VwGH 30.01.1981, 1255/80
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | AVG §68 Abs3; ZLG Stmk 1971 §29; |
RS 1 | Die Abänderung oder Behebung eines rechtskräftigen Bescheides iSd § 68 Abs 3 AVG ist nur dann sachlich gerechtfertigt, wenn dessen Auswirkungen einen unerträglichen Nachteil für die Allgemeinheit bedeuten. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 1302/47 E VwSlg 1014 A/1949 RS 1
(hier: Keine Abänderung zu Gunsten einer Partei hinsichtlich einer
Abfindung im Zusammenlegungsverfahren) |
Normen | |
RS 2 | Unter "schweren volkswirtschaftlichen Schädigungen" im Sinne des § 68 Abs 3 sind Beeinträchtigungen volkswirtschaftlicher, nicht privatwirtschaftlicher Belange von ernster Bedeutung für die allgemeine Wohlfahrt zu verstehen. |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 0751/47 E VwSlg 754 A/1949 RS 1
(hier: Keine Abänderung zu Gunsten einer Partei hinsichtlich einer
Abfindung im Zusammenlegungsverfahren) |
Normen | |
RS 3 | Ausführungen warum eine Abänderung im Sinne des § 68 Abs 3 AVG einer rk vorläufigen Übergabe im Zusammenlegungsverfahren zu Gunsten einer Partei und hinsichtlich einer Abfindung nicht möglich ist. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hinterauer und die Hofräte Dr. Salcher, Dr. Hoffmann, Dr. Hnatek und Dr. Fürnsinn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Davy, über die Beschwerde des Bundes - Bundesstraßenverwaltung -, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien I, Rosenbursenstraße 1, gegen den Bescheid des Landesagrarsenates beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. 8-LAS 263 I 12/12-1980, betreffend Behebung von Anordnungen der vorläufigen Übernahme von Grundabfindungen (mitbeteiligte Parteien: F und AI in M), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird, soweit der Bescheid der Agrarbezirksbehörde Graz vom , GZ. 3 M 227/691- 1976, abgeändert wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Das Land Steiermark hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.400,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Erkenntnis vom behob der Landesagrarsenat beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung gemäß § 68 Abs. 3 AVG 1950 den Bescheid der Agrarbezirksbehörde Graz vom , mit dem die vorläufige Übernahme von Grundabfindungen im Grundzusammenlegungsverfahren X angeordnet worden war, hinsichtlich der Grundabfindung Nr. 199/b an die Mitbeteiligten dieses Beschwerdeverfahrens sowie den Bescheid derselben Behörde vom , mit dem die vorläufige Übernahme von Grundabfindungen im Grundzusammenlegungsverfahren Y angeordnet worden war, hinsichtlich der Grundabfindung 1/r an den Beschwerdeführer. Zugleich wurde bemerkt, die weiteren Verhandlungen und die Erlassung eines Bescheides habe die Agrarbezirksbehörde Graz durchzuführen. Die Entscheidung wurde folgendermaßen begründet: Die Agrarbezirksbehörde Graz habe das Verfahren zur Einleitung des Grundzusammenlegungsverfahrens X mit Verordnung vom und jenes betreffend Y mit Verordnung vom angeordnet. In beiden Verfahren seien der Besitzstandsausweis und der Bewertungsplan rechtskräftig. Über die Anordnung der vorläufigen Übernahme sei im Grundzusammenlegungsverfahren X am , in jenem betreffend Y am entschieden worden; beide Bescheide seien rechtskräftig. Unter anderem hätten die Mitbeteiligten im Grundzusammenlegungsverfahren X gegen den Bescheid über die vorläufige Übernahme berufen, weil ihrer Meinung nach die Grundabfindung Nr. 199/b derzeit und auch später keinen zufriedenstellenden Ertrag erbringen könne. Diese Grundabfindung bewirke, daß eine ordnungsgemäße Weiterbewirtschaftung des landwirtschaftlichen Betriebes der Mitbeteiligten schwer möglich werde. Da jedoch die formellen Voraussetzungen des § 29 des Gesetzes vom über die Zusammenlegung land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke (ZLG 1971), LGBl. Nr. 32, erfüllt gewesen seien - von 235 betroffenen Liegenschaftseigentümern