VwGH 04.05.1970, 1378/68
Entscheidungsart: ErkenntnisVS
Rechtssätze
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Normen | BauO Wr §129 Abs4 idF 1956/028; BauONov Wr 1956; BauRallg; VwGG §13 Z2; |
RS 1 | Ob zur Behebung eines Baugebrechens ein Instandsetzungsauftrag oder ein Abtragungsauftrag zu erlassen ist, hängt nur davon ab, ob die Instandsetzung technisch möglich ist oder nicht; ob die Instandsetzung dem Hauseigentümer wirtschaftlich zugemutet werden kann oder nicht, bildet keine Richtlinie für die Auswahl der aufzutragenden Maßnahme und ist daher nicht zu prüfen. Nur wenn die Instandsetzung technisch unmöglich ist, ist ein Abtragungsauftrag zu erlassen. |
Normen | BauO Wr §129 Abs4 idF 1956/028; BauONov Wr 1956; BauRallg; |
RS 2 | Einer technischen Unmöglichkeit der Instandsetzung ist es gleichzuhalten, wenn hiezu Baumethoden angewendet werden müssten, deren Anwendung in Wahrheit eine völlige Substanzveränderung oder eine Erneuerung des Gebäudes darstellen würde. Ob dies zutrifft, ist in Zweifelsfällen auf Grund eines Sachverständigengutachtens nach den Regeln der technischen Wissenschaft zu entscheiden. |
Norm | |
RS 3 | Im Rechtsstaat kann ein behördliches Ermessen nur dort angenommen werden, wo es der Behörde in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise eingeräumt wird. |
Normen | |
RS 4 | Aus dem Umstande, daß der Baubehörde zur Veranlassung der Beseitigung von Baugebrechen an sich sowohl die Erlassung eines Instandsetzungsauftrages als auch die Erlassung eines Abtragungsauftrages vom Gesetz eingeräumt sind, kann nicht auf ein Ermessensrecht geschlossen werden (hier unter besonderer Bedachtnahme auf § 129 Abs 4 der BO f Wien). |
Normen | BauO Wr §129 Abs4 idF 1956/028; BauONov Wr 1956; BauRallg; |
RS 5 | Die Erfüllung eines Abtragungsauftrages stellt den härtesten Eingriff in die Rechtssphäre des Hauseigentümers dar. |
Entscheidungstext
Beachte
Siehe jedoch:
0797/74 E VwSlg 9063 A/1976; Für Gebäude in Schutzzonen (§7 BauO Wien) geänderte Judikatur auf Grund der Altstadterhaltungsnovelle 1972, LGBl. Nr. 16
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Borotha, den Senatspräsident Penzinger und die Hofräte Dr. Lehne, Dr. Striebl, Dr. Rath, Dr. Leibrecht, Dr. Hrdlicka, DDr. Heller und Dr. Straßmann als Richter, im Beisein des Schriftführers Administrationsrat Dohnal, über die Beschwerde der K-gesellschaft in W, vertreten durch Dr. Alfred Holzberger, Rechtsanwalt in Wien I, Elisabethstraße 26, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom , Zl. MDR-B XVI-9/68, betreffend einen baupolizeilichen Instandsetzungsauftrag, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von S 390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, vom wurde der Beschwerdeführerin als Eigentümerin der Liegenschaft Wien 16., Ggasse 26, der Auftrag erteilt,
1.) - und zwar unter Berufung auf § 129 Abs. 2 und 4 der Bauordnung für Wien - nachstehend bezeichnete Instandsetzungsmaßnahmen zu treffen:
a) Der Verputz der Gassen- und Hofschauflächen sowie der Innenverputz in der Einfahrt, im Stiegenhaus und in den Gängen ist instandsetzen zu lassen.
b) Das schadhafte Rauchfangmauerwerk ist instandsetzen zu lassen.
c) Der Bohlenbelag in der Hauseinfahrt sowie das Gang- und Hofpflaster ist trittsicher herstellen zu lassen.
d) Die Dacheindeckung samt Fassadenverblechung ist erneuern bzw. instandsetzen zu lassen.
e) Sämtliche Außenfenster, das Haustor und das Windfangtor sind, soweit erforderlich, erneuern bzw. instandsetzen zu lassen; und
2.) - und zwar unter Berufung auf § 129 Abs. 4 der Bauordnung für Wien - binnen sechs Monaten nach Zustellung des Bescheides die Wohnung Nr. 3 im Vordergebäude des Hauses zu räumen.
