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VwGH 30.06.1964, 1809/63

VwGH 30.06.1964, 1809/63

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
RS 1
Die Haftungsbestimmung des § 9 Abs 1 BAO ist auch auf Abgabenschulden anwendbar, die vor dem Wirksamkeitsbeginn der BAO liegende Zeiträume betreffen.
Normen
RS 2
Eine schuldhafte Pflichtverletzung des Vertreters einer juristischen Person iSd § 9 Abs 1 BAO liegt dann vor, wenn der Vertreter (hier: der einzige Geschäftsführer einer GmbH) der ihn treffenden Verpflichtung (hier: Abfuhr der Lohnsteuer) nicht nachgekommen ist und er im Verwaltungsverfahren keine konkreten Gründe angegeben hat, warum ihm die Erfüllung der ihm auferlegten Pflichten nicht möglich war (Hinweis E , 137/52, VwSlg 1003 F/1954).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden, Hofrat Dr. Schirmer, und die Hofräte Dr. Kaupp Dr. Raschauer, Dr. Frühwald und Dr. Riedel als Richter, im Beisein des Schriftführers, prov. Finanzkommissärs Dr. Blaschek, über die Beschwerde des A in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA VI-207/2/63, betreffend Haftung für Lohnsteuer, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war seit Juli 1958 alleiniger Geschäftsführer der Firma A Ges. m. b. H. in W, über deren Vermögen im Jahre 1959 das Konkursverfahren eröffnet worden ist. Nach Verwertung der Absonderungsrechte verblieben u. a. noch Abgabenrückstände der Firma für die Zeit vom November 1958 bis Juli 1959, und zwar S 11.198,-- an nicht abgeführter Lohnsteuer und von S 2.281,05 an Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Kinderbeihilfe. Da die Einbringungsmaßnahmen gegen die Firma erfolglos blieben, wurde der Beschwerdeführer mit Haftungsbescheid des zuständigen Finanzamtes vom als Geschäftsführer der Firma unter Hinweis auf die Bestimmung des § 9 BAO für diese Abgabenschulden haftbar gemacht.

Gegen diesen Haftungsbescheid brachte der Beschwerdeführer Berufung ein, in der ausgeführt wurde, daß die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung auf den gegenständlichen Fall nicht angewendet werden könnten, weil die Bundesabgabenordnung keine rückwirkende Kraft besitze. Aber auch eine Anwendung der früheren gesetzlichen Bestimmungen sei nicht mehr möglich, da sie durch die Bundesabgabenordnung ausdrücklich aufgehoben worden seien. Abgesehen davon sei nicht festgestellt werden, daß eine schuldhafte Pflichtverletzung des Beschwerdeführers vorliege. Dies sei aber eine Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Beschwerdeführers im Haftungswege. Schließlich wendete der Beschwerdeführer hinsichtlich der geltend gemachten Abgabenansprüche sowohl Bemessungs- als auch Einbringungsverjährung ein.

Die das Berufungsbegehren abweisende Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes vom wurde durch den Antrag des Beschwerdeführers auf Entscheidung der Abgabenbehörde zweiter Instanz außer Kraft gesetzt.

