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VwGH 23.03.1977, 1341/75

VwGH 23.03.1977, 1341/75

Entscheidungsart: ErkenntnisVS

Rechtssätze


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Normen
AVG §69 Abs1;
AVG §70 Abs1;
RS 1
Durch die Wiederaufnahme des Verfahrens tritt der erlassene Bescheid außer Kraft.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 1949/49 E VwSlg 1557 A/1950 RS 2
Normen
AVG §70 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
RS 2
Die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen einen Bescheid, mit dem die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens verfügt oder bewilligt wurde, ist dann gem § 34 Abs 1 VwGG 1965 mangels Erschöpfung des Instanzenzuges im Sinne des Art 131 Abs 1 Z 1 B-VG zurückzuweisen, wenn gegen diesen Bescheid noch eine - wenn auch keine abgesonderte - Berufung zusteht, so wie dies nach § 70 Abs 3 zweiter Satz AVG 1950 bei nicht letztinstanzlichen Wiederaufnahmsbescheiden der Fall ist. Handelt es sich jedoch um einen im Administrativverfahren nicht mehr anfechtbaren Wiederaufnahmebescheid, dann ist die VwGH-Beschwerde zulässig, weil diesfalls die Voraussetzung der Erschöpfung des Instanzenzuges zutrifft.

Entscheidungstext

Beachte

Besprechung in:

ÖGZ 1977/19, S 477;

JBl 1977, S 630 - Kommentar von Dr. Klaus BECHTOLD;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Härtel und die Hofräte Dr. Schmelz, Dr. Zach, Dr. Schima, Dr. Liska, Dr. Iro, Öhler, Dr. Schubert und Dr. Pichler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Finanzoberkommissär Dr. Feitzinger, über die Beschwerde der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in Wien, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien IV., Kolschitzkygasse 15/5, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 14-W 61/71, betreffend Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens bezüglich Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei: AW in New York, vertreten durch Dr. Arthur Ehrenhaft, Rechtsanwalt in Wien VIII, Alserstraße 15), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 720,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 2.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom beantragte der Mitbeteiligte bei der beschwerdeführenden Partei die Zuerkennung einer Alterspension und berief sich hiebei auf die Bestimmungen der 19. Novelle zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz. In seinem Antrag führte er aus, dass er von 1924 bis 1930 in Wien II ein Lebensmittelgeschäft betrieben habe, das dann von seinem Vater übernommen worden sei. Von 1931 bis 1938 habe er im Geschäft seines Vaters gearbeitet; er wisse nicht mehr, ob für ihn Sozialversicherungsbeiträge bezahlt worden seien. Es sei "auch möglich", dass er kurze Zeit im Geschäft seines Cousins JF in Wien II, der einige Zeit abwesend gewesen sei, gearbeitet habe und dass dort Sozialversicherungsbeiträge geleistet worden seien. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens, in dessen Verlauf der Mitbeteiligte sein bisheriges Vorbringen dahin präzisierte, dass er in der Lebensmittelhandlung des JF von Jänner bis Juli 1936 und dann von April 1937 bis 1938 gearbeitet habe, wies die beschwerdeführende Partei mit Bescheid vom die beantragte Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG für die Zeit vom bis ab. Sie begründete diesen Bescheid damit, dass der Mitbeteiligte im Zeitraum seit weder Beitragszeiten noch Ersatzzeiten aufzuweisen habe.

Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid einen Einspruch an den Landeshauptmann von Wien. Er erklärte in einem weiteren Schriftsatz, datiert mit (richtig wohl: 1969), er könne, "wenn nötig Zeugen erbringen", die bestätigen könnten, dass er zu der angegebenen Zeit bei JF gearbeitet habe.

Mit Bescheid vom wies jedoch der Landeshauptmann von Wien den Einspruch als verspätet zurück. Dieser Bescheid des Landeshauptmannes erwuchs nach der Aktenlage in Rechtskraft.

Am langte bei der beschwerdeführenden Partei ein Antrag des Mitbeteiligten, datiert mit , auf Wiederaufnahme des Verfahrens ein. In diesem Antrag wurde ausgeführt, der Mitbeteiligte sei am urlaubshalber nach Wien gekommen und habe am zufällig einen gewissen AN getroffen, welchen er aus der Zeit vor 1938 aus seiner Tätigkeit für den (damaligen) Sportclub "Hakoah" gekannt habe und mit welchem er befreundet gewesen sei. Der Mitbeteiligte habe die Gelegenheit wahrgenommen, um AN zu fragen, ob dieser über die Angestelltentätigkeit des Mitbeteiligten bei JF etwas wisse, worauf AN erklärt habe, dass er sich hieran gut erinnere und auch zeugenschaftlich bestätigen könne, dass und wann der Mitbeteiligte diese Tätigkeit ausgeübt habe. Es sei sohin ein neues Beweismittel hervorgekommen, welches in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich zu einem im Hauptinhalt des Spruches vom anders lautenden Bescheid geführt hätte.