Zur Begründung des Punktes 1.) führte die Behörde aus, dass die angeführten Schäden eine Verschlechterung des konsens- und bauordnungsgemäßen Zustandes des Hauses darstellten und ihrer Natur nach geeignet seien, das öffentliche Interesse zu beeinträchtigen. Auf Grund des Gutachtens der Magistratsabteilung 25 vom sei festzustellen, dass die Erhöhung des Hauptmietzinses "bei normaler Berechnung das 6,7-fache, zinsenfrei das 4,9-fache" betrage.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung beantragte die Beschwerdeführerin, dass an Stelle des Instandsetzungsauftrages ein Abtragungsauftrag erlassen werde, weil die Instandsetzung für die Beschwerdeführerin wirtschaftlich nicht zumutbar sei. Sie begründete dies im Einzelnen durch Hinweise auf das von ihr im Verfahren der Behörde erster Instanz beigebrachte Sachverständigengutachten, auf eine Entscheidung des Bezirksgerichtes Hernals vom 16, Juni 1966, mit dem ein nach § 7 des Mietengesetzes gestellter Antrag auf Mietzinserhöhung abgewiesen worden sei, und auf Mängel, die dem der behördlichen Entscheidung zu Grunde gelegten Gutachten der Magistratsabteilung 25 anhafteten.
Mit dem Bescheid der belangten Behörde vom wurde die Berufung abgewiesen. Zur Begründung führt die belangte Behörde - nach einer Wiedergabe des Wortlautes des § 129 Abs. 2 und 4 der Bauordnung für Wien - aus, es bestehe der Gesetzeslage zufolge für den Eigentümer grundsätzlich die Verpflichtung zur Instandhaltung des Hauses. Die Alternative einer Abtragung bestehe in solchen Fällen nur dann, wenn der Hauseigentümer tatsächlich eine Abtragung angestrebt hat und die Instandsetzung des Hauses wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Die Überprüfung eines baupolizeilichen Auftrages auf seine wirtschaftliche Zumutbarkeit komme aber nur dann in Betracht, wenn die Frage zu entscheiden sei, ob ein Gebäude wegen festgestellter Baugebrechen abzutragen oder instandzusetzen ist, und der Eigentümer an den Abbruch der Baulichkeit denke. Ob der Eigentümer an den Abbruch des Gebäudes ernsthaft denke, müsse aus seinem gesamten Verhalten abgeleitet werden. Bei der vorgelegenen Prozesssituation hätte daher die Berufungswerberin einen Antrag auf Erteilung einer Abtragungsbewilligung einbringen und gegen die Bestandnehmer eine Kündigung wegen wirtschaftlicher Abbruchreife anstrengen müssen. Es dürfe nämlich nicht übersehen werden, dass es in erster Linie Aufgabe des Eigentümers sei, den durch das Vorhandensein von Baugebrechen bestehenden Gefahr drohenden Zustand mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu beseitigen, und er daher sich nicht darauf verlassen könne, dass ihn die Baubehörde durch einen Abtragungsauftrag der Notwendigkeit der Kündigung der Mieter enthebe. Im übrigen wäre bei wirtschaftlicher Abbruchreife für die Beschwerdeführerin kein Prozessrisiko gegeben. Daher sei auch die Frage einer Mangelhaftigkeit des Gutachtens der Magistratsabteilung 25, wonach Instandsetzungsmaßnahmen wirtschaftlich zumutbar seien, unerheblich.
