VwGH 07.06.1971, 2005/70
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Norm | |
RS 1 | Ausführungen dahin, dass einer Partei des Verwaltungsverfahrens (hier: dem Nachbarn im Bauverfahren) die Akteneinsicht weder mit der Begründung, ein Wiederaufnahmeantrag bzw Wiedereinsetzungsantrag sei nicht mehr zulässig, noch auch deshalb verweigert werden darf, weil sie nicht dargetan habe, in welchen (Nachbarrechten) Rechten sie verletzt zu sein glaube. |
Normen | |
RS 2 | Wenn der oder die Rechtsvorgänger des Beschwerdeführers im Eigentum in einem der seinerzeit abgeführten Bauverfahren als Nachbarn übergangen worden, so stünde es dem Beschwerdeführer frei, die Zustellung des ohne Mitwirkung seines Rechtsvorgängers ergangenen Bescheides zu begehren und diesen im Rechtsmittelwege mit der Begründung anzufechten, daß dieser in seine subjektiven öffentlichen Rechte eingreife. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Borotha und die Hofräte Dr. Rath, Dr. Leibrecht, Dr. Hrdlicka und Dr. Straßmann als Richter, im Beisein des Schriftführers Bezirksrichter Dr. Gerhard, über die Beschwerde des TM in L, vertreten durch Dr. Paul Ladurner Rechtsanwalt in Innsbruck, Sparkassendurchgang 2/II, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. Ve-410/2/1970, (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde Lienz, vertreten durch den Bürgermeister) betreffend die Verweigerung der Akteneinsicht, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 1.045,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Nach seinem insoweit unwidersprochen gebliebenen Vorbringen sowie nach Ausweis der Verwaltungsakten ist der Beschwerdeführer Eigentümer bestimmter Grundstücke der Katastralgemeinde L, die dem Grundstück Nr. nnn/4 derselben Katastralgemeinde benachbart sind. Auf diesem Grundstück befinden sich verschiedene Baulichkeiten.
Mit Eingabe vom fragte der Beschwerdeführer beim Stadtbauamt Lienz an, ob ihm Einsicht gewährt werden könne. Mit der vom Bürgermeister gefertigten Erledigung vom 3. Oktober desselben Jahres wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, daß die in Rede stehenden Baulichkeiten sämtlich auf Grund baubehördlicher Genehmigungen errichtet worden seien. Eine Akteneinsicht seinerseits sei daher, so heißt es in dieser Erledigung weiter, nicht notwendig und werde ihm nicht gewährt. Der Beschwerdeführer wertete diese Erledigung als einen (verfahrensrechtlichen) Bescheid und focht ihn mittels Berufung an. In Ausführung dieses Rechtsmittels berief sich der Beschwerdeführer auf ein - allerdings nicht näher konkretisiertes -
rechtliches Interesse, zu dessen Geltendmachung die Kenntnis vom Inhalt der Bauakten nötig sei.
Der Stadtrat der Stadtgemeinde Lienz gab der Berufung mit Bescheid vom nicht Folge. Zur Begründung wurde ausgeführt, die in Rede stehenden Objekte seien zum Teil schon vor dem Krieg und zum Teil in den Jahren 1946 und 1947 auf Grund einer ordnungsgemäßen Baubewilligung errichtet worden. Hievon sei der Beschwerdeführer auch durch die Erledigung des Bürgermeisters in Kenntnis gesetzt worden. Ein die Baulichkeit betreffendes Verfahren sei nicht anhängig. Die Feststellung, ob ein Bauwerk baubehördlich genehmigt sei oder nicht, sei allein Sache der Baubehörde. Auf § 17 Abs. 1 AVG 1950 könne sich der Beschwerdeführer zur Geltendmachung seiner rechtlichen Interessen deshalb nicht beziehen, weil jene Bauverfahren, um die es sich handle, schon abgeschlossen worden seien, ehe der Beschwerdeführer Eigentümer der angrenzenden Liegenschaft geworden sei.
In der gegen den Bescheid des Stadtrates erhobenen Vorstellung (§ 112 der Tiroler Gemeindeordnung) bekämpfte der Beschwerdeführer die in diesem Bescheid zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung als im Gesetz nicht begründet; ferner stellte er den ordnungsgemäßen Ablauf der seinerzeit abgewickelten Baubewilligungsverfahren, auf den sich die Gemeindebehörden beider Rechtsstufen berufen hatten, mit der Begründung in Frage, daß, träfe diese Behauptung zu, die Weigerung der Baubehörden, ihm Einsicht in die betreffenden Akten zu gewähren, nicht zu verstehen wäre. In einer über Aufforderung der Vorstellungsbehörde erstatteten, mit datierten Äußerung konkretisierte der Beschwerdeführer sein rechtliches Interesse an der Kenntnis des Akteninhaltes dahin, daß er darlegte, er wolle mit Hilfe dieser Kenntnis feststellen, ob überhaupt und allenfalls welche und unter welchen Bedingungen damals eine Baubewilligung erteilt worden sei, ob und in welcher Form die Anrainer damals geladen gewesen seien, ob darüber noch Rückscheine vorhanden seien, ob in den Verwaltungsakten die Vollmachtsurkunden jener Parteien erlägen, die nicht persönlich anwesend gewesen seien sowie schließlich welche Parteienerklärungen seine Rechtsvorgänger und die übrigen Nachbarn damals abgegeben hätten.