Ohne ein Ermittlungsverfahren durchzuführen, wies die beschwerdeführende Partei mit Bescheid vom den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ab, und zwar mit der Begründung, dass die im Wiederaufnahmsantrag geltend gemachte Angestelltentätigkeit bereits in dem im Jahre 1969 durchgeführten Begünstigungsverfahren bekannt gewesen und somit kein neues Beweismittel hervorgekommen sei.

Der Mitbeteiligte erhob auch gegen diesen Bescheid der beschwerdeführenden Partei Einspruch an den Landeshauptmann von Wien. In einem ergänzenden Schriftsatz vom bestritt der Mitbeteiligte jegliches Verschulden daran, dass er sich auf den Zeugen AN erst in dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens berufen hatte.

Mit Bescheid vom gab der Landeshauptmann von Wien dem Einspruch Folge und änderte gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 den Bescheid der beschwerdeführenden Partei ab; dem Wiederaufnahmsantrag wurde gemäß § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 stattgegeben. Unter einem wurde ausgesprochen, dass von der beschwerdeführenden Partei unter Würdigung der neu hervorgekommenen Beweismittel über die Begünstigung des Mitbeteiligten abzusprechen sein werde. Der Landeshauptmann von Wien begründete seinen Bescheid damit, dass der Antrag auf Wiederaufnahme des Begünstigungsverfahrens rechtzeitig eingebracht worden sei. Da die Durchführung der Begünstigung für den Mitbeteiligten mit Bescheid vom  mit der Begründung abgelehnt worden sei, der Mitbeteiligte habe weder Beitragszeiten noch Ersatzzeiten aufzuweisen, und da die Einvernahme von Zeugen ein taugliches Beweismittel zur Klärung des Sachverhaltes sei, sei dem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stattzugeben gewesen.

Der Bescheid des Landeshauptmannes von Wien enthielt die Rechtsmittelbelehrung, dass gegen diesen Bescheid binnen zwei Wochen nach Zustellung eine Berufung eingebracht werden könne.

Die beschwerdeführende Partei erhob tatsächlich die Berufung an den Bundesminister für soziale Verwaltung, der jedoch mit Bescheid vom die Berufung als unzulässig zurückwies.

Darauf stellte die beschwerdeführende Partei einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid des Landeshauptmannes vom und brachte unter einem die Beschwerde gegen den letztangeführten Bescheid ein. Mit hg. Beschluss vom , Zl. 1288/75, wurde dem Wiedereinsetzungsantrag im Sinne des § 46 Abs. 2 VwGG 1965 stattgegeben. Die vorliegende Beschwerde ist daher als rechtzeitig erhoben anzusehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 13 VwGG 1965 verstärkten Senat erwogen:

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG 1965 sind Beschwerden, denen unter anderem der Mangel der Berechtigung zu ihrer Erhebung entgegensteht, mit Beschluss zurückzuweisen. Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt in seinen Entscheidungen (siehe die Beschlüsse vom , Slg. N. F. Nr. 596/A, vom , Slg. N. F. Nr. 635/A, vom , Slg. N. F. Nr. 3773/A und vom , Zl. 1895/72, sowie die Erkenntnisse vom , Zl. 668/68, vom , Zl. 1735/73, und vom , Zl. 730/74, wobei hinsichtlich der nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichten Entscheidungen auf Art. 14 Abs. 4 der hg. Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen wird) die Rechtsanschauung vertreten, dass eine abgesonderte Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen einen die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens verfügenden oder bewilligenden Bescheid unzulässig und sohin gemäß § 34 Abs. 1 VwGG 1965 zurückzuweisen ist. Zur Begründung hat er dargelegt, dass der Grundsatz des § 70 Abs. 3 zweiter Satz AVG 1950, wonach gegen die Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme eine abgesonderte Berufung nicht zulässig ist, auch für die Beschwerdeerhebung vor dem Verwaltungsgerichtshof gilt und demnach eine gesetzwidrige Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens auch vor dem Verwaltungsgerichtshof nur mit der Beschwerde gegen den im wieder aufgenommenen Verfahren in der Sache selbst ergangenen Bescheid der letzten Rechtsstufe angefochten werden kann. Anderseits hat der Verwaltungsgerichtshof mit seinen Erkenntnissen vom , Slg. N. F. Nr. 1557/A, und vom , Zl. 404/75, Beschwerden gegen Bescheide, mit denen die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügt bzw. bewilligt wurde, nicht zurückgewiesen, sondern über sie meritorisch entschieden. Er hat demnach die zur Erörterung stehende Rechtsfrage nämlich ob, gegen einen die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid eine abgesonderte Verwaltungsgerichtshofbeschwerde zulässig ist oder nicht, in seiner Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet.

