VwGH 28.11.1978, 1167/78
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Wer von der Partei bloß beauftragt ist, eine Bescheidausfertigung zum bevollmächtigten Rechtsanwalt zu bringen, damit dieser gegen den Bescheid ein Rechtmittel ergreife, ist "Bote" und nicht Bevollmächtigter. Versäumt der Bote den Auftrag, so kann darin für die Partei nur dann ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, das OHNE IHR VERSCHULDEN die Einhaltung der Frist verhindert, erblickt werden, wenn sie der ZUMUTBAREN UND DER SACHLAGE NACH GEBOTENEN ÜBERWACHUNGSPFLICHT nachgekommen ist. |
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RS 2 | Selbst eine Krankheit kann entgegen der vom Bfr vertretenen Absicht nicht von vornherein regelmäßig als Wiedereinsetzungsgrund gewertet werden (Hinweis B , 290/73). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rath und die Hofräte Dr. Straßmann, DDr. Hauer, Dr. Würth und Dr. Leukauf, als Richter, im Beisein des Schriftführers. Dr. Hailzl, über die Beschwerde des Dr. G in G, vertreten durch Dr. Alfred Gorscheg, Rechtsanwalt in Gleisdorf, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. 3-328 Pa 92/1-1978, betreffend Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 3.300,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Gemeinderat der Gemeinde E erklärte mit Bescheid vom gemäß § 45 Abs. 1, 2 und 3 des Steiermärkischen Landesstraßengesetzes 1964, LGBl. Nr. 154, in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 195/1969, den von R nach R-berg geplanten Weg als öffentlichen Interessentenweg und faßte die Beitragspflichtigen in eine öffentlich-rechtliche Weggemeinschaft zusammen.
Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde E vom wurde der Beschwerdeführer als Liegenschaftsbenützer bzw. Verkehrsinteressent im Einzugsgebiet des Interessentenweges mit der Wirkung in diese Weggemeinschaft einbezogen, daß die Mitgliedschaft und damit die Pflicht zur Beitragsleistung auf die bzw. den jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft übergehe. Gleichzeitig wurde die Beitragsleistung des Beschwerdeführers zu den Kosten der Wegherstellung und -erhaltung mit 3 % (je 1 ½ % für die EZen 1 und 2) zuzüglich eines Grundpreises von S 250,-- festgesetzt. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am durch Hinterlegung zugestellt.
Mit einem am zur Post gegebenen Schriftsatz stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist mit dem Vorbringen, der Bescheid sei ihm am zugestellt worden. Er habe unverzüglich seinen Sohn beauftragt, den Bescheid seinem, des Beschwerdeführers, ständigen Vertreter, Rechtsanwalt Dr. Alfred Gorscheg, mit dem Auftrag zu überbringen, gegen diesen Bescheid Berufung zu erheben. Er selbst habe diesen Weg nicht mehr persönlich übernehmen können, da er sich vom bis in stationärer Behandlung des Landeskrankenhauses G befunden habe. Als er nach seiner Entlassung am seinen Anwalt ersucht habe, ihm einen Durchschlag der ausgeführten Berufung zur Verfügung zu stellen, habe ihm dieser zu seiner Überraschung mitgeteilt, daß ihm der Fall unbekannt sei. Er habe daraufhin seinen Sohn zur Rede gestellt. Dieser habe zugegeben, auf den Auftrag vergessen zu haben. Sein 32jähriger Sohn habe schon öfter übernommene Aufträge genau durchgeführt und sei verläßlich. Nur infolge übermäßiger beruflicher Überlastung habe sein Sohn den Termin übersehen. Es liege somit für den Beschwerdeführer ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis vor. Gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag führte der Beschwerdeführer die Berufung aus.
Der Bürgermeister der Gemeinde E gab mit Bescheid vom dem Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 mit der Begründung nicht statt, daß kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis den Bevollmächtigten des Beschwerdeführers an der Erhebung einer Berufung innerhalb der Frist gehindert habe. Weiters heißt es nach Zitierung des Wortlautes der genannten Gesetzesstelle wörtlich:
"Da Sie aber Ihrem Sohn die Vollmacht zur Berufung über Ihren Rechtsanwalt rechtzeitig gegeben haben, dieser aber ohne durch den Eintritt eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses daran gehindert wurde, diesen Auftrag auszuführen, war Ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzulehnen und wie im Spruch zu entscheiden, denn übermäßige berufliche Inanspruchnahme kann nicht als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis angesehen werden."
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er u.a. ausführte, daß es nicht darauf ankomme, welcher Umstand seinen Sohn gehindert habe, dem Auftrag nachzukommen, sondern nur darauf, ob ihn selbst ein Diligenzpflichtmangel treffe. Dies sei aber zu verneinen. Ein Verschulden auf seiner Seite wäre nur dann anzunehmen, wenn er nach seinen Erfahrungen mit dem Sohn mit der Möglichkeit hätte rechnen müssen, daß dieser nicht rechtzeitig die Weiterleitung an den Rechtsanwalt vornehmen werde. überdies sei das Verfahren mangelhaft geblieben, da unterlassen worden sei, die beantragten Auskunftspersonen zu vernehmen.
