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VwGH 27.06.1962, 1118/60

VwGH 27.06.1962, 1118/60

Entscheidungsart: ErkenntnisVS

Rechtssätze


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Normen
ASVG §357;
AVG §13 Abs1;
AVG §13 Abs2;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs5;
AVG Teil1 Abschn5;
RS 1
Behauptet eine Partei, daß sie ein Rechtsmittel in einen bei der für die Einbringung zuständigen Behörde angebrachten Einlaufkasten innerhalb der Rechtsmittelfrist eingeworfen hat, so darf die Rechtsmittelbehörde, ohne auf die Frage der Richtigkeit dieses Vorbringens einzugehen, das Rechtsmittel nicht ohne weiteres mit der Begründung als verspätet zurückweisen, daß die betreffende Eingabe laut Eingangsstampiglie erst nach dem Ende der Rechtsmittelfrist eingelangt sei und der bloße Einwurf in einen Einlaufkasten noch nicht das rechtzeitige Einlaufen eines Schriftstückes beim Empfänger verbürgen. (Hinweis auf E vom , Slg. Nr. 9107/A und E des BGH v. , Zl. 1128, 1129/1935).
Normen
AVG §13 Abs1;
AVG §13 Abs2;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs5;
AVG Teil1 Abschn5;
RS 2
Ausführungen wonach für die Beurteilung der rechtzeitigen Einbringung einer Eingabe dem Aufsetzen der Eingangsstampiglie als solchem keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsidenten Dr. Dietmann sowie durch die Senatspräsidenten Dr. Ondraczek, Dr. Höslinger, Dr. Wasniczek, Dr. Borotha und die Hofräte Dr. Strau, Dr. Koprivnikar, Dr. Mathis und Dr. Härtel als Richter, im Beisein des Bezirksrichters Dr. Gottlich und des Sektionsrates Dr. Klein als Schriftführer, über die Beschwerde der EM in W gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. M. Abt. 14 - M 44/60, betreffend Sozialversicherungsbeiträge, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse vom wurde die Beschwerdeführerin verpflichtet, die auf dem Beitragskonto K 99.305/Zwgst. "Verlassenschaft nach AM, Kaufmann, Wien XVIII, X-straße 11", rückständig gebliebenen Sozialversicherungsbeiträge für Angestellte für die Zeit vom Februar 1959 bis August 1959, Sonderzahlung-Nachtrag Jänner bis April 1959, im Gesamtbetrage von S 2.005,57 zuzüglich Verzugszinsen zu bezahlen. Der gegen diesen Bescheid von der Beschwerdeführerin erhobene Einspruch wurde mit dem angefochtenen Bescheid als verspätet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse sei von der Beschwerdeführerin nach dem Zustellschein am übernommen worden. Da die Einspruchsfrist gegen Bescheide der Sozialversicherungsträger gemäß § 412 ASVG einen Monat betrage, habe diese im Sinne des § 32 Abs. 2 AVG 1950 am geendet. Bei der Wiener Gebietskrankenkasse sei der Einspruch nach der Eingangsstampiglie erst am eingelangt. Der Einspruch sei daher verspätet eingelangt und aus diesem Grund, ohne meritorisch auf die Einspruchsausführungen einzugehen, zurückzuweisen gewesen. Der Einwand, der Einspruch sei bereits am von der Kanzleikraft des Rechtsvertreters in den Einlaufkasten der Wiener Gebietskrankenkasse eingeworfen worden, sie deshalb nicht stichhältig, weil der bloße Einwurf in einen Einlaufkasten noch nicht das rechtzeitige Einlangen eines Schriftstückes beim Empfänger verbürge. Da der Einspruch angeblich um die Mittagszeit in den Einlaufkasten eingeworfen worden sei, hätte er ohne weiteres gleich in der Einlaufstelle der Kasse abgegeben werden können, wäre sofort mit der Einlaufstampiglie versehen worden und somit noch rechtzeitig eingelangt. Die Gefahr des Postenlaufes trage stets die Partei.

