VwGH 28.01.1974, 1333/73
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Norm | BauO NÖ 1969 §120 Abs7 Z2; |
RS 1 | Der Beurteilung eines Bauvorhabens nach § 120 Abs 7 Z 2 NÖ BO 1969 müssen konkrete Feststellungen über die bestehende Bebauung auch im Hinblick auf die vorwiegend herrschende Bebauungsweise vorangehen; das Ergebnis dieser Feststellungen ist mit den Parteien zu erörtern (mit ausführlicher Begründung). |
Norm | VwGG §63 Abs1; |
RS 2 | Die Rechtmäßigkeit eines gem § 63 Abs 1 VwGG erlassenen Ersatzbescheides ist an den das aufhebende Vorerkenntnis tragenden Entscheidungsgründen zu messen (Hinweis E , 1377/56). |
Normen | |
RS 3 | Die Behörde muß im Verwaltungsverfahren den Parteien Gelegenheit geben, sich auch über offenkundige Tatsachen zu äußern. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 0736/47 E VwSlg 357 A/1948 RS 1 |
Entscheidungstext
Beachte
Vorgeschichte:
0760/71 E VwSlg 8114 A/1971;
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Striebl und die Hofräte Dr. Rath, Dr. Hrdlicka, Dr. Straßmann und Dr. Draxler als Richter, im Beisein des Schriftführers Landesgrichtsrat Dr.Terlitza, über die Beschwerde der AS in W, vertreten durch Dr. Jörg Beirer, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, Hauptplatz 31, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Stadt Wiener Neustadt vom , Zl. 4 c/1163/70, betreffend die Abweisung von Anrainereinwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: TW in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Stadt Wiener Neustadt hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 2.053,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Vorgeschichte des vorliegenden Beschwerdefalles kann dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 760/71, entnommen werden. Es handelt sich um ein Bauansuchen der mitbeteiligten Partei, betreffend den Zubau eines Lagerschuppens und eines Pissoirs auf ihrer Liegenschaft in Wiener Neustadt, wobei diese Objekte an die westliche, gegen die Liegenschaft der Beschwerdeführerin gerichtete Grundgrenze angebaut werden sollen und weiters an der Grundgrenze zwischen einem bereits bestehenden Hauptgebäude, den geplanten neuen Gebäuden sowie einem bereits bestehenden Garagengebäude eine Einfriedungsmauer errichtet werden soll. Die beantragte Baubewilligung war mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wiener Neustadt vom gemäß §§ 92 und 100 der Niederösterreichischen Bauordnung 1969 erteilt worden; die von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwendungen waren teils abgewiesen und teils auf den Zivilrechtsweg verwiesen worden. Der dagegen von der Beschwerdeführerin erhobenen Berufung hatte der Stadtsenat der Stadt Wiener Neustadt mit Bescheid vom keine Folge gegeben. Dagegen hatte die Beschwerdeführerin die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben und als Beschwerdepunkt das subjektive öffentliche Nachbarrecht auf Einhaltung eines Bauwiches geltend gemacht. Mit dem vorerwähnten Erkenntnis vom hatte der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid des Stadtsenates der Stadt Wiener Neustadt vom wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hatte der Gerichtshof zum Ausdruck gebracht, daß er der Auffassung sei, die Beschwerdeführerin habe im Baubewilligungsverfahren eine öffentlich-rechtliche Einwendung wegen Nichteinhaltung eines Abstandes der geplanten Gebäude zur Nachbargrundgrenze erhoben, über welche meritorisch abzusprechen sei, und zwar unter Bedachtnahme auf die in § 120 der Niederösterreichischen Bauordnung 1969 getroffene Übergangsbestimmung. Der Sachverhalt sei in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben, weil nicht festgestellt worden sei, ob das geplante Bauvorhaben innerhalb der geschlossenen Ortschaft stattfinden solle und ob bejahendenfalls das Vorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch stehe, für welche Beurteilung nicht lediglich auf die Bebauung der Liegenschaft der mitbeteiligten Partei und die Bebauung der Liegenschaft der Beschwerdeführerin Bedacht genommen und wobei der Umstand, daß die mitbeteiligte Partei ihr Wohngebäude und ihre Garage an die Grundgrenze der Beschwerdeführerin herangebaut habe, angesichts des Fehlens eines Bebauungsplanes nicht als Festlegung der gekuppelten Bebauungsweise gewertet werden dürfe.
