VwGH 23.05.1956, 1848/53
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Norm | AVG §72 Abs1; |
RS 1 | Die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewirkt, daß jeder Bescheid, der in der gleichen Angelegenheit in der Zwischenzeit ergangen ist und rechtlich nur bei Annahme der Rechtskraft des mit der nachträglich eingebrachten Berufung bekämpften Bescheides als zulässig angesehen werden könne, von Gesetzes wegen außer Kraft tritt, ohne daß es einer ausdrücklichen Aufhebung bedarf. |
Norm | AVG §72 Abs1; |
RS 2 | Wird die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht erteilt, so sind die sich daran anknüpfenden Rechtsfolgen nicht anders zu beurteilen, als ob die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Rechtslage im Einklang gestanden wäre. |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
1849/53
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Beschwerde der JS in V, soweit sie sich gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom , Zl. 6 § 75/52, betreffend die Verpflichtung zur Weiterverwendung eines Lehrlings, richtet, zurückzuweisen, soweit sie sich gegen den Bescheid der gleichen Behörde vom , Zl. 6 S 75/52, sowie gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom , Zl. Ge - 1015/3/53, betreffend dieselbe Angelegenheit, richtet, als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren hierüber einzustellen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, welche in V, das Damenkleidermachergewerbe betreibt, hatte am die Innung der Kleidermacher in der Sektion Gewerbe der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Kärnten unter Hinweis auf die Bestimmung des § 105 a Abs. 3 Gewerbeordnung ersucht, ihr die Verpflichtung, das bei ihr beschäftigte Lehrmädchen RM, dessen Lehrzeit am geendet hatte, gemäß der Bestimmung des § 105 a Abs. 1 Gewerbeordnung weitere drei Monate zu beschäftigen, zu erlassen. Da sich die Innung der Kleidermacher nicht in der Lage gesehen hatte, innerhalb der gesetzlichen Frist von acht Tagen eine Entscheidung zu treffen, hatte sie das Ansuchen der Beschwerdeführerin der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt zur Entscheidung abgetreten. Diese gab nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit Bescheid vom dem Ansuchen der Beschwerdeführerin Folge und erließ ihr die Verpflichtung zur Weiterbehaltung des Lehrlings. Dieser Bescheid, der die Rechtsmittelbelehrung enthielt, dass ein Rechtsmittel zulässig sei, wurde auch RM zugestellt. Diese ergriff dagegen Berufung. Der Landeshauptmann von Kärnten wies mit Bescheid vom die Berufung unter Hinweis auf § 105 a Abs. 4 Gewerbeordnung als unzulässig zurück, erklärte jedoch gleichzeitig den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom gemäß § 146 Abs. 4 Gewerbeordnung im Zusammenhalt mit § 68 Abs. 3 (richtig Abs. 4) lit. d AVG für nichtig, weil die Kammer für Arbeiter und Angestellte nicht gehört worden sei, und verwies die Angelegenheit zur Behebung dieses Mangels und Erlassung eines neuen Bescheides an die Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt zurück. Diese holte eine Stellungnahme der Kammer für Arbeiter und Angestellte ein, ergänze das Ermittlungsverfahren und erließ am einen Bescheid, mit dem sie dem Ansuchen der Beschwerdeführerin keine Folge gab. Am stellte die Beschwerdeführerin unter Berufung auf die Bestimmung des § 71 Abs. 1 lit. b AVG beim Landeshauptmann von Kärnten den Antrag, ihr die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Einbringung einer Berufung gegen seinen Bescheid vom zu bewilligen und holte gleichzeitig die versäumte Handlung (die Berufung) nach. Sie begründete den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand damit, dass in der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom ein weiteres Rechtsmittel nicht als zulässig erklärt worden, dies aber unrichtig sei, weil es sich bei der Nichtigerklärung um einen verfahrensrechtlichen Bescheid handle, hinsichtlich eines solchen Bescheides aber der Instanzenzug nicht beschränkt sei. Der Landeshauptmann von Kärnten gab mit Bescheid vom dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im wesentlichen mit der Begründung keine Folge, dass sich der Instanzenzug auch bei verfahrensrechtlichen Bescheiden nach der Verwaltungsvorschrift richte, die Entscheidung der Gewerbebehörde nach § 105 a Abs. 4 Gewerbeordnung in Angelegenheiten der Behaltepflicht von Lehrlingen endgültig sei und daher auch gegen die von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde verfügte Nichtigerklärung kein weiterer Rechtszug stattfinde. Auch dagegen ergriff die Beschwerdeführerin Berufung. Das Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau gab mit Bescheid vom der Berufung Folge, bewilligte unter Aufhebung des Bescheides vom die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und behob auf Grund der mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundenen Berufung auch den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom , soweit mit diesem der Bescheid vom als nichtig erklärt worden war. Das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau schloss sich in der Frage des Instanzenzuges der von der Beschwerdeführerin vertretenen Rechtsmeinung an und erklärte die Nichtigerklärung des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom deswegen für rechtswidrig, weil es sich bei der in § 105 a Abs. 4 Gewerbeordnung (der Kammer für Arbeiter und Angestellte) bloß um eine formalrechtliche Voraussetzung für die Entscheidung der Gewerbebehörde handle, deren Mangel jedoch nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes vom , Slg. N.F. Nr. 2622/A, zur Nichtigerklärung des Bescheides nicht herangezogen werden könne. Im übrigen liege der behauptete Mangel gar nicht vor, denn auf dem dem Verfahren zu Grunde liegenden Ansuchen der Beschwerdeführerin befinde sich ein handschriftlicher Vermerk, der erkennen lasse, dass die Arbeiterkammer gehört worden sei.