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof die Rechtsanschauung vertreten, und zwar insbesondere seit dem Beschluss seines verstärkten Senates vom , Slg. N. F. Anh. 60/A von 1955, auf den sich der hg. Beschluss vom , Zl. 2808/53, Slg. N. F. Nr. 3773/A, gründete, dass durch die Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens im Anwendungsbereich des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes der Bescheid, mit dem das wiederaufzunehmende Verfahren abgeschlossen worden war, außer Kraft tritt (vgl. dazu auch den hg. Beschluss vom , Zl. 1166, 3128/58, sowie das hg. Erkenntnis vom , Zl. 1643/64, auf die ebenfalls unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 der hg. Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen wird).

Auf diese Rechtsmeinung hat sich der Gesetzgeber eingestellt und sie z.B. im § 14 Abs. 1 des Dienstrechtsverfahrensgesetzes berücksichtigt. Der Verwaltungsgerichtshof sieht nach neuerlicher Prüfung der Rechtslage keine Veranlassung, von dieser Auslegung, die sich aus dem Abs. 1 des § 70 AVG 1950 ergibt, abzugehen. Denn wenn die Behörde nach dieser Verfahrensvorschrift ausdrücklich auszusprechen hat, in welcher Instanz das Verfahren aufzunehmen ist, dann kann damit nur ein auf die Beseitigung gerichteter Eingriff in instanzenmäßig ergangene Bescheide gemeint sein. Der Verwaltungsgerichtshof verbleibt somit bei seiner bisherigen Rechtsprechung, dass die Bewilligung (Verfügung) der Wiederaufnahme des Verfahrens die Wirksamkeit des vorangegangenen Bescheides außer Kraft setzt.

Allerdings wurde die Rechtsfrage, ob diese Wirkung nur der rechtskräftig ausgesprochenen Bewilligung (Verfügung) zukommen kann, d. h. ob bis zum Eintritt der Rechtskraft der Bewilligung (Verfügung) der Wiederaufnahme der vorangegangene, das Verfahren abschließende Bescheid in seiner materiellen Auswirkung unberührt bleibt, in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht einheitlich beantwortet (vgl. in diesem Zusammenhang die bereits oben angeführten hg. Beschlüsse vom , Slg. N. F. Nr. 3773/A, und vom , Zl. 1166, 3128/58, einerseits, die mehr in die Richtung einer Verneinung dieser Rechtsfrage tendieren, und das ebenfalls bereits oben bezeichnete hg. Erkenntnis vom , Zl. 1643/64, andererseits, das eine eindeutige bejahende Antwort enthält). Der Verwaltungsgerichtshof ist nunmehr im verstärkten Senat der Anschauung, dass bereits im Zeitpunkt der Erlassung (Zustellung) der Bewilligung (Verfügung) der Wiederaufnahme der vorangegangene, das Verwaltungsverfahren abschließende Bescheid außer Kraft tritt. Diese Interpretation ergibt sich nach der Meinung des Gerichtshofes aus dem im § 70 Abs. 3 zweiter Satz AVG 1950 normierten Ausschluss einer abgesonderten Berufung gegen die Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme. Der Gesetzgeber wollte damit die sofortige Rechtswirksamkeit der Anordnung der Wiederaufnahme erreichen. Ansonsten könnten diesbezügliche dringend notwendige Verfügungen unter Umständen erst nach Abschluss eines langwierigen Wiederaufnahmsverfahrens getroffen werden.

