VwGH 28.04.1980, 2256/77
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Norm | EStG 1972 §2 Abs4; |
RS 1 | Aus § 2 Abs 4 EStG 1972 ergibt sich, daß grundsätzlich nur positive wirtschaftliche Ergebnisse unter den Begriff "Einkünfte" fallen. Allerdings ist das Vorliegen von Einkünften in der Regel unter Zugrundelegung eines über den Einkommensermittlungszeitraum hinausgehenden Zeitabschnittes zu beurteilen. Nur bei einer solchen zeitlich erweiterten Betrachtungsweise ist es möglich, ungeachtet eines Verlustes in dem einen oder anderen Kalenderjahr ein positives wirtschaftliches Gesamtergebnis einer Tätigkeit zu unterstellen und damit das Vorliegen einer Einkunftsquelle zu bejahen. |
Norm | EStG 1972 §2 Abs4; |
RS 2 | Für uneigennützige Tätigkeiten auf humanitärem, wissenschaftlichem oder kulturellem Gebiet, die oft ein hohes Maß an Idealismus und ethischer Gesinnung erfordern und bisweilen auch finanzielle Einbußen mit sich bringen, ist die Verwendung des Begriffes "Liebhaberei" verfehlt. Dessenungeachtet sind aber auch Verluste aus einer solchen Tätigkeit gemäß § 2 Abs 2 EStG 1972 nur ausgleichsfähig, wenn das Vorliegen einer steuerlich anzuerkennenden Einkunftsquelle zu bejahen ist.(Hier: Chefarzt einer Heilanstalt und Pflegestätte) |
Norm | EStG 1953 §2; |
RS 3 | Eine Betätigung ist nur dann als Einkunftsquelle zu behandeln, wenn sie mit dem Streben nach einem Reinertrag verbunden und nach den Verhältnissen des einzelnen Falles geeignet ist, auf die Dauer einen solchen abzuwerfen. Nur unter dieser Voraussetzung sind bei ihr fallweise auftretende Verluste bei der Ermittlung des Einkommens zu berücksichtigen |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 0826/51 E RS 2 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Reichel und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Pokorny, Dr. Wetzel und Dr. Puck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gancz, über die Beschwerde des Dr. HS in R, vertreten durch Dr. Ekkehard Pachl, Rechtsanwalt in Dornbirn, Eisengasse 2, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Vorarlberg (Berufungssenat) vom , Zl. 5082-1/1976, betreffend Einkommensteuer für das Jahr 1973, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 720,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der im Jahre 1906 geborene Beschwerdeführer war bis zum Jahr 1971 als Chefarzt einer Heil- und Pflegeanstalt tätig und bezog in dieser Eigenschaft Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Daneben erklärte er aus seiner Privatpraxis als Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie Einkünfte aus selbständiger Arbeit, wobei die Einnahmen- Ausgabenrechnungen seit dem Jahr 1968 nur mehr Verluste in folgender Höhe ergaben:
Jahr Verlust Jahr Verlust
1968 100.760,-- 1972 75.255,--
1969 60.204,-- 1973 71.472,--
1970 38.171,-- 1974 87.548,--
1971 22.116,-- 1975 59.487,--
Im Jahr 1976 gab der Beschwerdeführer seine Tätigkeit als frei praktizierender Facharzt vollständig auf.
Das Finanzamt versagte dem für das Jahr 1973 erklärten Verlust die im § 2 Abs. 2 EStG vorgesehene Ausgleichsfähigkeit mit den anderen Einkünften mit der Begründung, daß nur solche Tätigkeiten als Einkunftsquelle in Betracht kämen, die auf Dauer gesehen Gewinne bzw. Einnahmenüberschüsse erwarten ließen, und daß andernfalls eine "einkommensteuerlich unbeachtliche Liebhaberei" vorliege.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung und wies darauf hin, daß er in seiner Privatpraxis hauptsächlich Patienten behandelt habe, die ihn nach ihrer Entlassung aus jener Heil- und Pflegeanstalt, in der er als Chefarzt tätig gewesen sei, zu Nachuntersuchungen und Konsultationen aufgesucht hätten. Soweit es sich dabei um sogenannte Klassepatienten gehandelt habe, seien ihm bereits im Rahmen seiner spitalsärztlichen Tätigkeit neben seinem festen Gehalt Anteile an den Operations- und Behandlungskosten ausbezahlt worden (z.B. 1970: S 330.064,--, 1971: S 393.115,--, 1972: S 80.740,-- und 1973: S 20.320,--), sodaß er im Hinblick auf den engen Zusammenhang seiner spitalsärztlichen und seiner freiberuflichen Tätigkeit auf weitere Honorare für Nachbehandlungen und spätere Konsultationen verzichtet habe. Aber auch in anderen Fällen habe er von ehemaligen Spitalspatienten häufig keine Honorare verlangt. Fallweise seien auch verrechnete Honorare nicht bezahlt worden. Der Umstand, daß er für die Betreuung seiner Patienten und für die nicht gut honorierte Erstellung von Gutachten seine Ordination, die mit hohen Kosten verbunden gewesen sei, noch aufrechterhalten mußte, sollte keinen Grund darstellen, von einer Liebhaberei zu sprechen, weil jedes persönliche oder private Motiv zu einer solchen gefehlt habe. Als Arzt habe er sich verpflichtet gefühlt, seinen Mitmenschen zu helfen.
