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VwGH 08.06.1970, 1841/69

VwGH 08.06.1970, 1841/69

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Norm
BauO NÖ 1883 §5 Abs1
RS 1
Die Bauordnung für Niederösterreich ermöglicht eine Ausnahme von einem bestehenden Flächenwidmungs- und Bebauungsplan (Bausatzung) nur in der Form, dass diese durch einen auf gleicher Rechtsstufe stehenden Verwaltungsakt und zwar einer Verordnung herbeigeführt wird. Die Gewährung einer solchen Ausnahme im Wege eines Individualaktes - mag dieses auch vom Gemeinderat gesetzt werden - ist der BO f NÖ fremd. Auch kann das Inkrafttreten einer derartigen Verordnung nicht von der Erfüllung einer Bedingung abhängig gemacht werden.
Norm
BauO NÖ 1883 §24 Abs5
RS 2
Werden im Laufe des Berufungsverfahrens die Rechtsgrundlagen für eine Baubewilligung, nämlich die Bebauungsgrundlagen geändert, so muss den Parteien zufolge § 24 Abs 5 d BO f NÖ Gelegenheit gegeben werden, in einer neuen Bauverhandlung der geänderten Rechtslage entsprechende Einwendungen vorzubringen, da ja die Bauverhandlung dem Zwecke dient, das Bauprojekt bezüglich seiner Übereinstimmung mit der Rechtslage zu prüfen.
Normen
RS 3
Auch dem Eigentümer einer Liegenschaft, die durch eine öffentliche Verkehrsfläche vom Baugrundstück getrennt ist, kommt die Stellung eines Nachbarn zu (Hinweis E , 3188/53, VwSlg 3458 A/1954).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Borotha und die Hofräte Dr. Lehne, Dr. Leibrecht, Dr. Hrdlicka und Dr. Straßmann als Richter, im Beisein des Schriftführers Ministerialkommissär Dr. Bily, über die Beschwerde der A AG in M, verteten durch Dr. Gerhard Engin-Deniz, Rechtsanwalt in Wien VII, Mariahilferstraße 4, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. I/6-1143/3-1969 (Mitbeteiligte: 1) Stadtgemeinde B, vertreten durch den Bürgermeister, 2) W-Verband, vertreten durch Dr. Gerhard Herrmann, Rechtsanwalt in Wien I, Wipplingerstraße 12/7 a), betreffend Abweisung von Anrainereinwendungen gegen eine Baubewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 1.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der W-Verband, der Mitbeteiligte des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, beantragte am beim Bürgermeister der Stadtgemeinde B die Erteilung einer Baubewilligung für die Errichtung einer Wohnhausanlage in B, M-straße 50, auf der Liegenschaft Gst. Nr. 612/2, EZ. 48 der Katastralgemeinde X. (Der Mitbeteiligte war zu diesem Zeitpunkt noch nicht als Eigentümer der Liegenschaft im Grundbuch eingetragen. Das Verfügungsrecht über den Baugrund wurde von dem damals aus dem Grundbuch hervorgehenden Eigentümer auf den Einreichungsplänen bescheinigt.)