Die Beschwerdeführerin nimmt in den Beschwerdeausführungen zunächst auf die Vorschrift des § 33 Abs. 3 AVG 1950 Bezug und bringt weiters vor, daß es vielleicht ein gewisser Leichtsinn gewesen wäre, ein Rechtsmittel am letzten Tag der Frist in den Einlaufkasten der zuständigen Stelle zu werfen, zumal wenn an diesem Aushebezeiten nicht vermerkt seien; die Angestellte des Vertreters der Beschwerdeführerin habe jedoch damit rechnen müssen, daß das Schriftstück spätestens am nächstfolgenden Werktag, auch wenn dieser ein Samstag sei, ausgehoben und mit dem Einlaufstempel versehen werde und somit rechtzeitig eingelangt sei. Im übrigen bewirke der Einwurf eines Schriftstückes in den Einlaufkasten schon deshalb das Einlangen bei der Behörde, weil ein Einlaufkasten nach Treu und Glauben zum Einwerfen von Schriftstücken einlade und die Behörde die ausschließliche Schlüsselgewalt über diesen Einlaufkasten ausübe, wobei allerdings der Einwerfer die Beweislast, daß er das Schriftstück rechtzeitig eingeworfen habe, treffe.

Im vorliegenden Fall ist somit die Frage zur Erörterung gestanden, ob dann, wenn eine Partei behauptet, daß sie ein Rechtsmittel in einen bei der für die Einbringung zuständigen Behörde angebrachten Einlaufkasten innerhalb der Rechtsmittelfrist eingeworfen habe, die Rechtsmittelbehörde, ohne auf die Frage der Richtigkeit dieses Vorbringens einzugehen, das Rechtsmittel ohne weiters mit der Begründung als verspätet zurückweisen darf, daß die betreffende Eingabe laut Eingangsstampiglie erst nach dem Ende der Rechtsmittelfrist eingelangt sei und der bloße Einwurf in einen Einlaufkasten noch nicht das rechtzeitige Einlangen eines Schriftstückes beim Empfänger verbürge.

Der Verwaltungsgerichtshof hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der angeführten zu entscheidenden Rechtsfrage diese gemäß § 11 Abs. 4 Z. 2 VwGG 1952 in einem verstärkten Senat erörtert und erwogen:

Nach § 357 ASVG gelten für das Verfahren vor den Versicherungsträgern in Verwaltungs- und Leistungssachen u.a. die Vorschriften des § 33 AVG 1950 - und somit, auch die Bestimmung des § 33 Abs. 3 AVG 1950, die besagt, daß, soweit es sich um die Einhaltung einer Frist handelt, die Tage des Postenlaufes in die Frist nicht eingerechnet werden - entsprechend. Für die Beurteilung des vorliegenden Falles kann jedoch aus der letztgenannten von der beschwerdeführenden Partei herangezogenen Bestimmung nichts gewonnen werden, weil der Vertreter der beschwerdeführenden Partei sich zur Übermittlung des Einspruches unbestrittenermaßen nicht der Post bedient hat. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es auch nicht verständlich, wenn die belangte Behörde - offenbar zur Stützung der von ihr vertretenen Rechtsanschauung - darauf verweist, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Gefahr des Postenlaufes stets die Partei trage. Im übrigen kann den Ausführungen der belangten Behörde in der Begründung ihres Bescheides, wonach "laut Eingangsstampiglie" der Einspruch erst am und "daher verspätet" eingelangt sei, soweit mit ihnen etwa zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß für die Beurteilung der rechtzeitigen Einbringung einer Eingabe dem Aufsetzen der Eingangsstampiglie als solchem ausschlaggebende Bedeutung zukommt, nicht beigepflichtet werden; denn es bedarf wohl keiner näheren Begründung dafür, daß eine Eingabe auch dann rechtzeitig eingelangt sein kann, wenn die Behörde bzw. der Versicherungsträger - der ja im Verfahren in Verwaltungssachen als Verwaltungsbehörde im funktionellen Sinn anzusehen ist -, sei es zufolge eines Versehens, sei es aus anderen Gründen, bei einer in der Einlaufstelle überreichten Eingabe eine Eingangsstampiglie nicht verwendet oder den Aufdruck erst lange nach der Überreichung der Eingabe vornimmt.

