VwGH 01.12.1980, 2001/78
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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RS 1 | Provoziert ein Beschwerdeführer erklärterweise, gezielt, planmäßig und in überaus großer Anzahl belastende Verwaltungsakte zum EINZIGEN - weil ausschließlich daraus erklärbaren - Zweck, wissenschaftliche Erkenntnis zu gewinnen, so mangelt ihm die Prozeßvoraussetzung vor den Gerichtshöfen d öff Rechts unabdingbare Beschwer und er kann in seinen subjektiven Rechten nicht verletzt sein. |
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RS 2 | Die Rechtsschutzeinrichtungen der Bundesverfassung stehen nicht im Dienste und zur Disposition "wissenschaftlichen" Experimentierens (Hinweis B und Folgezahlen). |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
0578/79
0647/79
0646/79
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Raschauer und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Pokorny, Dr. Wetzel und Dr. Puck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gancz, über
1. die Beschwerde des Dr. WV, wohnhaft in W, vertreten durch den zur Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt Dr. Gerhard Witnerstein in Wien IX, Ferstelgasse 5/18a, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 11-1464/3/78, betreffend Abgabenerhöhung nach § 8 Abs. 4 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes 1952,
2. über die Beschwerde desselben, vertreten durch den zur Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt Dr. Walter Pum in Wien IX, Porzellangasse 18, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 11-369/1/79, betreffend Aussetzung des Verfahrens in Angelegenheit der Kraftfahrzeugsteuer, 3. über den Antrag desselben auf Wiederaufnahme des mit hg. Beschluss vom , Zl. 2002/79, abgeschlossenen Verfahrens sowie 4. über die Beschwerde desselben gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 11-3214/78, betreffend Stundung von Kraftfahrzeugsteuer, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Beschwerden und Anträge werden zurückgewiesen
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 900,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Verfahren über die im Spruch bezeichneten Beschwerden und Anträge zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.
2. Der Beschwerdeführer und Antragsteller hat seit dem Jahr 1972 bis zum insgesamt mehr als 200 Beschwerden und Anträge in finanzrechtlichen Angelegenheiten beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht. Den Verfassungsgerichtshof hat er im Zeitraum von 1973 bis l0. Oktober 1980 mit insgesamt 192 Anträgen, Beschwerden und Klagen befasst (siehe den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom , G 91/78 und 45 Folgezahlen).
3. Der Beschwerdeführer und Antragsteller ist Jurist. Er war bis zum als Universitätsassistent am finanzrechtlichen Institut der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien tätig.
Den mit den eingebrachten Beschwerden und Anträgen an die beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts verfolgten Zweck hat der Beschwerdeführer und Antragsteller in einem bei der 18. Tagung der wissenschaftlichen Mitarbeiter der Fachrichtung öffentliches Recht unter dem Titel "Steuerrechtliche Theorien auf dem Prüfstand des rechtswissenschaftlichen Experiments" gehaltenen Referat selbst dargelegt. Wieder in der Zeitschrift "Rechtstheorie" (Duncker und Humblot, Berlin) Heft 3/1978, Seite 317 ff., veröffentlichten, erweiterten Fassung dieses Referates zu entnehmen ist, bezeichnet der Verfasser von ihm herbeigeführte Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes als "experimentell hervorgebrachte judizielle Normsätze" (a.a.O., Seite 346). Im Bereich der gegenwärtigen judiziellen Normsätze sei eine taugliche Experimentiertechnik vorhanden, die es ermögliche, beliebig viele judizielle Normsätze zwecks Aufstellung oder Überprüfung einer "(normologischen) Theorie" neu hervorzubringen (a.a.O., Seite 340). Der Fehlschlag eines solchen Experimentes könne unter anderem darin bestehen, dass zwar neues Erfahrungsmaterial hervorgebracht werden konnte, dieses neue Erfahrungsmaterial jedoch seiner Art nach (qualitativ) oder seiner Menge nach (quantitativ) weder die Gewinnung noch die Falsifikation bzw. (vorläufige) Verifikation einer erfahrungswissenschaftlichen Theorie erlaube. Handle es sich dabei um ein bloß quantitatives Defizit an Erfahrungsmaterial, so sei das Experiment bzw. die Versuchsreihe noch nicht endgültig gescheitert, vielmehr könne sich noch ein positives Experimentierergebnis einstellen, wenn weiteres und ausreichendes Erfahrungsmaterial bei Fortsetzung des Experimentes anfalle (a.a.O., Seite 345). Ein rechtswissenschaftliches (normologisches) Experiment sei nach Ansicht des Beschwerdeführers daher dann gelungen (positives Experimentierergebnis), wenn durch das bewusste und gezielteProzessieren so viele neue judizielle Normsätze (Urteile, Entscheidungen, Beschlüsse udgl.) hervorgebracht werden konnten, dass eine bestimmte rechtswissenschaftliche (normologische) Theorie aufgestellt oder aber falsifiziert bzw. vorläufig verifiziert werden könne. Die vom Verfasser aufgestellten und zu überprüfenden "Theorien" bezeichnet er als die Theorie der typischen Berufskleidung, die Theorie der Steuerleistungsformen (Zwei-Formen-Theorie), die Theorie der allgemeinen Steuerstundung und die Theorie der Wesensgleichheit der Einkunftsarten.