Diese Liegenschaft, die dazu noch die mit Einzelobjekten bestandenen Grundflächen Nr. 72, 211, 284 und 285 aufwies, wird im Süden von der M-straße und im Norden von der S-gasse begrenzt. Im Norden, nur durch die öffentliche Verkehrsfläche der S-gasse getrennt, befindet sich die Liegenschaft der Beschwerdeführerin EZ. 1123 Katastralgemeinde X, Gst. Nr. 661/8 mit Haus (Mstraße 29). Nachdem der Mitbeteiligte als Bauwerber einige Male Projektsänderungen vorgenommen hatte, da das Bauvorhaben in seiner ursprünglichen Form von der Baubehörde wegen Widerspruches mit den für dieses Gebiet der Stadt B geltenden Flächenwidmungs- und Bebauungsbestimmungen als nicht genehmigungsfähig bezeichnet worden war, legte er am einen neuen Entwurf vor, der vorsah, etwa in der Grundstücksmitte einen von Norden nach Süden situierten 75 m langen und 17 m breiten Baukörper zu errichten, der zur M-straße eine Höhe von ca. 15,5 m mit fünf Geschossen und zur S-gasse eine Höhe von 9,5 m mit drei Geschossen aufweisen sollte. Die Verbauungsdichte für diesen Baukörper sollte ca. 17,5 % der gesamten zur Verfügung stehenden Grundfläche betragen. Das Stadtbauamt B stellte in einem Bericht vom hiezu fest, daß auch dieses Projekt den geltenden Verbauungsvorschriften widerspreche, da in der M-straße Bauklasse II mit einer maximalen Hauptgesimshöhe von 11 m und in der S-gasse Bauklasse I mit einer maximalen Hauptgesimshöhe von 7,5 m einzuhalten sei. Die Verbauungsdichte sei in diesem Gebiet mit 20 % festgesetzt. Die Bauwerberin nahm daraufhin eine neuerliche Änderung des Projektes vor, und zwar dergestalt, daß die Verbauungsdichte vergrößert wurde und nunmehr 21,8 % (80 Wohnungen) betragen sollte. Das Stadtbauamt vertrat in einem weiteren Bericht vom hiezu den Standpunkt, daß an der M-straße Bauklasse III (statt II) bewilligt werden sollte. Über Antrag des Bauausschusses faßte sodann der Gemeinderat der Stadt B in seiner Sitzung vom folgenden Beschluß:

"Der Bauausschuß hat in seiner Sitzung vorn beantragt, der Gemeinderat wolle beschließen:

Über Ansuchen des Dipl.-Ing. WN werden für das Grundstück 50 mit Bauflächen Nr. 72, 211 und 616/2 des Grundbuches X in B in der M-straße 50 die geltenden Bebauungsvorschriften abgeändert. Vorbehaltlich der nachzuweisenden Löschung bestehender Servitute im Zusammenhang mit der Baufluchtlinie wird die Errichtung eines Wohnblocks mit 80 Wohnungen nach dem Verbauungsvorschlag des Dipl.- Ing. WN vom , gemäß welches die Verbauungsdichte 21,8 %, an der M-straße eine Gebäudehöhe von 14,8 m entstehen wird, unter der Bedingung genehmigt, daß an der M-straße ein Vorgarten von mindestens 5 m eingehalten wird und mindestens 40 PKW-Abstellplätze auf dem Baugrundstück angelegt werden."

Dieser Beschluß wurde vom Gemeinderat einstimmig angenommen.

Am wurde über das Bauansuchen, das aber nunmehr die Errichtung von 85 Wohnungen im gesamten Objekt vorsah, eine mündliche Verhandlung an Ort und Stelle durchgeführt, zu der jedoch nur die westlich und ostwärts dieser Liegenschaft angrenzenden Nachbarn geladen worden waren, nicht aber die Beschwerdeführerin. Mit Bescheid des 1. Vizebürgermeisters der Stadt B vom wurde sodann dem Mitbeteiligten die beantragte Bewilligung auf Grund der §§ 5, 16, 24, 26 und 27 der Bauordnung für Niederösterreich für den Neubau der oben beschriebenen Wohnhausanlage und gemäß § 113 leg. cit. für den Abbruch des Altbestandes die Demolierungsbewilligung unter der Bedingung projektgemäßer und statisch einwandfreier Ausführung, Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen der Niederösterreichischen Bauordnung sowie der geltenden Reichsgaragenordnung und zahlreichen weiteren Bedingungen und Auflagen erteilt. Hievon sind für das gegenständliche Beschwerdeverfahren von Bedeutung, daß sowohl zur M-straße wie zur S-gasse je mindestens 5 m - tiefe Vorgärten einzuhalten sind. Der Baubeschreibung zufolge sollte das Gebäude 85 Wohnungen enthalten und außer dem Kellergeschoß fünf Vollgeschosse aufweisen. Die Gebäudehöhe beträgt im Bereich der M-straße 14,8 m und im Bereich der S-gasse 12,6 m. (Außerdem wurde in diesem Bescheid der volle Wortlaut des Gemeinderatsbeschlusses vom wiedergegeben.)