Gegen diesen Bescheid, und zwar gegen den oben unter 1.) angeführten Instandsetzungsauftrag, richtet sich die Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Bescheidinhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die Beschwerdeführerin rügt die dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegende Rechtsansicht, derzufolge die wirtschaftliche Zumutbarkeit der Instandsetzung nicht zu prüfen gewesen sei, weil die Beschwerdeführerin an den Abbruch des Gebäudes nicht ernsthaft denke. Diese Rechtsmeinung der Behörde komme im Verwaltungsverfahren erstmals im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck. Im Verfahren der Behörde erster Instanz seien hingegen Erhebungen über die wirtschaftliche Zumutbarkeit der Instandsetzung gepflogen worden, durch die aber nach Meinung der Beschwerdeführerin keine hinreichende Entscheidungsgrundlage geschaffen worden sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien Baugebrechen durch Abtragung zu beheben, wenn Instandsetzungsarbeiten wirtschaftlich nicht zumutbar sind. Völlig unverständlich sei die Ansicht der belangten Behörde, dass die Beschwerdeführerin nicht zum Ausdruck gebracht habe, sie denke ernsthaft an einen Abbruch des Gebäudes. Das Ganze Verfahren beruhe doch auf dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Abbruchauftrages. Wenn die Behörde meine, dass die Beschwerdeführerin um Abbruchbewilligung hätte ansuchen müssen, so übersehe sie, dass die Abbruchbewilligung "wesentlich weniger" sei, als der Abbruchauftrag. Bedeutungslos sei auch die Frage, ob die Beschwerdeführerin eine Kündigung wegen wirtschaftlicher Abbruchreife eingebracht habe. Das Gesetz verpflichte die Behörde, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, den Abbruch des Gebäudes anzuordnen. Es sei vielleicht unbefriedigend, dass die Mieter im Bauverfahren keine Parteistellung haben; doch sei es keinesfalls Aufgabe der Behörde, aus "offenbar opportunistischen politischen Beweggründen" den Abbruchauftrag zu verwehren und die Hauseigentümer an das Gericht zu verweisen. Im gerichtlichen Kündigungsverfahren, auf das die belangte Behörde die Beschwerdeführerin verweise, seien sowohl der Hauseigentümer als auch die Mieter mit erheblichen Prozesskosten belastet.
Die belangte Behörde stützt sich in ihrer Gegenschrift im wesentlichen darauf, dass zur Beseitigung von Baugebrechen grundsätzlich dem Instandsetzungsauftrag der Vorrang vor dem Abtragungsauftrag gebühre. Eine Überprüfung der Frage, ob die Instandsetzung dem Hauseigentümer wirtschaftlich zugemutet werden könne, komme nur dann in Betracht, wenn aus dem Gesamtverhalten des Hauseigentümers eindeutig erkennbar sei, dass er unter allen Umständen bereit sei, das Gebäude nach Freimachung der Mietobjekte abzutragen, was er dadurch dartun müsse, dass er eine Kündigung der Bestandverträge wegen wirtschaftlicher Abbruchreife einleite und eine Abbruchbewilligung erwirke. Im übrigen stehe dem Hauseigentümer kein subjektives öffentliches Recht auf Erteilung eines Abtragungsauftrages zu, weil es sich dabei um einen Polizeibefehl handle. Da das Vorliegen der Bauschäden und deren Qualifikation als Baugebrechen unbestritten geblieben sei, die Ernstlichkeit des Abtragungswillens aber nicht entsprechend dargetan worden sei, sei die belangte Behörde berechtigt gewesen, den Instandsetzungsauftrag der ersten Instanz ohne Prüfung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit der Instandsetzung aufrechtzuerhalten.
Sowohl die Beschwerdeführerin als auch die belangte Behörde berufen sich in ihren Schriftsätzen auf die im folgenden noch darzustellende Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 129 Abs. 2 der Bauordnung für Wien hat der Eigentümer (jeder Miteigentümer) dafür zu sorgen, dass die Baulichkeiten und die dazugehörigen Anlagen (Vorgärten, Hofanlagen, Einfriedungen u. dgl.) in gutem, der Baubewilligung und den Vorschriften dieser Bauordnung entsprechendem Zustand erhalten werden. Gemäß § 129 Abs. 4 der Bauordnung für Wien hat die Behörde nötigenfalls den Hauseigentümer zur Behebung von Gebrechen unter Gewährung einer angemessenen Frist zu verhalten; sie verfügt die aus öffentlichen Rücksichten notwendige Beseitigung von Baugebrechen und ordnet erforderlichenfalls die Sicherungsmaßnahmen, die Räumung oder den Abbruch von Gebäuden oder Gebäudeteilen an. Ist die Beseitigung eines Gebäudes aus städtebaulichen, gesundheitlichen oder Verkehrsrücksichten geboten, so kann die Behörde dessen Abbruch auftragen, wenn es infolge von Baugebrechen zu mehr als der Hälfte des umbauten Raumes unbenützbar ist.
