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VwGH 28.05.1962, 1936/60

VwGH 28.05.1962, 1936/60

Entscheidungsart: ErkenntnisVS

Rechtssatz


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Normen
AVG §31;
AVG §9;
KO §77 Abs2;
RS 1
Der Aushändigung des Bescheides einer Verwaltungsbehörde an den Masseverwalter gemäß § 77 Abs 2 der Konkursordnung kommt nicht auch in jenen Fällen die Wirkung einer Zustellung an den Gemeinschuldner zu, in denen es sich um Angelegenheiten handelt, die die Masse nicht berühren.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsidenten Dr. Guggenbichler, in Gegenwart des Senatspräsidenten Dr. Borotha und der Hofräte Dr. Kaniak, Dr. Hrdlitzka, Dr. Krzizek, Dr. Lehne, Dr. Striebl, Dr. Härtel und Dr. Kadecka als Richter, im Beisein des Polizeikommissärs Dr. Primmer als Schriftführer, über die Beschwerde des RG in W gegen die Bauoberbehörde für Wien (Bescheid des Wiener Magistrates im selbständigen Wirkungsbereich vom , Zl. M.Abt. 64 - B - XVIII - 58/59), betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Bausache, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Bescheid des Wiener Magistrates, M.Abt. 37, Außenstelle für den XVIII. Bezirk vom war dem Beschwerdeführer als Eigentümer des Hauses Wien XVIII, G-gasse 10, gemäß § 129 Abs. 2 und 4 der Bauordnung für Wien der Auftrag erteilt worden, die abgetragenen Abfallrohre der rechten Abortgruppe neu herzustellen und die schadhafte Abortzwischendecke durch geeignete Maßnahmen instandzusetzen. Eine Abschrift dieses Bescheides war Rechtsanwalt Dr. Ewald Hauser, der den Zustellschein über die Ladung des Beschwerdeführers zu der vorausgegangenen Augenscheinsverhandlung unterfertigt und sich in seiner Eigenschaft als Masseverwalter für das im Konkurs verfangene Vermögen des Beschwerdeführers bei dieser Verhandlung hatte vertreten lassen, übermittelt worden. Rechtsanwalt Dr. Ewald Hauser hatte aber auch die für den Beschwerdeführer bestimmte, an diesen adressierte Ausfertigung des Bescheides in Empfang genommen und dies auf dem Rückschein mit Datum vom bestätigt. Die von ihm - gerechnet von diesem Tage rechtzeitig - ergriffene Berufung war mit Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom als unzulässig zurückgewiesen worden, weil der Masseverwalter Vertreter der Gläubigerinteressen und nicht des Gemeinschuldners sei, als solcher nur ein wirtschaftliches und kein rechtliches Interesse im Sinne des § 8 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 (AVG) an der gegenständlichen Verwaltungsangelegenheit, somit auch kein Berufungsrecht besitze.

