VwGH 03.07.2002, 2002/08/0167
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | Als Hindernis iSd § 46 Abs 3 VwGG ist jenes Ereignis im Sinne des § 46 Abs 1 VwGG zu verstehen, das die Fristeinhaltung verhindert hat. Besteht dieses Ereignis in einem Tatsachenirrtum über den Ablauf der Frist zur Erhebung der Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde, so hört das Hindernis iSd § 46 Abs 3 VwGG auf, sobald der Bf (Beschwerdevertreter) den Tatsachenirrtum als solchen erkennen konnte und musste, nicht aber erst in dem Zeitpunkt, in dem der Beschluss über die Zurückweisung der Beschwerde als verspätet zugestellt worden ist. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2001/08/0031 B RS 1 |
Normen | AVG §71 Abs2; VwGG §46 Abs3; |
RS 2 | Im Hinblick auf die Bedeutung der richtigen Vormerkung von Terminen für die fristgerechte Setzung von (mit Präklusion sanktionierten) Prozesshandlungen ist von der Partei bzw. ihrem Vertreter zu erwarten, dass er anlässlich der Unterfertigung der Beschwerde sein Augenmerk auch darauf richtet, welcher Zeitraum bis zum Ablauf der Beschwerdefrist noch zur Verfügung steht. Kann er im Zeitpunkt der Unterfertigung der Beschwerde bei Einhaltung der gehörigen Aufmerksamkeit erkennen, dass die Beschwerdefrist bereits abgelaufen ist, so hat jedenfalls damit das Hindernis im Sinne des § 46 Abs. 3 VwGG aufgehört (Hinweis auf das zu § 71 AVG ergangene, insoweit aber auch hier maßgebliche hg Erkenntnis vom , 90/03/0030). |
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RS 3 | Nach gefestigter Rechtsprechung des VwGH setzt die Zustellung eines Berichtigungsbescheides während laufender Beschwerdefrist diese nur dann von Neuem in Gang, wenn entweder erst durch den Berichtigungsbescheid die in der (nunmehrigen) Beschwerde behauptete Verletzung in Rechten der Antragstellerin in Betracht käme oder erstmals erkennbar geworden wäre (Hinweis E , 2002/08/0130), nicht aber, wenn der normative Inhalt des angefochtenen Bescheides durch den Berichtigungsbescheid in keiner Weise geändert wurde. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über den Antrag der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter in Wien, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kohlmarkt 11/5, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom , Zl. 123.307/1-7/2002, in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom , Zl. 123.307/2-6/2002, betreffend Anerkennung der Wirksamkeit verspätet entrichteter Pensionsversicherungsbeiträge gemäß § 225 Abs. 3 ASVG (mitbeteiligte Partei: R in M, vertreten durch Dr. Johannes Dörner und Dr. Alexander Singer, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Brockmanngasse 91/1), den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird als verspätet zurückgewiesen.
Begründung
Mit Beschluss vom , Zl. 2002/08/0130, wies der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde vom gegen den oben genannten Bescheid gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als verspätet zurück, weil die im § 26 Abs. 1 Z. 1 VwGG geregelte sechswöchige Beschwerdefrist ab Zustellung des angefochtenen Bescheides am geendet hatte und die am beim Verwaltungsgerichtshof überreichte Beschwerde daher verspätet war.
Mit ihrem mit datierten und am beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Schriftsatz begehrt die Antragstellerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung dieser Frist und begründet diesen Antrag mit einem Fehlverhalten einer namentlich genannten, für Fristeneintragungen zuständige Mitarbeiterin der Antragstellerin. Diese habe - in der irrigen Annahme, es handle sich um eine der üblicherweise zu erstattenden Gegenschriften - eine achtwöchige Frist statt der sechswöchigen Beschwerdefrist nach § 26 VwGG in das Fristenbuch eingetragen. Die Beschwerde sei sodann vom Sachbearbeiter zu spät konzipiert, zu spät an die Generaldirektion zur internen Genehmigung weitergeleitet und zu spät an den Vertreter der Antragstellerin zur Einreichung beim Verwaltungsgerichtshof überbracht worden, wobei auch diesem - infolge des knapp vorher zugegangenen Berichtigungsbescheides - die Verspätung nicht aufgefallen sei. Von der Antragstellerin seien durchschnittlich monatlich 20 bis 25 Fristen zu wahren. Sie habe ein internes Kontrollsystem eingeführt, durch welches stichprobenartig von der Stellvertreterin des Leiters der Abteilung "Sozialgerichtsangelegenheiten" die Richtigkeit der Eintragung und der Fristen geprüft werde. Der vorliegende Fehler sei trotz des Prüfsystems nicht aufgefallen. Dies "lag auch daran, dass durch die Zustellung des gegenständlichen Berichtigungsbescheides der übliche Ablauf durchbrochen" worden sei. Auch der Vertreter der Antragstellerin habe die Fristwahrung nicht kontrollieren können, weil die (von der Beschwerdeführerin konzipierte) Beschwerde dem Vertreter der Beschwerdeführerin erst lange nach Fristablauf zugestellt worden sei.