Grundvoraussetzung für ein Einschreiten der Baubehörde nach § 129 Abs. 4 BO ist es also, dass dies nötig ist. Der im ersten Halbsatz dieser Gesetzesstelle verwendete unbestimmte Rechtsbegriff "nötigenfalls" kann nun in diesem Zusammenhang nichts anderes bedeuten, als dass zu prüfen ist, ob der Hauseigentümer seine gesetzliche Instandhaltungspflicht nach § 129 Abs. 2 BO verletzt hat; wollte man diesem Begriff eine weiter gehende Bedeutung unterstellen, so würden damit die weiteren im Gesetze festgelegten Voraussetzungen für ein behördliches Eingreifen überflüssig und sohin sinnlos.
Die zweite Voraussetzung für die Erteilung eines baupolizeilichen Auftrages nach der genannten Gesetzesstelle ist das Vorliegen eines Baugebrechens, dessen Beseitigung aus öffentlichen Rücksichten notwendig ist; auch hiebei bedient sich das Gesetz eines unbestimmten Rechtsbegriffes, der der Auslegung bedürftig ist. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat diese Voraussetzung dann als gegeben angenommen, wenn sich der Zustand einer Baulichkeit derart verschlechtert hat, dass dadurch die öffentlichen Interessen berührt werden (vgl. die Erkenntnisse vom , Slg. N. F. Nr. 1569/A, und vom , Slg. N. F. Nr. 5862/A). Als Beeinträchtigung öffentlicher Interessen, die ein Einschreiten der Baubehörde rechtfertigt, sind die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Gesundheit und die gröbliche Störung der architektonischen Schönheit des Stadtbildes anzusehen (vgl. Erkenntnis des Bundesgerichtshofes vom , Slg. Nr. 351/A).
Es kann nun der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie auf Grund des ihr vorliegenden Sachverhaltes angenommen hat, der herabgeminderte Zustand des Hauses beeinträchtige die vorgenannten öffentlichen Rücksichten. Da der Hauseigentümer seiner gesetzlichen Instandhaltungspflicht nicht nachgekommen ist, war die Erlassung einer baupolizeilichen Vollziehungsverfügung nach § 129 Abs. 4 der Bauordnung für Wien an sich im Gesetz begründet. Es blieb also nur noch zu prüfen, ob die belangte Behörde von den im Gesetz zur Beseitigung von Baugebrechen vorgesehenen Mitteln das richtige gewählt hat.