Am langte bei der Baubehörde erster Instanz eine vom Beschwerdeführer am zur Post gegebene Berufung gegen den eingangs angeführten Bescheid ein. Der Beschwerdeführer führte darin aus: Der Bescheid vom sei ihm niemals zugestellt worden, der ihn vertretende Rechtsanwalt habe durch einen Zufall anläßlich einer am stattgefundenen Sitzung des Gläubigerausschusses von der Erlassung dieses Bescheides Kenntnis erhalten. Die Rechtsmittelfrist habe daher frühestens von diesem Tag an zu laufen begonnen. Die Berufung werde unpräjudizierlich des Standpunktes erhoben, daß an sich der Masseverwalter für die Berufung legitimiert gewesen sei und daher die Zurückweisung der Berufung des Masseverwalters durch die Baubehörde für Wien zu Unrecht erfolgt sei. Das übrige Berufungsvorbringen war der Bekämpfung des erstinstanzlichen Bescheides in sachlicher Hinsicht gewidmet. Die Bauoberbehörde für Wien wies zufolge des auf Grund ihres Beschlusses vom vom Wiener Magistrat am gleichen Tage ausgefertigten Bescheides die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG als verspätet eingebracht zurück. Sie begründete dies damit, daß der erstinstanzliche Bescheid zwar an den Beschwerdeführer adressiert gewesen, aber - da "inzwischen über dessen Vermögen im Jahre 1954" der Konkurs eröffnet worden sei - gemäß der Vorschrift des § 77 der Konkursordnung an den Masseverwalter zugestellt worden sei. Nach dieser Gesetzesstelle seien, solange das Gericht nicht eine gegenteilige Verfügung treffe, die Post- und Telegraphenämter verpflichtet, alle sonst dem Gemeinschuldner auszuhändigenden Sendungen dem Masseverwalter auszufolgen. Nun sei der erstinstanzliche Bescheid am vom Masseverwalter übernommen, die Berufung jedoch erst am , somit außerhalb der gemäß § 63 Abs. 5 AVG zweiwöchigen Berufungsfrist, eingebracht worden. Die Berufung habe daher als verspätet zurückgewiesen werden müssen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Über sie hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Der Beschwerdeführer meint, daß die belangte Behörde, wenn sie die Ansicht vertrete, daß der Masseverwalter in Bauangelegenheiten auch dann, wenn sie ein zur Konkursmasse gehöriges Haus betreffen, nicht zur Einbringung der Berufung legitimiert sei, dafür hätte Sorge treffen müssen, daß der allein Empfangsberechtigte in den Besitz des jeweiligen Bescheides komme. Die Zustellung an den Masseverwalter sei daher unzulässig gewesen, was einen Mangel im Sinne des § 31 AVG darstelle. Darin, daß dies die belangte Behörde nicht beachtet habe, erblickt der Beschwerdeführer einen Verfahrensmangel, bei dessen Vermeidung es nicht zur Zurückweisung der Berufung hätte kommen können. Es sei aber auch die Auslegung des § 77 der Konkursordnung durch die belangte Behörde unrichtig. Die Postsperre beziehe sich nur auf Schriftstücke, die das zum Konkurs gehörige Vermögen des Gemeinschuldners betreffen. Es wäre ohne weiteres möglich gewesen, "auf dem Kuvert hervorzustreichen, daß es sich um konkursfreies Vermögen handle". Der Beschwerdeführer weist in diesem Zusammenhange darauf hin, daß er ursprünglich nur eine Haushälfte besessen, die zweite Haushälfte erst später im Erbwege nach seinem verstorbenen Bruder erworben, der Masseverwalter aber die Erbschaft nicht angetreten habe. Bei dieser Haushälfte handle es sich demnach um konkursfreies Vermögen. Mit diesen Darlegungen begründet der Beschwerdeführer seine Behauptung, daß der angefochtene Bescheid auch seinem Inhalte nach rechtswidrig sei.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers nimmt auf die Bestimmung des § 77 Abs. 2 der Konkursordnung Bezug. Diese Gesetzesstelle lautet:

"Das Konkursgericht hat zugleich mit der Konkurseröffnung die Post- und Telegraphenämter sowie die Eisenbahn- und Schiffahrtsstationen, die nach der Lage der Wohnung und der Betriebsstätte des Gemeinschuldners in Betracht kommen, von der Konkurseröffnung zu benachrichtigen. Diese Ämter und Stationen sind verpflichtet, alle sonst dem Gemeinschuldner auszufolgenden Sendungen an den Masseverwalter auszuhändigen, solange das Gericht nicht eine gegenteilige Verfügung trifft. Der Masseverwalter hat dem Gemeinschuldner Einsicht in die an ihn einlangenden Mitteilungen zu gewähren und ihm die Sendungen auszufolgen, die die Masse nicht berühren."

