VwGH 30.10.1953, 2275/51
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Norm | VVG §5 Abs2; |
RS 1 | Eine verhängte Zwangsstrafe darf nicht mehr vollzogen werden, wenn das mit der Verhängung der Zwangsstrafe verfolgte Ziel erreicht ist. (Hinweis auf E 30.101953, VwSlg 3171 A/1953) |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Pilat und die Räte Dr. Dietmann, Dr. Seibt, Dr. Donner und Dr. Chamrath als Richter, im Beisein des Sektionsrates Dr. Lehne als Schriftführer, über die Beschwerde des L und der MK in W gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom , Zl. L.A. I/6 - 641/5 - 1951, betreffend Vollstreckung eines Zuweisungsbescheides, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird, insoweit mit ihm der Antrag der Beschwerdeführer auf Einstellung des Vollstreckungsverfahrens und auf Aufschub der Vollstreckung abgewiesen wird, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner beschlossen, die Beschwerde, soweit sie sich gegen die mit dem angefochtenen Bescheide ausgesprochene Ablehnung des Antrages der Beschwerdeführer auf Aufhebung des Bescheides der belangten Behörde vom , Z. L.A. I/6 - 641/4 - 1951, betreffend Verwaltungsvollstreckung, richtet, zurückzuweisen.
Begründung
Mit Bescheid vom forderte die Gemeinde Felixdorf eine im Hause des L und der MK in Felixdorf, G-gasse 9, gelegene, aus Zimmer, Kabinett und Küche bestehende Wohnung gemäß § 5 Z. 2 WAG an. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab der Landeshauptmann von Niederösterreich mit Bescheid vom keine Folge. Mit Bescheid der Gemeinde Felixdorf vom wurde die Wohnung den Ehegatten F und HP zugewiesen. Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer Berufung, die mit Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom als unzulässig zurückgewiesen wurde. Am richtete die Gemeinde Felixdorf an die Eheleute K die Aufforderung, den Wohnungsschlüssel beim Gemeindeamten abzugeben, widrigenfalls bei der Bezirkshauptmannschaft Wiener-Neustadt die Vollstreckung des Zuweisungsbescheides beantragt werden würde. Da dieser Aufforderung nicht entsprochen wurde, wurde der Antrag auf Vollstreckung bei der genannten Bezirkshauptmannschaft gestellt, die hierauf mit Bescheid vom die Beschwerdeführer aufforderte, die Wohnung binnen drei Tagen nach Zustellung des Bescheides den Eheleuten P zu übergeben oder innerhalb der gleichen Frist die Schlüssel für die Wohnung am Gemeindeamt zu hinterlegen; im Falle der weiteren Verweigerung der Übergabe hätten L und MK die sofortige Vollziehung einer Zwangsstrafe von 1.000 S gemäß § 5 VVG in Verbindung mit § 17 Abs. 4 WAG zu gewärtigen. Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer Berufung; da sie aber auch nunmehr weder die Wohnung übergaben noch die Schlüssel hinterlegten, hat die Bezirkshauptmannschaft Wiener-Neustadt mit Bescheid vom ausgesprochen, dass die angedrohte Zwangsstrafe vollzogen werde; gleichzeitig wurden die Beschwerdeführer neuerlich zur Übergabe der Wohnung oder der Schlüssel aufgefordert und für den Fall der weiteren Weigerung wurde die sofortige Vollstreckung einer neuerlichen Zwangsstrafe von 1.500 S angedroht. Auch gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer Berufung. Am ging den Eheleuten F und HP ein Schreiben des Vertreters der Beschwerdeführer zu, in dem diese zur Abholung der Wohnungsschlüssel aus der Kanzlei des Vertreters eingeladen wurden. Die Berufungen der Beschwerdeführer gegen die Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Wiener-Neustadt vom 13. Februar und wies der Landeshauptmann von Niederösterreich mit Bescheid vom , gemäß § 10 Abs. 2 VwGG als unzulässig zurück.
L und MK beantragten nunmehr in einem vom datierten, als "Antrag gemäß § 68 Abs. 7 AVG" bezeichneten Schriftsatz bei der belangten Behörde,
1.) das Vollstreckungsverfahren wegen Erfüllung der Verpflichtung einzustellen,
2.) den Bescheid des Landeshauptmannes vom gemäß § 68 Abs. 2 AVG bzw. nach § 5 Abs. 2 Satz 4 VVG aufzuheben,
3.) bis zur endgültigen Entscheidung den Vollzug der Vollstreckung aufzuschieben.