Mit dem Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , der nunmehr den Gegenstand der Anfechtung vor dem Verwaltungsgerichtshof bildet, wurde dieser Vorstellung unter Hinweis auf § 112 Abs. 5 der Tiroler Gemeindeordnung nicht Folge gegeben. Zur Begründung wurde ausgeführt, zwar stehe das Recht auf Akteneinsicht dem Nachbarn auch nach Abschluß des Verfahrens zu; dies jedoch nur insoweit, als es zur Geltendmachung seiner Nachbarrechte erforderlich sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes werde der nachbarrechtliche Schutz entgegen der Auffassung des Stadtrates der Stadtgemeinde Lienz nicht einem bestimmten Eigentümer, sondern dem jeweiligen Eigentümer gewährt. Dennoch komme dem Beschwerdeführer ein rechtliches Interesse auf Akteneinsicht nicht zu, weil nach den vorliegenden Verfahrensergebnissen nach über 20 Jahren Anträge zur Wiederaufnahme des Verfahrens oder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mehr möglich seien und der Beschwerdeführer in seiner Vorstellung keine Verletzung von Nachbarrechtend geltend gemacht habe.
Gegen diesen Bescheid ist die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde gerichtet, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat zwar kraft ihres besseren Wissens die den Bescheid des Stadtsenates tragende Rechtsauffassung zutreffenderweise für unrichtig erkannt und dem Beschwerdeführer das grundsätzliche Recht zugebilligt, in die Verwaltungsakten über das bauliche Geschehen auf der seinem Anwesen benachbarten Liegenschaft Einblick zu nehmen. Sie hat jedoch zwei Gründe als maßgebend dafür erachtet, daß sie ihm das Recht auf Akteneinsicht im konkreten Fall gleichfalls verweigert und daher seine Rechte als durch den Bescheid des Stadtsenates nicht verletzt angesehen hat: Zum ersten berief sie sich darauf, daß Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach mehr als 20 Jahren nicht mehr möglich seien; zum zweiten aber verneinte sie das Einsichtsrecht des Beschwerdeführers mit der Begründung, daß dieser nicht dargetan habe, in welchen Nachbarrechten er verletzt zu sein glaube. Beide Gründe vermögen einer näheren Prüfung nicht standzuhalten.
Wie nämlich der Beschwerdeführer mit Recht hervorhebt, sind Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keineswegs die einzigen denkbaren Verfahrensschritte, die dem Beschwerdeführer, gäbe es hiefür einen Anlaß, zur Wahrung seiner Nachbarrechte zur Verfügung stünden. wären etwa - vom völligen Fehlen einer baubehördlichen Bewilligung ganz abgesehen - der oder die Rechtsvorgänger des Beschwerdeführers im Eigentum in einem der seinerzeit abgeführten Bauverfahren als Nachbarn übergangen worden, so stünde es dem Beschwerdeführer frei, die Zustellung des ohne Mitwirkung seines Rechtsvorgängers ergangenen Bescheides zu begehren und diesen im Rechtsmittelwege mit der Begründung anzufechten, daß dieser in seine subjektiven öffentlichen Rechte eingreife. ob eine solche Rechtsverletzung tatsächlich stattgefunden hat oder ob dies nicht der Fall ist, kann der Beschwerdeführer gleichfalls erst mit Hilfe der Kenntnis des Akteninhaltes verläßlich beurteilen; so kann etwa ein gegenüber dem Gesetz zu gering bemessener Abstand in einer ordnungsgemäß erteilten Nachsicht seine gesetzliche Deckung haben, bei Fehlen dieser Nachsicht aber Grund für eine erfolgreiche Anfechtung des Baubewilligungsbescheides sein. Daß die belangte Behörde dies verkannt und demgemäß trotz Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers durch den Bescheid des Stadtrates von Lienz seine Vorstellung abgewiesen hat, belastet den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, was gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 zu dessen Aufhebung führen mußte.
Der Ausspruch über die Kosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit den Bestimmungen der Verordnung des Bundeskanzleramtes vom , BGBl. Nr. 4. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die begehrten Auslagen (Umsatzsteuer und Kosten für die Anfertigung von Fotokopien) neben dem Pauschalkostensatz nicht gesondert begehrt werden können. Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | Übergangene Partei |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1971:1970002005.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
PAAAF-57670