hatten sich, wie es im Berufungsbescheid heißt, lediglich acht gegen die vorläufige Übernahme ausgesprochen -, habe dem Einwand von der Behörde zweiter Instanz nicht Rechnung getragen werden können. In der Folge habe der Landesagrarsenat einerseits aufgrund des Ergebnisses der im Berufungsverfahren durchgeführten örtlichen Verhandlungen, andererseits aufgrund des Privatgutachtens des gerichtlich beeideten landwirtschaftlichen Sachverständigen AH vom und des mit Schreiben der Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft in Steiermark vom vorgelegten Gutachtens der Abteilung Pflanzenbau sowie des Schreibens der Marktgemeinde Y vom eine Änderung der Grundzuteilung für gerechtfertigt erachtet. Hierüber sei, um Lösungsmöglichkeiten zu suchen, am eine Verhandlung durchgeführt und bei dieser Gelegenheit übereinstimmend die Ansicht vertreten worden, daß die Zuteilung der Grundabfindung Nr. 199/b an die Mitbeteiligten schon jetzt behoben werden müßte, und es zweckmäßig wäre, einen Teil ihrer Abfindung Nr. 199/b gegen die Abfindung Nr. 1/r des Beschwerdeführers, die jedoch im Grundzusammenlegungsgebiet Y liege, zu tauschen. Von schweren volkswirtschaftlichen, nicht bloß privatwirtschaftlichen Schäden im Sinne des § 68 Abs. 3 AVG 1950 könne gesprochen werden, wenn diese von ernsterer Bedeutung für die allgemeine Wohlfahrt angesehen werden könnten. Das Ziel einer Grundzusammenlegung sei in erster Linie, Nachteile abzuwenden, zu mildern oder zu beheben, die durch Mängel der Agrarstruktur oder durch Maßnahmen im allgemeinen Interesse, wie z.B. Straßenbauten, hervorgerufen würden. Der Zustand der Abfindungsfläche Nr. 199/b sei erwiesenermaßen durch Zuschüttung einer Entnahme von Erdmaterial im Zusammenhang mit dem Bau der Autobahn herbeigeführt worden. Die Nachteile zu Lasten der Familie der Mitbeteiligten seien somit als volkswirtschaftlich schwerwiegend anzusehen und lägen nicht im privatwirtschaftlichen Interesse. Es sei daher gerechtfertigt, in Anwendung des § 68 Abs. 3 AVG 1950 jenen Teil der Abfindungsfläche dem Beschwerdeführer zuzuteilen, den dieser neben anderen Restflächen nach durchgeführten Grundenteignungen verwalte. Im gegebenen Zusammenhang sei auch auf § 24 Abs. 8 ZLG 1971 hinzuweisen, wonach die Neueinteilung unter anderem bei ordnungsgemäßer Bewirtschaftung einen zumindest gleichen Betriebserfolg für den landwirtschaftlichen Betrieb erwarten lassen müsse wie die alten Grundstücke.
Dieses Erkenntnis wird mit der vorliegenden Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpft, wobei sich der Beschwerdeführer in dem Recht auf Wahrung der Rechtskraft der behobenen Grundabfindungen verletzt erachtet. In Ausführung seiner Verfahrensrüge bemängelt er, im Behebungsverfahren als Partei nicht beigezogen worden zu sein, weshalb für den Ausgang des Verfahrens wesentliche Umstände nicht hätten geltend gemacht werden können; und zwar in bezug auf die Zusammenlegung X, daß die den Mitbeteiligten zugeteilte Abfindungsfläche Nr. 199/b schon vor der Zusammenlegung deren Eigentum gewesen, bei einer Hochwasserkatastrophe ausgeschwemmt und mit Mitteln des Bundes wieder aufgefüllt, durch den Bau der Südautobahn aber nicht berührt worden sei; was die im Zusammenlegungsverfahren Y zugeteilten Grundstücke betreffe, habe der Beschwerdeführer diese seit 1976 zur Bewirtschaftung verpachtet, und es sei vorgesehen, daß sie nach grundbücherlicher Durchführung der Zusammenlegung an die Pächter veräußert würden. Die Bewirtschafter hätten auf diesen Flächen langfristig wirksame wirtschaftliche Maßnahmen gesetzt, um auf Jahre gute landwirtschaftliche Erträge zu erzielen. Der Beschwerdeführer hätte die Grundstücke längst veräußert, wenn es nicht zu einer Zusammenlegung gekommen wäre. Es ergebe sich daher nun für den Beschwerdeführer ein nicht unbedeutender finanzieller Nachteil dadurch, daß beim Abverkauf der Restflächen minderwertige Grundstücke angeboten werden müßten. In Erläuterung der Rechtsrüge