Mit dem nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Berufung insoweit stattgegeben, als der Beschwerdeführer hinsichtlich der nicht entrichteten Dienstgeberbeiträge zum Ausgleichsfonds für Kinderbeihilfe in Höhe von S 2.281,05 aus der Haftung entlassen wurde. Im übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. Die belangte Behörde führte in der Begründung ihrer Entscheidung aus, die Bestimmung des § 9 BAO (früher § 109 AO) dürfe nur insoweit angewendet werden, als die aushaftenden Abgaben beim Abgabepflichtigen nicht hereingebracht werden können und eine schuldhafte Pflichtverletzung seitens des Vertreters vorliege. Die erste Voraussetzung sei gegeben, weil die Einbringungsmaßnahmen gegen die Firma erfolglos geblieben seien. Auch habe diesbezüglich der Beschwerdeführer nichts eingewendet. Für die Feststellung, ob eine schuldhafte Pflichtverletzung vorliege, bedürfe es nicht eines besonderen Verfahrens vor einem Gericht oder vor der Finanzstrafbehörde. Die Schuldfrage müsse vielmehr von der Stelle geprüft werden, die den Haftungsbescheid erlassen habe. In dieser Hinsicht sei klargestellt, daß der Beschwerdeführer als einziger Geschäftsführer der Gesellschaft für die Abfuhr der einbehaltenen Lohnsteuer verantwortlich gewesen sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom , Slg. Nr. 1003/F, dargelegt, daß die Nichtabfuhr solcher Beträge schon im Hinblick auf die Bestimmung des § 68 des Einkommensteuergesetzes 1953 eine schuldhafte Pflichtverletzung darstelle. Hinsichtlich der aushaftenden Summe von S 2.281,05 an Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Kinderbeihilfe fehle es hingegen an entsprechenden Hinweisen für ein schuldhaftes Verhalten des Beschwerdeführers. Die vom Beschwerdeführer eingewendete Verjährung der gegenständlichen Abgaben sei im Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheides noch nicht eingetreten. Da es sich im Falle der Lohnsteuer um Beträge aus der Zeit von November 1958 bis Juli 1959 handle, habe die Verjährungsfrist frühestens am zu laufen begonnen. Der Haftungsbescheid sei jedoch am , also noch vor Ablauf der Verjährungsfrist, dem Beschwerdeführer zugestellt worden. Schließlich wies die belangte Behörde darauf hin, daß die angewendeten Verfahrensvorschriften der Bundesabgabenordnung mit die adäquaten Bestimmungen des § 109 der Abgabenordnung abgelöst hätten, sodaß eine Unterbrechung des Rechtszustandes nicht eingetreten sei.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Zur Rechtsrüge führt der Beschwerdeführer aus, daß die Steuerschuld nicht erst in den Jahren 1958/1959, sondern schon in dem Zeitraum 1955 bis 1957 entstanden sei, sodaß Verjährung der Abgabenansprüche vorliege. Es fehle aber auch an den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Haftung, weil der Beschwerdeführer damals nicht Geschäftsführer gewesen sei. Ferner bestreitet er die Anwendbarkeit der Bundesabgabenordnung für die alte Steuerschuld. Im gegenständlichen Fall sei weder ein Feststellungs- noch ein Haftungsbescheid nach der Bundesabgabenordnung erlassen worden, was die Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Haftung gewesen wäre. Die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung könnten aber nicht rückwirkend auch auf die Geltungszeit der Reichsabgabenordnung angewendet werden.

Die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erblickt der Beschwerdeführer darin, daß keine Feststellungen hinsichtlich seines Verschuldens an der Nichtabfuhr der Lohnsteuerbeträge getroffen. worden seien. Der Beschwerdeführer habe eine schuldhafte Pflichtverletzung bestritten. Dazu sei er nicht gehört worden. Der Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 137/52, genüge in diesem Zusammenhang nicht. Die Nichtabfuhr der Lohnsteuer sei nicht in jedem Fall als schuldhafte Pflichtverletzung zu werten. Ein ordnungsgemäß durchgeführtes Verfahren hätte auch ergeben, daß die Abgabeschuld nicht aus der Jahren 1958/1959 stamme, sondern auf die Zeit zurückgehen, in der nicht der Beschwerdeführer, sondern seine geschiedene Gattin Geschäftsführer der Gesellschaft gewesen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 in Verbindung mit § 80 Abs. 1 BAO haften die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Der Beschwerdeführer bestreitet allerdings in grundsätzlicher Hinsicht die Anwendungsmöglichkeit der Haftungsbestimmungen des § 9 BAO für Zeiträume, die vor dem Inkrafttreten der Bundesabgabenordnung liegen. Dieser Auffassung ist entgegenzuhalten, daß die erwähnten Bestimmungen. der Bundesabgabenordnung an die Stelle des § 109 der bis in Geltung gestanden Abgabenordnung getreten sind. Die Voraussetzungen für die abgabenrechtliche Haftung der Vertreter juristischer Personen sind auch für den Geltungsbereiche der Bundesabgabenordnung unverändert geblieben, lediglich der Umfang der Haftung ist auf eine Ausfallshaftung eingeschränkt worden. Die vom Beschwerdeführer vertretene Auffassung würde hingegen dazu führen, daß nur zufolge der zeitlichen Abgrenzung und zeitlichen Aufeinanderfolge der Geltungsbereich der beiden erwähnten Gesetze die Haftung des Vertreten juristischer Personen wegfallen würde, obwohl sie sowohl in der Abgabenordnung als auch nunmehr in der Bundesabgabenordnung vorgesehen ist. Dies würde eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte ungleiche Behandlung gleicher Sachverhalte bedeuten. Der Beschwerdeführer übersieht ferner, daß der Haftungsbescheid vom konstitutive Wirkung hat, also das abgabenrechtliche Schuldverhältnis des Beschwerdeführers erst mit Erlassung dieses Bescheides entstanden und somit der Haftungsanspruch zwar für rückständige Abgaben, nicht aber rückwirkend begründet worden ist.

