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VwGH 22.06.2006, 2004/21/0259

VwGH 22.06.2006, 2004/21/0259

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
AVG §6 Abs1;
AVG §66 Abs4;
B-VG Art130 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
RS 1
Ein Spruch, der dahin lautet, dass ein Antrag zurückgewiesen wird, kann grundsätzlich nicht in der Weise umgedeutet werden, dass er eine bloße Feststellung der Unzuständigkeit der Berufungsbehörde darstellt, die nicht als abschließende Entscheidung über diesen Antrag qualifiziert werden könnte. Vielmehr führt die Zurückweisung einer Berufung zur Erledigung derselben. Dies hat zur Folge, dass eine neuerliche Entscheidung der zuständigen Behörde über diese Berufung nicht mehr zulässig ist. Aus diesem Grund ist die Zurückweisung einer Berufung durch die angerufene unzuständige Behörde auch dann unzulässig, wenn die Partei auf einer Entscheidung dieser Behörde beharrt. Vielmehr hat die unzuständige Berufungsbehörde in jedem Fall die Berufung gemäß § 6 AVG an die zuständige Berufungsbehörde zu übermitteln. Diese für die Einbringung der Berufung selbst entwickelte Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof in der Folge auch auf Anträge übertragen, die, obwohl keine Berufungen, an die Berufungsbehörde gerichtet wurden, für deren Erledigung aber die erstinstanzliche Behörde zuständig war (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/21/0041). Nichts anderes hat aber für an eine unzuständige erstinstanzliche Behörde gerichtete Anträge zu gelten. Die erstinstanzliche Behörde hätte daher vorliegendenfalls den Antrag der Beschwerdeführerin weder wegen Unzulässigkeit noch wegen Unzuständigkeit zurückweisen dürfen, sie hätte ihn vielmehr gemäß § 6 AVG dem Landeshauptmann zur Entscheidung, ob eine Niederlassungsbewilligung für Private erteilt wird, zu übermitteln gehabt. Ebenso wenig wäre die belangte Behörde im Instanzenzug zu einer Zurückweisung des in Rede stehenden Antrages berechtigt gewesen. Sie hätte vielmehr den erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid ersatzlos aufzuheben gehabt.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2000/19/0131 E RS 10
Normen
FrG 1997 §19;
FrG 1997 §47 Abs3 Z1;
FrG 1997 §49 Abs1;
FrG 1997 §8;
RS 2
Der Umstand, dass ein Fremder nicht dem Kreis begünstigter Drittstaatsangehöriger angehört, führt nicht dazu, dass ihm schlechthin keine Niederlassungsbewilligung erteilt werden könnte (Hinweis E , 2000/19/0131).
Normen
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
RS 3
Ein Beharren des Antragstellers führt nicht zu einer Entscheidungsberechtigung der unzuständigen Behörde(Hinweis E , 2002/12/0268).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des L, vertreten durch Mag. Hubert Wagner, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom , Zl. Fr 1544/03, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Bezirkshauptmannschaft Mödling hat als Behörde erster Instanz mit Bescheid vom den an sie gerichteten Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck Familiengemeinschaft mit einem EWR-Bürger mit der Begründung abgewiesen, dass der Beschwerdeführer nicht als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen sei. Mit dem zitierten Bescheid wies die belangte Behörde im Instanzenzug den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der USA, "vom bzw. " wegen sachlicher Unzuständigkeit gemäß § 89 Abs. 2 des (bis in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl I Nr. 75, zurück.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen aus: Der Beschwerdeführer habe einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung mit der Begründung eingebracht, dass er im Jahr 2001 mit einem deutschen Staatsangehörigen - der als Bediensteter der Europäischen Patentorganisation in Österreich eine Beschäftigung aufnehmen und sich hier niederlassen werde - in den Niederlanden eine gleichgeschlechtliche Ehe eingegangen sei. Ihm sei (lt. Aktenvermerk vom ) von der Behörde erster Instanz mitgeteilt worden, dass die Bezirkshauptmannschaft Mödling als Fremdenbehörde im Sinn des § 89 Abs. 2 FrG für die Erledigung des Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nicht zuständig sei, weil eine gleichgeschlechtliche Ehe keinesfalls von den Bestimmungen des § 47 Abs. 2 und 3 FrG bzw. den in diesem Zusammenhang stehenden "EU-Verordnungen bzw. EU-Richtlinien" umfasst sei. Ein anderer Zuständigkeitstatbestand nach § 89 Abs. 2 FrG sei nicht zu ersehen. Der Beschwerdeführer habe mitgeteilt, auf einer schriftlichen Entscheidung zu bestehen.