Der Gemeinderat der Gemeinde E wies mit Bescheid vom die Berufung ab. Er vertrat die Ansicht, wenn der Beschwerdeführer eine Person als Vertreter bevollmächtige, Rechtsgeschäfte zu tätigen, sei er mit deren Entscheidungen, wie immer sie auch ausfallen mögen, einverstanden. Deshalb sei die Nichteinbringung der Berufung durch den Sohn gleichbedeutend mit einer Nichteinbringung des Rechtsmittels durch den Beschwerdeführer.
In der dagegen erhobenen Vorstellung wies der Beschwerdeführer im wesentlichen darauf hin, daß er seinem Sohn nur den Auftrag erteilt habe, den Bescheid dem ständigen Vertreter des Beschwerdeführers mit dem Auftrag zu übermitteln, gegen den Bescheid die Berufung zu ergreifen. Die Annahme einer Bevollmächtigung sei rechtlich nicht begründet.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde gemäß § 94 der Steiermärkischen Gemeindeordnung, LGBl. Nr. 115/1967, die Vorstellung ab. Sie begründete dies nach Darstellung des Sachverhaltes und Wiedergabe der maßgeblichen Bestimmung des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 damit, daß unter einem unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis nur ein von der Partei unbeeinflußbares Geschehen in der Außenwelt verstanden werde. Bei Versäumnissen durch bevollmächtigte oder beauftragte Personen sei das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nach den für diese Personen maßgebenden Verhältnissen zu beurteilen. Einen Wiedereinsetzungsgrund könne daher nur ein Ereignis bilden, das nicht durch ein Verschulden der Partei (der von ihr beauftragten Person) eingetreten, sei. Eine leichte Fahrlässigkeit der Partei (bzw. der beauftragten Person) schließe daher bereits die Bewilligung der Wiedereinsetzung aus. Diese Rechtsansicht werde in ständiger Judikatur vom Verwaltungsgerichtshof vertreten. Die einzige Durchbrechung habe diese Rechtsprechung durch das Erkenntnis vom , Slg. Nr. 9024/A, erfahren, in welchem als Wiedereinsetzungsgrund auch ein Verschulden eines Kanzleiangestellten eines Rechtsanwaltes anerkannt worden sei. Obwohl in diesem Erkenntnis der Begriff "unvorhergesehen oder unabwendbar" neu definiert worden sei, sei die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend etwaige Versehen von bevollmächtigten Personen ausdrücklich unverändert geblieben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend gemacht wird. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in der von ihr erstatteten Gegenschrift beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 ist auf Antrag einer Partei, die durch die Versäumung einer Frist einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Dieser für das Verwaltungsverfahren maßgebende Wiedereinsetzungstatbestand des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 ist im wesentlichen gleichlautend mit der für das verwaltungsgerichtliche Verfahren geschaffenen Regelung des § 46 Abs. 1 VwGG 1965. Deshalb kann auch die zu der letztgenannten Gesetzesstelle vorhandene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Lösung des vorliegenden Falles herangezogen werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem Beschluß eines verstärkten Senates vom , Slg. Nr. 9024/A, u.a. die Rechtssätze geprägt, daß Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG 1965 - und damit auch im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. a AVG 1950 - jedes Geschehen, daher auch sogenannte psychologische Vorgänge, wie Vergessen, Verschreiben, sich Irren, usw., sei und ein Verschulden (allein) eines Kanzleiangestellten des Prozeßbevollmächtigten der Partei die Wiedereinsetzung zugunsten der Partei nicht ausschließe. Der Gerichtshof ist aber weiters in derselben Entscheidung zu der Auffassung gelangt, daß ein Ereignis nur dann unvorhergesehen sei, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteingerechnet habe und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte. Selbst ein unabwendbares Ereignis wird nicht als Wiedereinsetzungsgrund anerkannt, wenn der Eintritt durch die Partei zumindest leicht fahrlässig verursacht wurde. Die Frage, ob ein Verschulden des Vertreters der Partei diese selbst treffe, wurde in diesem Beschluß ausdrücklich ausgeklammert (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2210/78). Mit dieser Frage hat sich der Verwaltungsgerichtshof insbesondere im Beschluß eines verstärkten Senates vom , Slg. Nr. 9226/A, auseinandergesetzt und dort ausgesprochen, daß das Verschulden des Vertreters die Partei selbst treffe. Weiters wurde dargelegt, daß ein Verschulden eines Kanzleibediensteten für einen Rechtsanwalt und damit für die von ihm vertretene Partei nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstelle, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleiangestellten nachgekommen ist.