Gegen den geltend gemachten Haftungsanspruch wird in der Beschwerde weiters eingewendet, daß die in Rede stehenden Abgabenschuldigkeiten nicht aus dem Zeitraum 1958/1959 stammen, sondern schon in der Zeit von 1955 bis 1957 entstanden seien, sodaß bereits Verjährung eingetreten sei. Dem Beschwerdeführer war aber schon aus dem Haftungsbescheid bekannt, für welche Zeit die Lohnsteuer nachgefordert wurde. Er hat im Verwaltungsverfahren nichts dagegen vorgebracht. Der Einwand, es handle sich um Lohnsteueransprüche, die schon in den Jahren 1955 bis 1957 entstanden seien, ist eine erst im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof aufgestellte, daher im Hinblick auf die Bestimmung des § 41 VwGG 1952 unbeachtliche, überdies in keiner Weise begründete Behauptung. Es ist daher unbeachtlich, daß der Beschwerdeführer nach seinen Angaben in den Jahren 1955 bis 1957 nicht Geschäftsführer der Gesellschaft gewesen ist. Damit ist aber auch die Verjährungseinrede des Beschwerdeführers unbegründet, weil nach den zutreffenden Feststellungen der belangten Behörde der Haftungsbescheid noch vor Ablauf der Verjährungsfrist (frühestens ) erlassen worden ist.

Der Beschwerdeführer hat im Rahmen der geltend gemachten Verfahrensrüge der belangten Behörde vorgeworfen, daß sie sein Verschulden an der Nichtabfuhr der Lohnsteuerbeträge nicht überprüft habe. Die vom Beschwerdeführer als Geschäftsführer vertretene Gesellschaft war verpflichtet, die für ihre Arbeitnehmer bei jeder Lohnzahlung einbehaltene Lohnsteuer spätestens am zehnten Tage des auf die Einbehaltung folgenden Monates an das Finanzamt abzuführen. Dieser Verpflichtung ist die Gesellschaft, wie sich aus den Akten des Verwaltungsverfahrens ergibt, nicht nachgekommen. Der Beschwerdeführer war als Geschäftsführer der Gesellschaft zu ihrer Vertretung berufen und hatte daher gemäß § 80 Abs. 1 BAO alle Pflichten zu erfüllen, die der Gesellschaft oblagen. Er hatte insbesondere dafür zu sorgen, daß die Lohnsteuer aus den Mitteln, die er verwaltete, entrichtet wird. Es ist unbestritten, daß über das Vermögen der Gesellschaft der Konkurs eröffnet worden ist und die hinsichtlich der in Rede stehenden Abgabenrückstände durchgeführten Einbringungsmaßnahmen erfolglos geblieben sind. Dies war genügend Grund, den Beschwerdeführer, der als Geschäftsführer der Gesellschaft dafür verantwortlich war, daß die Lohnsteuer rechtzeitig entrichtet wird, zur Haftung gemäß § 9 BAO heranzuziehen. Der Beschwerdeführer hat im Berufungsverfahren keine konkreten Gründe angegeben, warum ihm die Erfüllung der ihm auferlegten Pflichten nicht möglich war.

Die belangte Behörde war daher nicht verhalten, von sich aus Erhebungen in dieser Richtung anzustellen. Es kann ihr sohin nicht entgegengetreten werden, wenn sie die Haftungspflicht des Beschwerdeführers als Geschäftsführer der von ihm vertretenen Gesellschaft für die Nichtabfuhr der Lohnsteuerbeträge bestätigt hat. Die vorliegende Beschwerde mußte deshalb gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1952 als unbegründet abgewiesen werden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1964:1963001809.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
IAAAF-55967