In Beantwortung eines formellen Antrages der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung der Parteistellung in diesem Bauverfahren wurde ihr am eine Ausfertigung des Bescheides vom zugestellt. In der dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, daß sie dem Bauverfahren nicht beigezogen und ihr auf diese Weise die Möglichkeit genommen worden sei, gegen das Bauvorhaben Einwendungen vorzubringen. Das Bauvorhaben widerspreche dem derzeit geltenden Regulierungsplan, der für das Gebiet der S-gasse eine villenartige Verbauung nach Bauklasse I vorschreibe. Die Behauptung der Baubehörde erster Instanz, daß die Bauklasse I gegenüber der S-gasse eingehalten werde, entspreche nicht der Rechtslage, da sich die Bauklasse auf das Niveau des Grundstückes und nicht auf die angrenzende höhergelegene Straße beziehe. Was den Beschluß des Gemeinderates vom anlange, so sei dieser gesetzwidrig, da er nicht die Zustimmung der politischen Behörde nach § 5 Abs. 4 der Bauordnung für Niederösterreich gefunden habe, nicht kundgemacht worden und ohne ausreichende sachliche Begründung einem Privatinteresse zuliebe ergangen sei. Außerdem wurde eingewendet, daß durch die Verwirklichung des Bauvorhabens durch den Mitbeteiligten die Liegenschaft der Beschwerdeführerin entwertet werde.

Offenbar unter dem Eindruck der in der Berufung geltend gemachten Gesetzwidrigkeit des Gemeinderatsbeschlusses vom erfolgte eine öffentliche Kundmachung dieses Beschlusses durch Anschlag an der Amtstafel in der Zeit vom 19. Mai bis . Diese Kundmachung gibt den vollen Wortlaut des Gemeinderatsbeschlusses wieder, ist vom

1. Vizebürgermeister gezeichnet und trägt die Überschrift "Verordnung". Gleichzeitig wurde der Wortlaut dieses Gemeinderatsbeschlusses der Niederösterreichischen Landesregierung mit dem Bemerken übermittelt, daß die "gegenständliche Verordnung am durch Anschlag an der Amtstafel kundgemacht worden sei und die Stadtgemeinde B diese gemäß § 88 der Niederösterreichischen Gemeindeordnung zur Prüfung vorlege". Seitens der Niederösterreichischen Landesregierung erging an den Bürgermeister der Stadt B am ein Schreiben des Inhaltes, daß die Unterlagen nach Einsichtnahme im Sinne des § 88 der Niederösterreichischen Gemeindeordnung rückgemittelt werden.