Mit der vorliegenden Beschwerde werden der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom , der Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom und der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom angefochten. Im Hinblick auf die oben geschilderten verfahrensrechtlichen Vorgänge war vorerst zu untersuchen, in welchem Umfang überhaupt eine zulässige bzw. noch aufrechte Beschwerdeführung gegeben ist.
Die Beschwerde ist am zur Post gegeben worden, somit als mit diesem Tage eingebracht anzusehen. In diesem Zeitpunkt war der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom zufolge der mit dem Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom erfolgten Nichtigerklärung aus dem Rechtsbestande beseitigt. Nun war aber mit dem Bescheid des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau vom - wenn auch, wie noch darzulegen sein wird, fälschlich - die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der (vermeintlichen) Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom bewilligt worden. Dieser Vorgang hatte gemäß 3 72 Abs. 1 AVG zur Folge, dass das Verfahren in die Lage zurückgetreten war, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hatte, d. h. es stand der Ergreifung der Berufung gegen den Bescheid des Landeshauptmannes vom der Umstand nicht entgegen, dass die gemäß § 63 Abs. 5 AVG zweiwöchige Berufungsfrist verstrichen war. Das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau hatte die mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Berufung als zulässig erachtet und auf Grund dieser Berufung den Bescheid des Landeshauptmannes vom behoben. Da dieser zu Gunsten der Beschwerdeführerin ergangene Bescheid vom Verwaltungsgerichtshof ungeachtet der Frage, ob er, objektiv betrachtet, als rechtmäßig anzusehen ist oder nicht, hinsichtlich seiner Rechtswirkung nach seinem Inhalt zu beurteilen ist, muss davon ausgegangen werden, dass mit dem Bescheid des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau vom ein dem Rechtszug unterliegender Bescheid im Rechtsmittelweg behoben worden ist. Dies bedeutet, dass die verfahrensrechtliche Situation so zu beurteilen ist, als ob der Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom überhaupt keine Rechtswirkung gezeitigt hätte, der rechtliche Bestand des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom durch ihn gar nicht berührt worden wäre, er also auch nicht etwa als ursprünglich aus dem Rechtsbestand beseitigt und erst als mit der Behebung des Nichtigerklärungsbescheides vom wieder existent geworden, sondern als unverändert fortbestehend und, da gemäß § 105 a Abs. 4 Gewerbeordnung gegen einen solchen Bescheid kein Rechtsmittel zulässig ist, mit seiner am erfolgten Zustellung in Rechtskraft erwachsen anzusehen ist. Gleichwohl war, was die Zulässigkeit der Beschwerde gegen diesen Bescheid anlangt, davon auszugehen, dass er im Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde durch den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom aus dem Rechtsbestand beseitigt war, weswegen die Beschwerde in diesem Punkt, da sie sich gegen einen nicht vorhandenen Bescheid richtete, wegen offenbarer Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG 1952 zurückgewiesen werden musste. Im übrigen ist hiezu noch folgendes zu bemerken: Die Beschwerdeführerin hat diesen Bescheid, der sie ja nach ihrem Spruch in keinem Recht verletzen konnte, weil er ihrem Begehren Rechnung getragen hatte, nur wegen der ihm beigefügten Rechtsmittelbelehrung bekämpft. Eine falsche Rechtsmittelbelehrung begründet jedoch nicht die Möglichkeit, den diesbezüglichen Bescheid vor dem Verwaltungsgerichtshof anzufechten (vgl. auch den hg. Beschluss vom , Slg. Nr. 164/A), weil es sich hiebei um keinen der Rechtskraft fähigen Abspruch handelt.
