Suchen Hilfe
VwGH 12.04.1961, 1258/60

VwGH 12.04.1961, 1258/60

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
BAO §115 Abs1 impl;
BAO §256 Abs1 impl;
BAO §289 Abs2 impl;
VwGG §50 Abs1;
VwGG §63 Abs1 impl;
RS 1
Hat in einem Rechtsmittelverfahren, in dem eine Bewertung streitig war, der Rechtmittelwerber sein Begehren in einem Punkte eingeschränkt und sich mit einer bestimmten Bewertung einverstanden erklärt, dann ist es der Rechtmittelbehörde gleichwohl nicht verwehrt, diese Sache noch höher zu bewerten als die Unterbehörde und so den angefochtenen Bescheid zum Nachteile des Rechtsmittelwerbers zu ändern. Erweist sich das Verfahren, das zu dieser Erhöhung geführt hat, als mangelhaft und wird die Rechtsmittelentscheidung aus diesem Grunde vom VwGH aufgehoben, dann ist die Rechtsmittelbehörde bei der Erlassung des Ersatzbescheides nicht verpflichtet, unter die seinerzeit vom Steuerpflichtigen durch teilweise Rücknahme des Rechtsmittels zugestandenen Wertansätze herabzugehen oder noch weitere Ermittlungen über die Angemessenheit dieser Ansätze anzustellen, wenn sie selbst diese für angemessen hält (Hinweis E , 1332/56 und 1818/57, VwSlg 2021 F/1959).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Ondraczek und die Räte Dr. Porias, Dr. Dorazil, Dr. Eichler und Dr. Kaupp als Richter, im Beisein des Ministerialoberkommissärs Skarohlid als Schriftführer, über die Beschwerde der B Aktiengesellschaft in W gegen den Bescheid der Berufungskommission für Wien bei der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA VI - 903/16 - 1959, betreffend Lohnsteuer und Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Kinderbeihilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Bei der beschwerdeführenden Gesellschaft (in der Folge kurz Beschwerdeführerin genannt) fand im Jahre 1954 eine Lohnsteuerprüfung für den Zeitraum vom bis statt. Der Prüfer beanstandete u.a., daß die den Arbeitnehmern der Beschwerdeführerin in betriebseigenen Gebäuden überlassenen Naturalwohnungen beim Steuerabzuge vom Arbeitslohn zu niedrig bewertet worden seien. Er führte in den Nachbargemeinden Erhebungen zur Feststellung des durchschnittlichen Mietwertes der Wohnungen durch und bewertete danach die Nutzungswerte der Wohnungen mit monatlich S 1,50 pro m2. Das Finanzamt folgte den Feststellungen des Prüfers und erließ einen Haftungs- und Zahlungsbescheid über die nach den Ergebnissen der Prüfung sich ergebenden Nachforderungen an Lohnsteuer und Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Kinderbeihilfen. Die Beschwerdeführerin berief und erhob gegen den Haftungs- und Zahlungsbescheid des Finanzamtes in einer Reihe von Punkten Einwendungen. Im Zuge des Verfahrens hielt die Finanzlandesdirektion der Beschwerdeführerin Ermittlungen vor, aus denen sie einen Mietwert von S 1,90 für den Quadratmeter berechnen zu können glaubte. Die Beschwerdeführerin zog daraufhin die Berufung, soweit sie gegen die Bewertung der Werkswohnungen gerichtet war, zurück.

Die belangte Behörde gab der Berufung in einigen der aufrecht gebliebenen Punkte statt und wies sie in anderen dieser Punkte ab. Gleichzeitig änderte sie im Punkte der Bewertung der Werkswohnungen die erstinstanzliche Entscheidung zum Nachteile der Beschwerdeführerin ab und erhöhte unter Hinweis auf die im Vorhaltswege bekannt gegebenen Ermittlungen und unter Anwendung eines Mietwertes von S 1,90 für den Quadratmeter die Nachtragsvorschreibungen in entsprechender Weise.