Mit dem auf einem Beschluß des Gemeinderates der Stadt B vom beruhenden Bescheid vom wurde sodann die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit den §§ 5 und 25 der Bauordnung für Niederösterreich abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt. Gleichzeitig wurden unter Berufung auf § 25 leg. cit. die Einwendungen der Beschwerdeführerin, daß durch den Neubau ihre Liegenschaft entwertet werde, auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Zur Begründung des Bescheides wurde zur Frage der Nichtbeiziehung im erstinstanzlichen Bauverfahren ausgeführt, daß die Beschwerdeführerin den erstinstanzlichen Bescheid zugestellt erhalten habe, ihre Parteistellung anerkannt und ihr damit die Möglichkeit eröffnet worden sei, in der Berufung alle jene Einwendungen vorzubringen, die sie sonst bis zur mündlichen Verhandlung vor der Baubehörde erster Instanz hätte vorbringen müssen. Was den Gemeinderatsbeschluß vom anlange, so handle es sich hiebei um eine ordnungsgemäß kundgemachte Verordnung, die der Niederösterreichischen Landesregierung vorgelegt und von dieser wieder rückgemittelt worden sei. Das Bauvorhaben des Mitbeteiligten sei somit in öffentlich-rechtlicher Hinsicht zulässig. Da subjektive öffentliche Rechte nicht verletzt worden seien, habe der Berufung keine Folge gegeben werden können. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung, in der sie den Gemeinderatsbescheid mit den gleichen Argumenten bekämpfte, die sie bereits in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid vorgebracht hatte. Zusätzlich machte sie noch geltend, daß ihr vor Erlassung des Berufungsbescheides keine Gelegenheit gegeben worden sei, ihren Standpunkt gegenüber dem Bauwerber in einer mündlichen Verhandlung zu vertreten, wodurch ebenfalls wesentliche Verfahrensrechte verletzt worden seien.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom gab die Niederösterreichische Landesregierung der Vorstellung gemäß § 61 der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1965 keine Folge. Zur Begründung des Bescheides wurde im wesentlichen ausgeführt, daß der Verfahrensmangel der Nichtbeiziehung der Beschwerdeführerin als Partei im erstinstanzlichen Bauverfahren durch die Zustellung des Bescheides und Einbringung der Berufung, wobei Einwendungen wie bei der mündlichen Bauverhandlung vorgebracht werden konnten, saniert sei. Da keine unrichtige Sachverhaltsdarstellung durch die erste Instanz vorgelegen sei, habe für die Berufungsbehörde keine Möglichkeit bestanden, eine Entscheidung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG zu treffen. Bei den "Verbauungsvorschriften", die mit dem Inkrafttreten der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1965 keiner aufsichtsbehördlichen Genehmigung mehr bedürfen, handle es sich um generelle Verwaltungsakte, die Verordnungscharakter besäßen und die die Baubehörden bei ihrer Entscheidung einzuhalten hätten. Der Gemeinderatsbeschluß der Stadt B vom , mit dem die Verbauungsvorschriften abgeändert worden seien, sei in der Zeit vom 19. Mai bis durch Anschlag an der Amtstafel kundgemacht und damit rechtswirksam geworden. Damit habe aber die Berufungsbehörde (Gemeinderat) diese generelle Norm ihrer am 20, Juni 1969 beschlossenen Berufungsentscheidung zugrunde legen müssen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die Rechtswidrigkeit des Inhaltes erblickt die Beschwerdeführerin in erster Linie darin, da nach ihrer Meinung das Bauvorhaben des Mitbeteiligten mit der für das fragliche Gebiet in Geltung stehenden Bausatzung im Widerspruch stehe. Die Beschwerdeführerin ist bereits mit diesem Vorbringen im Recht. § 5 der Bauordnung für Niederösterreich in Verbindung mit der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1965 stellt die gesetzliche Grundlage für den Gemeinderat dar, Regulierungspläne oder Bausatzungen aufzustellen oder abzuändern. Ein solcher Beschluß ist, sofern die formellen Erfordernisse der gehörigen Beschlußfassung und Kundmachung erfüllt sind, ein, genereller, auf der Stufe einer Verordnung stehender Verwaltungsakt. Grundsätzlich bestehen nun - wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat - keine Bedenken dagegen, daß ein solcher Regulierungsplan lediglich aus dem Grund abgeändert wird, um für ein relativ eng begrenztes Gebiet, ja sogar für eine einzige Baufläche eine Bebauung zu ermöglichen. Voraussetzung dafür ist aber - abgesehen davon, daß eine solche Abänderung nicht mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Grundsatz der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz im Widerspruch stehen darf -, daß für jedermann erkennbar sein muß, welche Bebauungsbestimmungen nunmehr für eine bestimmte Grundfläche zu gelten haben. Das ergibt sich bereits aus Art. 18 Abs. 1 B-VG. Mißt man nun den Beschluß des Gemeinderates der Stadt B vom an diesen Grundsätzen, so kommt man zu dem Ergebnis, daß es sich hiebei nicht um eine auf Verordnungsstufe stehende Abänderung der Bausatzungen für B gehandelt hat. Dies deshalb, weil weder für die Beschwerdeführerin, für einen sonstigen Rechtsunterworfenen noch für den Verwaltungsgerichtshof erkennbar ist, ob dieser Beschluß nun tatsächlich in Kraft getreten ist oder nicht. Nach dem Wortlaut dieses Beschlusses ergibt sich, daß er nur bedingt gefaßt worden ist. Er sollte nämlich, nur dann wirksam werden, wenn der Bauwerber - also der Mitbeteiligte - nachzuweisen vermag, daß bestehende Servitutsrechte gelöscht sind, daß an der M-straße ein Vorgarten von mindestens 5 m eingehalten wird und daß mindestens 40 Abstellplätze für Personenkraftwagen auf dem Grundstück angelegt werden. Das heißt mit anderen Worten, ob die Abänderung der Bausatzungen in Kraft tritt, bestimmt nicht das hiefür zuständige Organ (Gemeinderat), sondern hängt vom Handeln des Bauwerbers bzw. unbekannter Personen, denen etwa Servitutsrechte zustehen, ab. Ein solcher Vorgang ist aber mit der Institution der Schaffung genereller, für jedermann rechtsverbindlicher Normen absolut unvereinbar. Betrachtet man nun den Beschluß des Gemeinderates vom als Ganzes, so erscheint es geradezu zwingend, ihn als einen Verwaltungsakt anzusehen, der zwar in anderen Bauordnungsgesetzen vorgesehen ist, nicht aber nach der Bauordnung für Niederösterreich, nämlich als Gewährung einer individuellen Ausnahme von den sonst allgemein geltenden Bebauungsvorschriften. Diese Wertung wird noch dadurch unterstützt, daß dieser Beschluß zwar im Bescheid des Bürgermeisters erwähnt, sonst aber nicht, wie für eine Verordnung notwendig, ordnungsgemäß kundgemacht worden ist. Der einzige Anhaltspunkt, daß der Gemeinderat eine Verordnung beschließen wollte, lag vielleicht in der Formulierung: ".... daß die geltenden Bebauungsvorschriften abgeändert werden". Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes erscheint aber diese Formulierung allein nicht ausreichend, diesen Beschluß tatsächlich als einen, vom Gemeinderat bewußt als Verordnung erlassenen Verwaltungsakt ansehen zu können. Daran vermag auch nichts zu ändern, daß der

