VwGH 18.10.1963, 1655/62
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | |
RS 1 | Die Einkünfte aus einem freien Beruf oder einer sonstigen selbständigen Tätigkeit, die in Form eines Witwenfortbetriebes oder Deszendentenfortbetriebes ausgeübt werden, verlieren dadurch allein nicht den Charakter von Einkünften aus selbständiger Arbeit, weil die Witwe und Deszendenten die persönliche Eignung zur Ausübung des betreffenden Berufes nicht besitzen und daher einen entsprechend qualifizierten Stellvertreter mit der fachlichen Leitung des Betriebes betrauen müssen. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Wasniczek und die Hofrate Dr. Schirmer, Dr. Schimetschek, Dr. Knaupp und Dr. Frühwald als Richter, im Beisein des Schriftführers, Finanzoberkommissärs Dr. Walter, über die Beschwerde der Erben nach Dipl. Ing. Paul R.: Irma, Michael und Peter R, sämtliche in L, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol (Berufungssenat) vom , Zl. 1889/2-I-1962, betreffend Gewerbesteuer 1957 bis 1958, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die Beschwerdeführer sind die Erben des Dipl. Ing. Paul R., eines Fahrschulinhabers, der am verstorben ist. Da die Witwe Irma R. wie auch die beiden mj. Söhne Michael R. (geboren 1942) und Peter R. (geboren 1944) die Befähigung zur Weiterführung der Fahrschule nicht besaßen, bestellten sie zum verantwortlichen Leiter der Fahrschule einen hauptberuflich an einer landwirtschaftlichen Lehranstalt tätigen Professor, der den theoretischen Unterricht erteilt, während der praktische Unterricht von einem Fahrlehrer erteilt wird, der bereits vor dem Tode des Dipl. Ing. Paul R. im Betriebe tätig gewesen war, als dieser aus gesundheitlichen Gründen den praktischen Unterricht nicht mehr persönlich erteilen konnte.
Anläßlich der Steuerveranlagung für die Jahre 1957 und 1958 qualifizierte das Finanzamt die Einkünfte der Beschwerdeführer aus der Fahrschule als Einkünfte aus Gewerbebetrieb und unterwarf sie auch der Gewerbesteuer. Dies wurde damit begründet, daß diese Einkünfte nicht auf der persönlichen Tätigkeit der Beschwerdeführer beruhten und daher zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb zählten.
Dagegen erhoben die Beschwerdeführer Berufung. Sie führten dabei aus, daß die durch die Tätigkeit eines Fahrschulinhabers erzielten Einkünfte zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit nach § 18 EStG gehörten, weil es sich dabei um eine unterrichtende Tätigkeit handle. Daran ändere sich auch dann nichts, wenn ein Fahrschulinhaber wegen Krankheit, Urlaubes oder sonstiger Verhinderung genötigt sei, sich bei der Berufsausübung vorübergehend eines Stellvertreters zu bedienen. So sei auch im Jahre 1956 nach der Erkrankung des Inhabers Dipl. Ing. Paul R. die Beschäftigung eines Fahrlehrers bloß als Stellvertretung im Sinne des Urteiles des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. Nr. 1416/F, gewertet worden. Umsomehr müsse man nunmehr nach dem Tod des Fahrschulinhabers den angestellten Fahrschulleiter als Stellvertreter gelten lassen, und zwar solange, bis der Sohn Michael R. nach Vollendung seiner Studien in der Lage sei, selbst als Fahrschulleiter aufzutreten.
Im Zuge des Berufungsverfahrens wurde erhoben, daß Michael R. ab dem Wintersemester 1961/62 als ordentlicher Hörer an der Fakultät für Maschinenbau der Technischen Hochschule in Wien inskribiert sei. Die Frage, ob Michael R. den Fahrschulbetrieb übernehmen werde, konnte der Vertreter der Beschwerdeführer in der mündlichen Berufungsverhandlung vom nicht mit Sicherheit beantworten.
Die belangte Behörde gab der Berufung der Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheide keine Folge. Sie begründete ihre abweisende Entscheidung damit, daß eine Tätigkeit grundsätzlich nur dann als freier Beruf oder als sonstige selbständige Arbeit zu werten sei, wenn sie im wesentlichen auf der persönlichen Arbeitskraft des Steuerpflichtigen beruhe oder zumindest unter der eigenverantwortlichen Leitung des Steuerpflichtigen ausgeübt werde. Dagegen liege Gewerbetätigkeit vor, wenn nicht mehr die für den freien Beruf typischen individuellen Beziehungen zwischen dem Auftraggeber und dem Steuerpflichtigen vorlägen. In diesen Fällen ändere sich die Wesensart der Beschäftigung insofern, als die Tätigkeit zu einer gewerblichen Erwerbstätigkeit werde. So stelle sich ein Schulbetrieb nicht mehr als Ausübung eines freien Berufes dar, wenn der Inhaber, d. i. derjenige, dem der Betrieb gehöre und für dessen Rechnung er geführt werde, weder selbst Unterricht erteile noch dazu die erforderliche Eignung besitze. Dies bedeute keineswegs, daß die während der Zeit vom Tod eines Freiberuflers bis zur Aufnahme der Tätigkeit durch einen entsprechend qualifizierten Erben erarbeiteten Einkünfte in allen Fällen als solche aus Gewerbebetrieb zu betrachten seien. Nur müsse dabei von vornherein abzusehen sein, daß das "Interregnum" ein vorübergehender Zustand sei, der nur dazu diene, die Erbschaft zu übernehmen oder abzuwickeln und die damit verbundenen Maßnahmen zu treffen. Wenn aber - wie im vorliegenden Falle - die Berufsausübung durch den in Frage kommenden Sohn schon auf Grund seines Alters auf Jahre hinaus unmöglich gewesen sei und selbst heute (6 Jahre nach dem Tode des Ing. Paul R.) noch nicht einmal mit Sicherheit gesagt werden könne, daß der Sohn in den nächsten Jahren den Betrieb übernehmen werde, so habe der Berufungssenat in freier Beweiswürdigung zu dem Ergebnis kommen müssen, daß es sich im vorliegenden Falle nach dem Gesamtbild der Verhältnisse von vornherein nicht bloß um eine vorübergehende Überbrückung des durch den Tod des Erblassers eingetretenen Zustandes gehandelt habe.
