VwGH 20.04.1977, 2033/76
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Norm | AVG §71 Abs1 lita impl; |
RS 1 | Als Ereignis ist jedes Geschehen ohne jede Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt anzusehen. Gehindert wird eine Person ebenso durch eine alltägliche Erkrankung wie durch eine Naturkatastrophe, durch eine eigene menschliche Unzulänglichkeit ebenso wie durch Gewalteinwendungen von außen. Unvorhergesehen ist aber ein Ereignis dann, wenn die Partei es tatsächlich nicht einberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme von zumutbarer Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 0265/75 B VS VwSlg 9024 A/1976 RS 3 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Skorjanec und die Hofräte Kobzina, Dr. Hrdlicka, Dr. Baumgartner und Dr. Griesmacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsrat Dr. Thumb, über die Beschwerde des JH in S, vertreten durch Dr. GH, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie vom , Zl. 300.921/1-III/4/76, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 720,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Bezirkshauptmannschaft Z gab mit Bescheid vom dem Antrag des Beschwerdeführers, ihm gegen die Versäumung der Berufungsfrist gegen den Bescheid derselben Behörde vom , mit dem dem Beschwerdeführer die Gewerbeberechtigung für das Marktfahrergewerbe auf die Dauer von drei Jahren bis entzogen worden war, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, weil er des Lesens nicht recht kundig sei und daher ohne sein Verschulden den Entziehungsbescheid falsch verstanden habe, gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 nicht Folge. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe keine stichhältigen Gründe angeben können, die als unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis hätten gewertet werden können, wodurch er ohne sein Verschulden verhindert gewesen sei, die Berufungsfrist einzuhalten. Die mangelhafte Kenntnis im Lesen und das dadurch evt. bedingte unrichtige Erfassen des Inhaltes des klar formulierten und begründeten Entziehungsbescheides bilde keinen Grund für die Wiedereinsetzung. Der dagegen eingebrachten Berufung gab der Landeshauptmann von Niederösterreich mit dem Bescheid vom aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Bescheides keine Folge. Ergänzend wurde bemerkt, daß zum Unterschied von § 146 ZPO, auf den und auf die hiezu "ergangene Lehre" und Rechtsprechung sich der Beschwerdeführer in der Berufung stütze, dem § 71 AVG 1950 als weiteres Wiedereinsetzungserfordernis "ohne ihr (der Partei) Verschulden" hinzugefügt worden sei. Unkenntnis der gesetzlichen Vorschriften, irrige Annahme oder Versehen bilden nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keinen Wiedereinsetzungsgrund. Überdies sei nur ein von außen kommendes, dem Einflußbereich des Antragstellers entzogenes Ereignis ein unvorhergesehenes und unabwendbares, was im Beschwerdefall nicht zutreffe. Der Beschwerdeführer berief neuerlich. Es sei - so meint er - an den Wiedereinsetzungstatbestand des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 ein subjektiver Maßstab anzulegen. Auch im Zivilprozeß werde vom Wiedereinsetzungswerber analog dem Passus "ohne ihr Verschulden" im § 71 AVG 1950 die Einhaltung einer Diligenzpflicht verlangt, sodaß die zivilprozessuale und verwaltungsverfahrensrechtliche Wiedereinsetzung, was die Verschuldensfrage anlange, völlig gleichgestellt seien. Die mißverständliche Auffassung des Bescheides vom sei der "subjektiven Abnormalität" des Beschwerdeführers zuzuordnen und somit ein geeigneter Wiedereinsetzungsgrund. Mit Bescheid vom wies der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie die Berufung "aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Bescheides" ab. Zu den Berufungsausführungen wurde bemerkt, daß als "Ereignis" im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 nur Vorfälle anzusehen seien, die zu den regelmäßig oder häufig wiederkehrenden Geschehnissen nicht gehören, sondern bloß selten eintreten. Vorgänge wie Irrtum, Versehen, mangelndes Verständnis der Rechtslege seien nicht unter den Begriff "Ereignis" einzureihen, vielmehr müsse es sich immer um ein Geschehen in der "Außenwelt" handeln. Es sei daher nicht weiter von Bedeutung, wodurch der Antragsteller zur Annahme gelangt sei, von der Erhebung einer Berufung gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Z vom Abstand zu nehmen; so bilde etwa auch ein Irrtum in den Motiven eines Rechtsmittelverzichtes keinen Wiedereinsetzungsgrund. Da somit weder der Eintritt eines Ereignisses noch eine die Dispositionsfähigkeit ausschließende Krankheit den Antragsteller an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert habe, sondern nur ein in seiner Person gelegener Irrtum ihn Abstand habe nehmen lassen, gegen den angeführten Bescheid zu berufen, lägen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde nach Vorliegen der von der belangten Behörde erstatteten Gegenschrift erwogen:
Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem im § 71 AVG 1950 begründeten Recht auf Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Z vom verletzt. In Ausführung des solcherart bezeichneten Beschwerdepunktes bringt der Beschwerdeführer - wie schon im Verwaltungsverfahren - unter Hinweis auf § 146 ZPO und die Lehre und Rechtsprechung zu dieser Bestimmung vor, daß bei der Auslegung des § 71 AVG 1950 ungeachtet der Worte "ohne ihr Verschulden" ein subjektiver, die persönlichen Verhältnisse der Partei berücksichtigender Maßstab (arg: "unvorhergesehenes Ereignis") anzulegen sei. Der Beschwerdeführer sei ein primitiver Mensch, der des Lesens und des Schreibens nicht recht kundig sei. Die mißverständliche Auffassung des Entziehungsbescheides vom sei daher begreiflich und stelle, da seiner subjektiven Abnormalität zuzuordnen, einen geeigneten Wiedereinsetzungsgrund dar.
Gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Der Beschwerdeführer erblickt in dem durch die mangelhafte Kenntnis im Lesen hervorgerufenen Irrtum einen Tatumstand, der für ihn ein unverschuldetes und unvorhergesehenes Ereignis darstelle. Nun ist dem Beschwerdeführer beizupflichten, daß Wiedereinsetzungsgründe nicht nur nach dem objektiven Gewicht ihres Tatbestandes, sondern auch nach der Bedeutung, die sie subjektiv für die Partei im Einzelfall hatten, zu beurteilen sind und daß ein "Ereignis" im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 nicht nur - wie im angefochtenen Bescheid dargelegt wurde - ein seltenes Geschehen der Außenwelt sei, sondern etwa auch die menschliche Unzulänglichkeit einer Person darstellen kann (vgl. in diesem Zusammenhang auch den von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes teilweise abweichenden Beschluß eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 265/75, zur inhaltlich gleichlautenden Bestimmung des § 46 Abs. 1 VwGG 1965). Der Beschwerdeführer übersieht aber, daß auch nach der im erwähnten Beschluß zum Ausdruck kommenden Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ein "Ereignis" nur dann als unvorhergesehen gelten kann, wenn die Partei es tatsächlich nicht mit einberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte, wobei schon leichte Fahrlässigkeit einen Wiedereinsetzungsgrund ausschließt. Es kann nicht gesagt werden, daß der Irrtum, dem der Beschwerdeführer unterlag, für ihn ein die Wiedereinsetzung begründendes Ereignis dargestellt hätte. Dem Beschwerdeführer war die Tatsache seiner mangelnden Kenntnis im Lesen bewußt. Er mußte schon auf Grund dieses Umstandes jederzeit damit rechnen, ein an ihn gerichtetes Schriftstück, welcher Art immer, nicht richtig zu verstehen. Dazu kommt, daß die Behörde dem Beschwerdeführer die Absicht, ihm im Hinblick auf seine zahlreichen Vorstrafen die Gewerbeberechtigung zu entziehen (und nicht etwa zeitlich zu beschränken), ausdrücklich mitgeteilt und der Beschwerdeführer diese Mitteilung auch verstanden hat, wie seiner dazu erstatteten "Gegenäußerung" zu entnehmen ist, sodaß die Entziehung der Gewerbeberechtigung für ihn nicht unerwartet kam. Dies allein schon hätte den Beschwerdeführer veranlassen müssen, den Inhalt des Bescheides vom besonders sorgfältig zu prüfen, wußte er doch, daß es hiebei um seine Existenzgrundlage ging. Bei diesem Sachverhalt hätte es nur eines geringen Maßes an Sorgfalt, das auch dem Beschwerdeführer selbst unter strenger Würdigung seiner subjektiven Verhältnisse zuzumuten war, bedurft, um die Säumnisfolgen hintanzuhalten. Unter diesen Umständen aber handelte der Beschwerdeführer fahrlässig, wenn er - ohne eine des Lesens kundige Person zugezogen zu haben - dem Bescheid vom einen ihm nicht zukommenden Inhalt unterstellte. Da selbst ein unabwendbares Ereignis nicht als Wiedereinsetzungsgrund anerkannt wird, wenn der Eintritt durch die Partei zumindest leicht fahrlässig verursacht wurde (vgl. den bereits angeführten Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 265/75), kann somit der Beschwerdeführer auch das von ihm geltend gemachte Mißverständnis nicht mit Erfolg als Wiedereinsetzungsgrund geltend machen. Die behauptete Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides liegt somit nicht vor. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides zumindest zum Teil von entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unrichtigen rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist (vgl. Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 619/51, Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. N.F. Nr. 544/F, und vom , Zl. 1428/69). Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers über die Pauschalierung der Aufwandersätze, BGBl. Nr. 4/1975.
Wien, am
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Norm | AVG §71 Abs1 lita impl; |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1977:1976002033.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
YAAAF-57923