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VwGH 15.12.1975, 1250/75

VwGH 15.12.1975, 1250/75

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
AVG §56;
BauRallg;
B-VG Art119a Abs5;
GdO NÖ 1973 §61 Abs1;
GdO NÖ 1973 §61 Abs3;
VwGG §42 Abs2 lita;
VwGG §42 Abs2 litb;
RS 1
Liegt einem Bescheid, welcher einem Kollegialorgan (hier dem Gemeinderat) zuzurechnen ist, kein entsprechender Beschluss dieses Organs zugrunde, dann ist der Bescheid so zu betrachten, als ob er von einer unzuständigen Behörde erlassen worden wäre. In einem solchen Fall fehlt es nämlich an der Ermächtigung zur Ausfertigung des Bescheides.
Normen
B-VG Art119a Abs5;
GdO NÖ 1973 §61 Abs1;
GdO NÖ 1973 §61 Abs3;
RS 2
Rechte des Vorstellungswerbes werden auch dadurch verletzt, dass im gemeindebehördlichen Verfahren nicht die zuständige Behörde entscheidet.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Striebl und die Hofräte Dr. Rath, Dr. Hrdlicka, Dr. Straßmann und Dr. Draxler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weitzer, über die Beschwerde der HB in M, vertreten durch Dr. Hans-Jörg Schachner, Rechtsanwalt in Melk, Bahnhofstraße 5, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. II/2- 182/1-1975, betreffend eine Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1) LM in M, 2) MM in M, 3), Gemeinde M, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 2.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde M vom wurde den Mitbeteiligten L und MM die Baubewilligung nach der Bauordnung für Niederösterreich, LGBl. Nr. 166/1969, für die Errichtung eines Wirtschaftsgebäudes auf der Parzelle 312 der KG. X erteilt.

Unter Hinweis auf ihre Rechtsstellung als Anrainer erhob die Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid Berufung.

Mit dem Bescheid des Gemeinderates der Gemeinde M vom wurde in Stattgebung der Berufung der Beschwerdeführerin der Bescheid der Behörde erster Instanz aufgehoben.

Dieser Bescheid wurde über Vorstellung der Mitbeteiligten L und MM mit dem Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom gemäß § 61 Abs. 3 der NÖ. Gemeindeordnung 1973, LGBl. 1000-0, behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat zurückverwiesen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, daß es die Berufungsbehörde unterlassen habe, die für ihre Entscheidung maßgebenden rechtlichen Erwägungen anzuführen.

Unter dem wurde ein "Für den Gemeinderat" gefertigter Bescheid erlassen, in dem es eingangs heißt:

"Der Gemeinderat der Marktgemeinde M hat in seiner Sitzung vom über die rechtzeitig eingebrachte Berufung von Frau HB ………. gemäß § 60 Abs. 1 der NÖ. Gemeindeordnung 1973 …….. wie folgt entschieden:

Spruch

Der Berufung wird gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1950 nicht stattgegeben und der angefochtene Bescheid …… vom Gemeinderat bestätigt." In der Begründung dieses Bescheides wurde dargelegt, daß die Beschwerdeführerin mit dem Berufungsvorbringen gemäß § 42 AVG 1950 präkludiert sei. Am Ende der Begründung heißt es: "Für dieses Erkenntnis stimmten 8 Gemeinderäte mit ja, 5 Gemeinderäte mit nein und 3 Gemeinderäte haben sich der Stimme enthalten."

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung des Bescheides der Berufungsbehörde u.a. mit der Begründung, daß der in der Gemeinderatssitzung vom gestellte Antrag, die Berufung der Beschwerdeführerin zurückzuweisen, mit Rücksicht auf das Abstimmungsergebnis im Gemeinderat als abgelehnt zu gelten habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Vorstellung gemäß § 61 der NÖ. Gemeindeordnung 1973 abgewiesen. Auf das oben dargestellte Vorstellungsvorbringen wurde in der Begründung des Bescheides nicht eingegangen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Der Bescheid vom ist seinem Inhalt nach dem Gemeinderat zuzurechnen und stellt sich als eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über die Berufung der Beschwerdeführerin gegen die den Mitbeteiligten L und MM erteilte Baubewilligung dar.

