VwGH 23.04.1974, 1093/73
Entscheidungsart: ErkenntnisVS
Rechtssatz
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Normen | |
RS 1 | Eine Verzinsung von 1 Prozent iVm einer extrem langen Schuldentilgung (67 1/2 Jahre auf Grund eines nach dem Wohnbauförderungsgesetz 1954 gewährten Darlehens) ist ein besonderer Umstand iSd § 14 Abs 1 BewG und gebietet eine niedrigere Bewertung der Darlehensschuld als mit dem Nennwert (Hinweis E d BGH vom , BStBl 1956 III, S 49 und Kommentar zum BewG Twaroch-Wittmann-Frühwald, 02te Auflage). |
Entscheidungstext
Beachte
Besprechung in:
JBl 1975, S 274 ;
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schimetschek und die Hofräte Dr. Frühwald, Hofstätter, Kobzina, Dr. Schima, Dr. Reichel, Mag. DDr. Heller, Dr. Simon und Dr. Seiler als Richter, im Beisein der Schriftführer Finanzkommissär Dr. Wimmer und Ministerialoberkommissär Dr. Gancz, über die Beschwerde des Dr. FD in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat VII, vom , Zl. 6-2342/1/72, betreffend Vermögensteuer, Sonderabgabe vom Vermögen und Beitrag vom Vermögen, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer hat in seinen Vermögensteuererklärungen zum und zum unter "Schulden und Lasten" eine Darlehensschuld an den Magistrat der Stadt Wien mit einem Zinssatz von 1 % und einer Laufzeit bis März 2027 ausgewiesen, die am mit S 214.192,-- und am mit S 206.685,-- aushaftete. In den Vermögensteuerbescheiden nahm des Finanzamt eine Abzinsung dieser Darlehensschuld mit 4 % vor und setzte die Schuld zum , und mit S 27.846,-- an.
In der dagegen erhobenen Berufung wurde die Bewertung der Darlehensschuld mit dem Nennwert begehrt. Das Finanzamt habe anscheinend übersehen, daß ein Darlehen nach dem Wohnbauförderungsgesetz 1954 mit jährlich 1 v. H. zu verzinsen und daher nicht als unverzinsliches Darlehen nach § 14 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes 1955 (BewG) abzuzinsen sei. Aber auch nach § 14 Abs. 1 BewG sei eine niedrigere Bewertung des strittigen Darlehens nicht vertretbar, denn der Umstand, daß der Gesetzgeber aus Gründen der Förderung des Wohnbaues im Wohnbauförderungsgesetz 1954 einen niedrigeren Zinssatz festgesetzt habe, könne nicht als besonderer Umstand angesehen werden, der die Annahme eines niedrigeren Wertes als des Nennwertes des Darlehens begründen könnte. Der Beschwerdeführer verwies in diesem Zusammenhang auf die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 555/63, und vom , Zl. 266/63. Über Anfrage des Finanzamtes teilte der Beschwerdeführer diesem mit, daß die ursprüngliche Darlehenssumme S 232.000,-- betragen habe.
Nachdem eine Berufungsvorentscheidung infolge rechtzeitigen Antrags auf Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz wirkungslos geworden war, gab die belangte Behörde der Berufung teilweise Folge. Da der Vermögensteuerbescheid zum aus dem gleichen Grund angefochten worden war, wie der zum ergangene Vermögenssteuerbescheid, entschied die belangte Behörde gleichzeitig auch über diese Berufung. Hinsichtlich der Vermögensteuer und des Beitrages vom Vermögen zum und der Vermögensteuer, Sonderabgabe vom Vermögen und Beitrag vom Vermögen zum wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. Da die Schuld an den Magistrat der Stadt Wien verzinslich sei, könne § 14 Abs. 3 BewG nicht angewendet werden. Der niedrigere Zinssatz von nur 1 % und die lange Laufzeit von 67 1/2 Jahren stellten aber besondere Umstände dar, die einen geringeren Wert der Schuld begründeten. Die Verzinsung von 1 % stelle nämlich wirtschaftlich kaum eine Verzinsung, sondern lediglich einen Ersatz der Verwaltungsspesen dar, sodaß diese Schuld wie eine unverzinsliche anzusehen sei. Der nach § 14 Abs. 1 BewG vorzunehmende Abschlag sei daher in sinngemäßer Anwendung des § 14 Abs. 3 BewG so zu berechnen gewesen, daß der Wert der Schuld mit einem Betrag anzusetzen gewesen sei, der nach Abzug von Jahreszinsen in Höhe von 3 % des Nennwertes bis zur Fälligkeit verbleibe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 13 Z. 1 VwGG 1965 verstärkten Senat erwogen:
Gemäß § 14 Abs. 1 BewG sind Kapitalforderungen und Schulden mit dem Nennwert anzusetzen, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen. Abs. 2 leg. cit. ordnet an, daß Forderungen, die uneinbringlich sind, außer Ansatz bleiben. Zufolge Abs. 3 der genannten Gesetzesstelle ist der Wert unverzinslicher befristeter Forderungen der Betrag, der nach Abzug von Jahreszinsen bis zur Fälligkeit verbleibt. Der dieser gesetzlich vorgesehenen Abzinsung entsprechende Zinssatz betrug für die im Beschwerdefall maßgebenden Stichtage 4 %. Derzeit beträgt er 5,5 % (Bewertungsgesetz-Novelle 1971, BGBl. Nr. 172).
