VwGH 03.04.1973, 1502/72
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Die Zurücknahme einer Berufung ist eine formal zu beurteilende Prozeßerklärung, bei der es nicht auf die Motive, sondern nur auf den Inhalt der Erklärung ankommt. Wird die Zurücknahme der Berufung erklärt, so kann auch in der weiteren Ausführung über deswegen durchzuführende Buchungen auf dem Abgabenkonto, aus denen geschlossen werden könnte, daß sich der Steuerpflichtige über die Wirkung eines Vorlageantrages nach § 276 Abs 1 BAO nicht im klaren gewesen sein könnte, nicht auf eine die Zurücknahme der Berufung unwirksam machende Bedingung oder Einschränkung geschlossen werden. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schimetschek und die Hofräte Hofstätter, Mag. DDr. Heller, Dr. Simon und Dr. Seiler als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Leberl, über die Beschwerde des Dr. WL, Rechtsanwalt in E, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 6-2661/2/1, betreffend Gegenstandsloserklärung von Berufungen, nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Beschwerdeführers und des Vertreters der belangten Behörde, Finanzoberkommissär Dr. EM, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 1.300,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und besitzt auch eine Landwirtschaft. Mit den Umsatz- und Einkommensteuerbescheiden für nichtbuchführende Landwirte betreffend die Veranlagungsjahre 1968 und 1969 vom wich das Finanzamt von den Erklärungen wesentlich ab. Es setzte die Umsatzsteuer für 1968 mit S 48.285,-- und für 1969 mit S 46.002,-- fest. Die Einkommensteuerfestsetzungen betrugen für 1968 S 119.295,-- und für 1969 S 63.202,--.
Mit Schriftsätzen vom erhob der Beschwerdeführer gegen die genannten Bescheide Berufungen.
Während des Berufungsverfahrens fand eine Betriebsprüfung statt, die sich auf die Jahre 1968 bis 1970 bezog und mit Niederschrift vom abgeschlossen wurde. Der Prüfer gelangte dabei gegenüber den vorgenommenen Veranlagungen für die beiden Jahre 1968 und 1969 zu niedrigeren Bemessungsgrundlagen für die Umsatz- und Einkommensteuer. Für 1970 wich er von den Abgabenerklärungen des Beschwerdeführers ebenfalls ab.
Das Finanzamt erließ auf Grund der Prüfungsfeststellungen am Berufungsvorentscheidungen für 1968 und 1969 und erstmals einen Umsatz- und Einkommensteuerbescheid für 1970. Es schloß sich dabei im wesentlichen den Umsatz- und Gewinnermittlungen der Betriebsprüfung an, anerkannte jedoch - im Gegensatz zum Betriebsprüfer - geltend gemachte Repräsentationsaufwendungen nicht (für 1968 S 18.000,--, für 1969 S 18.000,-- und für 1970 S 14.545,--). Dementsprechend wurden die Abgabenschuldigkeiten des Beschwerdeführers wie folgt festgesetzt:
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1968 | 1969 | 1970 | ||||
Umsatzsteuer | S | 39.454 | S | 46.552 | S | 53.766 |
Einkommensteuer | S | 49.368 | S | 63.959 | S | 167.235 |
Am stellte der Beschwerdeführer betreffend die Berufungsvorentscheidungen für 1968 und 1969 den Antrag, seine Berufungen der Abgabenbehörde zweiter Instanz vorzulegen. Er bekämpfte dabei die Berufungsvorentscheidungen ausdrücklich nur insoweit, als sie von dem Ergebnis der Betriebsprüfung abwichen und die "geltend gemachten Repräsentationsaufwendungen im vollen Ausmaße verneint" wurden.
Auch in der gegen die Steuerbescheide für 1970 eingebrachten Berufung vom wurde ausdrücklich hervorgehoben, daß sich die Berufung nur "insoweit" gegen den Umsatz- und Einkommensteuerbescheid für 1970 richte, "als dieser Bescheid von dem Ergebnis der Betriebsprüfung abweicht, daher nur insoweit, als die geltend gemachten Repräsentationsaufwendungen im vollen Umfang verneint wurden".