1. Vizebürgermeister den Beschluß vor Erlassung des Berufungsbescheides mit der zusätzlichen Bezeichnung "Verordnung" kundgemacht hat. Für die vom Gerichtshof vertretene Auffassung spricht noch ein weiterer Grund. Der Gemeinderatsbeschluß vom schuf eine Ausnahme von der geltenden Bausatzung für ein Objekt mit 80 Wohnungen. Als Ausnahmegenehmigung ist dieser Beschluß daher streng auszulegen. Mit dem Baubewilligungsbescheid vom wurde jedoch ein Objekt mit 85 Wohnungen bewilligt. Daraus allein ergibt sich aber - abgesehen davon, daß die Widmung des Baugrundes für ein bestimmtes Projekt ebenfalls gegen den Verordnungscharakter des Gemeinderatsbeschlusses spricht - bereits, daß das bewilligte Objekt mit dem, für das die Ausnahme von der Bausatzung erteilt worden ist, gar nicht ident ist. Die Folge davon ist, daß der Gemeinderatsbeschluß vom auf das Bauvorhaben des Mitbeteiligten überhaupt keine Anwendung finden kann, da ja seine Wirksamkeit von Bedingungen - darunter ein Objekt mit 80 Wohnungen - abhängig gemacht worden ist, die der Bauwerber gar nicht erfüllt hat. Von dieser Seite aus gesehen ist somit dieser Beschluß vom überhaupt nicht in Wirksamkeit getreten. Dazu kommt aber noch, daß der Gemeinderatsbeschluß vom nach seinem eindeutigen Wortlaut nur eine Abänderung im Bereiche der M-straße, nicht aber im Bereich der Sgasse zum Inhalt hatte. Die Folge davon ist, daß im Bereiche der Sgasse durch den vorzitierten Gemeinderatebeschluß die bestehenden Bebauungsbestimmungen (Bauklasse I, maximale Gesimshöhe 7,5 m, villenartige Verbauung) gar nicht abgeändert worden sind. Damit erweist sich aber auch aus diesem Grund die dessenungeachtet dem Mitbeteiligten erteilte Baubewilligung, da sie entgegen den für den Bereich der S-gasse geltenden Bebauungsbestimmungen erteilt worden ist, als inhaltlich rechtswidrig. Nur der Vollständigkeit halber soll hier erwähnt werden, daß, würde man diesen Beschluß vom als Verordnung werten, dieser mit solchen Mängeln - Inkrafttreten erst auf Grund eines positiven Handelns des Bauwerbers und anderer Personen usw. - behaftet wäre, daß der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof in einem Verfahren nach Art. 139 B-VG herbeiführen müßte. Da aber dieser Gemeinderatsbeschluß - wie bereits ausgeführt - das Bauvorhaben des Mitbeteiligten in bezug auf den Bereich der S-gasse überhaupt nicht erfaßt hat, die subjektiven öffentlichen Rechte der Beschwerdeführerin aber nur für den engeren Bereich der S-gasse berührt, werden können und der angefochtene Bescheid aus den bereits dargelegten Gründen wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben werden muß, findet der Verwaltungsgerichtshof von vornherein keinen Anlaß für eine Anfechtung nach Art. 139 B-VG.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich aber, obwohl der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben werden muß, veranlaßt, auch auf eine von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Verletzung von Verfahrensvorschriften einzugehen, da es sich hiebei um eine grundsätzliche Frage handelt, die in einem allenfalls fortgesetzten Baubewilligungsverfahren beachtet werden muß. Die Parteistellung der Beschwerdeführerin in dem Bauverfahren des Mitbeteiligten ist, da dessen Bauplatz bis an die S-gasse heranreicht und sohin die Liegenschaft der Beschwerdeführerin davon nur durch eine öffentliche Verkehrsfläche getrennt ist, unbestritten gegeben (vgl. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. N. F. Nr. 3458/A). Da die Beschwerdeführerin zu der von der Baubehörde erster Instanz durchgeführten mündlichen Verhandlung nicht geladen worden war, war sie berechtigt, alle Einwendungen, die sie dabei gegen das Bauvorhaben hätte vorbringen müssen, nachdem ihr der erstinstanzliche Bescheid zugestellt worden war, in der Berufung geltend zu machen. Die Beschwerdeführerin hat nun in erster Linie eingewendet, das Bauvorhaben des Mitbeteiligten widerspreche den für das fragliche Gebiet im Bereich der Stadt B geltenden Bebauungsbestimmungen. Im Zeitpunkt der Einbringung jenes Bauansuchens, das in der Folge mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom bewilligt worden ist, galt auf Grund der geltenden Bausatzung zum Flächenwidmungsplan (Gemeinderatsbeschluß vom ) für die S-gasse Bauklasse I (offene villenartige Bauweise, Maximalhöhe 7,5 m) und für die M-straße Bauklasse II (wie Bauklasse I, jedoch maximale Bauhöhe 11 m). Damit steht fest, daß im Zeitpunkt der. Einbringung das in der Sachverhaltsdarstellung ausführlich beschriebene Bauprojekt mit der Bausatzung der Stadt B - einer Verordnung - im Widerspruch stand. Am faßte nun der Gemeinderat der Stadt B den bereits wörtlich wiedergegebenen Beschluß, wonach die geltenden Verbauungsvorschriften für die Errichtung eines Wohnblockes mit 80 Wohnungen abgeändert werden, und zwar dergestalt, daß in der M-straße eine Gebäudehöhe von 14,8 m zulässig ist. Geht man dabei von der - vom Verwaltungsgerichtshof abgelehnten - Annahme der belangten Behörde und der Gemeinde B, daß dieser Beschluß den Charakter einer Verordnung hatte, aus, so wäre er, da er nicht kundgemacht wurde, nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Baubescheides überhaupt nicht in Wirksamkeit getreten. Die Folge davon war, daß zu dem Zeitpunkt, als der Beschwerdeführerin dieser Bescheid zu gestellt worden war, diese in ihrer Berufung mit Recht einwenden konnte, daß das Bauvorhaben mit den bestehenden Verbauungsvorschriften, insbesondere für die Sgasse, im Widerspruch stünde und dadurch ihre subjektiven öffentlichen Rechte verletzt werden. Andere Einwendungen mußte und konnte die Beschwerdeführerin - sieht man von den