Über die gegen diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde hat der Gerichtshof erwogen:
Es ist der belangten Behörde zwar darin beizupflichten, daß eine Tätigkeit grundsätzlich nur dann als freier Beruf oder als sonstige selbständige Tätigkeit im Sinne des § 18 EStG anerkannt werden kann, wenn sie im wesentlichen auf der persönlichen Arbeitskraft des Steuerpflichtigen beruht. Dies gilt auch für Fahrschullehrer. Auch die selbständigen Angehörigen dieses Berufes können im allgemeinen nur dann als freiberuflich Tätige angesehen werden, wenn sie eine "unterrichtende Tätigkeit" im Sinne des § 18 EStG persönlich ausüben.
Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. So ist - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom , Slg. Nr. 1416/F, ausgeführt hat - von dem Erfordernis der persönlichen Berufsausübung dann eine Ausnahme zu machen, wenn ein Angehöriger eines freien Berufes wegen Krankheit, Urlaubes oder sonstiger Verhinderung genötigt ist, sich bei der Berufsausübung vorübergehend eines Stellvertreters zu bedienen oder wenn er infolge vorgeschrittenen Alters besonders beschwerliche Verrichtungen seiner Berufstätigkeit durch einen Stellvertreter besorgen läßt.
Eine derartige Stellvertretung greift auch in jenen Fällen Platz, in denen bei freien Berufen oder sonstigen selbständigen Tätigkeiten im Sinne des § 18 EStG die Einrichtung des Witwen- oder Deszendentenfortbetriebes nach Art des § 56 Abs. 4 GewO besteht und der Witwe bzw. den. Deszendenten die persönliche Befähigung zur Ausübung des betreffenden Berufes mangelt, sodaß sie genötigt sind, einen entsprechend qualifizierten Angestellten als ihren Stellvertreter mit der Leitung des Betriebes zu betrauen. Wohl mag es sich in solchen Fällen unter Umständen um eine über einen längeren Zeitraum sich erstreckende Regelung handeln; doch ist auch hier der Stellvertretung insoweit eine zeitliche Schranke gesetzt, als die Einrichtung des Witwenbzw. Deszendentenfortbetriebes spätestens mit dem Tode der Witwe bzw. der Erlangung der Großjährigkeit durch die Deszendenten endet. Während der Dauer dieser Einrichtung sind jedoch auch die aus einem solchen Witwen- oder Deszendentenbetrieb erzielten Einkünfte, wenn es sich dabei um einen freien Beruf oder eine sonstige Tätigkeit im Sinne des § 18 EStG handelt, grundsätzlich als Einkünfte aus selbständiger Arbeit anzusehen, sofern nicht wegen Vervielfältigung der Arbeitskraft des Betriebsinhabers Einkünfte aus Gewerbebetrieb vorliegen. Denn das Einkommensteuergesetz bietet keine Handhabe dafür, Einkünften aus selbständiger Arbeit allein deshalb, weil der Beruf zwangsläufig durch einen Stellvertreter ausgeübt wird, die Qualifikation von Einkünften nach § 18 EStG zu versagen. Noch dazu kann gerade bei einem Witwen- oder Deszendentenbetrieb als einer im Interesse von Witwen und Waisen geschaffenen Einrichtung nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber gerade diese Personen, die im allgemeinen als schutzbedürftig und förderungswürdig angesehen werden, durch die zusätzliche Vorschreibung einer Gewerbesteuer in steuerlicher Hinsicht stärker belasten wollte als die meist unter weitaus günstigeren Bedingungen arbeitenden Berufskollegen, die ihre Tätigkeit persönlich ausüben.
Da nach den Feststellungen der belangten Behörde der Umfang des gegenständlichen Betriebes so gering war, daß er die Arbeitskraft einer einzigen hauptberuflich tätigen Person nicht überschritt, durften den aus der Fahrschullehrertätigkeit fließenden Einkünften die Qualifikation von Einkünften aus selbständiger Arbeit nicht allein deshalb abgesprochen werden, weil die Witwe bzw. die Kinder des letzten Fahrschulinhabers die Befähigung zur persönlichen Ausübung dieses Berufes nicht besaßen und sich daher bei der Unterrichtserteilung eines Stellvertreters bedienen mußten. Da die belangte Behörde dies offenbar verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1952 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1963:1962001655.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
EAAAF-55562