Im § 51 Abs. 1 der NÖ. Gemeindeordnung 1973 wird bestimmt, daß zu einem gültigen Beschluß (des Gemeinderates), soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, die einfache Mehrheit der in beschlußfähiger Anzahl anwesenden Mitglieder des Gemeinderates erforderlich ist. Nach § 51 Abs. 2 leg. cit. gilt Stimmenthaltung als Ablehnung. Nach § 51 Abs. 4 leg. cit. gilt bei Stimmengleichheit der Antrag als abgelehnt.

Nach dem in der Begründung des Bescheides vom dargestellten Abstimmungsergebnis haben dem Antrag, der Berufung der Beschwerdeführerin "nicht stattzugeben", lediglich 8 Mitglieder des Gemeinderates zugestimmt. Gegenstimmen lagen, da Stimmenthaltung als Ablehnung gilt, in der gleichen Anzahl (5 Nein-Stimmen und 3 Stimmenthaltungen) vor. Demnach kam, wird den Ausführungen in der Begründung des Bescheides gefolgt, ein auf Nichtstattgebung der Berufung lautender gültiger Gemeinderatsbeschluß nicht zustande.

Liegt einem Bescheid, welcher einem Kollegialorgan zuzurechnen ist, kein entsprechender Beschluß dieses Organs zugrunde, dann ist der Bescheid so zu betrachten, als ob er von einer unzuständigen Behörde erlassen worden wäre.

In einem solchen Fall fehlt es nämlich an der Ermächtigung zur Ausfertigung des Bescheides.

Zufolge § 61 Abs. 1 und 3 der NÖ. Gemeindeordnung 1973 hat die Aufsichtsbehörde im Vorstellungsverfahren zu prüfen, ob durch den bei ihr angefochtenen Bescheid der Gemeindebehörde Rechte des Vorstellungswerbers verletzt werden sowie gegebenenfalls den Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zu verweisen. Rechte des Vorstellungswerbers werden auch dadurch verletzt, daß im gemeindebehördlichen Verfahren nicht die zuständige Behörde entscheidet.

Da es die belangte Behörde unterließ zu prüfen, ob der Bescheid vom auf einem entsprechenden Beschluß des Gemeinderates beruht und insofern von der zuständigen Behörde erlassen wurde, wurde die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid schon dadurch in ihren Rechten verletzt. Anzumerken ist, daß die Rechtsverletzung auch dann vorliegt, wenn der Bescheid vom so verstanden wird, als ob damit die Berufung der Beschwerdeführerin als unzulässig zurückgewiesen worden wäre; denn auch zu einem solchen Ausspruch ist nur die zuständige Behörde ermächtigt. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die Bestimmungen der §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung über die Pauschalierung der Aufwandersätze im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof, BGBl. Nr. 4/1975.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AVG §56;
BauRallg;
B-VG Art119a Abs5;
GdO NÖ 1973 §61 Abs1;
GdO NÖ 1973 §61 Abs3;
VwGG §42 Abs2 lita;
VwGG §42 Abs2 litb;
Schlagworte
Zuständigkeit der Vorstellungsbehörde Verhältnis zwischen
gemeindebehördlichem Verfahren und Vorstellungsverfahren
Rechtsstellung der Gemeinde im Vorstellungsverfahren
Behörden Zuständigkeit Allgemein BauRallg2/1
Zurechnung von Bescheiden Intimation
Behörden eigener Wirkungsbereich der Gemeinde örtliche Baupolizei
und örtliche Raumplanung B-VG Art15 Abs5 BauRallg2/2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1975:1975001250.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
SAAAF-54393