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VwGH 22.02.1955, 2004/53

VwGH 22.02.1955, 2004/53

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
AVG §38;
BauO Wr §101 Abs3;
RS 1
Für die Beurteilung der Frage, ob Fensteröffnungen in einer Feuermauer zulässig sind, bildet die Zustimmung des Eigentümers der Nachbarliegenschaft nicht den Gegenstand einer Vorfrage, sondern ein Tatbestandselement.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Werner und die Räte des Verwaltungsgerichtshofes Dr. Höslinger, Dr. Porias, Dr. Hrdlitzka und Dr. Lehne als Richter, im Beisein des Ministerialoberkommissärs Dr. Hezina als Schriftführer, über die Beschwerde des Dr. ER und der AR in W gegen die Bauoberbehörde für Wien (Bescheid des Magistrates Wien, Mag. Abt. 64, im selbständigen Wirkungsbereich vom , B XIII - 52/53), betreffend baupolizeilichen Auftrag, nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der belangten Behörde, Obermagistratsrat Dr. Hanns Könne, und des Vertreters der mitbeteiligten Partei, Rechtsanwalt Dr. Eduard Michlmayr, zu Recht erkannt.

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der Magistrat der Stadt Wien - M.Abt. 37 hatte mit Bescheid vom die Beschwerdeführer als Eigentümer des Hauses Wien nn, T-gasse 42, gemäß § 101 Abs. 3 der Bauordnung für Wien beauftragt, binnen sechs Wochen nach Rechtskraft die zwei Fensteröffnungen in der gegen die Nachbarliegenschaft EZ. 147 des Grundbuches der Katastralgemeinde X gerichteten Feuermauer nach Erwirkung der nach der Bauordnung erforderlichen Bewilligung in bauordnungsgemäßer Stärke vermauern zu lassen. In der Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, daß für die beiden Fensteröffnungen keine Baubewilligung vorliege, daß sie jedenfalls im Jahre 1885 noch nicht bestanden haben, während sie in späteren Plänen des Hauses als Altbestand aufscheinen. Ob diese Fensteröffnungen später wieder vermauert und etwa vor 1930 neuerlich ausgebrochen worden seien, habe durch Einvernahme von Zeugen nicht geklärt werden können. Grundsatz der Bauordnung sei die öffnungslose Feuermauer. Ausnahmen wären gemäß § 37 der Bauordnung für Wien vom Jahre 1883 nur zur Verbindung zweier Räume auf verschiedenen Liegenschaften zulässig gewesen, während gemäß § 101 Abs. 3 der Bauordnung aus 1930 solche Öffnungen in Feuermauern nur widerruflich und auf die Dauer der Zustimmung des Nachbarn zulässig seien. Da im vorliegenden Fall ein Vergleichsversuch mit dem Nachbar, der den Bestand der Fensteröffnungen der Behörde angezeigt habe, erfolglos geblieben sei, habe der Vermauerungsauftrag ergehen müssen. Gegen diesen Bescheid hatten die Beschwerdeführer Berufung erhoben, in der sie sich darauf beriefen, daß die Fensteröffnungen bereits seit unvordenklicher Zeit bestanden haben und das Recht auf die Fensteröffnungen von ihnen ersessen worden sei. Der Widerruf der Zustimmung seitens der Nachbarn sei daher unbeachtlich. Das Verfahren sei auch mangelhaft, weil die Erörterung der Frage, ob öffentliche Rücksichten die Vermauerung der Fenster gebieten, unterlassen worden sei. Die Bauoberbehörde für Wien (Bescheid der M.Abt. 64 vom ) gab der Berufung keine Folge. In der Begründung wurde ausgeführt, daß es wohl zutreffen möge, daß den Berufungswerbern ein Recht auf Belassung der Fensteröffnungen in der Feuermauer nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechtes zustehe und daher der Nachbar nicht berechtigt sei, die Vermauerung der Öffnungen zu verlangen. Dieser Standpunkt könne jedoch die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht erschüttern. Die Bestimmung des § 101 Abs. 3 der Bauordnung zwinge die Behörde, falls der Nachbar die Zustimmung zu den Öffnungen widerrufe, einen dahingehenden baupolizeilichen Auftrag zu erlassen. Wenn die Berufungswerber das Recht auf die Fensteröffnungen ersessen hätten, dann müßten sie dieses Recht im Wege der Klage vor Gericht geltend machen. In dem Zeitpunkt, in dem das Gericht das Bestehen eines Fensterrechtes rechtskräftig ausgesprochen habe, sei die Baubehörde auch berechtigt, ihren Bescheid zurückzunehmen. Es stehe den Berufungswerbern frei, bei der Baubehörde erster Instanz einen Antrag auf Erstreckung der Erfüllungspflicht bis zur gerichtlichen Entscheidung einzubringen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes (Unterlassung der Beurteilung der Vorfrage, ob ein Grundnachbar, der mehr als 30 Jahre das Bestehen der Fensteröffnungen in der an sein Grundstück angrenzenden Feuermauer