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VwGH 17.02.2005, 2005/18/0029

VwGH 17.02.2005, 2005/18/0029

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
AVG §13 Abs1;
VwRallg;
RS 1
Gemäß § 24 Abs. 2 erster Satz AsylG 1997 können Anträge nach diesem Bundesgesetz formlos in jeder geeignet erscheinenden Weise gestellt werden. Für die Beurteilung des Charakters eines Anbringens ist sein wesentlicher Inhalt, der sich aus dem gestellten Antrag erkennen lässt, maßgeblich und kommt es nicht auf Bezeichnungen und zufällige Verbalformen an, sondern auf das erkennbare oder zu erschließende Ziel eines Parteischrittes, wobei Parteierklärungen im Zweifel so auszulegen sind, dass die diese abgebende Partei nicht um ihren Rechtsschutz gebracht wird. (Hier:

Die belBeh hat sich mit dem Antrag des Fremden nicht auseinandergesetzt. Damit hat sie den angef Bescheid mit einem Verfahrensmangel belastet, dem Relevanz zukommt, da sofern der Antrag als neuerlicher Asylantrag zu behandeln sein sollte, dem Fremden die Position eines Asylwerbers iSd § 1 Z 3 AsylG 1997 zukäme.)
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2003/18/0321 E RS 1 (hier der zweite Satz)
Normen
ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
VwGG §46 Abs1;
RS 2
Im Zusammenhang mit dem Antrag des Fremden auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ergänzung seines Verfahrenshilfeantrages zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, erscheint das Vorbringen des Antragstellers, er habe das Datum der Zustellung des anzufechtenden Bescheides nicht mehr gewusst und sich in der Möglichkeit, dieses zu eruieren, (vorerst) in einem Irrtum befunden, nicht unglaubhaft. Berücksichtigt man, dass es sich beim Antragsteller im Zeitpunkt der Zustellung des anzufechtenden Bescheides um einen 19 Jahre alten Fremden, einen Staatsangehörigen von Gambia, handelte, der sich bei Erlassung dieses Bescheides erst seit einem Jahr, in Österreich aufhielt, und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er bis zu diesem Zeitpunkt Erfahrungen im Umgang mit Behörden, insbesondere mit der Beachtung des Zeitpunktes der Erlassung von Bescheiden und des damit verbundenen Beginnes von Rechtsmittelfristen, erworben hatte, so ist bei der Beurteilung, ob ihn eine auffallende Sorglosigkeit an der gegenständlichen Fristversäumung trifft, ein dementsprechend geringerer Maßstab als zum Beispiel im Fall eines Inländers oder eines hier bereits länger aufhältigen Fremden anzulegen. Unter diesem Blickwinkel kann in seinem Verhalten ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden nicht erblickt werden.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über den Antrag des S, geboren 1985, derzeit Justizanstalt Dornbirn, 6850 Dornbirn, Kapuzinergasse 10, vom , ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ergänzung seines Verfahrenshilfeantrages vom zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 627/04, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu bewilligen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird bewilligt.

Begründung

I.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom wurde gegen den Antragsteller, einen Staatsangehörigen von Gambia, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Mit Schreiben vom (eingelangt am ) stellte der Beschwerdeführer einen Verfahrenshilfeantrag zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Berufungsbescheid, der von ihm unvollständig - nämlich lediglich unter Nennung der Zahl des Bescheides - bezeichnet wurde.

Mit hg. Verfügung vom (zugestellt am ) wurde dem Antragsteller gemäß § 63 Abs. 1 und § 66 ZPO iVm § 61 Abs. 1 VwGG aufgetragen, binnen zwei Wochen ein Vermögensbekenntnis und eine Ausfertigung, Gleichschrift oder Kopie des anzufechtenden Bescheides vorzulegen und bekannt zu geben, wann dieser Bescheid zugestellt worden sei.

Innerhalb dieser Frist wurden - mittels Telefax (Absender Justizanstalt Feldkirch) - lediglich ein mit datiertes Vermögensbekenntnis des Antragstellers und eine Kopie des obgenannten Bescheides an den Verwaltungsgerichtshof übermittelt. Eine Bekanntgabe, wann der anzufechtende Bescheid dem Antragsteller zugestellt worden sei, erfolgte innerhalb der genannten Frist nicht.

Mit hg. Beschluss vom (zugestellt am ) wurde der Verfahrenshilfeantrag zurückgewiesen, weil der Antragsteller der Aufforderung zur Bekanntgabe, wann der anzufechtende Bescheid zugestellt wurde, nicht nachgekommen war.