Beim Beschwerdeführer handle es sich - so die weitere Begründung der belangten Behörde - nicht um einen Angehörigen eines EWR-Bürgers im Sinn des § 47 Abs. 3 FrG. Der Begriff des begünstigten Drittstaatsangehörigen orientiere sich an den maßgeblichen Bestimmungen des EG-Vertrages sowie den Sekundärrechtsakten, z.B. der Verordnung (EWG) 1612/68 des Rates vom . Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gehe nach wie vor vom konventionellen Begriff der Ehe aus. Es würden weder "homosexuelle Ehen noch sonstige Lebensgemeinschaften" als Grundlage für die Eigenschaft als Familienangehöriger anerkannt. Im Ergebnis erwachse somit im konkreten Fall weder aus dem europäischen "Primär- und Sekundärrecht" noch aus § 47 Abs. 3 FrG ein Freizügigkeitsrecht. Insofern bestehe keine Zuständigkeit nach § 89 Abs. 2 Z 1 FrG. Auch die maßgeblichen österreichischen Rechtsnormen gingen im Zusammenhang mit dem Begriff "Ehegemeinschaft" von der traditionellen Gemeinschaft heterosexueller Beziehungen aus. Auch aus dem "Sitzabkommen" zwischen der Europäischen Patentorganisation und der Republik Österreich sei keine Niederlassungsfreiheit im Sinn des § 47 Abs. 2 FrG abzuleiten.

Somit sei die Behörde erster Instanz als Fremdenbehörde nach § 89 Abs. 2 FrG zur Erledigung des vorliegenden Antrages auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "Familiengemeinschaft mit einem EWR-Bürger" nicht zuständig. Zuständig wäre im Sinn des § 89 Abs. 1 FrG der Landeshauptmann von Niederösterreich bzw. die von ihm ermächtigte Behörde gewesen. Der Beschwerdeführer habe - wie erwähnt - auf der Erledigung des Antrags durch die Fremdenbehörde beharrt, weshalb eine Weiterleitung des Antrags nach § 6 AVG nicht in Betracht gekommen und die Verpflichtung zur Fällung einer Zuständigkeitsentscheidung in Form einer Zurückweisung des Antrags ausgelöst worden sei.

Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn gerichtete Beschwerde mit Erkenntnis vom , B 1512/03-6, abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten über die ergänzte Beschwerde erwogen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des FrG (in der Fassung BGBl I Nr. 126/2002) lauten auszugsweise:

"§ 47. (1) Angehörige von EWR-Bürgern, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, unterliegen der Sichtvermerkspflicht.

(2) Sofern die EWR-Bürger zur Niederlassung berechtigt sind, genießen begünstigte Drittstaatsangehörige (Abs. 3) Niederlassungsfreiheit; ihnen ist eine Niederlassungsbewilligung auszustellen, wenn ihr Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. ...

(3) Begünstigte Drittstaatsangehörige sind folgende Angehörige eines EWR-Bürgers:

1. Ehegatten;

...

§ 89. (1) Entscheidungen im Zusammenhang mit Niederlassungsbewilligungen und Niederlassungsnachweisen trifft der Landeshauptmann. Der Landeshauptmann kann, wenn dies im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit oder Sparsamkeit der Verwaltung gelegen ist, die Bezirksverwaltungsbehörden mit Verordnung ermächtigen, alle oder bestimmte Fälle in seinem Namen zu entscheiden.

(1a) ...

(2) Entscheidungen im Zusammenhang mit Niederlassungsbewilligungen und Niederlassungsnachweisen trifft jedoch die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese, wenn es sich um den Aufenthaltstitel

1. für einen Drittstaatsangehörigen handelt, der nach dem

4. Hauptstück Niederlassungsfreiheit genießt;

..."