des Nachbarn gestattet habe, plötzlich die Zustimmung widerrufen und die Anwendung der baupolizeilichen Bestimmungen begehren könne) und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (Unterlassung der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes) geltend gemacht wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 101 Abs. 3 der Bauordnung für Wien ist die Herstellung von Öffnungen in Feuermauern gegen Widerruf gestattet, soferne der Eigentümer der Nachbarliegenschaft zustimmt und keine öffentlichen Rücksichten entgegenstehen. Desgleichen ist unter denselben Voraussetzungen der Bestand von Öffnungen in Feuermauern zulässig. Nach dieser Rechtslage ist die Anbringung von Fensteröffnungen in einer Feuermauer, d. h. in einer an der Grundgrenze errichteten Mauer, sowie der Bestand solcher Öffnungen von zwei Elementen abhängig, einem nachbarrechtlichen und einem öffentlichrechtlichen. Das nachbarrechtliche Element ist die Zustimmung des Eigentümers der Nachbarliegenschaft, das öffentlich-rechtliche hingegen das Nichtvorhandensein von öffentlichen Rücksichten, die eine öffnungslose Feuermauer erfordern. Fällt nun eines dieser Elemente weg, dann sind die rechtlichen Voraussetzungen für den Bestand von Öffnungen in der Feuermauer nicht mehr gegeben. Dies hat zur Folge, daß die Baupolizeibehörde den Auftrag zur Vermauerung der Öffnungen erteilen muß. Im vorliegenden Fall hat nun die mitbeteiligte Partei als Eigentümer der Nachbarliegenschaft durch die bei der Baubehörde erstattete Anzeige zu erkennen gegeben, daß sie mit dem Bestand der Fenster in der Feuermauer nicht einverstanden ist. Wenn die Baubehörde erster Instanz daraufhin gemäß § 101 Abs. 3 der Bauordnung den Auftrag erteilt hat, die Fensteröffnungen zu vermauern, so kann dieser Auftrag nicht rechtswidrig sein. Der von den Beschwerdeführern vertretene Standpunkt, daß die Baubehörde die Frage, ob die mitbeteiligte Partei berechtigt gewesen sei, die Zustimmung zum Bestand der Fensteröffnungen zu widerrufen und die Anwendung der baupolizeilichen Bestimmungen zu begehren, als Vorfrage im Sinne des § 38 AVG nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung hätte beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrundelegen sollen, ist nicht zutreffend. Von einer Vorfrage kann man nur dann sprechen, wenn die Behörde bei ihrer Entscheidung zwei Rechtsfragen zu lösen hat, deren Verhältnis zueinander dahin zu umschreiben ist, daß die Entscheidung der Hauptfrage durch die Beurteilung der Vorfrage kausal bedingt ist (vgl. hg. Erkenntnis vom , Slg. N.F. Nr. 475 A). Im vorliegenden Fall lagen aber nicht zwei in diesem Verhältnis zueinander stehende Rechtsfragen vor. Die belangte Behörde hatte nur zu prüfen, ob das Tatbestandselement der Zustimmung des Eigentümers der Nachbarliegenschaft zum Bestand der Fensteröffnungen in der Feuermauer noch gegeben ist. Da der Nachbar gegen den Bestand der Fenster protestiert und ein baupolizeiliches Einschreiten zwecks Herstellung des fensterlosen Zustandes der Feuermauer begehrt hatte, war die belangte Behörde berechtigt, vom Sachverhalt des Fehlens der Zustimmung des Nachbars auszugehen. Ob das Begehren nach Vermauerung der Fensteröffnungen nach privatrechtlichen Gesichtspunkten berechtigterweise von der mitbeteiligten Partei gestellt wurde, durfte die Baubehörde nicht untersuchen, weil sie - wie ausgeführt wurde - nur vom Sachverhalt der vorhandenen oder fehlenden Zustimmung des Nachbars auszugehen hatte. Die Willensäußerung des Nachbars ist im Falle des § 101 Abs. 3 eben ein Tatbestandselement, nicht aber eine Rechtsfrage. Die diesbezügliche Sachverhaltsannahme der belangten Behörde kann nicht als aktenwidrig angesehen werden. Eine inhaltliche Rechtswidrigkeit liegt sohin nicht vor. Desgleichen kann auch eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften nicht gegeben sein, weil der Sachverhalt weder ergänzungsbedürftig geblieben ist noch bei dessen Ermittlung Verfahrensvorschriften verletzt wurden. Erhebungen über die Dauer des Bestandes der Fensteröffnungen und dergleichen waren nach dem Gesagten nicht notwendig. Die Beschwerde erweist sich sohin nach jeder Richtung als unbegründet, weshalb sie abzuweisen war (§ 42 Abs. 1 VwGG 1952).

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AVG §38;
BauO Wr §101 Abs3;
Sammlungsnummer
VwSlg 3659 A/1955
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1955:1953002004.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
KAAAF-57543