Die Frage, welche der gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen die Baubehörde im Einzelfall zur Beseitigung von Baugebrechen aufzutragen und welche Untersuchungen sie hie für anzustellen habe, wurde nun in der bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet. So hat der k. k. Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Slg. Nr. 4990/A, zu § 119 der Bauordnung für Böhmen, der die Baubehörde ermächtigte, im öffentlichen Interesse oder aus sicherheitspolizeilichen Rücksichten bestimmte Verfügungen zu treffen, eventuell auch die Demolierung von bestehenden Gebäuden anzuordnen, wenn die wahrgenommenen Baugebrechen eine solche Maßnahme als notwendig erscheinen lassen, ausgesprochen, dass auf die Demolierung bloß als auf eine äußerste Maßregel erkannt werden könne und sich die von der Baubehörde getroffene Verfügung streng an die Grenzen unbedingter Notwendigkeit halten müsse, wobei von mehreren Möglichkeiten der Instandsetzung das minder kostspielige und weniger in die Privatinteressenssphäre des Hauseigentümers eingreifende Mittel zu wählen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof der ersten Republik ist nun in einem zu § 102 der Bauordnung für Wien aus 1883 erflossenen Erkenntnis vom , Slg. Nr. 13.204/A, davon ausgegangen, dass diese Gesetzesstelle, indem sie mehrere Möglichkeiten einer Beseitigung von Baugebrechen vorsehe, darunter die Instandsetzung, die Räumung und die Abtragung, ein Ermessensrecht der Behörde begründe, von welchem Ermessen die Behörde nicht im Sinne des Gesetzes Gebrauch mache, wenn sie ohne Notwendigkeit die für den Betroffenen härtere, von ihm etwa wegen der dadurch verursachten größeren wirtschaftlichen Nachteile abgelehnte Maßregel wähle, wenn sie also beispielsweise dann, wenn sich der Betroffene dazu bereit finden lasse, die Weiterbenützung von Räumen zu Wohnzwecken einzustellen, um die Ausführung kostspieliger Bauarbeiten vermeiden zu dürfen, gerade solche Bauausführungen vorschreibe; der Gerichtshof sprach in diesem Erkenntnis aber weiter aus, dass diese Regel für Zeiten gelten möge, wo regelmäßige Zustände auch auf dem Wohnungsmarkt herrschten und dass die Wohnungsnot, wie auch der Ministerialverordnung vom , RGBl. Nr. 114, entnommen werden könne, es allen Behörden zur Pflicht mache, darauf Bedacht zu nehmen, dass keine Wohnräume dem Wohnzweck entzogen werden. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte das zu § 129 Abs. 4 der Bauordnung für Wien von 1929 ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. Nr. 17.956/A, in welchem gleichfalls das Weiterbestehen der Wohnungsnot, selbst nach Wegfall des Wohnungsanforderungsrechtes der Gemeinden, als ausreichender Grund dafür angesehen wurde, bei der Ermessensübung zur Auswahl der für die Beseitigung eines Baugebrechens zu treffenden Maßnahme einem Instandsetzungsauftrag den Vorzug zu geben, wenngleich grundsätzlich bei der Auswahl des Mittels auch die wirtschaftlichen Nachteile der in Betracht kommenden Maßnahmen für den Hauseigentümer zu berücksichtigen seien.
Eine abweichende Richtung schlug die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in der zweiten Republik ein.
In seinem Erkenntnis vom , Slg. N. F. Nr. 1569/A, hat der Gerichtshof ausgesprochen, dass die Behebung eines Baugebrechens entweder durch die Instandsetzung oder, falls die Instandsetzung technisch nicht mehr möglich oder wirtschaftlich nicht mehr zumutbar sei, durch die Beseitigung des Gebäudes mittels Abtragung geschehen könne. Im Erkenntnis vom , Slg. N. F. Nr. 2472/A, welches zu § 4 a des Wiener Wiederaufbaugesetzes, LGBl. Nr. 5/1947, in der Fassung des LGBl. Nr. 20/1947, ergangen ist, worin dem Hauseigentümer auferlegt wird, "geeignete Vorkehrungen" zur Hintanhaltung einer Gefährdung durch kriegsbeschädigte Baulichkeiten zu treffen "allenfalls durch Abtragung", wurde ausgeführt, der Gesetzesbefehl bediene sich hier eines unbestimmten Rechtsbegriffes, zu dessen Auslegung nicht nur Wissenschaft und Technik, sondern auch die allgemeinen wirtschaftlichen Erfahrungen heranzuziehen seien. Das zu § 129 Abs. 4 der Bauordnung für Wien ergangene Erkenntnis vom , Slg. N. F. Nr. 3288/A, und eine Reihe von Folgeerkenntnissen besagten, dass ein Instandsetzungsauftrag nur bei wirtschaftlicher Zumutbarkeit der Instandsetzung erteilt werden dürfe und dass anderenfalls ein Abtragungsauftrag zu erlassen sei; mit der Frage, ob es sich bei der Auswahl der anzuordnenden Maßnahmen um ein Ermessen der Baubehörde oder um die Auslegung eines unbestimmten Gesetzesbegriffes handle, setzen sich diese Erkenntnisse nicht auseinander. Als tauglicher Maßstab für die Beurteilung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit wurde es angesehen, ob der Hauseigentümer im Falle der Vermietung unter Ausschöpfung der gesetzlichen Möglichkeiten die vorerst durch Darlehensaufnahme zu beschaffenden Instandsetzungskosten aus den Mietzinseingängen decken könne, wobei auf die vorausschaubare Entwicklung des Wohnungsmarktes unter Berücksichtigung eines allfälligen Wandels in den Anschauungen der Bevölkerung über die notwendige Ausstattung der Bestandobjekte Bedacht zu nehmen sei.