Weiters kann aber auch der in der Begründung des angefochtenen Bescheides zum Ausdruck kommenden Auffassung, daß der bloße Einwurf in den Einlaufkasten jedenfalls nicht das rechtzeitige Einlagen eines Schriftstückes bewirke und aus diesem Grunde dem Einwand des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin, daß seine Kanzleikraft den Einspruch bereits am Freitag, dem - die Einspruchsfrist endete am Samstag, dem - in den Einlaufkasten der Wiener Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte geworfen habe, "nicht stichhältig" sei, nicht gefolgt werden. Bringt eine Behörde einen Einlaufkasten an, so darf, sofern man von der auf die Erfahrungen des täglichen Lebens gestützten Auffassung über den Verkehr zwischen Behörden und Parteien ausgeht, die Partei, die eine Tätigkeit der Behörde in Anspruch nimmt, wohl im allgemeinen annehmen, daß eine Eingabe, bei deren Übersendung sie sich nicht der Post bedient, auch dann als bei der Behörde eingebracht gilt, wenn sie in den Einlaufkasten, dessen Zweck ja nur darin bestehen kann, die für die Behörde bestimmten Sendungen aufzunehmen, eingeworfen wird. Zum Vergleich sei hier auf die Bestimmung des § 171 der Postordnung, BGBl. Nr. 58/1957, verwiesen, wonach die Zustellung von nicht bescheinigten Postsendungen ordnungsgemäß ist, wenn sie an der Abgabestelle zurückgelassen oder in Briefkasten eingelegt werden, die an der Abgabestelle des Empfängers (Briefeinwurf) angebracht sind. Ist demnach bei einer Behörde, einem Amt oder einer öffentlichen Einrichtung, soweit ihr auf Grund gesetzlicher Vorschriften behördliche Aufgaben übertragen sind (siehe § 246 der Postordnung), eine Zustellung durch die Post durchzuführen, so muß eine nicht bescheinigte Postsendung schon dann als zugestellt angesehen werden, wenn sie bei den angeführten Stellen durch das Postorgan in den Briefkasten eingeworfen wurde. Weiters sei hier auch auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. Nr. 9107/A, verwiesen, in dem dargelegt worden ist, daß dann, wenn eine Behörde für ihre mit der Post einlangenden Geschäftsstücke ein Postfach beim Postamt unter eigenem Verschluß besitzt, die Hinterlegung des Geschäftsstückes in dieses Fach von Seite des Postamtes als Überreichung bei der Behörde selbst gilt. Überdies kann hier auch auf die Ausführungen in der Begründung des Erkenntnisses des Bundesgerichtshofes vom , Zl. A 1128/1129/1935, Bezug genommen werden, wonach ein Rechtsmittel dann eingebracht ist, wenn es der Behörde wirklich behändigt wurde, d. h. wenn die Partei die Handlung gesetzt hat, die den Erfolg des Einlangens des Rechtsmittels bei der Behörde herbeiführt, wobei es jedoch ihr überlassen bleibt, welcher Mittel sie sich bedient, um den erwähnten Erfolg zu erreichen. Daß aber im Falle des Vorhandenseins eines Einlaufkastens ein in diesen vorgenommener Einwurf einer Eingabe nicht als Handlung gewertet werden könne, die den Erfolg des Einlangens der Eingabe bei der Behörde herbeiführe, wird wohl nicht ernstlich behauptet werden können. Daraus ergibt sich aber für den vorliegenden Fall, daß die belangte Behörde von einer unrichtigen Rechtsanschauung ausgegangen ist, wenn sie den Einwand des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin, daß seine Kanzleikraft schon am den Einspruch in den Einlaufkasten der Wiener Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte eingeworfen habe, als für die Entscheidung nicht ausschlaggebend angesehen und demzufolge eine Klarstellung unterlassen hat, ob die angeführte Behauptung den Tatsachen entspricht.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1952 wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

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Normen
ASVG §357;
AVG §13 Abs1;
AVG §13 Abs2;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs5;
AVG Teil1 Abschn5;
Sammlungsnummer
VwSlg 5833 A/1962
Schlagworte
Instanzenzug Zuständigkeit Besondere Rechtsgebiete
Verfahrensrechtliche Bescheide Zurückweisung Kostenbescheide
Ordnungs- und Mutwillensstrafen
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1962:1960001118.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
WAAAF-53949

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