Was jedoch die Frage der Zulässigkeit einer abgesonderten Beschwerde gegen einen bloß die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens verfügenden oder bewilligenden Bescheid betrifft, so gebietet es der vom Verwaltungsgerichtshof auf Grund des Art. 131 B-VG wahrzunehmende Rechtsschutz, dass das Recht zur Beschwerdeerhebung jedem zusteht, der durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet. Der Verwaltungsgerichtshof hält daher die oben angeführte wiederholt in seinen Entscheidungen zum Ausdruck gebrachte Rechtsanschauung, wonach eine Beschwerde gegen einen die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden (verfügenden) Bescheid schon im Hinblick auf § 70 Abs. 3 zweiter Satz AVG 1950 zurückzuweisen ist, nicht mehr als zutreffend; dies im übrigen auch im Hinblick darauf, dass die letztangeführte Gesetzesstelle allein auf das Verwaltungsverfahren abgestellt ist. Bei Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 131 B-VG ist demnach die Beschwerde gegen die Bewilligung (Verfügung) der Wiederaufnahme zulässig.

Allerdings ist jedoch hiebei im Sinne der Bestimmung des Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG zu beachten, dass derjenige, der durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, dagegen wegen Rechtswidrigkeit erst nach Erschöpfung des Instanzenzuges Beschwerde erheben kann. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter der Erschöpfung des Instanzenzuges die restlose Ausschöpfung aller Anfechtungsmöglichkeiten im administrativen Instanzenzug zu verstehen. Voraussetzung für die Erschöpfung des Instanzenzuges ist daher die Entscheidung durch die in letzter Instanz berufene Behörde (vgl. - unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 der hg. Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965 - die hg. Beschlüsse vom , Zl. 2075/49, vom , Zl. 336/62, vom , Zl. 1123/66, vom , Zl. 124/68, und vom , Zl. 1313/68). Unter diesem Gesichtspunkt ist eine Beschwerde gegen einen Bescheid, mit dem die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens verfügt (bewilligt) wurde, dann mangels Erschöpfung des Instanzenzuges zurückzuweisen, wenn gegen diesen Bescheid noch eine - wenn auch keine abgesonderte - Berufung zusteht, so wie dies nach § 70 Abs. 3 zweiter Satz AVG 1950 bei nicht letztinstanzlichen Wiederaufnahmsbescheiden der Fall ist.

In der vorliegenden Angelegenheit handelt es sich jedoch um einen im Administrativverfahren nicht mehr anfechtbaren Bescheid. Die Voraussetzung der Erschöpfung des Instanzenzuges trifft daher zu.

Es ist aber auch die Beschwerdeberechtigung hinsichtlich der Rechtsverletzungsmöglichkeit in der Sphäre der Beschwerdeführerin gegeben; und zwar deswegen, weil ihr im konkreten Fall auf Grund des (das ursprüngliche Begünstigungsverfahren) abschließenden Bescheides in seiner materiellen Auswirkung das Recht erwachsen war, der mitbeteiligten Partei keine Begünstigung gewähren zu müssen.

Aus allen diesen Erwägungen ist deshalb in der vorliegenden Angelegenheit vom Verwaltungsgerichtshof auf den Inhalt der vorliegenden Beschwerde einzugehen. In dieser Hinsicht bringt die Beschwerdeführerin vor, aus der Formulierung, es sei auch möglich, dass der Mitbeteiligte kurze Zeit im Geschäft seines Cousins gearbeitet habe, ergebe sich, dass es sich um kein versicherungspflichtiges Anstellungsverhältnis gehandelt haben könne. Die belangte Behörde habe sich auch nicht mit der Frage auseinander gesetzt, ob den Mitbeteiligten ein Verschulden dafür treffe, dass er sich auf die Zeugenschaft des AN erst im Wiederaufnahmsantrag berufen habe.

Diesbezüglich ist vorerst auf die im angefochtenen Bescheid angeführte Bestimmung des § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 - die gemäß § 357 ASVG auch für das Verfahren vor dem Sozialversicherungsträger gilt - zu verweisen, die besagt, dass dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen verfahrens stattzugeben ist, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Nach § 69 Abs. 2 AVG 1950 ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich von dem Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, jedoch spätestens binnen drei Jahren nach der Zustellung oder mündlichen Verhandlung des Bescheides bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.

Die Beschwerdeführerin übersieht, dass der Mitbeteiligte seine zugegebenermaßen nicht präzisierten Behauptungen in seinem Antrag vom am auf Grund der Aufforderung der Beschwerdeführerin dahin gehend genau konkretisiert hat, dass er angab, vom Jänner bis Juli 1936 und dann von April 1937 bis Mai 1938 in der Lebensmittelhandlung des JF zuerst als "Stellvertreter für JF" und später als Verkäufer gearbeitet zu haben. Die Beschwerdeführerin gibt in ihrer Beschwerde zwar die vorerst unpräzisen Behauptungen, nicht aber die später konkretisierten Angaben des Mitbeteiligten wieder. Geht man aber von den späteren Angaben des Mitbeteiligten aus, so vermag der Verwaltungsgerichtshof der Auffassung der Beschwerdeführerin, dass es sich bei der Tätigkeit des Mitbeteiligten im Lebensmittelgeschäft des JF "um kein versicherungspflichtiges Anstellungsverhältnis gehandelt haben kann", nicht zu folgen. Das Vorbringen des Mitbeteiligten, er sei Verkäufer gewesen, spricht vielmehr dafür, dass es sich seiner Meinung nach um ein Anstellungsverhältnis gehandelt haben soll, das nach den damals in Geltung stehenden sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen durchaus der Versicherungspflicht unterlegen gewesen sein kann.