Die belangte Behörde gab der Berufung insoweit Folge, als sie die als Betriebsausgaben geltend gemachten Steuerberatungskosten als Sonderausgaben berücksichtigte. Im übrigen wies sie die Berufung mit der Begründung ab, daß aus der freiberuflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers auch in Zukunft kein Gewinn erwartet werden könne, weil einerseits die Aufrechterhaltung der Privatpraxis laufend hohe Kosten verursache und andererseits nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers mit keinem Anwachsen der Einnahmen zu rechnen sei. Eine Tätigkeit, mit der aber auf Dauer gesehen nicht die Erzielung von Einkünften angestrebt werde, sei als einkommensteuerlich nicht berücksichtigungsfähige Liebhaberei anzusehen. Verluste aus einer solchen Tätigkeit seien bei Ermittlung des Einkommens nicht ausgleichsfähig.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Neben den bereits in der Berufung enthaltenen Ausführungen weist der Beschwerdeführer darauf hin, daß er nach seinem Ausscheiden als Chefarzt in der Heil- und Pflegeanstalt im Interesse seiner ehemaligen Patienten verpflichtet gewesen sei, seine Privatpraxis weiterzuführen, auch wenn die Frequenz von Jahr zu Jahr abgenommen habe. Es sei auch zu beachten, daß Patienten mit Unfallverletzungen und Orthopädiefälle unvergleichlich länger begutachtet und behandelt werden müßten als Patienten nach einem sonstigen ärztlichen Eingriff. Es bedürfe wohl keiner Versicherung, daß er (der Beschwerdeführer) seine ärztliche Tätigkeit nicht deswegen aufrechterhalten habe, um ausgleichsfähige Verluste zu erzielen. Es wäre für ihn bedeutend günstiger gewesen, die Ordination zu schließen und die Räume anderwärts zu verwerten bzw. zu vermieten. Als Arzt habe er sich aber verpflichtet gefühlt, für seine Patienten da zu sein, solange sie ihn benötigen und er ihnen in irgendeiner Form habe helfen können. Es sei ihm unverständlich, daß man diese Tätigkeit als Liebhaberei bezeichne und damit das Berufsethos eines Arztes vollkommen übersehe. Daß er viele Patienten gratis behandelt habe und bisweilen keine guter Kaufmann gewesen sei, dürfe man ihm als Arzt nicht übelnehmen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 2 Abs. 2 EStG 1972 ist unter Einkommen der Gesamtbetrag der Einkünfte aus den in Abs. 3 bezeichneten Einkunftsarten nach Ausgleich mit Verlusten, die sich aus einzelnen Einkunftsarten ergeben, und nach Abzug der Sonderausgaben zu verstehen. Gemäß Abs. 4 der zitierten Gesetzesstelle sind Einkünfte im Sinne des Abs. 3
1) bei Land- und Forstwirtschaft, selbständiger Arbeit und Gewerbebetrieb der Gewinn,
2) bei den anderen Einkunftsarten der Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten.
Mit dieser Begriffsbestimmung bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, daß das Wesensmerkmal steuerlich relevanter Einkünfte in einem positiven wirtschaftlichen Ergebnis, nämlich in einem Gewinn bzw. in einem Einnahmenüberschuß, besteht. Nur von dieser Ausgangsbasis her ist auch die ausdrückliche Normierung des Verlustausgleiches in § 2 Abs. 2 EStG verständlich. Wäre nämlich für das Vorliegen von Einkünften lediglich eine bestimmte Tätigkeit bzw. eine bestimmte Art der Einnahmenerzielung maßgebend, ohne Rücksicht darauf, ob das dabei erwirtschaftete Ergebnis positiv oder negativ ist, dann wäre der Verlustausgleich bereits das logische Ergebnis der Ermittlung des Gesamtbetrages der positiven und negativen Einkünfte. Für eine Rechtsvorschrift, die zusätzlich zu diesem Ergebnis einen Verlustausgleich anordnet, bliebe sohin kein Raum. Geht man hingegen davon aus, daß grundsätzlich nur positive wirtschaftliche Ergebnisse unter den Begriff "Einkünfte" fallen, dann erweist sich die Vorschrift über den Verlustausgleich nicht nur als sinnvoller, sondern geradezu als notwendiger Bestandteil des gemäß § 2 Abs. 1 EStG auf ein Kalenderjahr bezogenen Einkommensbegriffes. Sie setzt allerdings voraus, daß das Vorliegen von Einkünften unter Zugrundelegung eines über den Einkommensermittlungszeitraum hinausgehenden Zeitabschnittes beurteilt wird. Denn nur bei einer solchen, zeitlich erweiterten Betrachtungsweise ist es möglich, ungeachtet eines Verlustes, in dem einen oder anderen Kalenderjahr ein positives wirtschaftliches Gesamtergebnis einer Tätigkeit zu unterstellen und damit das Vorliegen einer Einkunftsquelle zu bejahen.
