VwGH 30.10.2003, 2003/15/0042
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Norm | VwGG §46 Abs1; |
RS 1 | Für die richtige Beachtung von Fristen ist in einer Rechtsanwaltskanzlei stets der Rechtsanwalt verantwortlich. Nur er selbst hat die Fristen festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kanzleikalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Dies auch dann, wenn die Kanzleileiterin überdurchschnittlich qualifiziert und deshalb mit der selbständigen Besorgung bestimmter Kanzleiarbeiten, so auch der Führung des Kanzleikalenders, betraut worden ist und es bisher zu keinen Beanstandungen gekommen sein sollte (Hinweis B , 94/15/0112, 0115). |
Norm | VwGG §46 Abs1; |
RS 2 | Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis B , 2000/15/0157) gibt ein dem Rechtsanwalt widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsantrag für die Partei nur dann ab, wenn dieses Ereignis für den Rechtsanwalt selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war. Ein Verschulden des Rechtsanwaltes, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Das Verschulden von Kanzleikräften stellt für den Rechtsanwalt dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne der obigen Ausführungen dar, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Der Rechtsanwalt muss seine Kanzlei so organisieren, dass die richtige und fristgerechte Erledigung von gerichtlichen Aufträgen sichergestellt ist. Dabei wird durch entsprechende Kontrolle dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Der Rechtsanwalt verstößt demnach auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2001/14/0140 B RS 1
(hier nur die letzten drei Sätze) |
Normen | |
RS 3 | Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers (innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist) gesteckt ist. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 83/11/0143 E VwSlg 11439 A/1984 RS 4 |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
2003/15/0071
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Reinisch, 1) über den Antrag des P in W, vertreten durch Weidacher, Imre & Imre, Rechtsanwaltspartnerschaft OEG in 8200 Gleisdorf, Ludwig-Binder-Straße 14, auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Verbesserung der Mängel der unter hg. Zl. 2003/15/0042 anhängigen Beschwerde gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom , GZ. RV 505/1-8/01, betreffend Einkommensteuer 1997 und 1998, und 2) in der Beschwerdesache derselben Partei gegen den eben genannten Bescheid, den Beschluss gefasst:
Spruch
1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht stattgegeben.
2. Das Beschwerdeverfahren wird eingestellt.
Begründung
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom , B 1681/01-6, die Behandlung einer gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom , GZ. RV 505/1-8/01, erhobenen Beschwerde abgelehnt und die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Mit Berichterverfügung vom (dem Beschwerdevertreter zugestellt am ) hat der Verwaltungsgerichtshof den Beschwerdeführer gemäß § 34 Abs. 2 VwGG aufgefordert, binnen einer Frist von vier Wochen verschiedene, der Beschwerde anhaftende Mängel zu beheben. Die Versäumung der Frist gelte als Zurückziehung der Beschwerde.
Mit dem am zur Post gegebenen Schriftsatz vom beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ergänzung der Beschwerde. Die versäumte Handlung (Beschwerdeergänzung) wurde unter einem nachgeholt.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages wurde ausgeführt, den ausgewiesenen Vertretern des Beschwerdeführers sei am die Aufforderung zur Bezahlung einer Gebühr von 180 EUR zugestellt worden. Am gleichen Tag sei den ausgewiesenen Vertretern die Verfügung vom betreffend Mängelbehebung zugestellt worden. Die Aufforderung zur Überweisung der angeforderten Gebühr sei einerseits dem Beschwerdeführer mit der Aufforderung zur Zahlung übermittelt und die diesbezügliche Frist mit von der mit den Fristvermerken beauftragten Kanzleileiterin, Frau P., im Terminbuch eingetragen worden. "Offensichtlich" sei jedoch die auf Grund der am gleichen Tage eingelangten Verfügung zur Vormerkung beauftragte Eintragung der Frist vom unterblieben, sodass die aufgetragene Ergänzung nicht durchgeführt worden sei. Im Zuge einer Aktenkontrolle durch den Sachbearbeiter Dr. W. sei dieses Versehen am festgestellt worden. Dieser Vorfall beruhe zweifellos auf einem minderen Grad des Versehens, nämlich einer leichten Fahrlässigkeit. Der Sachbearbeiter Dr. W. habe den auf der Verfügung angebrachten Fristvermerk vom selbst angeordnet, "jedoch unterblieb aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen aus einem Versehen der Kanzleileiterin die Eintragung dieser Frist in das Terminbuch".
