VwGH 19.03.1980, 2143/77
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Stellt bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs 3 EStG 1972 der Eingang einer betrieblichen Forderung keine gewinnerhöhende Einnahme bzw die Bezahlung einer betrieblichen Verbindlichkeit keine gewinnmindernde Ausgabe dar (zB bei Darlehensgeschäften), dann muß der endgültige Wegfall der Forderung bzw der Verbindlichkeit in gleicher Weise steuerliche Berücksichtigung finden wie bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs 1 EStG (vgl E , 1145/78). |
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RS 2 | Für die Beurteilung der Frage, ob eine Forderung auf Rückerstattung eines vorgestreckten Geldbetrages zum Betriebsvermögen gehört, ist nicht entscheidend, woher die vorgestreckten Geldmittel stammen, sondern ob für das Vorstrecken des Geldes betriebliche Gründe maßgebend waren. |
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RS 3 | Forderungen eines Kommissionärs, die darauf zurückzuführen sind, daß der Kommissionär für den Kommittenten in Vorlage tritt, stehen in engstem Zusammenhang mit dem Kommissionsgeschäft. |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
0472/80
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Iro, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Fürnsinn als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Mag. Gaismayer, über die Beschwerde des XY, vertreten durch NN, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat VI) vom , Zl. 6-2551/3/77, betreffend Einkommensteuer und Gewerbesteuer für das Jahr 1974, nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der Beschwerde, und des Vertreters der belangten Behörde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 6.463,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren auf Aufwandersatz in der Höhe von S 60,-- wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer vermittelt als Wettkommissionär Wetten bei Pferderennen zwischen Spielern und Buchmachern und erhält für diese Tätigkeit von den Buchmachern Provisionen in Höhe von 5 % des Wetteinsatzes. In seiner Einnahmenüberschußrechnung für das Jahr 1974 machte er unter dem Titel "Verlustwetten" einen Betrag von S 35.420,-- als Betriebsausgabe geltend. Nachdem ein Vorhalt, mit welchem der Beschwerdeführer aufgefordert worden war, diesen Aufwandsposten näher zu erläutern, unbeantwortet geblieben war, versagte das Finanzamt dem genannten Betrag die Anerkennung als Betriebsausgabe.
In seiner Berufung gegen den Einkommensteuer- und Gewerbesteuerbescheid 1974 führte der Beschwerdeführer aus, daß der vereinbarte Wetteinsatz meist bei Erteilung des Wettauftrages von den Spielern bezahlt werde. Bisweilen trete er (der Beschwerdeführer) diesbezüglich aber auch in Vorlage, z.B. bei telefonisch erteilten Wettaufträgen oder wenn ein Stammspieler sein Bargeld bereits verspielt habe. In solchen Fällen komme es dann vor, daß er auf einer verlorenen Wette "sitzen bleibe", d.h. den Wetteinsatz aus eigenem zu tragen habe (= "Verlustwette"), weil sich der auftraggebende Spieler nicht mehr blicken lasse oder die Wette bestreite. Es sei auch möglich, daß ihm (dem Beschwerdeführer) ein Fehler (z.B. Hörfehler) unterlaufe, der dann vom Spieler reklamiert werde. Dies könne insbesondere an großen Renntagen passieren, wenn vier oder fünf Aufträge auf einmal zu erledigen seien. Das Risiko derartiger "Verlustwetten" gehe er im Hinblick auf die damit verbundene wesentlich größere Verdienstmöglichkeit ein. Die Namen und Anschriften jener Spieler, deren Wetteinsätze er aus eigenem getragen habe, könne er nicht bekanntgeben, weil dies seinen Ruf ruinieren würde. Außerdem kenne er meist nur die Vor- oder Spitznamen, was für ihn selbst genüge, weil die Außenstände ohnedies nicht einklagbar seien.
Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung ab und begründete dies unter Hinweis auf § 162 BAO damit, daß der Beschwerdeführer es unterlassen habe, jene Spieler namhaft zu machen, die ihre Wetteinsätze nicht bezahlt hätten. Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer, seine Berufung der Abgabenbehörde zweiter Instanz vorzulegen, womit die Berufungsvorentscheidung gemäß § 276 BAO ihre Wirkung verlor.
