VwGH 16.03.1972, 2021/71
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Ist es einer Partei im Verwaltungsverfahren nicht möglich Beweismittel anzubieten, weil sie von der Behörde nicht gehört werden, bietet sie diese Beweismittel in der VwGH-Beschwerde an, so ist es wohl dem VwGH verwehrt zu diesen Beweismitteln Stellung zu nehmen, doch bewirkt dieser Umstand, wenn die Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, die Aufhebung des Bescheides gemäß § 42 Abs 2 c 3 VwGG (Hinweis auf E vom , Zl. 2198/58, Vwslg. 5350 A/1960) |
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RS 2 | Die Einspruchsfrist des § 49 Abs 1 VStG ist gewahrt, wenn der Einspruch am eltzten Tag der Frist in einen Postkasten geworfen wird, auf dem der Vermerk angebracht ist, daß er noch am selben Tag ausgehoben werde (vgl. hiezu Fasching, Kommenntar zu den Zivilprozeßgesetzen, II Band, Seiten 661, 672; Hinweis E , 715/62, VwSlg 6086 A/1963). |
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RS 3 | Der Tag der Postaufgabe wird grundsätzlich durch den Poststempel nachgewiesen. Ein Gegenbeweis ist zulässig. Wer am letzten Tag einer Frist die befristete Eingabe im Wege der Post aufgeben will, muß das Schriftstück entweder selbst beim Postamt innerhalb der Amtsstunden aufgeben oder es zumindest rechtzeitig vor der planmäßigen Aushebung desselben Tages in den Postkasten einwerfen. Durch die Aushebung wird das Schriftstück in postalische Behandlung genommen. (Vgl. hiezu Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, II. Band, Seite 661, 672). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 0715/62 E VwSlg 6086 A/1963 RS 1
(Das Schriftstück wird in Behandlung genommen, wenn der Postkasten ausgehoben wird) |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Porias und die Hofräte DDr. Dolp, Dr. Schmid, Dr. Schmelz und Dr. Jurasek als Richter, im Beisein des Schriftführers Landesregierungsoberkommissär Dr. Paschinger, über die Beschwerde des RZ in W, vertreten durch Dr. Edwin Morent, Rechtsanwalt in Wien I, Spiegelasse 19, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 70-IX/Z 31/71/Str., betreffend Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Landeshauptmann von Wien) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 1.046,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren des Beschwerdeführers wird abgewiesen.
Begründung
Die Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Wieden, verhängte mit Straferkenntnis vom gegen den Beschwerdeführer wegen der Verwaltungsübertretung nach ad 1) § 99 Abs. 5 des Kraftfahrgesetzes 1967, BGBl. Nr. 267 (KFG 1967), ad 2) § 102 Abs. 2 dieses Gesetzes gemäß § 134 KFG 1967 Geldstrafen von ad 1) S 150,-- (Ersatzarreststrafe 36 Stunden) und ad 2) S 150,-- (Ersatzarreststrafe 36 Stunden), weil er am um 7.20 Uhr in Wien XIV, durch die Hütteldorferstraße den LKW W nnn gelenkt habe, wobei festgestellt worden sei, daß 1.) das Fahrzeug nicht mit dem Abblendlicht beleuchtet gewesen sei, obwohl Sichtbehinderung durch Nebel bestanden habe und 2.) die hintere Kennzeichentafel nicht beleuchtet gewesen sei. Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit Bescheid vom als verspätet zurück. Zur Begründung führte sie aus, daß das Straferkenntnis am mit der Wirkung der Zustellung beim Postamt hinterlegt worden sei. Die Berufung sei jedoch trotz richtiger und vollständiger Rechtsmittelbelehrung vom Bestraften selbst zwar mit datiert, laut Poststempel auf dem Briefumschlag aber erst am , somit nach Ablauf der einwöchigen Berufungsfrist, eingebracht worden.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer brachte im wesentlichen vor, daß die Rechtsmittelfrist im vorliegenden Fall am abgelaufen sei und es daher genüge, wenn das Rechtsmittel an diesem Tage zur Post gegeben worden sei. Die von der belangten Behörde aufgestellte Behauptung, die Berufung sei erst am zur Post gegeben worden, sei unrichtig. Vielmehr sei diese am von der Angestellten des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers geschrieben, vom Vertreter unterschrieben und sodann noch am selben Tag postalisch fertig gestellt und in den Briefkasten geworfen worden. Zum Beweis für die Richtigkeit des Vorbringens werde nebst der beigeschlossenen Photokopie der entsprechenden Seite aus dem Postbuch und dem Vermerk aus dem Handakt auch die Vernehmung des Beschwerdeführers und der IS beantragt.