Darauf legte das Finanzamt die Berufungen der belangten Behörde zur Entscheidung vor. Noch bevor die belangte Behörde darüber entschieden hatte, langte beim Finanzamt der Schriftsatz des Beschwerdeführers vom ein. Dieser Schriftsatz trägt die Bezeichnung "Zurückziehung der Berufungen". Es ist in ihm wörtlich folgendes ausgeführt:
"Da infolge eines Versehens die Stundung abgelaufen ist, erklären wir - ohne Präjudiz für die Entscheidung zukünftiger Jahre - unsere Berufung gegen den Umsatz- und Einkommensteuerbescheid für nichtbuchführende Land- und Forstwirte 1969 vom , gegen den Umsatz- und Einkommensteuerbescheid 1970 vom und gegen den Umsatz- und Einkommensteuerbescheid für nichtbuchführende Land- und Forstwirte 1968 zurückzuziehen.
Ich ersuche gleichzeitig, diese Zurückziehung der Kasse zur Kenntnis zu bringen, damit hier ohne unnötigen Aufschub die notwendigen Buchungen durchgeführt werden."
Das Finanzamt erließ nun am für jedes der Jahre 1968 bis 1970 Bescheide, mit denen es aussprach, daß die Berufungen vom (betreffend 1968 und 1969) bzw. vom (betreffend 1970) gemäß § 256 Abs. 3 BAO gegenstandslos erklärt und die Berufungsverfahren eingestellt werden.
Gegen diese "Gegenstandsloserklärungsbescheide" brachte der Beschwerdeführer Berufung ein und führte darin im wesentlichen aus:
Er habe in der Eingabe vom (richtig: ) die Kurzbezeichnung "Zurückziehung der Berufung" angeführt. Die Behörde habe jedoch irrigerweise daraus auf die volle "Zurücknahme" der Berufung gemäß § 255 BAO (richtig: § 256 BAO) geschlossen. Wie jedoch aus den weiteren Ausführungen zu ersehen sei, habe der Beschwerdeführer zum Ausdruck gebracht, daß er die Bemessungsgrundlagen und Steuerbeträge der Betriebsprüfung anerkenne und somit eine teilweise Zurücknahme (Einschränkung) seinem wahren Willen entsprochen habe. Er habe diese "Zurückziehung" zuerst dem Finanzamt übermittelt, weil er der Meinung gewesen sei, daß dadurch die Steuerbeträge der Berufungsvorentscheidungen wieder ausgewiesen würden, wodurch sein Rückstand "auf Null gekommen wäre". Er habe sich hiezu "ohne Präjudiz in materiellrechtlicher Hinsicht entschlossen", weil es "seine Kanzlei" verabsäumt habe, die "inzwischen abgelaufene Stundung verlängern zu lassen".
Mit dem nun in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde dieser Berufung aus nachstehenden Gründen keine Folge gegeben:
In der Eingabe vom habe der Beschwerdeführer die darin genau bezeichneten Berufungen eindeutig und klar zurückgezogen. Entgegen der Behauptung in der Berufung sei mit keinem Wort zum Ausdruck gebracht worden, daß es die Absicht des Beschwerdeführers gewesen sei, seine Rechtsmittel auf das Ergebnis der Betriebsprüfung einzuschränken. In der vom Beschwerdeführer für die Zurückziehung gegebenen Begründung, nämlich den versehentlichen Ablauf der Stundung, könne wohl nicht mit Ernst ein derartiges Vorbringen erblickt werden. Da der Beschwerdeführer Rechtsanwalt sei, könne hinsichtlich der in derart wichtigen Schriftsätzen, wie sie die Einschränkung oder Zurückziehung einer Berufung darstellten, gebrauchten Formulierung ein strengerer Maßstab angelegt werden. Wenn daher in einem solchen Fall ausdrücklich, mit welcher Begründung auch immer, Berufungen zurückgezogen würden so könne angenommen werden, daß sich der Beschwerdeführer über die Konsequenzen seines Handelns im klaren gewesen sei. Da somit über die Absicht des Beschwerdeführers kein Zweifel habe bestehen können, seien die Berufungen gemäß § 256 Abs. 3 BAO für gegenstandslos zu erklären und die Berufungsverfahren einzustellen gewesen.
Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 256 Abs. 1 BAO können Berufungen bis zu dem im Gesetz näher bezeichneten Zeitpunkt zurückgenommen werden. Die Zurücknahme ist schriftlich oder zur Niederschrift zu erklären. Zufolge Abs. 3 leg. cit. hat die Abgabenbehörde erster Instanz die Berufung mit Bescheid als gegenstandslos zu erklären und das Berufungsverfahren einzustellen, wenn eine Berufung zurückgenommen wurde.