Die belangte Behörde vertritt nach der Begründung des angefochtenen Bescheides offensichtlich die Meinung, daß mit der durch ein Organ der Post erfolgten Aushändigung eines für den Gemeinschuldner bestimmten behördlichen Schriftstückes an den Masseverwalter alle Rechtsfolgen einer ordnungsgemäßen Zustellung für den Gemeinschuldner eintreten, wobei es auf den Inhalt des Schriftstückes nicht ankommen könne. Wäre diese Ansicht richtig, dann könnte die Zurückweisung der vom Beschwerdeführer eingebrachten Berufung, da dieser die Feststellung über den Zeitpunkt der Aushändigung des erstinstanzlichen Bescheides an den Masseverwalter nicht bekämpft, schon aus diesem Grunde nicht rechtswidrig sein, sodaß es einer Auseinandersetzung mit dem dem Nachweis einer verfahrensrechtlich unrichtigen Vorgangsweise der belangten Behörde gewidmeten Beschwerdevorbringen nicht bedürfte. Der Beschwerdeführer hält aber auch die der Bestimmung des § 77 Abs. 2 der Konkursordnung von der belangten Behörde zuteil gewordene Auslegung für rechtsirrig, weil sich die Postsperre nur auf Schriftstücke beziehen könne, die das zum Konkurs gehörige Vermögen des Gemeinschuldners betreffen. Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich daher zunächst mit diesem Vorbringen zu befassen, d.h. folgende Frage zu beantworten: "Kommt der Aushändigung des Bescheides einer Verwaltungsbehörde an den Masseverwalter gemäß § 77 Abs. 2 der Konkursordnung auch in jenen Fällen die Wirkung einer Zustellung an den Gemeinschuldner zu, in denen es sich um Angelegenheiten handelt, die die Masse nicht berühren?" Wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Rechtsfrage wurde auf Antrag des Vorsitzenden des nach der Geschäftseinteilung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beschlußfassung über die Beschwerde erkennenden Senates II dieser gemäß § 11 Abs. 4 Z. 2 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes, Fassung nach BGBl. Nr. 96/1952 (VwGG), durch vier weitere Mitglieder verstärkt. Der verstärkte Senat gelangte zu der Erkenntnis, daß die ihm vorgelegte Frage zu verneinen sei, wobei im wesentlichen folgende Erwägungen maßgebend waren:

Die Bestimmung des § 77 befindet sich in dem das Verfahren bei der Konkurseröffnung regelnden Abschnitt der Konkursordnung und trägt die Überschrift "Sicherungsmaßnahmen und Benachrichtigung von der Konkurseröffnung". Im Abs. 1 dieser Gesetzessteile wird das Konkursgericht angewiesen, alle zur Sicherung der Masse dienlichen Maßnahmen zu treffen; in Abs. 2 werden als solche Sicherungsmaßnahmen angeordnet: a) die Verständigung der dort angeführten Ämter und Anstalten von der Konkurseröffnung und b) die Verpflichtung dieser Stellen, alle sonst dem Gemeinschuldner auszufolgenden Sendungen dem Masseverwalter auszuhändigen. Unter dem Gesichtspunkt, daß es sich hier um der Sicherung der Masse dienliche Anordnungen handelt, ist es nur konsequent, wenn weiters verfügt wird, daß der Masseverwalter alle Sendungen, die die Masse nicht berühren, dem Gemeinschuldner auszufolgen hat. Auch in dem Kommentar zur Konkursordnung von Robert Bartsch und Rudolf Pollak, Wien und Leipzig 1937 (S. 371 ff) wird in den Erläuterungen, zu § 77 Abs. 2 der Konkursordnung von Sicherungsmaßnahmen, und zwar von Sperren (was die Anweisung an die Postämter anlangt, von einer Postsperre) gesprochen. (Eine dem § 77 Abs. 2 der österreichischen Konkursordnung ähnliche Bestimmung enthält § 121 der deutschen Konkursordnung. Auch dort ist von Sicherungsmaßnahmen, insbesondere von einer Postsperre die Rede (vgl. hiezu Jaeger, Konkursordnung, Berlin 1958, Band II, Anm. 5 zu § 121.) Aus diesen Bestimmungen kann nun weder nach ihrem Wortlaut noch auch bei Bedachtnahme auf den mit ihnen verfolgten Zweck zwingend geschlossen werden, daß der Masseverwalter als Zustellungsbevollmächtigter für alle für den Gemeinschuldner bestimmten durch die Post beförderten Schriftstücke zu gelten habe.

