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VwGH 26.06.1975, 1268/74

VwGH 26.06.1975, 1268/74

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
ABGB §871;
GehG 1956 §26 Abs3 Z2;
VwRallg impl;
RS 1
Da allgemeine Regelungen über die Wertung von Willenserklärungen in den Verwaltungsvorschriften oder in den Verfahrensvorschriften nicht enthalten sind, sind in dieser Frage die Vorschriften des ABGB heranzuziehen.
Normen
ABGB §871;
GehG 1956 §26 Abs3 Z2;
VwRallg impl;
RS 2
Ein Irrtum iSd § 871 ABGB ist geeignet, die Rechtswirksamkeit eines Verzichtes auf einen im öffentlichen Recht wurzelnden Rechtsanspruch auszuschließen (Hinweis E , 547/50, VwSlg 1889 A/1951). Es entsteht für den Erklärenden keine Verbindlichkeit, wenn er in einem wesentlichen Irrtum befangen und dieser durch den anderen Teil veranlaßt war.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehne und die Hofräte Dr. Hinterauer, Dr. Zach, Dr. Karlik und Dr. Seiler als Richter, im Beisein des Schriftführers Landesgerichtsrat Dr. Fritscher, über die Beschwerde der GK in S, vertreten durch Dr. Walter Riedl und Dr. Peter Ringhofer, Rechtsanwälte in Wien I, Wiesingerstraße 3, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. VIII/1-1132/3-L-1972, betreffend Abfertigung gemäß § 26 Abs. 3 Z. 2 des Gehaltsgesetzes 1956, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 2.490,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin schied mit Ablauf des aus dem öffentlich-rechtlichen Landeslehrerdienstverhältnis zum Land Niederösterreich aus. Seit steht sie als provisorischer Fachlehrer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Ihre Dienststelle ist die Bundesbildungsanstalt für Arbeitslehrerinnen in S.

Am richtete der Landesschulrat für Niederösterreich an die Beschwerdeführerin ein Schreiben mit folgendem Wortlaut:

"Aus Anlaß Ihrer Ernennung zum prov. Fachlehrer und dem damit verbundenen Ausscheiden aus dem NÖ Pflichtschuldienst gebührt Ihnen eine Abfertigung. Allerdings hätten Sie in diesem Falle für eine rund 28-jährige Lehrerdienstzeit besondere Pensionsbeiträge zu entrichten. Es wird Ihnen jedoch anheimgestellt, auf die Abfertigung zu verzichten. In diesem Falle würde vom Land NÖ ein Überweisungsbetrag an den Bund geleistet werden. Um Äußerung bis spätestens wird ersucht."

Daraufhin erklärte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom , daß sie auf eine Abfertigung verzichte. Gleichzeitig bat sie um die Buchung eines Überweisungsbetrages vom Land Niederösterreich an den Bund. Mit Schreiben vom widerrief sie jedoch die Verzichtserklärung und ersuchte um Zuerkennung der ihr zustehenden Abfertigung.

Dieses Begehren wurde vom Landesschulrat für Niederösterreich mit Bescheid vom abgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides verwies die Behörde auf die abgegebene Verzichtserklärung und führte aus, der Verwaltungsgerichtshof habe in zahlreichen Entscheidungen ausgesprochen, daß ein Verzicht auf Ansprüche, die dem öffentlichen Recht zugehörten, zulässig sei, sofern nicht eine gesetzliche Bestimmung ausdrücklich etwas anderes anordne oder öffentliche Interessen entgegenstünden. Im vorliegenden Fall sei die Zulässigkeit des Verzichtes zu bejahen, weil die Entsagung des Abfertigungsanspruches weder ausdrücklich verboten sei noch den öffentlichen Interessen widerspreche. Um den Verzicht rechtswirksam zu gestalten genüge es, daß die Verzichtserklärung von der zuständigen staatlichen Stelle zur Kenntnis genommen werde. Einer förmlichen Erklärung des zuständigen Organs, den Verzicht anzunehmen, bedürfe es nicht (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2470/56). Ferner ergebe sich aus der Rechtsnatur des Verzichts als einseitigem Rechtsgeschäft, daß der einmal abgegebene, gültige Verzicht unwiderruflich sei (siehe GEBETSROITER-GRÜNER, Das Pensionsgesetz, S. 26). Da die seinerzeitige Verzichtserklärung der Beschwerdeführerin vom Landesschulrat für Niederösterreich als zuständiger Dienstbehörde zur Kenntnis genommen worden sei und dadurch Gültigkeit erlangt habe, sei der am abgegebene Widerruf ohne weitere Bedeutung.