Während die beiden ersteren Theorien positive Ergebnisse erbracht hätten, habe der Verfasser jedoch "eine neue normologische Versuchsreihe starten" müssen, die "eine nochmalige experimentelle Überprüfung der Theorie der allgemeinen Steuerstundung ermöglichen soll". Die diesbezüglichen Verfahren seien bereits indiziert worden und damit rechtsanhängig, jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen, sodass auch entsprechende judizielle Normsätze noch ausstünden und das Experimentierergebnis noch offen sei (a.a.O., Seite 347).
4. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom , G 91/78 und 45 Folgezahlen, erwähnt, dass sich der Beschwerdeführer zu diesem Aufsatz in seiner Verfassungsgerichtshofbeschwerde zu B 12/80 neuerlich ausdrücklich bekannt habe. Sodann wird im genannten Beschluss ausgeführt:
"Angesichts dieser besonderen Umstände sowie der außergewöhnlich großen Anzahl eingebrachter Anträge und Beschwerden muss der Verfassungsgerichtshof davon ausgehen, dass der Antragsteller und Beschwerdeführer seine Rechtsmittel an den Verfassungsgerichtshof in Wahrheit nicht deshalb erhoben hat, weil er sich in seinen Rechten verletzt erachtete. Dies stellt aber ein Erfordernis für die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art. 140 Abs. 1 bzw. Art. 144 Abs. 1 B-VG dar.
Aus dem Gesamtverhalten des Antragstellers und Beschwerdeführers in den vergangenen Jahren ergibt sich, dass er nicht deshalb so außerordentlich häufig an den Verfassungsgerichtshof herantritt, um Rechtsschutz zu erhalten, sondern um einerseits rechtswissenschaftliche Experimente anzustellen und um andererseits - wie er wiederholt hervorgehoben hat - 'den Zusammenbruch der Steuererhebung nach kapitalistischen Besteuerungsgrundsätzen' (siehe z.B. im Verfahren B 453/78 )" - es handelt sich um ein Verfahren, dem ein Ansuchen um Stundung der Kraftfahrzeugsteuer zu Grunde lag - " und den Zusammenbruch unseres gegenwärtigen kapitalistisch-faschistischen Regimes' (siehe z.B. im Verfahren B 454, 455/78) herbeizuführen. Die Anträge und Beschwerden dienen somit nicht der Erzielung eines Zweckes, dessen Schutz durch die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes erreicht werden kann.
Die Anträge und Beschwerden sind daher mangels Legitimation --
---- zurückzuweisen."
5. Auch die beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachten Beschwerden und Anträge finanzrechtlichen Inhaltes haben die vom Beschwerdeführer beschriebenen Themenkreise zum Gegenstand. Eine besondere und fast durchgehende Rolle spielt dabei, sich teilweise mit den anderen Fragekreisen überdeckend, das Thema der Steuerstundung, wobei sich die Fälle sowohl auf das Lohnsteuerrecht als auch (in fast zwei Dritteln aller finanzrechtlichen Geschäftsfälle - einschließlich verfahrensrechtlicher Annexfälle) auf das Gebührenrecht sowie, in den vorliegenden Fällen, auf das Kraftfahrzeugsteuerrecht erstrecken.