In einer als Beweis angeschlossenen "Eidesstättigen Erklärung" von Frau P. wird ausgeführt, nach Erhalt des Einlaufes werde von ihr eine Frist jeweils im Terminbuch eingetragen, wobei die Frist mit Ausnahme einfacher Fristen (z.B. Kostenvorschusserlag, Antwortschreiben an Rechtsanwälte, Rechtskraftsüberwachungen) von einem der Rechtsanwälte kontrolliert werde. Im vorliegenden Fall seien am sowohl die Aufforderung zum Erlag einer Gebühr von 180 EUR binnen einer Woche als auch die Verfügung zur Ergänzung der Beschwerde binnen vier Wochen eingelangt. Die Frist für die Gebührenzahlung sei von ihr mit im Terminbuch eingetragen worden. Hinsichtlich der Frist von vier Wochen für die Ergänzung der Beschwerde habe sie nach Rücksprache mit Dr. W. auf der Verfügung handschriftlich den Terminvermerk "" gemacht. Aus einem nicht mehr nachvollziehbaren Grund sei jedoch die Übertragung dieses Termins in das Kanzleiterminbuch unterblieben. In ihrer langjährigen Tätigkeit als Kanzleileiterin und auch der mehrjährigen Tätigkeit betreffend die Vormerkung und Eintragung von Fristen sei ihr ein solches Versehen noch nicht passiert. Sie könne nur vermuten, dass auf Grund eines Krankenstandes einer Mitarbeiterin der Kanzlei und der damit verbundenen Mehrarbeiten der Fehler unterlaufen sei.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Für die richtige Beachtung von Fristen ist in einer Rechtsanwaltskanzlei stets der Rechtsanwalt verantwortlich. Nur er selbst hat die Fristen festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kanzleikalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Dies auch dann, wenn die Kanzleileiterin überdurchschnittlich qualifiziert und deshalb mit der selbständigen Besorgung bestimmter Kanzleiarbeiten, so auch der Führung des Kanzleikalenders, betraut worden ist und es bisher zu keinen Beanstandungen gekommen sein sollte (vgl. z.B. den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , 94/15/0112, 0115). Der Rechtsanwalt muss seine Kanzlei so organisieren, dass die richtige und fristgerechte Erledigung von gerichtlichen Aufträgen sichergestellt ist. Dabei wird durch entsprechende Kontrolle dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Der Rechtsanwalt verstößt demnach auch dann gegen die ihm obliegende Sorgfaltspflicht, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens einer Kanzleikraft Fristversäumungen auszuschießen geeignet sind (vgl. z.B. die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2001/14/0140, sowie vom , 2000/16/0057, 0112).
Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Antragstellers innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vorgegeben wird. Der vorliegende Wiedereinsetzungsantrag enthält keinerlei konkrete Ausführungen darüber, ob und in welcher Weise seitens der "ausgewiesenen Vertreter" bzw. des Sachbearbeiters Dr. W. durch entsprechende Kontrollmaßnahmen organisatorisch dagegen vorgesorgt wurde, dass angeordnete Eintragungen von Fristen in das Terminbuch unterbleiben. Der bloße Hinweis darauf, dass im Zuge einer Aktenkontrolle dieses Versehen am festgestellt worden sei, zeigt noch nicht das Bestehen eines Kontrollsystems auf, das sicherstellt, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach ausgeschlossen sind.
Das Fehlen einer entsprechenden Kanzleiorganisation stellt aber eine dem Rechtsvertreter zuzurechnende Verletzung der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht dar, die über einen geringen Grad des Versehens hinausgeht.
Dem Wiedereinsetzungsantrag war daher ein Erfolg zu versagen und demgemäß weiters das zu Zl. 2003/15/0042 anhängige Beschwerdeverfahren gemäß § 34 Abs. 2 iVm § 33 Abs. 1 VwGG wegen nicht fristgerechter Mängelbehebung (Ablauf der - vierwöchigen - Mängelbehebungsfrist am ) einzustellen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2003:2003150042.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
KAAAF-57368