Anknüpfend an das Erkenntnis vom , Zl. 3076/55, worin zum Ausdruck kam, dass die wirtschaftliche Zumutbarkeit nicht zu prüfen sei, wenn der Hauseigentümer gar nicht an den Abbruch des Gebäudes denke, sondern offenbar das Baugebrechen, dessen Behebung ihm unwirtschaftlich erscheine, einfach unbehoben lassen wolle, und das Erkenntnis vom , Zl. 766/60, welches besagte, dass die Abtragung selbst bei objektiver Unzumutbarkeit der Instandsetzung dem instandsetzungswilligen Hauseigentümer nicht aufgezwungen werden dürfe, wurde die Prüfung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit einer Instandsetzung ab dem Erkenntnis vom , Zl. 1658/64, der Behörde nur noch dann zur Pflicht gemacht, wenn der Hauseigentümer durch sein äußeres Verhalten seinen Abtragungswillen eindeutig zu erkennen gegeben habe, insbesondere um die Abtragungsbewilligung angesucht und bei vermieteten Gebäuden die Kündigung der Mietverträge wegen wirtschaftlicher Abbruchsreife nach § 19 Abs. 2 Z. 4 des Mietengesetzes in die Wege geleitet habe. Auf diese jüngere Judikatur stützte sich im vorliegenden Falle die belangte Behörde.
Es zeigt sich somit, dass die Frage, ob, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen die Baubehörde vor der Erlassung eines Instandsetzungsauftrages die wirtschaftliche Zumutbarkeit der Instandsetzung für den Hauseigentümer zu prüfen habe, in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird; die Lösung dieser Rechtsfrage bildet aber eine Voraussetzung für die Entscheidung des vorliegenden Beschwerdefalles. Dazu kommt, dass seit dem Entstehen der Judikatur über die anzuwendenden Maßstäbe für die Entscheidung zwischen einem Instandsetzungs- und einem Abtragungsauftrag eine Reihe von Gesetzesänderungen eingetreten ist, die eine Überprüfung der Judikatur angezeigt erscheinen lassen; so ist die Verordnung vom , RGBl. Nr. 114, betreffend Maßnahmen der Wohnungsfürsorge, weitgehend unanwendbar geworden (siehe Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. N. F. Nr. 4432/A). Außerdem ist an die Stelle des Wohnhauswiederaufbaugesetzes von 1948, dessen Bestimmungen die Gewährung von Darlehen zur Behebung von Kriegsschäden vorsahen, das Wohnbauförderungsgesetz 1968, BGBl. Nr. 280/1967, getreten, durch das Mietrechtsänderungsgesetz, BGBl. Nr. 281/1967, die Möglichkeit zur freiem Mietzinsbildung bei der Vermietung freiwerdender Wohnungen geschaffen worden, sind die zeitlich befristeten Bestimmungen des ersten Wiener Wiederaufbaugesetzes von 1947 und des nachfolgenden zweiten Wiener Wiederaufbaugesetzes von 1951 mit außer Kraft getreten, aber es ist auch die Fassung des § 129 Abs. 4 der Bauordnung für Wien durch die Bauordnungsnovelle 1956 mit Wirkung vom durch Hinzufügung des vorerwähnten letzten Satzes abgeändert worden (LGBl. für Wien Nr. 28/1956). Diese Umstände waren alle dafür maßgebend, für die Entscheidung der vorliegenden Rechtssache gemäß § 13 VwGG 1965 einen verstärkten Senat einzuberufen.