Die Antragstellerin treffe kein Organisationsverschulden, weil ein an sich taugliches Kontrollsystem eingeführt worden sei, das im gegenständlichen Fall (auch durch die Besonderheit des Berichtigungsbescheides) den Fehler (allerdings) nicht aufgedeckt habe. Dieser Irrtum sei erst mit Zustellung des genannten Zurückweisungsbeschlusses des Verwaltungsgerichtshofes bekannt geworden, da bei der Kontrolle formal von der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses ausgegangen worden sei. Auch dieser Irrtum sei im Gesamtzusammenhang des gegenständlichen Missgeschicks nicht in einem die Wiedereinsetzung ausschließenden Maße vorwerfbar.
Mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist holte die Antragstellerin die versäumte Handlung nach und erhob (neuerlich) Beschwerde gegen den genannten Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen.
In der "eidesstattlichen Erklärung" der für die Fristeintragungen zuständigen Mitarbeiterin Ursula B. nimmt diese wie folgt Stellung:
"Ich bin seit Angestellte bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter und bei dieser Anstalt seit März 1998 im Referat 'Sozialgerichtsangelegenheiten' beschäftigt. In meiner Funktion als Sekretärin bin ich unter anderem mit der Eintragung und Überwachung von Fristen für Rechtsmittel und Rechtsmittelbeantwortungen betraut.
Entscheidungen, die unsere Anstalt verpflichten, sowie Rechtsmittel der Gegenparteien werden in ein Fristenbuch eingetragen, in dem neben dem internen Aktenlauf auch das Ende der Rechtsmittel- bzw. Rechtsmittelbeantwortungsfrist und eine 'Vorwarnfrist', die eine Woche vor der Endfrist angesetzt ist und zu der der Schriftsatz schon fertig konzipiert sein sollte, aufscheinen.
In der Verwaltungssache 'R. T.' (mitbeteiligte Partei) ist der Bescheid des Bundesministeriums für Soziale Sicherheit und Generationen vom am bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter eingelangt, nach Vorlage an die Generaldirektion wurde er unserem Referat zur Bearbeitung übermittelt.
Ich bin bei der Fristberechnung vom richtigen Eingangsdatum, nämlich dem ausgegangen, habe aber irrtümlich der Berechnung eine acht- und nicht sechswöchige Frist zugrundegelegt. Dieser Fehler ist mir offenbar deshalb unterlaufen, weil wir in der Mehrzahl Gegenschriften und nicht Aktivbeschwerden an den Verwaltungsgerichtshof erheben und in derartigen Fällen üblicherweise eine Frist von 8 Wochen eingeräumt wird."
Die für die Kontrolle der Fristeneintragungen und Fristberechnungen zuständige Mitarbeiterin Dr. Waltraut S. nahm in ihrer "eidesstattlichen Erklärung" vom wie folgt Stellung:
"Ich bin in der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter als Stellvertreter des Leiters der Abteilung 'Sozialgerichtsangelegenheiten' beschäftigt. In dieser Funktion obliegt mir auch die Kontrolle der Fristeintragungen und Fristberechnungen. Auf Grund des hohen Arbeitsaufwandes können diese Kontrollen nur stichprobenartig durchgeführt werden. Ich überprüfe dazu durch Einsicht in Handakte, bei denen laut Fristenbuch Rechtsmittel oder Rechtsmittelbeantwortungen zu erstellen sind, ob die entsprechenden Eintragung (Festsetzung des Beginnes der Frist, Fristberechnung) richtig ist.
Die Fristeintragung erfolgt im Sekretariat, in dem auch Frau B. beschäftigt ist. Sie ist seit 1975 in der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter tätig, seit 1998 im Sozialgerichtsreferat. Sowohl nach Angaben ihrer früheren Vorgesetzten als auch nach meinem eigenen Eindruck ist sie eine sehr zuverlässige, genaue Arbeitskraft, die ihre Aufgaben stets tadellos bewältigt.
Die Fristeneintragung und Überwachung führt sie daher selbstständig durch, trotzdem kontrolliere ich die Eintragungen stichprobenartig in der oben ausgeführten Weise. Die Rechtssache R. T. wurde durch diese Stichproben-Überprüfung nicht erfasst, wobei die Kontrollmöglichkeiten im konkreten Fall deshalb eingeschränkt waren, weil am der Berichtigungsbescheid eingelangt ist, durch dessen Bearbeitung der übliche manipulative Ablauf durchbrochen wurde.