Diesen Bescheid hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Slg. N.F. Nr. 2021/F, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Im weiteren Verfahren beantragte die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die geltenden Mietwerte für Werkswohnungen im Bergbau, den Mietwert für ihre Werkswohnungen mit S 1,-- für den Quadratmeter festzusetzen. Die Finanzlandesdirektion hat jedoch im fortgesetzten Verfahren als Rechtsmittelbehörde in der in der Sache ergangenen neuerlichen Rechtsmittelentscheidung diesen Antrag nicht beachtet und sich hinsichtlich der Bewertung der Werkswohnungen auf die Feststellung beschränkt, daß die Beschwerdeführerin die Berufung in den Punkten, die die Mietwerte der Werkswohnungen betrafen, zurückgezogen habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende an den Verwaltungsgerichtshof erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin wendet einmal ein, der Verwaltungsgerichtshof habe in dem erwähnten Erkenntnisse vom die Unterlassung bestimmter Ermittlungen zur Feststellung des Mietwertes der Werkswohnungen gerügt, die Behörde habe jedoch im fortgesetzten Verfahren die Durchführung dieser Ermittlungen unterlassen und dadurch gegen die Bestimmungen des § 50 Abs. 1 VwGG 1952 verstoßen. In der Hauptsache behauptet die Beschwerdeführerin einen Verstoß gegen die Bestimmungen des § 39 Abs. 2 des Abgabenrechtsmittelgesetzes (BGBl. Nr. 60/1949, AbgRG) in der Frage der amtswegigen Ermittlungspflicht. Die Behörde habe im Zuge des durchgeführten Verfahrens erkennen müssen, daß der vom Finanzamte festgesetzte Quadratmeterpreis von S 1,50 zu hoch sei. Sie wäre im Sinne der Bestimmungen des § 204 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) verpflichtet gewesen, den Sachverhalt auch zugunsten der Beschwerdeführerin zu überprüfen. An dieser Verpflichtung habe die Zurücknahme der Berufung in den Punkten des Mietwertes der Werkswohnungen nichts geändert. Der sich aus der Berufungsentscheidung offenkundig ergebende Standpunkt, die Zurückziehung der Berufung in den strittigen Punkten dann anzuerkennen, wenn die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens der Beschwerdeführerin zum Vorteile gereichen würde, sei rechtswidrig. Schließlich macht die Beschwerde noch die Verletzung des Grundsatzes des Parteiengehörs durch die Nichtbeachtung ihres nachträglichen Vorbringens über den Ansatz eines Quadratmeterpreises von S l,-- geltend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Die vorliegende Beschwerde stellt in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen den Einwand, die belangte Behörde habe in den Punkten der Bewertung der Werkswohnungen gegen die Bestimmungen des § 39 Abs. 2 AbgRG und die sich daraus ergebende amtswegige Ermittlungspflicht verstoßen. Die Beschwerdeführerin beruft sich dabei auf das im Abgabenrechtsmittelverfahren geltende System der Vollberufung, das die Behörde verpflichte, einen als unrichtig erkannten Bescheid des Finanzamtes zur Herstellung der dem Gesetz entsprechenden Rechtslage abzuändern.