Die Frage, ob vor der Erteilung eines Instandsetzungsauftrages dessen wirtschaftliche Zumutbarkeit zu prüfen ist, hängt nun von der Auslegung jenes im § 129 Abs. 4 der Bauordnung für Wien enthaltenen Rechtssatzes ab, der bestimmt, dass die Behörde erforderlichenfalls die Sicherungsmaßnahmen, die Räumung oder den Abbruch von Gebäuden oder Gebäudeteilen anordnet. Was nun die Sicherungsmaßnahmen anlangt, so können darunter angesichts des Gesetzesbefehles, die Baugebrechen zu beseitigen, also jede Beeinträchtigung der von den Baubehörden wahrzunehmenden öffentlichen Rücksichten zu beheben, nur jene zusätzlichen Maßnahmen verstanden werden, die unabhängig davon, ob das Gebäude letztlich instandgesetzt oder abgetragen werden soll, erforderlich sind, um sofort eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen auszuschalten; solche Maßnahmen können auch im notwendigen Umfang über eine Instandhaltung oder Abtragung hinausgehen, wie etwa eine Abschrankung oder eine Pölzung. Auch durch die Räumung gefährdeter Bauteile wird das Gebrechen selbst nicht beseitigt. Für die Beseitigung des Baugebrechens bestehen also letzten Endes nur die Alternativen der Instandsetzung oder des Abbruches. Im Rechtsstaat kann nun ein behördliches Ermessen nur dort angenommen werden, wo es der Behörde in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise eingeräumt wird, wie sich nach dem Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen (siehe Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg. Nr. 2109 u. a.) aus der Zusammenschau des Art. 18 Abs. 1 und des Art. 130 Abs. 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes ergibt (siehe Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg. Nr. 3317). Aus dem Umstande, dass der Baubehörde zur Veranlassung der Beseitigung von Baugebrechen an sich sowohl die Erlassung eines Instandsetzungsauftrages als auch die Erlassung eines Abtragungsauftrages vom Gesetz eingeräumt sind, kann daher nicht auf ein Ermessensrecht geschlossen werden. Vielmehr hat das Gesetz dadurch, dass es die Anordnung des Abbruches von Gebäuden oder Gebäudeteilen nur "erforderlichenfalls" vorsieht, zu erkennen gegeben, dass eine solche Maßnahme nur dann zu verfügen ist, wenn keine andere Möglichkeit der Beseitigung des Baugebrechens besteht, also die Instandsetzung nicht in Betracht kommt. Wann diese Voraussetzung als gegeben anzunehmen ist, ergibt sich daraus, welcher Inhalt dem unbestimmten Gesetzesbegriff "erforderlichenfalls" beizumessen ist. Dabei ist davon auszugehen, dass die Erfüllung eines Abtragungsauftrages schon begrifflich den härtesten Eingriff in die Rechtssphäre des Hauseigentümers darstellt, da mit der Zerstörung des Hauses auch das aus der Bau- und Benützungsbewilligung erfließende Recht, das Gebäude zu errichten, bestehen zu lassen und zu benützen, untergeht, dies unbeschadet des Umstandes, dass der Abtragungsauftrag selbst bis zu seiner Erfüllung den Baukonsens unberührt lässt. Dem steht nicht entgegen, dass unter Umständen das wirtschaftliche Interesse des Hauseigentümers nicht auf die Instandsetzung, sondern auf die Abtragung des Gebäudes gerichtet sein mag. Dem Hauseigentümer steht es ja frei, der Verpflichtung zur Instandhaltung des Hauses, wenn diese ihm wirtschaftlich unzumutbar erscheint, dadurch zu entgehen, dass er eine Abtragungsbewilligung erwirkt, auf deren Erteilung ihm ein Rechtsanspruch zusteht (§ 60 Abs.1 lit. e und § 70 der Bauordnung für Wien), und das Gebäude hernach abtragen lässt; im Falle der wirtschaftlichen Abbruchreife des Hauses hat er sogar die Möglichkeit, die einer Realisierung seines Abtragungswillens zivilrechtlich entgegenstehenden Mietverträge durch Kündigung nach § 19 Abs. 2 Z. 4 des Mietengesetzes zur Auflösung zu bringen. Diese Möglichkeit, bestehende Baugebrechen