meint der Beschwerdeführer, die Ansicht der belangten Behörde, die Nachteile zweier Grundeigentümer hinsichtlich einer Abfindungsfläche wären als volkswirtschaftlich schwerwiegend anzusehen, entbehre einer näheren Begründung. Tatsächlich handle es sich hier offenkundig lediglich um ein privatwirtschaftliches Interesse, ein unerträglicher Nachteil für die Allgemeinheit, eine ernste Beeinträchtigung für eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung und die allgemeine Wohlfahrt oder sonst eine schwere volkswirtschaftliche Schädigung, die abgewehrt werden müsse, ließen sich nicht erkennen. Die Behörde sei auch keineswegs, wie es das Gesetz verlange, mit möglichster Schonung der vom Beschwerdeführer erworbenen Rechte vorgegangen, ja habe diese nicht einmal zum Gegenstand ihrer Erwägungen gemacht.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 1 AgrVG 1950 in Verbindung mit § 68 Abs. 3 AVG 1950 kann ein Bescheid in Wahrung des öffentlichen Wohles von der Behörde, die ihn in letzter Instanz erlassen hat, oder von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde insoweit abgeändert werden, als dies zur Beseitigung von das Leben oder die Gesundheit von Menschen gefährdenden Mißständen oder zur Abwehr schwerer volkswirtschaftlicher Schädigungen notwendig und unvermeidlich ist. In allen diesen Fällen hat die Behörde mit möglichster Schonung erworbener Rechte vorzugehen.
Die Abänderung oder Behebung von Bescheiden im Sinne dieser Gesetzesstelle ist nur dann sachlich gerechtfertigt, wenn deren Auswirkungen einen unerträglichen Nachteil für die Allgemeinheit bedeuten (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Slg. Nr. 1014/A). Unter schweren volkswirtschaftlichen Schädigungen - hierauf wurde die im angefochtenen Erkenntnis getroffene Maßnahme gestützt - sind im Zusammenhang nur Beeinträchtigungen volkswirtschaftlicher, nicht privatwirtschaftlicher Belange, die für eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung und damit für die allgemeine Wohlfahrt von ernster Bedeutung sind, zu verstehen (siehe das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Slg. Nr. 754/A).
Im Beschwerdefall betrifft die Behebung der vorläufigen Übernahme von Grundabfindungen - die übrigens gemäß § 29 Abs. 1 letzter Satz ZLG 1971 unter Umständen hätte gebietsmäßig beschränkt werden können - ein einziges Abfindungsgrundstück; sie erfolgte lediglich zugunsten der mitbeteiligten Parteien. Auswirkungen auf die Allgemeinheit gibt es nach Lage der Akten nicht. Aus keiner der der angefochtenen Entscheidung vorangehenden Verfahrenshandlungen - zu denen der Beschwerdeführer als Partei gemäß §§ 4, 9 AgrVG 1950 zu Unrecht nicht beigezogen wurde (ein Fall des § 9 Abs. 2 AgrVG 1950 liegt nicht vor) - läßt sich entnehmen, daß im hier zu beurteilenden Rechtsfall nicht bloß - möglicherweise berechtigte - privatwirtschaftliche Interessen berührt, sondern über solche hinaus in der Tat die Allgemeinheit betreffende schwere volkswirtschaftliche Schädigungen hätten beseitigt oder abgewehrt werden müssen. Das Leben oder die Gesundheit von Menschen gefährdende Mißstände wurden von der belangten Behörde nicht angenommen. Schon aus diesem Grund waren im Beschwerdefall die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendung des § 68 Abs. 3 AVG 1950 nicht erfüllt.
Dies hatte zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965, jedoch nur im Umfang der Behebung des im Grundzusammenlegungsverfahren betreffend Y ergangenen Bescheides zu führen, da der Beschwerdeführer lediglich insoweit in seinen Rechten verletzt wurde. Im darüber hinausgehenden Umfang war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 abzuweisen.
Der Spruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG 1965 und der Verordnung BGBl. Nr. 542/1977, im Rahmen des gestellten Antrages.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1981:1980001255.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
FAAAF-54409