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VwGH 21.11.2003, 2003/02/0175

VwGH 21.11.2003, 2003/02/0175

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Norm
AVG §68 Abs3;
RS 1
Die Anwendbarkeit des § 68 Abs 3 AVG setzt nicht bloß die allgemein abstrakte und an generellen Erfahrungswerten orientierte Möglichkeit einer Gefahr voraus, sondern es muß vielmehr - gestützt auf einen ordnungsgemäß erhobenen Befund - eine konkrete Gefährdung von Personen nachgewiesen und von der Behörde in einem mängelfreien Verfahren festgestellt werden (Hinweis E , 0368/68, VwSlg 7499 A/1969).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2303/74 E RS 1
Norm
AVG §68 Abs3;
RS 2
Die Behörde ist bei Anwendung des § 68 Abs 3 AVG dazu verpflichtet, notwendige bzw unvermeidbare Maßnahmen unter möglichster Schonung erworbener Rechte zu treffen; dabei hat sie in Anwendung der in Betracht kommenden materiellen Rechtsvorschriften (hier die Stmk Bauvorschriften), von Amts wegen in ausreichendem Maße die zur Beurteilung der Frage anderer, auch zum Ziel führender, aber weniger eingreifender Maßnahmen (Lastenvergleich) erforderlichen Feststellungen zu treffen (Hinweis E , 97,99/78, VwSlg 9837 A/1979). Dies gilt auch für jene Maßnahmen, die im Zusammenhang mit dem Eingriff in die Rechtskraft bei Anwendung der jeweils in Betracht kommenden Verwaltungsvorschrift zu treffen sind (Hinweis E , 418/55, VwSlg 4207 A/1956; hier hätte die Behörde in Ansehung eines bewilligten Wurftaubenschießstandes von Amts wegen bautechnische Maßnahmen ins Auge fassen und durch Einholung entsprechender sachverständiger Beweisaufnahmen feststellen müssen, ob nicht dadurch der gesundheitsgefährdende Mißstand beseitigt werden könnte).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 90/06/0221 E RS 4 (hier nur erster Satz)

Entscheidungstext

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

2003/02/0190 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel-Lanz, über die Beschwerde der P GmbH in L, vertreten durch Haslinger/Nagele & Partner, Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Am Hof 13, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom , Zl. VerkR- 200.046/7-2003-Kof/Eis, betreffend Aufhebung einer Bewilligung gemäß § 45 Abs. 2 StVO, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die belangte Behörde erteilte mit Bescheid vom der beschwerdeführenden Partei unter Berufung auf "§§ 20 Abs. 2, 45 Abs. 2 und 45 Abs. 2b StVO" als Rechtsgrundlagen eine Ausnahmebewilligung auf den Autobahnen im Bundesland Oberösterreich (A1 Westautobahn, A7 Mühlkreisautobahn, A8 Innkreisautobahn, A9 Pyhrnautobahn und A25 Welser-Autobahn) - ausgenommen jene Abschnitte, auf welchen eine verordnete Geschwindigkeitsbeschränkung besteht (z.B. sämtliche Baustellenbereiche, A7 - Stadtbereich Linz, A1 - Bereich Haid/Ansfelden) - unter nachstehenden Bedingungen, Befristungen und Auflagen:

"1. Bei Testfahrten darf die Höchstgeschwindigkeit für Pkw:

200 km/h und für Lkw: 100 km/h betragen.

2. Auf dem Testfahrzeug ist das Probefahrtkennzeichen ... anzubringen.

3. Das Fahrzeug ist mit der Aufschrift 'TESTFAHRT' in schwarzer Schrift auf gelbem Grund sowie dem Symbol eines Vorschriftszeichens

-

'Geschwindigkeitsbeschränkung 200 km/h' auf der Heckscheibe des Pkw bzw.

-

'Geschwindigkeitsbeschränkung 100 km/h' auf der hinteren Bordwand des Lkw gut sichtbar und lesbar zu kennzeichnen.

4. Andere Verkehrsteilnehmer dürfen weder gefährdet noch behindert werden.

5. Vor jeder Testfahrt ist die zuständige Autobahngendarmerie rechtzeitig zu informieren.

6. Über die Testfahrten sind entsprechende schriftliche Aufzeichnungen in Form eines Fahrtenbuches zu führen.

7. Die Testfahrten dürfen nur durchgeführt werden, wenn diese nach Verkehrslage (geringes Verkehrsaufkommen), Verkehrsfrequenz (Verkehrsdichte), Witterungs- und Fahrbahnverhältnisse (trockene Fahrbahn, gute Sichtverhältnisse) verantwortet werden können.

8. Durch diese Bewilligung bleiben die Bestimmungen des § 20 Abs. 1 StVO (Wahl der Fahrgeschwindigkeit) unberührt.

9. Die sonstigen straßenpolizeilichen Vorschriften (z.B. Lkw-Überholverbote) sind einzuhalten).

10. Diese Bewilligung ist bei Testfahrten mitzuführen und den Organen der Straßenaufsicht auf Verlangen zur Kontrolle auszuhändigen.