Bei der Prüfung dieses Einwandes war davon auszugehen, daß die Beschwerdeführerin den Haftungs- und Zahlungsbescheid des Finanzamtes in den Punkten der Bewertung der Werkswohnungen zwar zunächst mit Berufung angefochten, später jedoch in diesen Punkten die erhobene Berufung zurückgezogen hat. Nach den Grundsätzen der Vollberufung war die belangte Behörde - wie in dem erwähnten Erkenntnis eingehend ausgeführt ist - dadurch nicht gehindert, die Frage der Angemessenheit der Bewertung der Werkswohnungen von sich aus aufzurollen. Dies hat sie auch getan. Sie ist von den Ergebnissen der erstinstanzlichen Schätzung abgewichen und hat den geschätzten Quadratmeterpreis von S 1,50 auf S 1,90 erhöht. Dabei hat sie aber Verfahrensvorschriften verletzt, da sie für die Verschärfung der Bemessung keine einwandfreie verfahrensmäßige Grundlage hatte. Aus dem Mangel einer geeigneten verfahrensmäßigen Grundlage zur Rechtfertigung einer Höherschätzung des Quadratmeterpreises zum Nachteile der Beschwerdeführerin, der zur Aufhebung der ersten in der Sache ergangenen Berufungsentscheidung geführt hat, kann aber unter Berufung auf § 39 AbgRG noch nicht gefolgert werden, daß die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren jedenfalls verpflichtet gewesen sei, den bezüglichen Sachverhalt einer weiteren Überprüfung zu unterziehen und daß die Unterlassung einer solchen Überprüfung der nunmehr ergangenen zweiten Rechtsmittelentscheidung selbst dann als Mangel angelastet werden müsse, wenn diese Entscheidung im Hinblick auf die Zurückziehung der Berufung in den Punkten der Bewertung der Werkswohnungen darüber keinen Absprach mehr enthält. Nach § 21 AbgRG können Rechtsmittel ganz oder zum Teile zurückgenommen werden. Die Rücknahme hat den Verlust des Rechtsmittels zur Folge. Die belangte Behörde hatte also bei ihrer Entscheidung, da die Berufung im Punkte der Bewertung der Werkswohnungen zurückgezogen worden war, ungeachtet des späteren Vorbringens der Beschwerdeführerin, daß eigentlich der Ansatz eines Quadratmeterpreises von S 1,-- angemessen wäre, davon auszugehen, daß die Bewertung der Werkswohnungen im Berufungsverfahren nicht mehr strittig war. Der Grundsatz der Vollberufung legt nun der Behörde die Verpflichtung auf, einen unrichtigen erstinstanzlichen Bescheid zur Herstellung der dem Gesetz entsprechenden Rechtslage abzuändern und diese Verpflichtung gilt zugunsten wie auch zu ungunsten des Abgabepflichtigen. Die Beschwerdeführerin behauptet eine Verletzung dieser Verpflichtung und wendet ein, die belangte Behörde wäre im Sinne der Bestimmungen des § 204 AO über die amtswegige Ermittlungspflicht verpflichtet gewesen, eine Überprüfung des Sachverhaltes hinsichtlich der Mietwerte der Werkswohnungen auch zugunsten der Beschwerdeführerin durchzuführen. Bei diesem Einwand verkennt sie aber, daß im Abgabenverfahren neben dem Grundsatze der amtswegigen Ermittlung des Sachverhaltes durch die Behörde gleichwertig auch der Grundsatz der Mitwirkung des Abgabepflichtigen am Verfahren gilt. Die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens erfordert die Einbringung eines Rechtsmittels durch den Abgabepflichtigen. Dieses Rechtsmittel muß, wie § 17 Abs. 2 AbgRG ausdrücklich anordnet, u.a. die bestimmte Erklärung enthalten, inwieweit der bekämpfte Bescheid angefochten wird. Mit dieser zwingend vorgeschriebenen Erklärung bestimmt der Abgabepflichtige den in Anfechtung gezogenen Bereich des angefochtenen Bescheides. Er kann diesen Bereich durch eine spätere teilweise Zurücknahme des Rechtsmittels einschränken, er kann ihn aber von sich aus nicht wieder ausdehnen. Die Behörde ist durch eine solche Abgrenzung des Streitbereiches nicht gehindert, eine unrichtige Entscheidung zur Herstellung der dem Gesetz entsprechenden Rechtslage auch in den nicht in Anfechtung gezogenen Bereichen abzuändern. Ihre reformatorische Funktion erstreckt sich aber nur dann auch auf die unangefochten gebliebenen Bereiche, wenn sie den angefochtenen Bescheid in diesen Bereichen als unrichtig erkennt. Die Beschwerdeführerin behauptet nun zwar, daß die belangte Behörde den festgesetzten Quadratmeterpreis von S 1,50 als unrichtig erkannt habe oder habe erkennen müssen. Der Verwaltungsgerichtshof konnte ihr aber darin nicht folgen. Die Angemessenheit einer Schätzung des Quadratmeterpreises zur Festsetzung des Mietwertes einer Wohnung ist angesichts der gegenwärtigen Besonderheiten der Mietzinsbildung und der Unterschiedlichkeit der möglichen Zinse eine Frage, bei deren Beantwortung der Behörde notwendigerweise ein großer Spielraum gegeben ist. Der Umstand allein, daß die Beschwerdeführerin die nach einem Quadratmeterpreis von S 1,50 ermittelten Werte nach einem eingehenden Verwaltungsverfahren trotz ihrer Vertrautheit mit den örtlichen Mietenverhältnissen durch die Zurücknahme der betreffenden Berufungspunkte schließlich anerkannt hat, zeigt deutlich genug, daß mit einem Quadratmeterpreis dieses Ausmaßes der mögliche Schätzungsrahmen nicht überschritten wurde. Im übrigen lassen die Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen, daß die belangte Behörde sich bei ihrer neuen Rechtsmittelentscheidung mit der Frage der Angemessenheit der vom Finanzamt angenommenen und der vergleichsweise herangezogenen Werte für Werkswohnungen im Bergbau befaßt hat, und daß auch die Ergebnisse der angestellten Ermittlungen keineswegs die Behauptung der Beschwerdeführerin rechtfertigen, die Behörde habe erkennen müssen, das der geschätzte Quadratmeterpreis von S 1,50 unangemessen und zu hoch sei.

