den nach der in der Niederschrift vom abgegebenen Äußerung des Beschwerdeführers eingeholten Beweismitteln Stellung zu nehmen, jedoch bedeutet die Verletzung des Parteiengehörs durch die Behörde erster Instanz im vorliegenden Fall keine Verletzung von Verfahrensvorschriften durch die Behörde zweiter Instanz. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen und begründet hat, kann die Verletzung des Parteiengehörs in erster Instanz im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof dann nicht mehr mit Erfolg gerügt werden, wenn es die Partei unterließ, diesen Verfahrensmangel im Zuge des Berufungsverfahrens zu rügen, obwohl die präzise Angabe des entscheidenden Beweismittels im erstinstanzlichen Bescheid enthalten war (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 1/57, vom , Zl. 1686/57, vom , Zl. 850/71, und vom , Zl. 1067/72). In dem Erkenntnis vom , Zl. 1935/72, hat der Verwaltungsgerichtshof in Übereinstimmung mit diesen Gedankengängen die Auffassung vertreten, daß keine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende Verletzung von Verfahrensvorschriften gegeben ist, wenn der Inhalt eines Beweismittels - es handelte sich damals um die Stellungnahme eines Sachverständigen - in allen wesentlichen Teilen wiedergegeben wird und die Partei es unterlassen hat, in der Berufung oder im Zuge des Berufungsverfahrens die darin enthaltenen Tatsachen und die aus diesen Tatsachen gezogenen Schlüsse zu bestreiten. Im vorliegenden Beschwerdefall hat das Landesinvalidenamt das Gutachten des Facharztes für Unfallchirurgie Dr. S vom in ihrem Bescheid zitiert und den wesentlichen Inhalt dieses Gutachtens wiedergegeben. Der Beschwerdeführer hatte daher anläßlich seiner bei dieser Behörde zu Protokoll gegebenen Berufung Kenntnis davon, daß die Behörde erster Instanz dieses Gutachten eingeholt, es jedoch unterlassen hat, dem Beschwerdeführer vor Erlassung des Bescheides Gelegenheit zu geben, von diesem Gutachten Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer kann daher die Verletzung des Parteiengehörs in erster Instanz nicht mehr mit Erfolg im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend machen.
Der von der Beschwerde erhobene Einwand, daß "zwischen der Untersuchung im Jahre 1973 und der Bescheiderstellung Ende 1974" mehr als ein Jahr vergangen sei, stimmt mit der Aktenlage nicht überein. Die Beschwerde hat bei diesem Vorbringen offenbar das Gutachten des ärztlichen Sachverständigen Dr. W vom (Tag der Untersuchung des Beschwerdeführers: ) vor Augen. Der Beschwerdeführer wurde aber auch vom Sachverständigen Dr. S, und zwar am , untersucht. Der angefochtene Bescheid wurde am dem Beschwerdeführer zugestellt, also vor Ablauf eines Jahres nach Erstellung des zuletzt genannten Gutachtens. Im übrigen wird in der Beschwerde nicht behauptet, daß seit der Erstellung des Gutachtens des ärztliche Sachverständigen Dr. S, aber noch vor Erlassung des angefochtenen Bescheides eine Änderung im ustand des Beschwerdeführers eigetreten ist. Der von der Beschwerde vorgelegte "Ärztliche Befundbericht" des Landessonderkrankenhauses Stolzalpe vom nimmt auf eine ambulante Untersuchung des Beschwerdeführers am Bezug, also auf eine Untersuchung des Beschwerdeführers, die nach der Erlassung des angefochtenen Bescheides stattgefunden hat.
Da die belangte Behörde mit Recht die Frage, ob seit dem rechtskräftigen Bescheid vom eine maßgebende Änderung im Leidenszustand des Beschwerdeführers eingetreten ist, verneinen konnte, war sie zu einer Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht verpflichtet.
Aus diesen Erwägungen erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 abzuweisen ist.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 4/1975, insbesondere auf Art. IV Abs. 2 dieser Verordnung.
Wien, am
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Normen | |
Schlagworte | Parteiengehör Parteiengehör Sachverständigengutachten |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1976:1974002302.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
GAAAF-58457