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VwGH 10.10.1977, 1156/77

VwGH 10.10.1977, 1156/77

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
BauO Wr §129 Abs1 idF vor 1976/018
BauO Wr §129 Abs10 idF vor 1976/018
BauRallg
RS 1
Hinsichtlich eines seit Jahren bestehenden Gebäudes, bei welchem Unterlagen über eine seinerzeitige Baugenehmigung nicht auffindbar sind, von dem aber anderseits feststeht, daß von der Baubehörde Beanstandungen aus dem Grunde, weil ein Konsens fehle, niemals stattgefunden haben, spricht die Vermutung dafür, daß das Gebäude in seiner derzeitigen Gestaltung auf Grund einer nach dem Zeitpunkt der Erbauung in Geltung gestandenen Vorschriften erteilten Baubewilligung errichtet worden ist, es sei denn, daß Anhaltspunkt für eine gegenteilige Annahme vorliegen (Hinweis E VwSlg 4364 A/1957, E , VwSlg 6509 A/1964, E , 0623/69, E , 0414/71, E , VwSlg 8940 A/1975). Dies gilt sinngemäß auch dann, wenn eine Baubewilligung vorhanden ist, der bestehende Zustand mit dieser aber nicht übereinstimmt (Hinweis E , E , 0414/71).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Skorjanec und. die Hofräte Dr. Hrdlicka, Dr. Straßmann, Dr. Draxler und Onder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weitzer, über die Beschwerde des OW in W, vertreten durch Dr. Peter Kauten , Rechtsanwalt in Wien VI, Mariahilfer Straße 49, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom , Zl. MA 64-158/75/Str., betreffend Bestrafung wegen Übertretung der Bauordnung für Wien, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 2.820,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem Straferkenntnis vom sprach der Wiener Magistrat aus, es habe der Beschwerdeführer als Miteigentümer des Hauses Wien, W-straße I) am den Kellergang zum WC sowie zu den Kellerabteilen zur Lagerung von Gerümpel und in der Zeit vom August 1974 bis die im Kellergeschoß gelegene Waschküche zu Wohnzwecken (als Küche) benützen lassen, II) es in der Zeit vom bis unterlassen, die Abweichungen vom konsensmäßigen Bestand, und zwar insofern, als im Kellergeschoß an Stelle einer Zimmer-Küche-Wohnung, eines Einzelraumes und einer an der Hofeinfahrt gelegenen Waschküche in anderer Lage ein Einzelraum, ein Vorraum, eine Zimmer-Küche-Wohnung und eine Waschküche geschaffen worden waren, zu beseitigen.

Der Beschwerdeführer habe dadurch zwei Verwaltungsübertretungen, und zwar zu I) nach § 129 Abs. 1 der Bauordnung für Wien und zu II) nach § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien begangen. Gemäß § 135 Abs. 1 der Bauordnung für Wien wurde über den Beschwerdeführer zu I) eine Geldstrafe von S 3.000,-

- (im Nichteinbringungsfall 10 Tage Ersatzarrest) und zu II) eine Geldstrafe von S 6.000,-- (im Nichteinbringungsfall 20 Tage Ersatzarrest) verhängt. Der Beschwerdeführer wurde ferner zur Leistung eines Beitrages zu den Kosten des Strafverfahrens und zur Bezahlung der Kosten des Strafvollzuges verpflichtet.

Über die vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobene Berufung entschied die Wiener Landesregierung mit dem Bescheid vom dahin gehend, daß gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 das angefochtene Straferkenntnis bestätigt wird. Der Beschwerdeführer wurde ferner zur Leistung eines Beitrages zu den Kosten des Berufungsverfahrens verpflichtet. Die Ausführungen der Behörde in der Begründung des Bescheides sind ausschließlich den Fragen des Verschuldens des Beschwerdeführers und der Strafbemessung gewidmet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde. Der Beschwerdeführer beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Dem Beschwerdeführer wurden eine Verwaltungsübertretung nach § 129 Abs. 1 der Bauordnung für Wien und eine Verwaltungsübertretung nach § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien zur Last gelegt.

Nach § 129 Abs. 1 erster Satz der Bauordnung für Wien - in der von der belangten Behörde angewendeten, vor dem Inkrafttreten der Bauordnungsnovelle 1976, LGBl. für Wien Nr. 18, bestandenen Fassung - ist für die bewilligungsgemäße Benützung der Räume der Hauseigentümer verantwortlich. Nach § 129 Abs. 10 erster Satz der Bauordnung für Wien sind Abweichungen von den Bauvorschriften zu beheben und es ist der vorschriftswidrige Bau, für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt worden ist, zu beseitigen.

Die belangte Behörde ist, mit Rücksicht auf § 1 Abs. 2 VStG 1950 zutreffend, davon ausgegangen, daß im vorliegenden Fall die Vorschriften der Bauordnungsnovelle 1976 außer Betracht zu bleiben haben.