Von Bedeutung ist im vorliegenden Fall zunächst die Frage, ob dem Sohn des Beschwerdeführers, der den Auftrag seines Vaters durchzuführen vergaß, die Stellung eines Bevollmächtigten, also eines Vertreters des Beschwerdeführers, zukam. In diesem Fall träfe das Verschulden des Sohnes den Beschwerdeführer selbst. Dieser von der belangten Behörde vertretenen Rechtsansicht kann jedoch nicht gefolgt werden. Zutreffend verwies der Beschwerdeführer schon in der Verwaltungsebene stets darauf, daß er seinen Sohn nicht bevollmächtigt, sondern lediglich beauftragt habe, den angefochtenen Bescheid seinem ständigen Vertreter zu bringen, damit dieser dagegen Berufung erhebe. Der Sohn hatte also keinerlei Entscheidungsfreiheit, sondern nur die Erklärung seines Auftraggebers an dessen Vertreter zu überbringen. Er durfte somit nur fremden Willen mitteilen, war also bloß die "verlängerte" Hand des Beschwerdeführers. Seine Rechtsstellung entspricht daher nicht der eines Vertreters, sondern der eines Boten. Da die belangte Behörde dies verkannte und ihrer Entscheidung die Rechtsansicht zugrunde legte, der Sohn sei einem Vertreter des Beschwerdeführers gleichzuhalten, weshalb letzteren auf jeden Fall dessen Versäumnis treffe, hat sie den Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
Ausgehend von dieser unzutreffenden Rechtsmeinung hat daher die belangte Behörde unterlassen, das Vorbringen des Beschwerdeführers in seinem Wiedereinsetzungsantrag der erforderlichen Prüfung zu unterziehen. Das Institut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand soll verhindern, daß einer Partei, die gegen ein unverschuldet und unvorhergesehen eintretendes Ereignis persönlich nicht das Geringste unternehmen kann, wegen der prozessualen Folgen dieses Ereignisses die Prüfung ihres materiellen Anspruches verweigert wird, dieser Anspruch mithin untergeht, mag er auch noch so berechtigt sein (vgl. den bereits zitierten Beschluß vom , Slg. Nr. 9024/A). Wie der Verwaltungsgerichtshof stets zum Ausdruck gebracht hat, kann aber von einem für die Partei unvorhergesehenen und unabwendbaren Ereignis, das ohne ihr Verschulden die Einhaltung der Frist verhinderte, nur dann gesprochen werden, wenn sie der zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht - insbesondere wenn sie sich eines Gehilfen bedient - nachgekommen ist, ihr also nicht leichte Fahrlässigkeit angelastet werden muß (vgl. hiezu wiederum die bereits zitierten hg. Beschlüsse vom , Slg. Nr. 9024/A, und vom , Zl. 1212/76). Auf den vorliegenden Fall bezogen wird daher insbesondere auch zu untersuchen sein, ob der Beschwerdeführer, der sich nach seiner bisher nicht überprüften Behauptung von bis in stationärer Krankenhauspflege befand, zufolge seiner Erkrankung derart dispositionsunfähig war, daß er nicht einmal in der Lage gewesen ist, die Durchführung des seinem Sohn gegebenen Auftrages innerhalb der Rechtsmittelfrist zu überwachen. Denn selbst eine Krankheit kann entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Ansicht nicht von vornherein regelmäßig als Wiedereinsetzungsgrund gewertet werden (vgl. den hg. Beschluß vom , Zl. 290/73). Der Umstand, daß der Beschwerdeführer nicht innerhalb der ersten Tage der Rechtsmittelfrist die Einbringung der Berufung in die Wege leitete, vermag allerdings kein Verschulden zu begründen, zumal er ja in der Folge seinen Sohn noch rechtzeitig als Boten beauftragte. Ungeklärt blieb auch bisher die Behauptung des Beschwerdeführers, den Bescheid in Ansehung dessen er die Wiedereinsetzung beantragte, erst am zugestellt erhalten zu haben, zumal die Zustellung laut des in den Verwaltungsakten erliegenden Rückscheines am durch Hinterlegung erfolgte.
Aus allen diesen Erwägungen war daher der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 lit. a und b VwGG 1965, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 316/1976, in Verbindung mit Art. I A Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers über die Pauschalierung der Aufwandersätze BGBl. Nr. 542/1977. Ein Zuspruch für die separat begehrte Umsatzsteuer kann nicht erfolgen, da sie in dem in der zitierten Verordnung vorgesehenen Pauschalbetrag enthalten ist. Ebenso war das über den Ersatz von Stempelgebühren für die dreifach erforderliche Beschwerdeausfertigung (S 70,-- je Ausfertigung), für die Vollmacht (S 70,--) und für den nur in einfacher Ausfertigung vorzulegenden Bescheid (S 20,--) hinausgehende Begehren gemäß § 58 VwGG 1965 abzuweisen.
Von der in der Beschwerde beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 lit. d VwGG 1965 abgesehen werden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Sammlungsnummer | VwSlg 9706 A/1978 |
Schlagworte | Vertretungsbefugnis Inhalt Umfang Vertretungsbefugter Zurechnung |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1978:1978001167.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
OAAAF-54095