Unter Bezugnahme auf die Bestimmung des § 2 Abs. 4 EStG hat daher der Verwaltungsgerichtshof bereits in zahlreichen Erkenntnissen zum Ausdruck gebracht, daß eine menschliche Betätigung nur dann als Einkunftsquelle anzusehen ist, wenn sie mit einem Streben nach einem Reinertrag verbunden und nach den Verhältnissen des einzelnen Falles auch tatsächlich geeignet ist, auf Dauer einen Gewinn oder einen Überschuß der Einnahmen über die Werbungskosten aufzuwerfen (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom , Zl. 826/51, Slg. Nr. 819/F, vom , Zl. 2109/59, Slg. Nr. 2256/F, vom , Zl. 2261/70, Slg. Nr. 4324/F, vom , Zl. 899/74, Slg. Nr. 5047/F, u.a.m.).
Im Beschwerdefall ist unbestritten, daß die Tätigkeit des Beschwerdeführers als frei praktizierender Arzt durch viele Jahre hindurch nicht geeignet war, ein positives wirtschaftliches Ergebnis zu erbringen. Der Beschwerdeführer betont selbst, daß es für ihn bedeutend günstiger gewesen wäre, die Ordination zu schließen und die Räume anderwärts zu verwerten bzw. zu vermieten. Er habe sich aber als Arzt verpflichtet gefühlt, für seine Patienten da zu sein. Insbesondere unter Bezugnahme auf diese Motivation empfindet es der Beschwerdeführer als unverständlich, daß seine Tätigkeit von der belangten Behörde als Liebhaberei bezeichnet wird. Dazu ist zu sagen, daß der Begriff "Liebhaberei" nach dem allgemeinen Sprachgebrauch tatsächlich nicht geeignet ist, die Tätigkeit des Beschwerdeführers zutreffend zu umschreiben. Dieser Ausdruck wird in der steuerlichen Terminologie - vgl: etwa § 12 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1972, BGBl. Nr. 223, i.d.F. des Art. I Z. 11 des Abgabenänderungsgesetzes 1975, BGBl. Nr. 636 - deswegen verwendet, weil er in der überwiegenden Zahl der Fälle verlustbringender Tätigkeiten deren Beweggründe richtig kennzeichnet. Die Verwendung des Begriffes "Liebhaberei" scheint wohl bei uneigennützigen Tätigkeiten auf humanitärem, wissenschaftlichem oder kulturellem Gebiet, die oft ein hohes Maß an Idealismus und ethischer Gesinnung erfordern und bisweilen auch finanzielle Einbußen mit sich bringen, nicht zuzutreffen. Dessenungeachtet gelten aber die vorstehenden Ausführungen, wonach Verluste nur dann bei Ermittlung des Einkommens ausgleichsfähig sind, wenn sie aus einer steuerlich anzuerkennenden Einkunftsquelle stammen, auch für Tätigkeiten, die in uneigennütziger Weise zum Wohl der Allgemeinheit ausgeübt werden. Denn weder der Wortlaut noch der Sinn der aufgezeigten, für diese Beurteilung maßgebenden Rechtsgrundlagen lassen eine unterschiedliche Wertung ertragloser Tätigkeiten zu, je nachdem, ob diese in eigennütziger oder uneigennütziger Weise ausgeübt werden.
Zu dem vom Beschwerdeführer zusätzlich herangezogenen Argument, seine Tätigkeit als frei praktizierender Arzt sei in engem Zusammenhang mit der nichtselbständigen Tätigkeit als Chefarzt der Heil- und Pflegeanstalt gestanden, sodaß der wirtschaftliche Erfolg der erstgenannten Tätigkeit unter Einbeziehung der von den Klassepatienten bezahlten Operations- und Behandlungskosten (Klassegelder) beurteilt werden müsse, ist folgendes zu sagen: Die von der Heil- und Pflegeanstalt abgerechneten und anteilsmäßig dem Beschwerdeführer zugeflossenen Klassegelder waren von den Patienten unabhängig davon zu bezahlen, ob und inwieweit die Tätigkeit des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Privatordination in Anspruch genommen wurde. Sie sind daher - was auch vom Beschwerdeführer nicht bestritten wird - im Rahmen der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zugeflossen und stellen schon aus diesem Grund kein Entgelt für die freiberufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers dar. Selbst wenn der Beschwerdeführer im Hinblick auf diese anteiligen Klassegelder für weitere Konsultationen kein Honorar mehr verlangt haben sollte und - wie er selbst sagt - viele Patienten gratis behandelt hat, ändert dies nichts an der Tatsache, daß die in dieser Art und Weise betriebene Privatordination als rechtlich selbständig zu wertende Tätigkeit auf Dauer gesehen nicht geeignet war, einen wirtschaftlichen Erfolg abzuwerfen.
Da sohin der Beschwerdeführer die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht darzutun vermochte, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 542, jedoch beschränkt auf die von der belangten Behörde verzeichneten Kosten.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Sammlungsnummer | VwSlg 5483 F/1980 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1980:1977002256.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
OAAAF-58356