Durch die Stichproben wurde nie eine Fehleintragung durch Frau B. festgestellt, Frau B. hatte bisher auch noch nie eine Fristversäumung verursacht."
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Gemäß § 46 Abs. 3 VwGG ist der Antrag beim Verwaltungsgerichtshof in den Fällen des Absatz 1 binnen zwei Wochen nach Aufhören des Hindernisses zu stellen.
Der Vertreter der Antragstellerin bringt in erkennbarem Zusammenhang mit der Frage der Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrags vor, der Irrtum über den Lauf der Beschwerdefrist sei erst mit der Zustellung des genannten Zurückweisungsbeschlusses des Verwaltungsgerichtshofes bekannt geworden. Bei der Kontrolle sei formal von der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses ausgegangen worden sei. Auch dieser Irrtum sei nicht in einem die Wiedereinsetzung ausschließenden Maße vorwerfbar.
Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden.
Als Hindernis im Sinne (der dem § 71 Abs. 2 AVG nachgebildeten Norm) des § 46 Abs. 3 VwGG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jenes Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG zu verstehen, das die Fristeinhaltung verhindert hat. Besteht dieses Ereignis in einem Tatsachenirrtum über den Ablauf der Frist zur Erhebung der Beschwerde, so hört das Hindernis im Sinne des § 46 Abs. 3 VwGG auf, sobald die Antragstellerin (der Vertreter des Antragstellerin) den Tatsachenirrtum als solchen erkennen konnte und musste, nicht aber erst in dem Zeitpunkt, in dem der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes über die Zurückweisung der Beschwerde wegen Verspätung zugestellt worden ist. Im Hinblick auf die Bedeutung der richtigen Vormerkung von Terminen für die fristgerechte Setzung von (mit Präklusion sanktionierten) Prozesshandlungen, ist von der Partei bzw. ihrem Vertreter zu erwarten, dass er anlässlich der Unterfertigung der Beschwerde sein Augenmerk auch darauf richtet, welcher Zeitraum bis zum Ablauf der Beschwerdefrist noch zur Verfügung steht. Kann er im Zeitpunkt der Unterfertigung der Beschwerde bei Einhaltung der gehörigen Aufmerksamkeit erkennen, dass die Beschwerdefrist bereits abgelaufen ist, so hat jedenfalls damit das Hindernis im Sinne des § 46 Abs. 3 VwGG aufgehört (vgl. dazu das zu § 71 AVG ergangene, insoweit aber auch hier maßgebliche hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/03/0030, mwN).
Wenn die Antragstellerin bzw. deren Vertreter nun vorbringt, es habe eine Kontrolle stattgefunden, bei dieser sei aber "formal von der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses" ausgegangen worden, so ist dem entgegenzuhalten, dass dem Vertreter der Antragstellerin als Rechtsanwalt bei gehöriger Sorgfalt die Unrichtigkeit dieser Rechtsauffassung hätte bekannt sein müssen. Nach gefestigter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Zustellung eines Berichtigungsbescheides während laufender Beschwerdefrist diese nur dann von Neuem in Gang, wenn entweder erst durch den Berichtigungsbescheid die in der nunmehrigen Beschwerde behauptete Verletzung in Rechten der Antragstellerin in Betracht käme oder erstmals erkennbar geworden wäre (vgl. den genannten Beschluss vom , Zl. 2002/08/0130, mwN), nicht aber, wenn - wie hier - der normative Inhalt des angefochtenen Bescheides durch den Berichtigungsbescheid in keiner Weise geändert wurde.
Damit war für den Vertreter der Antragstellerin bei Einhaltung der zumutbaren Sorgfalt bereits im Zeitpunkt der Unterfertigung der Beschwerde erkennbar, dass die Beschwerdefrist schon am abgelaufen war. Zwar ist dem Verwaltungsgerichtshof dieser Zeitpunkt nicht bekannt; auch wenn man vom spätest möglichen Zeitpunkt - dem der Überreichung des Beschwerdeschriftsatzes beim Verwaltungsgerichtshof am - ausgehen würde, wäre der gegenständliche Antrag verspätet. Die spätestens ab dem laufende zweiwöchige Antragsfrist des § 46 Abs. 3 VwGG endete am , sodass der am beim Verwaltungsgerichtshof überreichte Wiedereinsetzungsantrag als verspätet zurückzuweisen war.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Versäumung der Einbringungsfrist siehe VwGG §26 Abs1 Z1 (vor der WV BGBl. Nr. 10/1985: lita) sowie Mangel der Rechtsfähigkeit Handlungsfähigkeit Ermächtigung des Einschreiters |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2002:2002080167.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
KAAAF-57128