durch faktische Abtragung des Gebäudes zu beseitigen, bietet sich dem Hauseigentümer selbst noch bei Vorliegen eines rechtskräftigen Instandsetzungsauftrages, und zwar bis zum Beginn der Vollstreckung dieses Auftrages, da durch die Beseitigung des Gebäudes ein neuer Sachverhalt geschaffen wird, der eine Vollstreckung nach § 10 Abs. 2 lit. a VVG 1950 unzulässig macht. Bestehen aber nach dem Gesetz zur Erzwingung der Beseitigung von Baugebrechen nur die Möglichkeiten eines baubehördlichen Instandsetzungsauftrages oder eines baubehördlichen Abbruchauftrages und ist der Abbruchauftrag jedenfalls als der härtere Eingriff in die Rechtssphäre des Hauseigentümers aufzufassen, wie eben ausgeführt, dann bleibt für die Untersuchung kein Raum, ob die Instandsetzung dem Hauseigentümer wirtschaftlich zugemutet werden kann. Der Verwaltungsgerichtshof vermag daher nicht jener Rechtsprechung zu folgen, die die Baubehörde als verpflichtet ansah, an Stelle eines Instandsetzungsauftrages einen Abbruchauftrag zu erlassen, wenn die Instandsetzung dem Hauseigentümer wirtschaftlich nicht zugemutet werden könne. Er ist vielmehr der Auffassung, dass der Abbruch nur dann erforderlich ist, wenn die Instandsetzung technisch nicht möglich ist, weil nur in diesem Falle davon gesprochen werden kann, dass ein anderer Weg, das Baugebrechen zu beseitigen, nicht offen steht. Bei Beurteilung der technischen Möglichkeit einer Instandsetzung müssen allerdings jene Baumethoden außer Betracht bleiben deren Anwendung zwar die äußere Gestalt des Hauses bestehen lässt, in Wahrheit aber eine völlige Substanzveränderung oder eine Erneuerung des Gebäudes - was jedenfalls bei Ersetzen aller wesentlichen raumbildenden Bauelemente durch neue Bauteile zuträfe - darstellt. In Zweifelsfällen wird diese Frage auf Grund eines Sachverständigengutachtens nach den Regeln der technischen Wissenschaft zu entscheiden sein. Im vorliegenden Falle hat die Beschwerdeführerin nie behauptet, die Instandsetzung des Gebäudes sei technisch nicht möglich; auch die Aktenlage bietet für eine solche Annahme keinen Anhaltspunkt. Die belangte Behörde durfte daher davon ausgehen, dass die Instandsetzung technisch möglich ist. Auch die Voraussetzungen des § 129 Abs. 4 letzter Satz der Bauordnung für Wien liegen im vorliegenden Fall offenkundigerweise nicht vor; abgesehen davon könnte aber aus der Nichtanwendung dieser Gesetzesstelle die Beschwerdeführerin keinesfalls in einem Rechte verletzt sein, da es sich nach der Fassung des gesetzlichen Tatbestandes in solchen Fällen nur um eine Berechtigung, nicht aber eine Verpflichtung der Behörde handelt, an Stelle eines Instandsetzungsauftrages einen Abtragungsauftrag zu erlassen.
Wenn nun im vorliegenden Falle die belangte Behörde mit Recht das Bestehen von Baugebrechen annehmen konnte, die die Beschwerdeführerin nicht selbst behoben hat und deren Bestehen die öffentlichen Interessen an einer Gefahrenbeseitigung beeinträchtigten, wenn sie weiters davon ausgehen durfte, dass die technische Möglichkeit der Instandsetzung gegeben sei, und sie die wirtschaftliche Zumutbarkeit nicht zu prüfen hatte, so wurde die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in keinem Rechte verletzt.
Somit war aber die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über die Kosten gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG 1965 und die Verordnung des Bundeskanzleramtes vom , BGBl. Nr. 4.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Sammlungsnummer | VwSlg 7789 A/1970 |
Schlagworte | Baupolizei Baupolizeiliche Aufträge Baustrafrecht Kosten Baugebrechen Instandhaltungspflicht Instandsetzungspflicht BauRallg9/3 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1970:1968001378.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
AAAAF-54775