Der Beschwerdeführer hat die gegenständliche Eingabe vom , von deren rechtlicher Beurteilung allein das Schicksal der Beschwerde abhängt, ausdrücklich als "Zurückziehung der Berufungen" bezeichnet. Er hat im eigentlichen Text dieses Schriftsatzes ebenso unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß er die Berufungen zurückziehe. Die Zurücknahme einer Berufung ist eine unwiderrufliche prozessuale Erklärung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 847/71). Das Prozeßrecht ist vom Grundsatz beherrscht daß Parteienerklärungen eindeutig sein müssen und es auf das Erklärte ankommt und nicht auf die der Erklärung zugrunde liegenden Motive (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Slg. Nr. 4293/F). Der Beschwerdeführer kann daher für seinen Standpunkt daraus nichts gewinnen, daß er die Zurückziehung der Berufungen mit dem Ablauf einer eingeräumten Stundung begründete. Auf die Motive der Partei, die sie zur Zurücknahme der Berufung veranlaßten, kommt es nämlich - von Zwang und Drohung abgesehen - nicht an. Das gilt auch für den Beschwerdefall, in dem übrigens nicht erkennbar ist, was die Zurücknahme der Rechtsmittel mit der Versäumnis eines Ansuchens um Verlängerung einer eingeräumten Stundung zu tun hat. Auch der Bemerkung, es möge die Kasse verständigt werden, "damit hier ohne unnötigen Aufschub die notwendigen Buchungen durchgeführt werden", ist nicht zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer seine Erklärung mit irgendwelchen - die Zurücknahme allenfalls unwirksam machenden - Einschränkungen oder Bedingungen abgegeben hat. Es erweist sich somit auch die Behauptung als unrichtig, der Beschwerdeführer habe durch die "weiteren Ausführungen" zum Ausdruck gebracht, daß er nur die Steuerbeträge, die die Betriebsprüfung ermittelt hatte, anerkenne. Damit im Widerspruch steht im übrigen die Behauptung, der Beschwerdeführer sei der Meinung gewesen, durch die Zurücknahme der Berufungen komme es zu den Abgabenfestsetzungen laut den Berufungsvorentscheidungen. Mit den Berufungsvorentscheidungen wurden nämlich Abgabenbeträge festgesetzt, die - infolge Nichtanerkennung von Repräsentationsaufwendungen - höher waren als die vom Prüfer errechneten Beträge.
Aber selbst wenn der Beschwerdeführer der Meinung gewesen sein sollte, durch die Zurücknahme würden die in den Berufungsvorentscheidungen festgesetzten Abgabenbeträge endgültig rechtsbeständig, ist damit für ihn nichts gewonnen. Dieser Behauptung liegt nämlich das Eingeständnis zugrunde, daß dem Beschwerdeführer die Vorschrift des § 276 Abs. 1 BAO unbekannt war, wonach im Fall eines sogenannten Vorlagenantrages die Berufungsvorentscheidung ihre Wirkung verliert. Eine solche Unkenntnis der Rechtslage ist kein Umstand, der die Unwirksamkeit der eindeutig erklärten Zurücknahme einer Berufung zur Folge haben könnte.
Wenn sich der Beschwerdeführer in der Beschwerde auf § 85 Abs. 2 BAO beruft und rügt, daß es das Finanzamt unterlassen habe, mit dem Auftrag zur Behebung von Mängeln vorzugehen, so ist ihm entgegenzuhalten, daß dem Schriftsatz vom weder ein Formgebrechen anhaftete noch daß eine Unterschrift fehlte. Zu einem Auftrag nach § 85 Abs. 2 BAO bestand somit kein Anlaß.
Völlig verfehlt ist es schließlich, wenn der Beschwerdeführer vorbringt, es gebe keine "Zurückziehung", sondern nur eine "Zurücknahme einer Berufung". Zwar verwendet das Gesetz im § 256 BAO als termini die Worte "Zurücknahme" und "zurückgenommen", doch ist schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch für jedermann erkennbar, daß zwischen "Zurücknahme" und "Zurückziehung" eines Rechtsmittels kein Unterschied bestehen kann.
Da sich somit erweist, daß die Beschwerde unbegründet ist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 427.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Berufungsrecht Diverses |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1973:1972001502.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
PAAAF-55113