privatrechtlichen ab - auf Grund der für sie gegebenen Rechtslage zu diesem Zeitpunkt mit Erfolg gar nicht geltend machen. Für die Beschwerdeführerin stellte sich die Rechtslage in dem angenommenen Fall so dar, als ob der Gemeinderat dem Mitbeteiligten eine - wohl nach verschiedenen anderen in Österreich geltenden Bauordnungen, aber nicht nach der Bauordnung für Niederösterreich - im Gesetz nicht vorgesehene Ausnahmegenehmigung von der Einhaltung des Bebauungsplanes erteilt, hätte. Nachdem nun der Gemeinderat aus diesen Umstand durch die Berufung aufmerksam geworden war, erfolgte am durch den 1. Vizebürgermeister die Kundmachung des Wortlautes des Gemeinderatsbeschlusses vom an der Amtstafel als "Verordnung". Damit wurde durch den 1. Vizebürgermeister -  nach Meinung des Gemeinderates - nach außen hin die Rechtslage zumindest in einem gewissen Bereich verändert. Ohne der Beschwerdeführerin Gelegenheit zu geben, zu dem Bauvorhaben auf Grund der so geänderten Rechtslage Stellung zu nehmen und dementsprechend ihre Einwendungen anzupassen, hat nun der Gemeinderat der Stadt B über die Berufung einfach unter Hinweis auf die nachträgliche "Sanierung", die-  teilt man ihre Rechtsauffassung - eine Änderung der Rechtslage war, so entschieden, als ob diese geänderte Rechtslage bereits im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides gegeben gewesen wäre.