Der Verwaltungsgerichtshof ist auch nicht der Meinung, daß sich eine solche Schlußfolgerung aus der Rechtstellung des Masseverwalters ergebe. Nach der Rechtslehre (vgl. hiezu den bereits erwähnten Kommentar zur österreichischen Konkursordnung S. 400 ff) kommt dem Masseverwalter eine dreifache Rechtstellung zu: Er ist 1. ein Rechtspflegeorgan (a.a. O. Anm. 3) und versieht einen Teil der ihm zukommenden Amtshandlungen nur kraft seiner Amtsbefugnis (a.a. O. Anm. 6 - so, wenn er z.B. gemäß § 100 Abs. 4 der Konkursordnung die Ablegung des Offenbarungseides durch die Gemeinschuldner veranlaßt), 2. gesetzlicher Vertreter des Gemeinschuldners (a.a. O. Anm. 7 - so z.B., wenn er den Gewerbebetrieb des Gemeinschuldners weiterführt) und 3. auch Treuhänder im Interesse der Konkursgläubiger (Anm. 8 - bei der Durchsetzung von Anfechtungsansprüchen durch ihn). Was aber die zu Pkt. 2 genannte Eigenschaft betrifft, so kann diese nicht weiter reichen als dem Gemeinschuldner die Verfügungsgewalt durch die Konkurseröffnung entzogen ist. Dies ist jedoch gemäß § 3 Abs. 1 der Konkursordnung nur hinsichtlich der Rechtshandlungen, die die Konkursmasse betreffen, der Fall. (Auch im Bereich der deutschen Konkursordnung ist die Rechtslage in diesem Punkte keine andere:

Nach der herrschenden Lehre gilt dort der Konkursverwalter als der gesetzliche Vertreter des Gemeinschuldners mit Beschränkung auf die Konkursmasse (vgl. den gleichfalls bereits erwähnten Kommentar zur deutschen Konkursordnung, Band I, Vorbemerkungen zu den §§ 6 bis 9, IV/)). Aus all dem folgt, daß der Masseverwalter zwar insoweit, als er als gesetzlicher Vertreter des Gemeinschuldners gilt (nämlich mit Beschränkung auf die Angelegenheiten, die die Konkursmasse betreffen), auch Zustellungsbevollmächtigter des Gemeinschuldners ist, daß aus seiner Rechtstellung als Masseverwalter sich aber keine weitergehenden Befugnisse im Vertretungsverhältnis zum Gemeinschuldner ableiten lassen.