Die Beschwerdeführerin berief und brachte vor, im Schreiben des Landesschulrates für Niederösterreich vom seien ihr die rechtlichen Sachverhalte so dargestellt worden, als wäre die ihr zustehende Abfertigung dem besonderen Pensionsbeitrag gemäß § 56 des Pensionsgesetzes 1965 mindestens gleich. Aus der Wortwahl habe aber auch entnommen werden können, daß der zu leistende Pensionsbeitrag höher als die Abfertigung sei. Da dies, wie sich nachträglich herausgestellt habe, nicht der Fall sei, habe sie der Landesschulrat für Niederösterreich als Dienstgeber, dem sie als Dienstnehmerin wohl vertrauen dürfe, nicht richtig, zumindest aber nicht vollständig informiert. Der erste Satz des zweiten Absatzes "Es wird Ihnen jedoch anheimgestellt, auf die Abfertigung zu verzichten." sei von ihr in der Annahme, daß der Dienstgeber ihr gegenüber keine Schädigungsabsicht habe, als Empfehlung aufgefaßt worden. Dies wäre nicht der Fall gewesen, wenn im erwähnten Schreiben eine klare Darstellung der gesamten Rechtsverhältnisse erfolgt wäre. Im übrigen wäre festzustellen, daß es nicht zu den Gepflogenheiten des Landesschulrates zähle, bei ziffernmäßig kleineren Abfertigungen eine Verständigung im Sinne dieses Schreibens an ausgeschiedene Dienstnehmer zu richten. Als sie von ihrer Interessenvertretung auf Grund ihrer nachfolgenden Zweifel über den wahren rechtlichen Sachverhalt aufgeklärt worden sei, habe sie die Verzichtserklärung widerrufen. Dies erscheine ihr unter Hinweis auf die oben erwähnte Vorgangsweise des Landesschulrates für Niederösterreich unter Beachtung der Bestimmungen des § 871 ABGB als richtig. Wäre sie nämlich von dieser Behörde nicht unrichtig informiert worden, so hätte sie auch nicht die Verzichtserklärung abgegeben. Die in der Bescheidbegründung angeführten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes könnten zur Untermauerung der Abweisung ihres Begehrens vom nicht angeführt werden, weil die Initiative nicht von ihr, sondern vom Dienstgeber ausgegangen sei.

Die belangte Behörde gab der Berufung der Beschwerdeführerin mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. In der Begründung dieses Bescheides stellte sie in bezug auf das Schreiben des Landesschulrates für Niederösterreich vom fest, daß weder der Text noch der Anlaß dieses Schreibens irgendeinen Hinweis darauf enthalte, daß der besondere Pensionsbeitrag oder der Überweisungsbetrag höher sei als die der Beschwerdeführerin gebührende Abfertigung. Es könne jedoch nicht bestritten werden, daß das Schreiben keinen Hinweis enthalte, welche Vorgangsweise für die Beschwerdeführerin günstiger sei. Gerade aus dieser Tatsache sei jedoch auch die Begründung der Beschwerdeführerin, sie hätte das Schreiben als Aufforderung oder Empfehlung angesehen, nicht stichhältig. Die im Bescheid des Landesschulrates für Niederösterreich vertretene Auffassung, daß der Verzicht als einseitiges Rechtsgeschäft unwiderruflich sei, werde unterstrichen. Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf § 871 ABGB werde dadurch entkräftet, daß das Schreiben des Landesschulrates wohl in bezug auf die Höhe der gegenständlichen Beträge keinen Hinweis enthalte, jedoch nicht irreführend sei. Auch müsse auf die für die gesamte österreichische Rechtsordnung geltende Vorschrift des § 2 ABGB verwiesen werden, wonach sich niemand damit entschuldigen könne, daß ihm ein gehörig kundgemachtes Gesetz nicht bekannt geworden sei. Wenn die Beschwerdeführerin Zweifel darüber, welche Vorgangsweise für sie günstiger sei, gehabt hätte, so hätte sie diese bei ihrer Interessenvertretung zielführend vor Abgabe der Verzichtserklärung beseitigen können.

Die Beschwerdeführerin bekämpft diesen Bescheid mit der vorliegenden Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Sie erachtet sich in ihrem Recht auf Abfertigung gemäß § 26 Abs. 3 Z. 2 des Gehaltsgesetzes 1956 durch unrichtige Anwendung dieser Norm sowie der allgemeinen, für den Verzicht auf öffentlichrechtliche Ansprüche geltenden Rechtsgrundsätze verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde und die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift erwogen:

Beide Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gehen zutreffend davon aus, daß der Anspruch auf eine Abfertigung im Sinne des § 26 des Gehaltsgesetzes 1956 einen verzichtbaren Anspruch darstellt. Auf die von den Parteien unterschiedlich beurteilte Frage der Widerruflichkeit einer abgegebenen Verzichtserklärung braucht im vorliegenden Fall nicht eingegangen zu werden, weil schon der Verzichtserklärung der Beschwerdeführerin keine Rechtswirksamkeit zukommt. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom , Slg. Nr. 1889/A, ausgesprochen, daß ein Irrtum im Sinne des § 871 ABGB geeignet sei, die Rechtswirksamkeit eines Verzichtes auf einen im öffentlichen Recht wurzelnden Rechtsanspruch auszuschließen. Da allgemeine Regelungen über die Wertung von Willenserklärungen in den Verwaltungsvorschriften oder in den Verfahrensvorschriften nicht enthalten sind, hält der Verwaltungsgerichtshof die in der Judikatur vorgenommene Heranziehung des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches in dieser Frage berechtigt.

Nach der zitierten Gesetzesstelle entsteht für den Erklärenden unter anderem keine Verbindlichkeit, wenn er in einem wesentlichen Irrtum befangen und dieser durch den anderen, Teil veranlaßt war. Es wird weder absichtliche noch fahrlässige Irreführung gefordert. Veranlassen begreift vielmehr jedes für die Entstehung des Irrtums ursächliche Verhalten in sich (GSCHNITZER in KLANG2 IV/1 S. 128).

Im vorliegenden Fall ist unbestritten, daß die von der Beschwerdeführerin am abgegebene Verzichtserklärung eine Reaktion auf das Schreiben des Landesschulrates für Niederösterreich vom darstellte. In diesem Schreiben hat die genannte Behörde, die auch im nunmehrigen Bundesdienstverhältnis der Beschwerdeführerin deren Dienstbehörde ist, die mit der Abfertigung verbundene Last des besonderen Pensionsbeitrages für eine 28-jährige Lehrerdienstzeit hervorgehoben und es der Beschwerdeführerin anheimgestellt, auf die Abfertigung mit der Wirkung zu verzichten, daß vom Land Niederösterreich ein Überweisungsbetrag an den Bund geleistet würde. Dabei ist unbestritten, daß der besondere Pensionsbeitrag wesentlich niedriger ist als die Abfertigung. Die Beschwerdeführerin brauchte aber nicht damit zu rechnen, daß ihr ihre Dienstbehörde eine finanziell nachteilige Rechtsgestaltungsmöglichkeit "anheimstellen" würde. Die Dienstbehörde hätte daher, wenn sie schon auf die Möglichkeit des Anspruchsverzichtes und die damit in bezug auf den besonderen Pensionsbeitrag verbundene Entlastung hingewiesen hat, die für die Beschwerdeführerin nachteilige Relation zwischen dem Wert des Abfertigungsanspruches und der Höhe des durch einen Rechtsverzicht ersparten Aufwandes nicht verschweigen dürfen. Der Irrtum der Beschwerdeführerin über die finanzielle Tragweite ihrer Verzichtserklärung, dem Wesentlichkeit zukommt, wurde sohin vom Landesschulrat für Niederösterreich durch den positiven Hinweis auf die Verzichtsmöglichkeit in Verbindung mit der Unterlassung weiterer Aufklärung, die gegenüber der Beschwerdeführerin aus dem allgemeinen Grunde der Loyalität und aus dem besonderen Grunde der aus dem Dienstverhältnis sich ergebenden Fürsorgepflicht geboten gewesen wäre, veranlaßt. Die belangte Behörde hat die Rechtslage verkannt, wenn sie die Frage der Veranlassung des Irrtums nur nach dem im mehrfach erwähnten Schreiben Gesagten beurteilt und dessen Unvollständigkeit unberücksichtigt gelassen hat, obwohl die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung diesen Mangel als Ursache ihres Irrtums aufgezeigt hatte. Da die Vorschrift des § 871 ABGB nicht darauf abstellt, ob der Irrtum entschuldbar ist oder nicht, ist der Hinweis der belangten Behörde auf § 2 ABGB verfehlt.

Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage durfte die Beschwerdeführerin nicht an ihrer Verzichtserklärung vom festgehalten werden. Der Anspruch der Beschwerdeführerin auf die geltend gemachte Abfertigung wurde demnach zu Unrecht verneint. Dies mußte gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes führen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 lit. a und b VwGG 1965 sowie auf Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 4/1975.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
ABGB §871;
GehG 1956 §26 Abs3 Z2;
VwRallg impl;
Sammlungsnummer
VwSlg 8860 A/1975;
Schlagworte
Rechtsgrundsätze Allgemein Anwendbarkeit zivilrechtlicher
Bestimmungen Verträge und Vereinbarungen im öffentlichen Recht
VwRallg6/1
Rechtsgrundsätze Verzicht Widerruf VwRallg6/3
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1975:1974001268.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
WAAAF-54451