Ebenso wenig vermag der Verwaltungsgerichtshof der Anschauung der Beschwerdeführerin zu folgen, den Mitbeteiligten treffe ein Verschulden dafür, dass er sich auf die Zeugenschaft des AN erst im Wiederaufnahmeantrag berufen hat. Es ist zwar richtig, dass im Verwaltungsverfahren, dessen Wiederaufnahme vom Mitbeteiligten begehrt worden ist, auch die Frage seiner Tätigkeit im Geschäft des JF strittig gewesen war. Dies hat aber nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der Frage, ob den Mitbeteiligten ein Verschulden dafür trifft, dass ihm die Möglichkeit, sich auf die Zeugenschaft des AN zu berufen, erst später bekennt geworden sein soll. Es steht nämlich mit den Erfahrungen des täglichen Lebens durchaus nicht im Widerspruch, dass sich aus einem zufälligen Gespräch ergeben kann, dass einer der Gesprächspartner über einen lang zurückliegenden Sachverhalt Angaben zu machen vermag. Bei dem Verschulden im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 handelt es sich um ein Verschulden im Sinne des § 1294 ABGB Sache des Wiederaufnahmswerbers ist es darzutun, dass die von ihm behaupteten neuen Tatsachen oder Beweismittel im Verwaltungsverfahren ohne sein Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten (vgl. auch in diesem Zusammenhang das bereits oben angeführte hg. Erkenntnis vom , Zl. 404/75). Nach Anschauung des Verwaltungsgerichtshofes ist in dem Vorbringen des Mitbeteiligten in seinem Antrag auf Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens, er habe am zufällig AN getroffen und von dessen Erinnerungsvermögen erfahren, auch die Behauptung eingeschlossen, dass den Mitbeteiligten daran, dass das neue Beweismittel erst im Wiederaufnahmsantrag geltend gemacht werden konnte, kein Verschulden trifft. In seinem ergänzenden Schriftsatz vom hat der Beschwerdeführer ausdrücklich diesen Standpunkt vertreten. Der Landeshauptmann ist dieser Auffassung offensichtlich gefolgt und ist, ohne allerdings besonders darauf hinzuweisen, letztlich beweiswürdigend davon ausgegangen, dass den Mitbeteiligten an der Geltendmachung dieses neuen Beweismittels erst im Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens kein Verschulden getroffen hat. Da diese Annahme, wie oben ausgeführt, den Erfahrungen des täglichen Lebens entspricht, vermag der Verwaltungsgerichtshof darin keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides zu erblicken. Daran ändert auch nichts das Beschwerdevorbringen, dass AN schon im Zeitpunkt des seinerzeitigen Verwaltungsverfahrens in Wien polizeilich gemeldet gewesen ist; denn es ist für den Mitbeteiligten, der sich zur Zeit des Begünstigungsverfahrens an AN noch gar nicht erinnert hatte, damals kein Anlass gegeben gewesen, die Adresse dieses potenziellen Zeugen auszuforschen. Ebenso wenig hat für ihn die Möglichkeit oder der Anlass bestanden, sich im Begünstigungsverfahren vor der Beschwerdeführerin oder in einem fristgerecht erhobenen Einspruch auf AN zu berufen.

Diesen Erwägungen zufolge ist demnach das Beschwerdevorbringen nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun. Dies führte gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 zur Abweisung der Beschwerde.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich hinsichtlich des Bundes auf § 48 Abs. 2 lit. a und b VwGG 1965 und bezüglich des Mitbeteiligten - unter Berücksichtigung seines Antrages - auf § 48 Abs. 3 lit. b VwGG 1965, beides in Zusammenhalt mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 4/1975.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AVG §69 Abs1;
AVG §70 Abs1;
AVG §70 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
Sammlungsnummer
VwSlg 9277 A/1977
Schlagworte
Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Nichterschöpfung des
Instanzenzuges Allgemein Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetze
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1977:1975001341.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
NAAAF-54668