Die Ansicht, daß der Masseverwalter im Sinne des § 77 Abs. 2 der Konkursordnung als Zustellungsbevollmächtigter zu gelten habe, läßt sich auch nicht mit dem Begriffe des Zustellungsbevollmächtigten vereinbaren. Nach der im § 26 Abs. 1 AVG enthaltenen Definition ist als Zustellungsbevollmächtigter eine solche Person anzusehen, die zum Empfange der für einen Beteiligten (an einem behördlichen Verfahren) bestimmten Schriftstück ermächtigt ist. Demnach kann der Fall eines Zustellungsbevollmächtigten im Sinne des § 26 AVG nur dann gegeben sein, wenn ein solcher Zustellungsbevollmächtigter schon vor der Ingangsetzung der Zustellung vorhanden und der Behörde bekannt ist. Der Begriff des Zustellungsbevollmächtigten ist somit nur im Verhältnis zwischen einer Behörde und einer bestimmten Partei denkbar. Daraus folgt weiters, daß nur eine solche Person als Zustellungsbevollmächtigter gelten kann, von der die Behörde weiß, daß sie zur Empfangnahme der in dem betreffenden Falle von der Behörde ausgehenden Schriftstücke ermächtigt ist, oder von der sie es kraft gesetzlicher Anordnung wissen konnte. In diesem Sinne finden sich die Spielformen des gesetzlichen Zustellungsbevollmächtigten in verschiedenen Gesetzen: So gemäß § 93 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) der Prokurist bei Handelsgewerben, gemäß § 98 ZPO die Hauptpartei für Nebenintervenienten, gemäß § 4 Abs. 2 des Zustellgesetzes in Abgabesachen (BGBl. Nr. 59/1949) die mit der Verwaltung eines Sachgutes betraute Person, wenn eine Abgabe mit diesem Sachgut im unmitelbaren Zusammenhang steht, gemäß § 26 Abs. 2 AVG bei einem gemeinsamen Anbringen derjenige, dessen Unterschrift an erster Stelle steht usw. Das Wort Zustellungsbevollmächtigter wird jedoch dort nicht verwendet, wo es sich darum handelt, daß eine bestimmte Person zu einem bestimmten (im öffentlichen Interesse gelegenen) Zwecke die Möglichkeit erhalten soll, in Schriftstücke, die an einen anderen gerichtet sind, Einsicht zu nehmen und zu diesem Behufe auch berechtigt sein muß, solche Schriftstücke in Empfang zu nehmen. Der Grund dafür, daß in solchen Fällen die Verpflichtung besteht, Postsendungen an eine andere Person als an den Empfänger auszufolgen, liegt eben nicht in einem - wenn auch nur gesetzlich supplierten - Vollmachtsverhältnis, sondern in einem vom Gesetze meist gebotenen, zumindest aber erlaubten Überwachungsverhältnis, bei dem der Überwachte und der Überwachende zu einander in einem natürlichen Gegensatz stehen. Solche Regelungen finden sich außer in der Konkursordnung in der Ausgleichsordnung (nach den §§ 3 und 8 dieses Gesetzes kann das Ausgleichsgericht die Ausfolgung von Postsendungen an den Ausgleichsverwalter anordnen), in der Strafprozeßordnung (§ 146 verpflichtet die Post- und Telegraphenämter, Briefe und andere Sendungen, die an den Beschuldigten gerichtet sind, dem Untersuchungsrichter auszuliefern, wenn er dies verlangt) u.a.m.

Ein weiterer Gesichtspunkt, der gegen die von der belangten Behörde vertretene Ansicht spricht, ist der Umstand, daß sich eine aus der Vorschrift des § 77 Abs. 2 der Konkursordnung abgeleitete Stellung des Masseverwalters als gesetzlichen Zustellungsbevollmächtigten hinsichtlich Postsendungen jedweder Art mit dem Gebote der Zustellung von verfahrensrechtlich wichtigen behördlichen Schriftstücken im amtswegigen Verfahren - vor allem Strafverfahren - zu eigenen Handen kaum vereinbaren läßt. Es sei hier nur an die Ladung der Hauptverhandlung gemäß § 79 der Strafprozeßordnung (StPO) die Ladung des Beschuldigten gemäß den §§ 40 Abs. 2 und 41 Abs. 3 des Verwaltungsstrafgesetzes 1950 (VStG), die Aufforderung zur Rechtfertigung als Beschuldigten gemäß § 40 Abs. 1 § 42 Abs. 1 VStG, sowie die Strafverfügung gemäß den §§ 47 und 48 Abs. 2 dieses Gesetzes gedacht. Alle diese zum Schutze der Parteienrechte angeordneten strengen verfahrensrechtlichen Bestimmungen wären, soweit Gemeinschuldner in Betracht kommen, hinfällig, wenn mit der Ausfolgung solcher Schriftstücke an den Masseverwalter die an sie geknüpften Rechtsfolgen eintreten könnten. Dies würde eine durch nichts gerechtfertigte Schlechterstellung von in einem Konkursverfahren verfangenen Personen gegenüber den sonstigen Prozeßparteien bedeuten. Eine weitere - sachlich nicht gerechtfertigte - Ungleichheit ergäbe sich auch daraus, daß die Zustellung von behördlichen Schriftstücken an den Gemeinschuldner ein verschiedenes Schicksal haben kann, je nach dem, ob die Zustellung mittels der Post oder mittels anderer Zustellorgane vollzogen wird. Es verträgt sich mit dem Begriffe des Zustellungsbevollmächtigten nicht, daß diese Vollmacht zwar nicht dem Gegenstande nach, wohl aber nach der Art des Zustellungsvorganges beschränkt sein soll, kann doch der Sinn der Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten nur darin gelegen sein, daß ihm alle im Zusammenhange mit einem bestimmten Gegenstand ergehenden behördlichen Schriftstücke zugeleitet werden sollen.