Auch die vorliegenden Beschwerden und Anträge stellen sich als ein Teil der "normologisch-experimentellen Versuchsreihe" des Beschwerdeführers bzw. Antragstellers, somit eines Programmes dar, das durch das bewusste und gezielte Prozessieren der Hervorbringung so vieler neuer judizieller Normsätze (Urteile, Entscheidungen, Beschlüsse u. dgl.) dient, dass sie dem Beschwerdeführer "die Aufstellung von Theorien oder aber deren Falsifikation bzw. vorläufige Verifizierung ermöglich (a.a.O., Seite 345).
Als typisch ist dabei hervorzuheben, dass der Beschwerdeführer und Antragsteller häufig auch dann auf seinem Rechtsstandpunkt beharrt, wenn ihm in derselben oder in einer doch völlig vergleichbaren Rechtsfrage bereits eine abschließende Antwort eines der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts gegeben wurde. Hier verweist der Beschwerdeführer z.B. in seiner Beschwerde zur hg. Zl. 2001/78 sogar ausdrücklich auf das in der gleichen Rechtsfrage zum Gebührengesetz 1957 ergangene hg. Erkenntnis vom , ungerade Zahlen 50l bis 539/77, Slg. N. F. Nr. 5177/F, und bringt auch die Vermutung zum Ausdruck, die gleiche Rechtsansicht werde "nun der do. Gerichtshof sicherlich auch hinsichtlich der in Stempelmarken zu entrichtenden Kraftfahrzeugsteuer vertreten". Dazu kommt, dass der Verwaltungsgerichtshof in einem weiteren an den Beschwerdeführer ergangenen Erkenntnis vom , Zlen. 1057, 1058 und 1337, 1338/78, ebenfalls Stempelgebühren und Stempelgebührenerhöhung betreffend, von dieser Rechtsansicht nicht nur nicht abgegangen ist, sondern ausdrücklich auch die verfassungsrechtlichen Bedenken des Beschwerdeführers gegen die angewendeten Rechtsvorschriften nicht geteilt hat.
Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem genannten Beschluss geht auch der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass das von der Bundesverfassung in den Art. 131 bis 132 sowie 144 seinem Wesen nach vorausgesetzte und eine Person zur Inanspruchnahme der Einrichtungen des als Rechtswegestaat ausgeprägten Rechtsstaates legitimierende Rechtsschutzinteresse einem Antragsteller mangelt, dessen erklärtes Ziel es ist, durch gezieltes Inanspruchnehmen dieser Einrichtungen lediglich "Erfahrungsmaterial" zum Zwecke der neuen Hypothesenbildung bzw. zum Zwecke der "Falsifikation oder Verifikation" wissenschaftlicher Hypothesen zu gewinnen. Die Rechtsschutzeinrichtungen stehen nicht im Dienste und zur Disposition "wissenschaftlichen" Experimentierens. Provoziert der Antragsteller gezielt, planmäßig und in überaus großer Anzahl belastende Verwaltungsakte zum einzigen - weil ausschließlich daraus erklärbaren - Zweck, wissenschaftliche Erkenntnis zu gewinnen (möge diese nun Normsätze oder allenfalls auch für die Normerzeugung bedeutsame Tatsachen anderer Art betreffen), so mangelt ihm die als Prozessvoraussetzung unabdingbare Beschwer; er kann sich daher hier nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt erachten.
Die vorliegenden Anträge und Beschwerden dienen somit nicht der Erreichung eines Zweckes, dessen Schutz durch die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes von der Bundesverfassung gewährleistet ist.
Die Beschwerden und Anträge waren infolgedessen wegen des Mangels der Berechtigung zur Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG 1965 in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich in den unter den Zlen. 646 und 647/79 protokollierten Fällen die Erteilung eines Auftrages zur Mängelbehebung im Sinne des § 34 Abs. 2 VwGG 1965. Insbesondere hatte bei dieser Sach- und Rechtslage die keinem Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers dienende Erteilung eines Auftrages zur Behebung des im Fehlen der Unterschrift eines Rechtsanwaltes bestehenden Formmangels zu entfallen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 74/78, sowie vom , Z1. 3358/80, wobei auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen wird).
7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG 1965, im Zusammenhalt mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 542/1977.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Grundsätzliches zur Parteistellung vor dem VwGH Allgemein |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1980:1978002001.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
UAAAF-57048