Mit Bescheid vom hat der Landeshauptmann von Niederösterreich die angeführten drei Anträge gemäß § 68 Abs. 1 und § 73 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen bzw. abgewiesen. In der Begründung wurde zunächst darauf hingewiesen, dass die Erfüllung der Verpflichtung erst nach Verhängung der ersten Zwangsstrafe zustandegekommen sei. Der unter Z. 2 gestellte Antrag beinhalte ein völlig zweckloses Begehren, da die in Rechtskraft erwachsenen Vollstreckungsbescheide jedenfalls vollstreckbar bleiben würden, umsomehr als den Berufungen im Vollstreckungsverfahren eine aufschiebende Wirkung nicht zukomme. Im übrigen sei aber gemäß § 5 Abs. 2 letzter Satz VVG wegen Erfüllung der Verpflichtung nur ein angedrohtes Zwangsmittel nicht mehr vollziehbar, was aber für ein bereits verhängtes Zwangsmittel nicht gelte. Die zweite angedrohte Zwangsstrafe werde nicht mehr in Vollzug gesetzt werden können, wohl aber die erste, die vor Erfüllung der Verpflichtung verhängt worden sei. Die unter 1.) und
2.) gestellten Begehren seien demnach nicht nur wegen entschiedener Sache, sondern auch gemäß § 73 Abs. 1 AVG abzuweisen gewesen. Der unter Z. 3) gestellte Antrag müsse abgewiesen werden, weil die Aussetzung des Vollzuges der Vollstreckung eines gemäß § 5 Abs. 2 VVG verhängten Zwangsmittels im Gesetze nicht vorgesehen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der unter Ziffer 2 gestellte Antrag der Beschwerdeführer, mit dem die Aufhebung des Bescheides des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom begehrt wurde, stellt sich als ein Antrag auf Ausübung des der Behörde gemäß § 68 Abs. 2 und 3 AVG zustehenden Behebungsrechtes dar. Gemäß § 68 Abs. 7 AVG steht aber niemandem ein Anspruch auf die Ausübung dieses Rechtes der Behörde zu. Aus diesem Grunde konnten die Beschwerdeführer durch die abweisliche Erledigung ihres Antrages in diesem Punkte von vornherein in einem Rechte nicht verletzt werden. Daraus folgt, dass die Beschwerde in diesem Belange gemäß § 34 Abs. 1 VwGG 1952 wegen Mangels der Berechtigung zu ihrer Erhebung zurückzuweisen war (vgl. den Beschluss eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom , Amtl. Slg. N.F. Anh. Nr. 9 A/1948).
Die Anträge 1 und 3 jedoch hätten an jene Behörde gerichtet werden müssen, die die Vollstreckungsverfügungen in erster Instanz erlassen hatte. Auch die belangte Behörde hat dies in ihrer Gegenschrift bezüglich des Antrages auf Aussetzung der Vollstreckung ausdrücklich gesagt. Nun hat aber über die Frage, ob eine bereits verhängte Zwangsstrafe nach Erfüllung der Verpflichtung zu vollstrecken bzw. ob der Vollzug der Vollstreckung aufzuschieben ist, zunächst die Vollstreckungsbehörde selbst zu entscheiden. Erst gegen eine Entscheidung dieser ersten Instanz hätte allenfalls ein Rechtsmittel an den Landeshauptmann ergriffen werden können, in dem die Unzulässigkeit der Vollstreckung geltend zu machen wäre. Die belangte Behörde hat aber, ohne die sich aus § 1 VVG und § 2 AVG ergebende Zuständigkeitsordnung zu beachten, selbst abweislich entschieden, weshalb der angefochtene Bescheid, insoweit mit ihm die unter Z. 1 und 3 gestellten Anträge der Beschwerdeführer abgewiesen wurden, gemäß § 42 Abs. 2 lit. b VwGG 1952 wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben war.
Es sei jedoch noch Folgendes bemerkt: Die belangte Behörde hat in ihrer Gegenschrift den Standpunkt vertreten, dass aus § 5 Abs. 2 letzter Satz VVG geschlossen werden müsse, dass ein bereits verhängtes Zwangsmittel auch nach Erfüllung der Pflicht, deren Befolgung es erzwingen sollte, zu vollziehen sei.
Die belangte Behörde will aus dem Wortlaute der angeführten Gesetzesstelle schließen, dass, da diese Regelung ausdrücklich nur für angedrohte Zwangsmittel getroffen sei, das gleiche für bereits verhängte Zwangsmittel nicht gelten könne. Der Verwaltungsgerichtshof kann dieser Auffassung nicht beipflichten. Die Vollziehung der Zwangsstrafen kann jeweils von der Nichterfüllung der Verpflichtung abhängig sein und muss entfallen, wenn das mit der Verhängung der Zwangsstrafe verfolgte Ziel erreicht ist. Wie auch in der Beschwerde zutreffend ausgeführt ist, sind "Zwangsstrafen" nicht gleicher Natur wie andere Strafen, da sie einen durchaus anderen Zweck verfolgen. Ihre Aufgabe ist es, einen dem Willen der Behörde entgegenstehenden Willen der Partei zu brechen. Ist dieser Zweck erreicht, bevor die verhängte Haft vollstreckt oder der als Zwangsstrafe auferlegte Betrag entrichtet worden ist, so wäre es zweckwidrig, auf dem Vollzug der Haft oder auf der Eintreibung des Geldbetrages zu bestehen, weil hier jedes Moment eines Sühne- oder Besserungszweckes ausscheidet. Der von der belangten Behörde aus dem letzten Satz des § 5 Abs. 2 VVG gezogene Umkehrschluss erscheint somit nicht zulässig, weil die gleichen rechtlichen Gedankengänge, die der angeführten Gesetzesbestimmung zugrunde liegen, auch bei Beurteilung der Frage, ob die Vollziehung einer bereits verhängten Zwangsstrafe auch nach Erfüllung der Verpflichtung zulässig ist, richtunggebend sein müssen. Die Beschwerdeführer haben auch mit Recht darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung und Rechtslehre zur Exekutionsordnung die Einhebung verhängter Geldstrafen nach Einstellung der Exekution ablehnt und nur die Rückforderung bereits eingehobener Geldstrafen als unzulässig erklärt.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Norm | VVG §5 Abs2; |
Sammlungsnummer | VwSlg 3171 A/1953 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1953:1951002275.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAF-58408