Nach § 33 Abs. 3 AVG 1950 werden die Tage des Postenlaufes in die Frist nicht eingerechnet. Zutreffend ging die belangte Behörde davon aus, daß der Tag der Postaufgabe grundsätzlich durch den Poststempel nachgewiesen werde. Ein Gegenbeweis ist jedoch zulässig. Nach dem im Akt erliegenden Briefumschlag, in dem sich das Rechtsmittel befunden hat, wurde dieser laut darauf befindlichem Poststempel erst am zur Post gegeben. Für den Beginn des Postenlaufes ist nur maßgeblich, wann das Schriftstück in Behandlung genommen, das heißt, wann der Postkasten tatsächlich ausgehoben wurde. Der Beschwerdeführer bringt in der Beschwerde selbst lediglich vor, daß das am ausgefertigte Rechtsmittel am selben Tag in den Briefkasten geworfen worden sei, ohne nähere Angaben über die Zeit des Einwurfes zu machen. Wohl behauptet er, daß der in der Spiegelgasse befindliche Briefkasten, in dem die Postsendung mit dem Rechtsmittel am eingeworfen worden sei, die Aushebungszeit 18.30 Uhr betragen habe. Damit wäre die Postsendung noch als an diesem Tag zur Post gegeben anzusehen. Dem widerspricht allerdings der auf dem Kuvert ersichtliche Poststempel „ - 21 Uhr“.
Nun handelt es sich bei der Feststellung des Zeitpunktes der Einbringung der Berufung um ein Ergebnis des Ermittlungsverfahrens. Für das Ermittlungsverfahren hat die Bestimmung des § 45 Abs. 3 AVG 1950 Anwendung zu finden, wonach den Parteien Gelegenheit zu geben ist, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Die Verletzung dieser Verfahrensvorschrift begründet dann einen Mangel des Verfahrens, der zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führen muß, wenn anzunehmen ist, daß die belangte Behörde bei Einhaltung der Verfahrensvorschrift zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (§ 42 Abs. 2 lit. c Z. 3 VwGG 1965). Es ist zwar richtig, daß der Verwaltungsgerichtshof Beweismittel, die erst im Verwaltungsgerichtshofverfahren vorgelegt werden, auf ihre Beweiskraft nicht würdigen kann, weil der Verwaltungsgerichtshof zufolge § 41 Abs. 1 VwGG 1965 auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes sein Erkenntnis zu fällen hat. Es ist ihm daher verwehrt, zu dem vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde namhaft gemachten Beweismittel Stellung zu nehmen. Andererseits war es aber dem Beschwerdeführer nicht möglich, zumal er im Verfahren vor der belangten Behörde nicht mehr gehört wurde, diese Beweismittel schon im Verwaltungsverfahren vorzubringen. Durch die Vorlage dieser Beweismittel hat aber der Beschwerdeführer dargetan, daß es nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, wenn sie dem Beschwerdeführer vor Erlassung des angefochtenen Bescheides Gelegenheit gegeben hätte, zur Frage der Rechtzeitigkeit der Berufung Stellung zu nehmen (vgl. etwa Slg. Nr. 5380/A). Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 3 VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I der Verordnung des Bundeskanzleramtes vom , BGBl. Nr. 4. Das Kostenmehrbegehren war als im Gesetz nicht gedeckt abzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Parteiengehör |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1972:1971002021.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
TAAAF-57874