Mit dem nun beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wiener Neustadt vom abermals keine Folge. Ohne, daß der Bescheiderlassung ein Ermittlungsverfahren vorangegangen wäre, kam die belangte Behörde zur Auffassung, daß das geplante Vorhaben der mitbeteiligten Partei zur bestehenden Bebauung in keinem Widerspruch, schon gar nicht in einem auffallenden Widerspruch stehe, weil sämtliche umliegenden Grundstücke ähnlich bebaut seien wie die Liegenschaften der mitbeteiligten Partei und der Beschwerdeführerin, nämlich mit einem ein- oder zweigeschossigen Hauptgebäude und einem oder mehreren eingeschossigen Nebengebäuden, sodaß das Bauvorhaben, welches die Eigenschaft eines Nebengebäudes aufweise, mit der bestehenden Bebauung vollkommen im Einklang sei. In der Begründung dieses Bescheides wurde dann noch ausgeführt, daß und warum die belangte Behörde auch die Gebäudehöhe als mit dem Gesetz in Einklang stehend erachte.
In der Beschwerde wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes beantragt. Die belangte Behörde beantragt in ihrer Gegenschrift unter Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens die Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Bei der Behandlung des vorliegenden Beschwerdefalles ist davon auszugehen, daß es sich um einen gemäß § 63 Abs. 1 VwGG 1965 erlassenen Ersatzbescheid handelt; dessen Rechtmäßigkeit ist daher an den das aufhebende Vorerkenntnis vom tragenden Entscheidungsgründen zu messen. Da die Beschwerdeführerin im vorangegangenen Beschwerdeverfahren die Verletzung des Rechtes auf Einhaltung einer bestimmten Gebäudehöhe nicht als Beschwerdepunkt geltend gemacht hatte, eine Änderung des Sachverhaltes oder der Rechtslage aber seither nicht eingetreten ist, kann die Frage der Gebäudehöhe im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens nicht neu aufgerollt werden (siehe das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl.:
1377/56, auf welches unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen wird). Die diesbezüglichen Beschwerdeausführungen müssen daher unberücksichtigt bleiben.
Zur behaupteten Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften wird in der Beschwerde geltend gemacht, die belangte Behörde habe, ebenso wie die Behörde erster Instanz, keinerlei Feststellungen getroffen, welche die Beurteilung ermöglichten, ob das Bauvorhaben der mitbeteiligten Partei zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch stehe; in der Begründung fehlten auch jegliche Angaben darüber, worauf die Behörde ihre Tatsachenfeststellung stütze. Der Beschwerdeführerin sei jede Möglichkeit genommen worden, in dieser Hinsicht ihren Standpunkt zu vertreten. Der Bescheid enthalte auch keine ausreichende Begründung für die Annahme, daß das geplante Bauvorhaben innerhalb der geschlossenen Ortschaft stattfinden solle.
