Suchen Hilfe
VwGH 22.04.1958, 2189/56

VwGH 22.04.1958, 2189/56

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
BauO Wr §129 Abs2
BauO Wr §129 Abs4
RS 1
Ausführungen, warum Gebrechen an noch benützten Kanälen als Baugebrechen anzusehen sind. (hier: Kanal von ehemaliger Hausbesorgerwohnung und ehemaligen Stallungen)
Normen
BauO Wr §129 Abs2
BauO Wr §129 Abs4
RS 2
Die Verschlechterung des Bauzustandes eines Hauses bildet erst dann ein Baugebrechen und berechtigt die Baubehörde zu einem polizeilichen Einschreiten, wenn das öffentliche Interesse durch den Weiterbestand des schadhaften Zustandes berührt wird.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 0335/49 E VwSlg 1569 A/1950 RS 1

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Werner und die Räte Dr. Hrdlitzka, Dr. Krizizek, Dr. Lehne und Dr. Striebl als Richter, im Beisein des Regierungsoberkommissärs der nö. Landesregierung Kinscher als Schriftführer, über die Beschwerde der HM in W gegen die Bauoberbehörde für Wien (Bescheid des Wiener Magistrates, M. Abt. 64, vom , Zl. M. Abt. 64-B VII-5/56), betreffend Erteilung eines baupolizeilichen Auftrages, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er die Bestätigung der hinsichtlich der Anlagen im Hof erteilten Aufträge zum Gegenstande hat, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschritten aufgehoben. Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des Hauses Wien VII., L-straße nn, Mit Bescheid vom erteilte ihr der Magistrat der Stadt Wien; M. Abt. 36, unter Berufung auf § 129 Abs. 4 der BO für Wien den Auftrag, binnen acht Wochen nach Rechtskraft des Bescheides durch einen befugten Gewerbetreibenden im Einvernehmen mit dem Magistrat der Stadt Wien, M. Abt. 30, an der Hauskanalanlage folgende Mängel beseitigen bzw. Gebrechen beheben zu lassen: 1.) Das schadhafte Mauerwerk des gesamten schliefbaren Hauskanales sowie der Einsteigschächte ist instandzusetzen. 2.) Der schadhafte Hofwassereinlaufschacht ist instandzusetzen und die versandete Ableitung zu räumen. 3.) Bei sämtlichen Einsteigschächten sind die fehlenden Steigeisen zu ersetzen. 4.) In sämtlichen Hofwassereinlaufschächten sind die fehlenden Geruchsverschlüsse zu ersetzen. Gleichzeitig wurde empfohlen, den gemauerten Hauskanal nach Einteilung einer Baubewilligung durch eine Steinzeugrohrleitung ersetzen zu lassen. Mit Beschluß vom wurde auf Berufung der Beschwerdeführerin der erstinstanzliche Bescheid durch die Bauoberbehörde für Wien gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Baubehörde verwiesen. Aus der Begründung des in Ausfertigung dieses Sitzungsbeschlusses ergangenen Bescheides geht hervor, daß die Bauoberbehörde eine Verletzung des § 45 Abs. 3 AVG 1950 als gegeben annahm, weil sich der Bescheid nur auf eine amtliche Erhebung stützte. Nun wurde eine Verhandlung für den anberaumt und durchgeführt. Mit Bescheid vom wurden sodann die Aufträge neuerlich erlassen, die bereits einmal ergangen waren. In der Begründung wurde festgestellt, daß nach den Erhebungen der Einsteigschacht des schliefbaren Hauskanales im Hof in einem äußerst schlechten Bauzustand, voll Schutt und Unrat und außerdem lediglich provisorisch mit Pfosten abgedeckt sei; in diesen Schacht münde weiters die Ableitung des Hofwassereinlaufschachtes ein, die total versandet sei, während der Schacht selbst baufällig sei. Bei drei Hofwassereinlaufschächten fehle der Geruchsverschluß; bei zwei Einsteigschächten im Keller seien die Steigeisen nicht vorhanden. Der gesamte schliefbare Hauskanal zeige starke Auswaschungen und leere Fugen an der Sohle und den Seitenwänden. Auf die Strecke von der Straßenhauptmauer bis zum städtischen Hauptkanal fänden sich in der Kanalsohle größere Löcher. Im hinteren Teil des schliefbaren Hauskanales seien bereits Setzungen der Kanalsohle von 5 bis 10 cm festgestellt worden, die sich auf Teilstücke von einem halben bis zu einem Meter ausdehnen. Die angeführten Schäden stellen eine Verschlechterung des ursprünglichen konsens- und bauordnungsmäßigen Zustandes des Hauses dar und seien ihrer Natur nach geeignet, das öffentliche Interesse zu beeinträchtigen, sodaß sie als Baugebrechen im Sinne des § 129 Abs. 2 und 4 der BO für Wien anzusehen seien. In der Berufung gegen diesen Bescheid wurde geltend gemacht, daß eine Kanalanlage überhaupt nicht notwendig sei, in den angeblich baufälligen Schacht im Hofe habe niemand hinabzusteigen, weil der Kanal tatsächlich nicht in Verwendung stehe. Die Reparatur der gesamten nicht mehr zweckdienlichen Hofkanalanlage wäre sinnlos. Die wenigen Schäden im Hauskanal aber würden den Abfluß der Fäkalien in keiner Weise beeinträchtigen, da diese wegen des Gefälles über die schadhaften Stellen hinweggefegt würden. Mit ihrem Sitzungsbeschluß vom wies die Bauoberbehörde die Berufung als unbegründet ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. In der Begründung des in Ausfertigung des Sitzungsbeschlusses ergangenen Bescheides des Magistrates der Stadt Wien wurde dargelegt, daß das Ermittlungsverfahren eindeutig Baugehrechen an der Kanalanlage im Hof und an der Kanalanlage des Hauses ergeben habe. Da auf die ordnungsgemäße Instandsetzung der Kanalanlage, insbesondere zur Abwehr der Seuchengefahr gedrungen werden müsse, sei ein öffentliches Interesse im Sinne des § 129 Abs. 4 der Bauordnung für Wien und damit auch die rechtliche Grundlage für die Erteilung der Aufträge gegeben gewesen. Der Einwand der Hauseigentümerin, wonach die Kanalanlage im Hof aufzulassen sei, sei auch deshalb nicht gerechtfertigt, weil es nicht angehe, nach jahrzehntelangem Bestand sanitäre Einrichtungen zu verschlechtern bzw. aufzulassen, während doch im allgemeinen die Tendenz herrsche, diese Einrichtungen zu verbessern.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