Soweit sich die Beschwerde gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom richtet, ist die Beschwerdelegitimation gegeben. Nach der diesem Bescheid beigegebenen Rechtsmittelbelehrung war eine weitere Berufung nicht als zulässig erachtet worden. Diese Rechtsmittelbelehrung fußt, wie sich insbesondere aus der Begründung des Bescheides des Landeshauptmannes von Kärnten vom (mit dem dem Wiedereinsetzungsantrag keine Folge gegeben war) ergibt, auf der Rechtsanschauung, dass sich auch in jenen Fällen, in denen ein Bescheid seine formelle gesetzliche Grundlage in einer Vorschrift des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes findet, der Rechtszug ausschließlich nach den Vorschriften richtet, aus denen der Bescheid seinen materiell-rechtlichen Gehalt schöpft. Diese Rechtsanschauung wird auch in Ansehung des § 68 AVG vom Verwaltungsgerichtshof geteilt (vgl. die Erkenntnisse vom , Slg. Nr. 73/A, und vom , Slg. nr. 1014/A). Da gemäß § 105 a Abs. 4 Gewerbeordnung in Angelegenheiten der Behaltepflicht der Lehrlinge die Gewerbebehörde erster Instanz endgültig entscheidet, war somit auch der Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom im Instanzenzug nicht anfechtbar. Diese Betrachtungsweise war auch in Ansehung der Beschwerdelegitimation unbeschadet des diesem Bescheid infolge der späteren verfahrensrechtlichen Verfügung widerfahrenen Schicksales geboten. Nun hatte aber das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau die mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Berufung der sachlichen Erledigung angenommen und mit seinem Bescheid vom den vorgenannten Bescheid behoben. Damit ist die Beschwerdeführerin formell klaglos gestellt worden, was gemäß § 33 Abs. 1 VwGG 1952 die Gegenstandsloserklärung der Beschwerde und die Einstellung des Verfahrens zur Folge haben musste.
Was schließlich die Beschwerde gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom anlangt, hinsichtlich dessen die Beschwerdeberechtigung zweifellos gegeben ist, hat der Verwaltungsgerichtshof folgendes erwogen:
Dieser Bescheid ist in einem Zeitpunkt erlassen worden, in dem zwar der Bescheid vom mit dem Bescheid vom für nichtig erklärt, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand jedoch nicht bewilligt worden war. Es war daher zu prüfen, ob der Bescheid vom nicht gemäß der Bestimmungen des § 72 Abs. 1 AVG, wonach das Verfahren in die Lage zurücktritt, in der es sich vor der Versäumung der Frist befunden hatte, gegenstandslos geworden war (vgl. hiezu Mannlicher, Das Verwaltungsverfahren, 6. Auflage, S. 260 Anm. 3 und Hellbling, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen, Band I S. 478).
Es ist schon gesagt worden, dass die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Unrecht erfolgte. Gleichwohl sind die sich daran anknüpfenden Rechtsfolgen nicht anders zu beurteilen, als ob die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Rechtslage im Einklang gestanden wäre. Da aber diese gemäß § 72 Abs. 1 AVG bewirkt, dass jeder Bescheid, der in der gleichen Angelegenheit in der Zwischenzweit ergangen ist und rechtlich nur bei Annahme der Rechtskraft des mit der nachträglich eingebrachten Berufung bekämpften Bescheides als zulässig angesehen werden könnte, von Gesetzes wegen außer Kraft tritt, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung bedarf, ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass auch der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom im Zeitpunkte der Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als Wirkung derselben nicht mehr dem Rechtsbestand angehört hat. Demgemäß ist die Beschwerdeführerin auch hinsichtlich dieses Bescheides durch den Bescheid des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau vom und die sich daran anknüpfende Rechtsfolge des § 72 Abs. 1 AVG als klaglos gestellt zu erachten. Die Beschwerde war womit auch in diesem Punkte als gegenstandlos geworden zu erklären und es war das Verfahren hierüber einzustellen.
Musste auch nach dem Vorgesagten infolge des Einschreitens des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau und der daran geknüpften Rechtsfolgen die Beschwerdeführung ins Leere gehen, so steht fest, dass der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom , mit dem der Beschwerdeführerin die Weiterbehaltung des Lehrlings RM gemäß § 105 a Abs. 1 Gewerbeordnung erlassen worden war, zu Recht besteht und gleichwie die mit dem Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom erfolgte Zurückweisung der von RM dagegen ergriffenen Berufung in Rechtskraft erwachsen und unanfechtbar geworden ist.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Norm | AVG §72 Abs1; |
Sammlungsnummer | VwSlg 4070 A/1956 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1956:1953001848.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
YAAAF-56079