Mit dem am mittels Telefax (Absender Justizanstalt Feldkirch) eingebrachten Schreiben vom brachte der Beschwerdeführer Folgendes vor:

"Hiermit bitte ich Sie, Ihre Entscheidung der Abweisung meines Antrags auf Verfahrenshilfe noch einmal zu überdenken! Ich bin der Aufforderung, das Zustelldatum des anzufechtenden Bescheids bekannt zu geben, deshalb nicht nachgekommen, weil ich mich nicht des genauen Datums entsinnen konnte und selbiges auch auf dem Kuvert nicht ersichtlich war - aus diesem Grund habe ich diesbezüglich, um nicht möglicherweise falsche Angaben zu machen, keine solchen gemacht. Mittlerweile habe ich erfahren, dass in der Justizanstalt alle eingehenden Briefe von Behörden dokumentiert werden und so war es mir möglich, das Zustelldatum des anzufechtenden Bescheids eruieren zu lassen, und zwar handelt es sich um den .

Ich bitte Sie nochmals inständig darum, meinen Antrag auf Verfahrenshilfe zu befürworten!

Nochmals ersuche ich außerdem darum, die sechswöchige Frist zur Entscheidung auszusetzen!"

II.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach § 46 Abs. 3 leg. cit. ist der Antrag binnen zwei Wochen nach Aufhören des Hindernisses zu stellen, wobei die versäumte Handlung gleichzeitig nachzuholen ist.

Für die Beurteilung des Charakters eines Anbringens ist sein wesentlicher Inhalt und die Art des in diesem gestellten Begehrens maßgebend. Es kommt nicht auf Bezeichnungen und zufällige Verbalformen, sondern auf den Inhalt des Anbringens, das erkennbare oder zu erschließende Ziel eines Parteischrittes, somit auf die erkennbare Absicht des Einschreiters an. Hiebei sind Parteienerklärungen im Zweifel so auszulegen, dass die diese abgebende Partei nicht um ihren Rechtsschutz gebracht wird (vgl. etwa die in Hauer/Leukauf, Verwaltungsverfahren6, zu § 13 Abs. 1 AVG E 1 g, 1 h, zitierte hg. Judikatur).

Unter Beachtung dieser Grundsätze besteht kein Zweifel daran, dass der Antragsteller mit dem obzitierten Vorbringen in dem Schreiben vom begehrt, ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der ihm mit hg. Verfügung vom gesetzten Frist zur Ergänzung seines Verfahrenshilfeantrages zu bewilligen.

Mit diesem Vorbringen macht der Antragsteller im Wesentlichen geltend, dass er das Datum der Zustellung des anzufechtenden Bescheides vergessen gehabt und sich hinsichtlich der Möglichkeit, dieses zu eruieren, in einem Irrtum befunden habe.

Nach der hg. Judikatur handelt es sich bei einem "Ereignis" im Sinn des § 46 Abs. 1 VwGG um jedes Geschehen, wozu auch sogenannte psychologische Vorgänge, wie sich Irren usw., gehören; ein solches Ereignis kann somit nicht nur ein äußeres Ereignis, sondern auch ein "Irrtum" sein. "Unvorhergesehen" ist ein Ereignis dann, wenn die Partei es tatsächlich nicht mit einberechnet hat und seinen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte (vgl. etwa die in Hauer/Leukauf, aaO, zu § 71 Abs. 1 AVG E 2 a, 17 b, 18 b, zitierte Rechtsprechung).

Das Vorbringen des Antragstellers, er habe das Datum der Zustellung des anzufechtenden Bescheides nicht mehr gewusst und sich in der Möglichkeit, dieses zu eruieren, (vorerst) in einem Irrtum befunden, erscheint in Anbetracht der vorliegenden Umstände nicht unglaubhaft. Berücksichtigt man, dass es sich beim Antragsteller im Zeitpunkt der Zustellung des anzufechtenden Bescheides (laut dem obzitierten Schreiben vom : am ) um einen 19 Jahre alten Fremden, einen Staatsangehörigen von Gambia, handelte, der sich laut den im anzufechtenden Bescheid getroffenen Feststellungen seit , somit bei Erlassung dieses Bescheides erst seit einem Jahr, in Österreich aufhielt, und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er bis zu diesem Zeitpunkt Erfahrungen im Umgang mit Behörden, insbesondere mit der Beachtung des Zeitpunktes der Erlassung von Bescheiden und des damit verbundenen Beginnes von Rechtsmittelfristen, erworben hatte, so ist bei der Beurteilung, ob ihn eine auffallende Sorglosigkeit an der gegenständlichen Fristversäumung trifft, ein dementsprechend geringerer Maßstab als zum Beispiel im Fall eines Inländers oder eines hier bereits länger aufhältigen Fremden anzulegen (vgl. in diesem Zusammenhang etwa die in Hauer/Leukauf, aaO, zu § 71 Abs. 1 AVG E 19 g, zitierte hg. Judikatur). Unter diesem Blickwinkel kann in seinem Verhalten ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden nicht erblickt werden.

Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 1 lit. a VwGG gebildeten Senat (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Zl. 2004/18/0097) - zu bewilligen.

Wien, am

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Normen
ABGB §1332;
AVG §13 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs3;
VwGG §61 Abs1;
VwRallg;
ZPO §63 Abs1;
ZPO §66;
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden
und von Parteierklärungen VwRallg9/1
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2005:2005180029.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
FAAAF-57656