Die von der belangten Behörde vertretene Auffassung erweckt aber auch bei Bedachtnahme auf die Einheit der Rechtsordnung und die daraus sich ergebende Forderung einer möglichsten Geschlossenheit der einzelnen Rechtsinstitute Bedenken. Man kann hier ja nach dem inneren wesensmäßigen Zusammenhange von einzelnen Rechtskreisen sprechen. Der eine der hier in Frage kommenden Rechtskreise ist dadurch gekennzeichnet, daß er die zum Schutze verschiedener Rechtsgüter in den einzelnen Prozeßverfahren angeordneten Sicherungsmaßnahmen als wegen ihres inneren Zusammenhanges gleich bzw. ähnlich geartete Rechtsinstitute zum Inhalte hat; der andere umfaßt die einen wesentlichen Bestandteil jedes prozessualen Verfahrens bildenden Zustellvorgänge (ist doch jedes Verfahren erst durch die Zustellung der jeweiligen Enderledigung abgeschlossen). Die Auffassung, daß eine offenkundig nur als Sicherungsmaßnahme gedachte gesetzliche Anordnung von folgenschwerer Bedeutung auf dem Gebiete des Zustellwesens sein soll, läßt sich in dieses Bild schlecht einfügen. Insbesondere ist auch darauf zu verweisen, daß bei einer Zustellvorschrift, die ja immer mit dem Blickpunkt auf das Gericht oder die Behörde, deren Zustellungsmöglichkeiten geregelt werden sollen, erlassen wird, das Bedürfnis der Regelung in der Schaffung von klaren und übersichtlichen Verhältnissen zu erblicken ist. Diesem Bedürfnis wird aber die Vorschrift des § 77 Abs. 2 der Konkursordnung nicht gerecht.

Schließlich bleibt noch zu sagen, daß eine Auslegung der genannten Bestimmung im Sinne der von der belangten Behörde vertretenen Auffassung auch vom Standpunkte des Rechtsschutzes nicht befriedigend ist. § 81 Abs. 3 der Konkursordnung bestimmt wohl, daß der Masseverwalter allen Beteiligten für Vermögensnachteile, die er ihnen durch pflichtwidrige Führung seines Amtes verursacht, verantwortlich ist. Nun liegt es auf der Hand, daß diese Bestimmung nicht vor Nachteilen zu bewahren vermag, die durch eine verspätete Ausfolgung von behördlichen Schriftstücken, welche nicht die Masse berühren, an den Gemeinschuldner, insbesondere in Angelegenheiten, die höchstpersönliche Rechte betreffen, entstehen können.