Die Einwendung, die belangte Behörde habe ihre Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung des Sachverhaltes verletzt, ist somit unbegründet. Der Verwaltungsgerichtshof konnte aus den angegebenen Gründen auch nicht finden, daß die Beschwerdeführerin durch die Nichtberücksichtigung ihres nachträglichen Vorbringens über die Angemessenheit eines Quadratmeterpreises von S 1,-- in ihrem Recht auf Parteiengehör verletzt worden sei.

Die Beschwerdeführerin hat schließlich auch den Einwand erhoben, die Behörde habe gegen die Bestimmungen des § 50 Abs. 1 VwGG 1952 verstoßen, nach welchen die Verwaltungsbehörden verpflichtet sind, unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Zur Widerlegung dieses Einwandes genügt es darauf hinzuweisen, daß der Verwaltungsgerichtshof die ursprünglich bekämpfte Beschwerdeentscheidung deshalb aufgehoben hat, weil die Behörde für ihre (von der erstinstanzlichen abweichende) Wertermittlung, die sie zum Anlaß einer Erhöhung der Steuerforderung genommen hatte, keine verfahrensmäßige Grundlage hatte. Aus dieser Feststellung einer Verletzung von Verfahrensvorschriften erwuchs aber der Behörde, da sie in der nunmehr bekämpften Beschwerdeentscheidung von der seinerzeitigen Verschärfung der Steueranforderung Abstand nahm, nicht die Verpflichtung, die von der Beschwerdeführerin nicht mehr bekämpfte ursprüngliche Bewertung der Werkswohnungen einer neuerlichen Überprüfung zuzuführen.

Der angefochtene Bescheid läßt somit eine Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin nicht erkennen. Die dagegen erhobene Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1952 als unbegründet abzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
BAO §115 Abs1 impl;
BAO §256 Abs1 impl;
BAO §289 Abs2 impl;
VwGG §50 Abs1;
VwGG §63 Abs1 impl;
Sammlungsnummer
VwSlg 2417 F/1961;
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1961:1960001258.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
EAAAF-54418