In der Beschwerde wurde ausgeführt, daß anläßlich der Erbauung des Hauses im Hofe die Hausbesorgerwohnung mit einem Klosett, Pferdestallungen und Wagenremisen eingerichtet worden sei, sodaß damals ein eigener Kanal im Hof erforderlich gewesen sei. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts aber seien die erwähnten Stallungen aufgelassen und die Hausbesorgerwohnung in das Hauptgebäude verlegt worden, sodaß überhaupt Fäkalien oder Schmutzwasser im Hofe nicht mehr vorhanden seien; das Regenwasser aber könne im Hofe versickern; auch sei ein alte aufgelassene Senkgrube und ein gleichfalls aufgelassener Brunnen vorhanden, in denen sich versickerndes Regenwasser sammeln könne. Die Hofkanalanlage sei tatsächlich schadhaft, erfülle aber keinerlei Aufgabe und könne jederzeit ohne Schaden für die Baulichkeiten abgemauert werden. Aber auch der in der Hauseinfahrt bestehende und bis zum Straßenkanal führende schliefbare Kanal sei in seinem gegenwärtigen Zustand durchaus verwendbar; eine Gefährdung öffentlicher Interessen oder gar der Gesundheit bestehe keinesfalls; es sei abwegig, zu behaupten, daß die Anlage im Hof nicht aufgelassen werden könne, weil diese sanitäre Einrichtunge schon Jahrzehnte bestünden. Diese Begründung wäre nur verständlich, wenn der Kanal aus den Hoflokalitäten noch gespeist würde. In der Gegenschrift der belangten Behörde wird hiezu bemerkt, daß vor Abtragung bzw. Beseitigung von Baulichkeiten eine Erhaltungspflicht für Baulichkeiten bestehe, ob diese sich nun ober oder unter der Erde befinden. Ebenso sei es rechtlich belanglos, ob die zu den Anlagen gehörenden Baulichkeiten noch widmungsgemäß verwendet werden. In dieser Hinsicht wurde erwogen:

Gemäß § 129 Abs. 2 der BO für Wien hat der Eigentümer dafür zu sorgen, daß die Baulichkeiten und die dazu gehörigen Anlagen in gutem, der Baubewilligung und den Vorschriften der Bauordnung entsprechendem Zustand erhalten werden. Gemäß § 129 Abs. 4 der BO für Wien hat die Behörde nötigenfalls den Hauseigentümer zur Behebung von Gebrechen unter Gewährung einer angemessenen Frist zu verhalten; sie verfügt die aus öffentlichen Rücksichten notwendige Beseitigung von Baugebrechen und ordnet erforderlichenfalls die Sicherungsmaßnahmen, die Räumung oder den Abbruch von Gebäuden oder Gebäudeteilen an. Die Verschlechterung eines Bauzustandes bildet nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erst dann ein Baugebrechen und berechtigt demgemäß die Baubehörde zu einem polizeilichen Einschreiten, wenn das öffentliche Interesse durch den Weiterbestand des schadhaften Zustandes berührt wird (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg.N.F. Nr. 1569/A). Die Annahme, da ein öffentliches Interesse durch den Weiterbestand der festgestellten Schäden berührt werde, ist hinsichtlich des benützten Hauskanales unmittelbar einsichtig; der Beschwerdeführer bestreitet hier einfach den von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt, der bei einer Verhandlung an Ort und Stelle festgestellt worden ist, ohne die Beurteilung seitens der Behörde durch ein Sachverständigengutachten zu stützen; mag auch der Kanal in seinem gegenwärtigen Zustand noch seine Funktion erfüllen, so ist doch die Annahme gerechtfertigt, daß bei der Duldung der gegenwärtig bestehenden Schäden eine weitere Verschlechterung der Kanalanlage eintreten würde. Anders verhält es sich aber hinsichtlich der Anlagen im Hof. Wenn diese Anlagen, wie das nach den Angaben der Beschwerdeführerin, denen die belangte Behörde nicht ausdrücklich entgegengetreten ist, der Fall sein soll, tatsächlich schon seit geraumer Zeit nicht benützt werden und keinerlei Funktion mehr erfüllen, dann bedürfte es eines besonderen Nachweises für das öffentliche Interesse, das ihre Instandsetzung fordern soll. Der allgemeine Hinweis auf Seuchengefahr oder auf die vorherrschende Tendenz zum Ausbau sanitärer Einrichtungen kann in dieser Hinsicht nicht als genügend angesehen werden. In diesem Bereich erweist sich der Sachverhalt als ergänzungsbedürftig, weil die belangte Behörde sich nicht ausreichend damit befaßt hat, ob die festgestellten Schäden an den Anlagen im Hof in irgendeiner Weise das öffentliche Interesse berühren. Ein solches öffentliches Interesse wäre etwa zu bejahen, wenn die belangte Behörde nach ergänzenden Ermittlungen zu der Auffassung gelangen würde, daß die an den Hofkanal angeschlossene Klosettanlage der ehemaligen Hausbesorgerwohnung tatsächlich weiterbenützt wird. Auch in dieser Hinsicht fehlen die notwendigen Feststellungen. Falls eine Benützung der Kanalanlage des Hofes tatsächlich nicht mehr stattfand so wäre allenfalls ein Anwendungsfall des § 5 Abs. 2 des bis zum in Geltung gebliebenen Gesetzes vom , LGBl. Nr. 20/51, gegeben gewesen. An die Stelle dieser Norm ist nun zufolge des Gesetzes vom , LGBl. Nr. 28, (Bauordnungsnovelle 1956) der § 129 a der Bauordnung getreten. Der angefochtene Bescheid mußte im Einblick auf diese Ausführungen, soweit er die bezüglich der Anlagen im Hof erteilten Aufträge bestätigte, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 VwGG 1952 aufgehoben werden. Im übrigen war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
BauO Wr §129 Abs2
BauO Wr §129 Abs4
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1958:1956002189.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
BAAAF-58223