Es zeigt sich somit, daß sich die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung von einer unrichtigen Rechtsauffassung hat leiten lassen, was den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Was endlich die Frage anlangt, wie die belangte Behörde richtig hätte vorgehen müssen, so ist noch folgendes zu sagen:

Die belangte Behörde vertritt, wie ihrem Bescheide vom , mit dem die vom Masseverwalter gegen den erstinstanzlichen Bescheid ergriffene Berufung zurückgewiesen worden ist, entnommen werden kann, die Auffassung, daß es sich bei einem baupolizeilichen Auftrag auch dann, wenn das Haus, auf das er sich bezieht, zu dem konkursverfangenen Vermögen gehört, um eine Angelegenheit handle, die den Masseverwalter nichts angehe, weil dieser Vertreter der Gläubigerinteressen und nicht des Gemeinschuldners sei. Daß diese Auffassung verfehlt ist, der Masseverwalter als gesetzlicher Vertreter des Gemeinschuldners mit Beschränkung auf die Konkursmasse gilt‚ wurde bereits dargelegt. Das bedeutet freilich nicht, daß die belangte Behörde dem Beschwerdeführer das Recht, gegen den erstinstanzlichen Bescheid Berufung zu erheben, von vornherein hätte absprechen dürfen. Sie hätte vielmehr, wenn sie im Sinne der obigen Darlegungen richtig vorgegangen wäre, prüfen müssen, ob es sich bei der Liegenschaft, auf die sich der baupolizeiliche Auftrag bezog, auch tatsächlich zur Gänze um konkursverfangenes Vermögen handelte. In diesem Zusammenhange gewinnt das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beschwerde Bedeutung, wonach eine Liegenschaftshälfte nicht in die Konkursmasse fallen soll. Daß der Beschwerdeführer auf diesen Umstand nicht bereits mit der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid hingewiesen hatte, kann ihm nicht zum prozessualen Nachteil gereichen, weil er angesichts der von der belangten Behörde in der Frage der Vertretungsbefugnis des Masseverwalters geäußerten Rechtsansicht nicht verpflichtet sein konnte, zur Wahrung seiner Rechte auf Tatsachen hinzuweisen, die im Zusammenhang mit der Auslegung der Bestimmung des § 77 Abs. 2 der Konkursordnung eine Rolle spielen können. Dafür spricht weiters der Umstand, daß der Beschwerdeführer im Hinblick darauf, daß der erstinstanzliche Bescheid dem Masseverwalter lediglich zur Kenntnis übersandt wurde, der Meinung sein durfte, eine rechtsgültige Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides werde von der belangten Behörde erst im Zeitpunkte der Aushändigung dieses Bescheides an ihn anerkannt. Es wäre im Sinne der von ihr selbst vertretenen Ansicht gelegen gewesen - und trifft auch ganz allgemein hinsichtlich behördlicher Schriftstücke, die die Masse nicht berühren, zu -, daß die Baubehörde erster Instanz, als sie aus der Unterfertigung des Rückscheines durchs den Masseverwalter erkennen konnte, daß der Bescheid von dem postamtlichen Zustellorgan zufolge der gemäß § 77 Abs. 2 der Konkursordnung verfügten Postsperre dem Beschwerdeführer nicht ausgehändigt worden war, dessen Zustellung durch ein eigenes Zustellorgan neuerlich bewerkstelligen hätte lassen. Da dies nicht geschehen ist, lag nach dem Vorgesagten ein Zustellmangel vor. In einem solchen Fall greift aber die Vorschrift des § 31 AVG Platz, wonach im Fall eines Zustellmangels die Zustellung in dem Zeitpunkt als vollzogen gilt, in dem das Schriftstück der Person, für die es bestimmt ist, zugekommen ist. Das wäre frühestens der Zeitpunkt, in dem der Beschwerdeführer von der Erlassung und dem Inhalte des erstinstanzlichen Bescheides Kenntnis erlangt hat. Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid sei dies nicht vor dem geschehen. Von diesem Zeitpunkt an gerechnet wäre aber die am zur Post gegebene Berufung als rechtzeitig eingebracht anzusehen.

Da die aufgezeigten Verfahrensfehler - wie bereits oben dargetan wurde - auf eine unrichtige Rechtsansicht der belangten Behörde zurückzuführen sind, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

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Normen
AVG §31;
AVG §9;
KO §77 Abs2;
Sammlungsnummer
VwSlg 5814 A/1962
Schlagworte
Masseverwalter
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1962:1960001936.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
NAAAF-56369