11. Diese Bewilligung wird bis einschließlich befristet."

In seiner Begründung stützt sich dieser Bescheid auf § 45 Abs. 2 StVO und führt weiter aus, dass sich die beschwerdeführende Partei mit der Entwicklung, Produktion und dem europaweiten Vertrieb von Motorsteuergeräten beschäftige; für die Entwicklung dieser Motorsteuergeräte seien gelegentliche Testfahrten erforderlich. Der Rechtsvorgängerin der beschwerdeführenden Partei sei bereits mit Bescheid der belangten Behörde vom eine derartige Bewilligung erteilt worden; die damals vorgeschriebenen Auflagen seien in leicht modifizierter Form auch in den gegenständlichen Bescheid aufgenommen worden.

Mit Bescheid vom sprach die belangte Behörde aus, dass ihr Bescheid vom gemäß § 68 Abs. 3 AVG von Amts wegen behoben werde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:

Nach § 68 Abs. 2 AVG können Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, sowohl von der Behörde oder vom unabhängigen Verwaltungssenat, die oder der den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechts von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde von Amts wegen aufgehoben oder abgeändert werden.

Nach § 68 Abs. 3 leg. cit. kann die Behörde, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, wenn ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, dieser, oder die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde andere Bescheide in Wahrung des öffentlichen Wohles insoweit abändern, als dies zur Beseitigung von das Leben oder die Gesundheit von Menschen gefährdenden Missständen oder zur Abwehr schwerer volkswirtschaftlicher Schädigungen notwendig und unvermeidlich ist. In allen Fällen hat die Behörde mit möglichster Schonung erworbener Rechte vorzugehen.

Die belangte Behörde hat ihren Bescheid vom nach Anführung der Bestimmung des § 68 Abs. 3 AVG ausschließlich damit begründet, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ("Wenn anders eine Abhilfe nicht geschaffen werden kann." - so ist der Hinweis der belangten Behörde auf die bei Walter-Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I2, S. 1454, E 308, zu verstehen) auch eine Behebung eines Bescheides zulässig sei. Eine Fahrt auf der Autobahn mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h bedeute - auch bei ansonsten besten Bedingungen - eine enorme Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen (sowohl des Lenkers des betreffenden Kfz als auch aller anderen Verkehrsteilnehmer) und sei im Hinblick auf die Verkehrssicherheit nicht vertretbar. Die Voraussetzungen des § 68 Abs. 3 AVG lägen somit vor.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. Walter-Thienel, aaO, S. 1455 E 315) setzt die Anwendbarkeit des § 68 Abs. 3 AVG jedoch nicht bloß die allgemein abstrakte und an generellen Erfahrungswerten orientierte Möglichkeit einer Gefahr voraus, sondern es muss vielmehr - gestützt auf einen ordnungsgemäß erhobenen Befund - eine konkrete Gefährdung von Personen nachgewiesen und von der Behörde in einem mängelfreien Verfahren festgestellt werden. Die Behörde ist weiters verpflichtet (vgl. die bei Walter-Thienel, aaO, S. 1454 E 306, wiedergegebene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes), bei Anwendung des § 68 Abs. 3 AVG notwendige bzw. unvermeidbare Maßnahmen unter möglichster Schonung erworbener Rechte zu treffen; dabei hat sie in Anwendung der in Betracht kommenden materiellen Rechtsvorschriften, von Amts wegen in ausreichendem Maße die zur Beurteilung der Frage anderer, auch zum Ziel führender, aber weniger eingreifender Maßnahmen erforderlichen Feststellungen zu treffen.

Zutreffend rügt die beschwerdeführende Partei demzufolge das Fehlen einer ausreichenden Begründung des angefochtenen Bescheides. Dieselbe lässt nämlich nicht ersehen, aus welchen Erwägungen die Behörde zur Auffassung gelangt ist, dass Testfahrten mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h (Testfahrten für Lkw mit 100 km/h werden in der Begründung gar nicht erwähnt) trotz der im Bescheid vom enthaltenen Vorschreibungen konkrete Gefährdungen im Sinne des § 68 Abs. 3 AVG erwarten lassen und weshalb anders als mit der Aufhebung desselben "eine Abhilfe nicht geschaffen werden kann".

Im Übrigen vermögen Ausführungen in der Gegenschrift - so die ständige hg. Rechtsprechung - eine solche Begründung (unabhängig davon, ob sie den angefochtenen Bescheid ohne entsprechende Sachverhaltsfeststellung - zu der im Übrigen Parteiengehör zu gewähren gewesen wäre - überhaupt zu tragen vermöchte) nicht zu ersetzen.

Der angefochtene Bescheid weist daher solche wesentlichen Begründungsmängel auf, dass eine nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof verhindert wird und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003 im Rahmen des gestellten Begehrens.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Norm
AVG §68 Abs3;
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2003:2003020175.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
BAAAF-57277