Zur objektiven Tatseite bringt der Beschwerdeführer vor, es gelte der Grundsatz, daß der lange Bestand eines Gebäudes für dessen Konsensmäßigkeit spreche, auch dann, wenn eine Baubewilligung vorhanden sei, der bestehende Zustand mit dieser aber nicht übereinstimme. Die Behörde habe die Frage, seit wann dieser angeblich konsenswidrige Zustand - der Beschwerdeführer bezieht sich damit auf den zweiten Teil des Punktes I und auf Punkt II des Straferkenntnisses der Behörde erster Instanz - schon aufrecht sei, trotz der Einwände des Beschwerdeführers nicht geprüft.

Die Absätze 1 und 10 des § 129 der Bauordnung für Wien erfassen Änderungen gegenüber der Baubewilligung, soweit sie der Bewilligungspflicht unterliegen (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. N. F. Nr. 6080/A, und vom , Zl. 414/71). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes spricht aber hinsichtlich eines seit Jahrzehnten bestehenden Gebäudes, bei welchem Unterlagen über eine seinerzeitige Baugenehmigung nicht auffindbar sind, von dem aber andererseits feststeht, daß von der Baubehörde Beanstandungen aus dem Grunde, weil ein Konsens fehle, niemals stattgefunden haben, die Vermutung dafür, daß das Gebäude in seiner derzeitigen Gestaltung auf Grund einer nach den im Zeitpunkt der Erbauung in Geltung gestandenen Vorschriften erteilten Baubewilligung errichtet worden ist, es sei denn, daß Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme vorliegen (vgl. u. a. die Erkenntnisse vom , Slg. N. F. Nr. 4364/A, vom , Slg. N. F. Nr. 6509/A, vom , Zl. 623/69, vom , Zl. 414/71, und vom , Slg. N. F. Nr. 8940/A. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u. a. die schon angeführten Erkenntnisse Zl. 623/69 und Zl. 414/71) sinngemäß auch dann, wenn eine Baubewilligung vorhanden ist, der bestehende Zustand mit dieser aber nicht übereinstimmt. Der Verwaltungsgerichtshof hält an dieser Rechtsanschauung fest.

Im Verwaltungsstrafverfahren ist nach der Aktenlage jedwede Erörterung darüber, ob es sich bei den in der Tatbeschreibung angeführten Kellerräumlichkeiten im zuvor dargestellten Sinn um einen sogenannten alten Bestand handelt, unterblieben. Im Bericht des Wiener Magistrats, Magistratsabteilung 37, vom wurde zwar auf den "Konsensplan vom 18. August 1883, Zl. 9761, des Bürgermeisteramtes W" Bezug genommen und daraus abgeleitet, daß der gegenwärtige Zustand des Kellergeschosses dem Konsens widerspreche; im Rahmen der Verpflichtung, im Verwaltungsstrafverfahren nach dem Grundsatz der materiellen Wahrheit vorzugehen und die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden (§ 25 VStG 1950), oblag es aber der Behörde, darüber hinaus auch zu prüfen, ob seit dem Jahre 1883, wie die Behörde bloß unterstellte, keine weitere die gegenständlichen Kellerräumlichkeiten betreffende baubehördliche Bewilligung erteilt wurde, zumal der Beschwerdeführer in seiner Berufung gegen das Straferkenntnis der Behörde erster Instanz vorbrachte, er habe in dem bei der Baubehörde anhängigen Umwidmungsverfahren Einspruch erhoben, weil "der jetzige Zustand ..... seit das Hausgebaut wurde" bestehe. Die Behörde hatte bei dieser Sach- und Rechtslage jedenfalls festzustellen, ob die diesbezüglichen Konsensakten vollständig sind, und dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben, zum Ergebnis dieser Ermittlungen Stellung zu nehmen.

Aus diesen Gründen erweist sich der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt als ergänzungsbedürftig. Der Verfahrensmangel erstreckt sich zwar nur auf das im zweiten Teil des Punktes I und das im Punkt II des Straferkenntnisses der Behörde erster Instanz umschriebene Tatgeschehen; doch ist dem Verwaltungsgerichtshof eine getrennte Behandlung des ersten Teiles des Punktes I des - mit dem angefochtenen Bescheid bestätigten - Straferkenntnisses wegen des einheitlichen, zu Punkt I ergangenen Strafausspruches verwehrt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Soweit nicht veröffentliche Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, ist auf die Bestimmung des Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hinzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die Bestimmungen der §§ 47 ff VwGG 1965, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 316/1976, in Verbindung mit der Verordnung über die Pauschalierung der Aufwandersätze im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof, BGBl. Nr. 4/1975. Soweit das Kostenbegehren des Beschwerdeführers auf den Ersatz einer "Umsatzsteuer" und von Barauslagen für die dritte Beschwerdeausfertigung - deren Vorlage war hier nicht erforderlich - gerichtet ist, war es gemäß § 58 VwGG 1965 abzuweisen.

Wien, am

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Normen
BauO Wr §129 Abs1 idF vor 1976/018
BauO Wr §129 Abs10 idF vor 1976/018
BauRallg
Schlagworte
Baubewilligung BauRallg6
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1977:1977001156.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
NAAAF-54065