Schon mit diesen Ausführungen befindet sich die Beschwerdeführerin im Recht. Der Gerichtshof kann der belangten Behörde nicht darin beipflichten, wenn sie in der Gegenschrift den Standpunkt einnimmt, es sei allen Beteiligten seit Jahrzehnten bekannt, daß alle umliegenden Grundstücke mit einem ein- oder zweigeschossigen Hauptgebäude und einem oder mehreren zweigeschossigen Nebengebäuden bebaut seien, weshalb es nicht erforderlich gewesen sei, die Beschwerdeführerin hiezu zu hören. Die Beurteilung der Frage, ob ein geplantes Vorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch stehe, erfordert nämlich vorerst die Abgrenzung des Gebietes, welches als Maßstab herangezogen werden soll, und sodann die Aufnahme der vorhandenen Baubestände innerhalb dieses Gebietes. Hiebei sind in die Beurteilung alle jene Liegenschaften einzubeziehen, die miteinander nach der überwiegend herrschenden faktischen Bebauung ein im wesentlichen einheitliches, zusammenhängendes Ganzes bilden, welches sich nach dem äußeren Eindruck von angrenzenden Gebieten abhebt; dies geht daraus hervor, daß die Übergangsregelung des § 120 Abs. 7 und 8 der Niederösterreichischen Bauordnung 1969 einen einem Bebauungsplan ähnlichen Beurteilungsmaßstab gewährleisten soll, um den geordneten Weiterausbau der Ortschaft zu ermöglichen. Die Feststellung der Art der bestehenden Bebauung darf sich aus demselben Grund auch nicht auf die Anordnung der Gebäude zueinander auf den einzelnen Bauplätzen und auf die Gebäudehöhe beschränken, wie dies die belangte Behörde getan hat, sondern muß auch auf die überwiegend bestehende Anordnung der Gebäude im Verhältnis zu den Nachbargrenzen Bedacht nehmen. Aber auch die Beurteilung, ob das geplante Bauvorhaben innerhalb der geschlossenen Ortschaft stattfinden soll, kann nur auf konkrete Feststellungen darüber, ob die vom Ortskern ausgehende Bebauung im wesentlichen bis zu dem zur Bebauung gelangenden Bauplatz reicht, gegründet werden, welche Feststellungen die belangte Behörde nach der Aktenlage gleichfalls unterlassen hat. Somit ist der Sachverhalt abermals in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben.
Die Beschwerdeführerin ist aber auch damit im Recht, daß ihr das rechtliche Gehör entzogen wurde. Vor der Aufhebung des vorangegangenen Berufungsbescheides durch den Verwaltungsgerichtshof waren nämlich die Fragen, ob der Bauplatz zur geschlossenen Ortschaft gehört und ob das geplante Vorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch steht, niemals aufgeworfen worden. Es mußte der Beschwerdeführerin daher gemäß §§ 37 und 45 AVG 1950 vor Erlassung das Ersatzbescheides die Möglichkeit geboten werden, sich zu jenen Umständen, von denen die Beurteilung dieser Frage abhängt, zu äußern. Selbst über von der Behörde als offenkundig gewertete Tatsachen muß im Verwaltungsverfahren den Parteien Gelegenheit gegeben werden, sich zu äußern, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom , Slg. N.F. Nr. 357/A, ausgesprochen und begründet hat; mit dem Hinweis in der Gegenschrift, die der Beurteilung zugrunde gelegten Tatsachen seien offenkundig gewesen, vermag die belangte Behörde daher nicht durchzudringen.
Schon aus den vorgenannten Gründen war somit der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 und 3 VwGG 1965 aufzuheben. Auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin zur behaupteten Rechtswidrigkeit des Inhaltes war nicht weiter einzugehen, weil dieses Vorbringen auf der vorweggenommenen Annahme fußt, die im vorliegenden Verwaltungsverfahren unterbliebenen Feststellungen hätten ein Ergebnis, welches rechtlich zu dem Schlusse fuhren müßte, es handle sich um ein Bauvorhaben innerhalb der geschlossenen Ortschaft, welches in einem auffallenden Widerspruch zur bestehenden Bebauung stehe.
Ebenso war bei der Behandlung der vorliegenden Beschwerde nicht auf das Beschwerdevorbringen einzugehen, es sei der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erlassung eines Abtragungsauftrages für die gegenständlichen Baulichkeiten, welche bereits errichtet worden seien, nicht behandelt worden. Der Gerichtshof sieht sich jedoch veranlaßt darauf hinzuweisen, daß nun, nach dem neuerlichen Wegfall der Baubewilligung, auch diesem Antrag Bedeutung zukommt.
Von der Durchführung der von der Beschwerdeführerin beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 lit. c VwGG 1965 abgesehen werden.
Der Ausspruch über die Kosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 und die Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 427. Das Kostenmehrbegehren (Umsatzsteuer) war abzuweisen, weil die in der genannten Verordnung vorgesehenen Kostensätze Pauschalsummen darstellen, welche nicht überschritten werden dürfen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | Parteiengehör offenkundige notorische Tatsachen |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1974:1973001333.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
NAAAF-54642