Damit allein ist aber bereits das Parteiengehör der Beschwerdeführerin verletzt worden, da nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie in der Lage gewesen wäre, Einwendungen zu erheben, die das Bauvorhaben auch auf Grund der geänderten Rechtslage als nicht bewilligungsfähig erscheinen ließen. Hier hätte § 24 Abs. 3 der Bauordnung für Niederösterreich beachtet werden müssen, denn die Bauverhandlung dient ja dem Zwecke, das Bauprojekt bezüglich seiner Übereinstimmung mit der Rechtslage zu prüfen. Bei Änderung der Bebauungsvorschriften während eines Baurechtsverfahrens hätte daher die mündliche Verhandlung wiederholt und dabei das Parteiengehör der Beschwerdeführerin gewahrt werden müssen.

Aus allen diesen Gründen war der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über die Kosten gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 lit. b und c VwGG 1965 sowie auf Art. I A Z. 1 und 2 der Verordnung des Bundeskanzleramtes, BGBl. Nr. 4/1965. Das Mehrbegehren der Beschwerdeführerin war, da die Kosten für den Schriftsatzaufwand zufolge der zuletzt zitierten Verordnungsbestimmung mit S 1.000,-- pauschaliert sind, abzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AVG §24 Abs1
AVG §31 Abs3
AVG §8
BauO NÖ 1883 §24 Abs5
BauO NÖ 1883 §5 Abs1
BauRallg
Schlagworte
Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar Diverses BauRallg5/2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1970:1969001841.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
NAAAF-56061