Die belangte Behörde wies die Berufung ab. In der Begründung führte sie aus, daß es sich bei den "Verlustwetten" um Verluste im Kassenbestand handle, die bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG unberücksichtigt zu bleiben hätten, weil bei dieser vereinfachten Gewinnermittlungsart kassenbestandsmäßig keine Trennung zwischen betrieblichen und außerbetrieblichen Vorgängen erfolge. Strecke daher ein Nichtbuchführender einem Geschäftspartner Geld vor und erhalte er es nicht refundiert, so könne ein derartiger Verlust den Gewinn nicht berühren. Abgesehen davon aber sei auch "die Vergabe von Darlehen" nicht Aufgabe eines Wettkommissionärs.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 4 Abs. 3 EStG 1972 kann abweichend von der Bestimmung des § 4 Abs. 1 leg. cit., wonach der Gewinn grundsätzlich durch Betriebsvermögensvergleich zu ermitteln ist, als Gewinn der Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben angesetzt werden, wenn das Betriebsvermögen am Schluß des einzelnen Wirtschaftsjahres vom Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres in der Regel nicht wesentlich abweicht. Der Unterschied dieser vereinfachten Gewinnermittlung gegenüber dem im § 4 Abs. 1 EStG 1972 vorgesehenen Betriebsvermögensvergleich besteht sohin darin, daß Änderungen im Betriebsvermögen, die mit einem Zu- oder Abfließen von Geldmitteln verbunden sind, nicht bereits im Zeitpunkt des Entstehens der betreffenden vermögensrechtlichen Ansprüche und Verbindlichkeiten, sondern erst mit der tatsächlichen Vereinnahmung bzw. Verausgabung der Geldmittel Berücksichtigung finden. Die Begriffe "Betriebsvermögen", "Betriebseinnahmen" und "Betriebsausgaben" sind jedoch bei beiden Gewinnermittlungsarten dieselben. Daraus folgt, daß grundsätzlich auch der "GESAMTGEWINN" auf die Dauer gesehen bei beiden Gewinnermittlungsarten derselbe ist, sofern nicht besondere gesetzliche Bestimmungen etwas anderes vorsehen (z.B. die Beschränkung der Begünstigung des § 11 EStG auf buchführende Steuerpflichtige).
Der Betriebsvermögensvergleich und die Einnahmenüberschußrechnung unterscheiden sich sohin nicht in der Erfaßbarkeit der einzelnen Betriebsvorfälle an sich, sondern lediglich was den Zeitpunkt ihrer Erfassung anbelangt. Mit anderen Worten: Auch im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG sind alle Betriebsvorfälle zu berücksichtigen. Stellt daher der Eingang einer betrieblichen Forderung keine gewinnerhöhende Einnahme bzw. die Bezahlung einer betrieblichen Verbindlichkeit keine gewinnmindernde Ausgabe dar - das ist der Fall, wenn die Einnahmen bzw. Ausgaben nicht ursächlich mit einer Änderung des Betriebsvermögens verbunden sind -, dann muß der endgültige Wegfall der Forderung bzw. der Verbindlichkeit bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG in gleicher Weise steuerliche Berücksichtigung finden wie bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 leg. cit. In solchen Fällen kann sich nämlich das zweifellos gewinnrelevante Unterbleiben von Einnahmen bzw. Ausgaben im System der Einnahmenüberschußrechnung in keinem Zeitpunkt auf die Gewinnhöhe auswirken, sodaß es erforderlich ist, auf die grundsätzliche Gewinnermittlungsart, nämlich auf den Betriebsvermögensvergleich zurückzugreifen, um zu verhindern, daß ein Betriebsvorfall auf Dauer unberücksichtigt bleibt (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 1145/78).
Im Beschwerdefall vertritt nun die belangte Behörde die Auffassung, daß der Kassabestand bei Einnahmenüberschußrechnern nicht zum Betriebsvermögen gehöre, sodaß auch Verluste im Kassabestand, die dadurch entstehen, daß einem Geschäftspartner Gelder vorgestreckt und in der Folge nicht refundiert werden, steuerlich nicht zu berücksichtigen seien. Dieser Auffassung kann mit Rücksicht auf die vorstehenden Überlegungen nicht gefolgt werden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß für die Beurteilung der Frage, ob eine Forderung auf Rückerstattung eines vorgestreckten Geldbetrages zum Betriebsvermögen gehört, nicht entscheidend ist, woher die vorgestreckten Geldmitteln stammen, sondern ob für das Vorstrecken des Geldes betriebliche Gründe maßgebend waren. Die Ausführungen der belangten Behörde, wonach der Kassabestand bei Einnahmenüberschußrechnern nicht zum Betriebsvermögen gehöre, gehen daher schon aus diesem Grund ins Leere, ganz abgesehen davon, daß sie in dieser apodiktischen Formulierung unzutreffend sind (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 1924/49, Slg. Nr. 334/F). Der belangten Behörde ist aber auch nicht zuzustimmen, wenn sie der Ansicht ist, daß die "Vergabe von Darlehen" nicht zu den Aufgaben eines Wettkommissionärs zähle. Es kann nämlich nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden, daß Forderungen eines Kommissionärs, die darauf zurückzuführen sind, daß der Kommissionär für den Kommittenten in Vorlage getreten ist, im engsten Zusammenhang mit dem Kommissionsgeschäft selbst stehen. Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren dargelegt, aus welchen Gründen er sich fallweise veranlaßt sieht, für bestimmte Spieler Wetteinsätze vorzustrecken. Außerbetriebliche Veranlassungen sind dabei nicht hervorgekommen. Auch sonst hat die belangte Behörde die Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdeführers im wesentlichen unbestritten ihrer Entscheidung zugrunde gelegt. Sie hat diese Entscheidung jedoch infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung des angenommenen Sachverhaltes insofern mit Rechtswidrigkeit belastet, als sie die (endgültige) Uneinbringlichkeit der vom Beschwerdeführer seinen Kunden vorgestreckten Wettgelder nicht gewinnmindernd berücksichtigte. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 542. Das Mehrbegehren des Beschwerdeführers (Stempelgebühren in Höhe von S 60,-- für weitere Ausfertigungen des angefochtenen Bescheides) war abzuweisen, weil der angefochtene Bescheid nur in einfacher Ausfertigung vorzulegen war.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:1980:1977002143.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
AAAAF-58138