Der Beschwerde kommt - unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob der Angehörigenbegriff "Ehegatte" des § 47 Abs. 3 Z 1 FrG auch den Partner in einer gleichgeschlechtlichen, in den Niederlanden geschlossenen Ehe umfasst - Berechtigung zu.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 94/05/0370, Slg 14.475 A, zum Ausdruck gebracht, ein Spruch, mit dem eine Berufung zurückgewiesen werde, könne grundsätzlich nicht in der Weise umgedeutet werden, dass er eine bloße Feststellung der Unzuständigkeit der Berufungsbehörde darstelle, die nicht als abschließende Entscheidung über die Berufung qualifiziert werden könne. Aus diesem Grund sei die Zurückweisung einer Berufung durch die angerufene unzuständige Behörde auch dann unzulässig, wenn die Partei auf einer Entscheidung dieser Behörde beharre. Vielmehr habe die unzuständige Berufungsbehörde in jedem Fall die Berufung gemäß § 6 AVG an die zuständige Berufungsbehörde zu übermitteln.

Nichts anderes gilt für die an eine unzuständige erstinstanzliche Behörde gerichteten Anträge (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/19/0131). Wie in diesem dem zitierten Erkenntnis zu Grunde liegenden Fall hätte die erstinstanzliche Behörde - ausgehend von ihrer Auffassung, der Beschwerdeführer sei kein begünstigter Drittstaatsangehöriger - den Antrag gemäß § 6 AVG dem Landeshauptmann zur Entscheidung, ob eine Niederlassungsbewilligung für Private erteilt werde, zu übermitteln gehabt, weil der Umstand, dass ein Fremder nicht dem Kreis begünstigter Drittstaatsangehöriger angehört, nicht dazu führt, dass ihm schlechthin keine Niederlassungsbewilligung erteilt werden könnte (vgl. auch dazu das Erkenntnis Zl. 2000/19/0131). Die belangte Behörde war im Instanzenzug zu einer Zurückweisung des in Rede stehenden Antrages nicht berechtigt; sie hätte vielmehr die erstinstanzliche Sachentscheidung einer - ihrer Ansicht nach auf Basis der damals geltenden Rechtslage - unzuständigen Behörde ersatzlos zu beheben gehabt, was die belangte Behörde (rechtlich) verkannt hat.

Im Erkenntnis vom , Zl. 2002/12/0268, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass ein Beharren des Antragstellers nicht zu einer Entscheidungsberechtigung der unzuständigen Behörde führt. Es ist somit unerheblich, ob der Beschwerdeführer - von der belangten Behörde behauptet und von ihm in der Beschwerde bestritten - auf einer Entscheidung durch die Behörde erster Instanz beharrt hat.

Angesichts der Änderung sowohl der nationalen Rechtslage (durch das am in Kraft getretene Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, das nach § 81 Abs. 1 auch für anhängige Verfahren gilt) als auch des Gemeinschaftsrechtes (durch die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, mit der unter anderem die VO 1612/68 geändert wurde), kann eine anhand des FrG und der VO 1612/68 vorzunehmende (nicht mehr aktuelle) Beurteilung, ob der Begriff "Ehe" auch auf eine gleichgeschlechtliche Verbindung wie die vorliegende anzuwenden gewesen wäre, unterbleiben, zumal das bejahendenfalls auch zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides geführt hätte.

Wie vorhin dargelegt war der angefochtene Bescheid jedenfalls wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die beantragte Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG unterbleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im pauschalierten Aufwandersatz bereits enthalten ist.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AVG §6 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §19;
FrG 1997 §47 Abs3 Z1;
FrG 1997 §49 Abs1;
FrG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Schlagworte
Voraussetzungen des Berufungsrechtes Diverses
Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen Zurückweisung wegen
Unzuständigkeit
Ermessen besondere Rechtsgebiete
Inhalt der Berufungsentscheidung Kassation
Instanzenzug Zuständigkeit Allgemein
Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen
Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG)
Besondere Rechtsgebiete
Weiterleitung an die zuständige Behörde auf Gefahr des Einschreiters
Berufungsrecht Diverses
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2006:2004210259.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
GAAAF-57540