Aus den wiedergegebenen Vorschriften folgt, daß die Grundregel für die Bewertung von Kapitalforderungen(-schulden) die nach dem Nennwert ist. Ausdrückliche Ausnahmen davon sind im Gesetz nur für uneinbringliche und unverzinsliche Kapitalforderungen(-schulden) statuiert. Ob eine besonders niedrige Verzinsung eine vom Nennwert abweichende (niedrigere) Bewertung rechtfertigt, hängt daher davon ab, ob in der niedrigen Verzinsung - allenfalls im Zusammentreffen mit anderen Umständen - "besondere Umstände" im Sinne des § 14 Abs. 1 BewG zu erblicken sind. Die belangte Behörde hat das bejaht. Hingegen ist der Beschwerdeführer der Rechtsmeinung, daß die niedrige Verzinsung keine vom Nennwert seiner Schuld abweichende Bewertung gestatte. Er beruft sich dabei auf die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 259/53, Slg. Nr. 862/F, vom , Zl. 555/63, und vom , Zl. 266/63, und führt aus, daß "besondere Umstände" im Sinne des § 14 Abs. 1 BewG nur im Einzelfall zutreffend seien. Die vom Beschwerdeführer aufgenommene Schuld beruhe jedoch hinsichtlich der Darlehensbedingungen auf dem Wohnbauförderungsgesetz 1954, die auf alle auf Grund dieses Gesetzes abgeschlossenen Darlehensverträge Anwendung finden. Die niedrige Verzinsung und die lange Laufzeit seien daher nicht als "besondere Umstände" anzusehen.
Dazu ist zu sagen:
Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. Nr. 862/F, bezog sich auf die Frage, ob eine in ausländischer Währung zurückzuzahlende Schuld bei der Einheitsbewertung mit dem amtlichen Umrechnungskurs - der zufolge der damaligen devisenrechtlichen Vorschriften wesentlich niedriger lag als es den wirklichen Wertverhältnissen der Währungen entsprochen hat - oder dem sogenannten Prämienkurs anzusetzen war. Der im Beschwerdefall zu beurteilende Sachverhalt ist jedoch anders gelagert. Dasselbe gilt für die Bezugnahme des Beschwerdeführers auf die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 555/63, und vom , Zl. 266/63, Slg. Nr. 3012/F. In beiden zuletzt genannten Beschwerdesachen stand nämlich die Rechtsfrage im Vordergrund, ob die Tatsache, daß ein Steuerpflichtiger nur einen geringen Zinssatz wirtschaftlich zu tragen hat, weil ein Dritter verpflichtet ist, dem Gläubiger die Differenz auf den diesem zustehenden Zinssatz zu leisten, als besonderer Umstand im Sinne des § 14 Abs. 1 BewG anzusehen ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Frage in beiden zitierten Fällen verneint. Indes steht im Beschwerdefall nicht diese Frage zur Entscheidung, weil der Gläubiger des Beschwerdeführers (die Gemeinde Wien) von vornherein keinen Anspruch auf höhere Verzinsung als die auf 1 %ige Jahreszinsen hat, die der Beschwerdeführer leistet. Allerdings ist dem Beschwerdeführer einzuräumen, daß den von ihm bezogenen Erkenntnissen - insbesondere dem Erkenntnis Slg. Nr. 862/F - der allgemeine Rechtssatz entnommen werden könnte, "besondere Umstände" im Sinne des § 14 Abs. 1 BewG lägen dann nicht vor, wenn Darlehen zu bestimmten Bedingungen an einen großen Personenkreis - etwa wie im Falle des Beschwerdeführers auf Grund des Wohnbauförderungsgesetzes 1954 - vergeben werden. Der Verwaltungsgerichtshof ist jedoch aus nachstehenden Erwägungen zur Rechtsansicht gelangt, daß sich eine solche Auslegung der Worte "besondere Umstände" in § 14 Abs. 1 BewG nicht vertreten läßt:
Zunächst ist darauf zu verweisen, daß im Kommentar zum Bewertungsgesetz von Twaroch-Wittmann-Frühwald, 2. Auflage, Anm. 11 c zu § 14 Abs. 1 die im Erkenntnis vom , Slg. Nr. 862/F, vertretene Rechtsauslegung als nicht unbedenklich bezeichnet wird und jedenfalls nicht verallgemeinert werden dürfe. Die genannten Autoren vertreten weiters in Anm. 11 f. a. a. O. die Rechtsansicht, daß langfristig unkündbare und niedrig verzinsliche Hypothekardarlehen gemäß § 14 Abs. 1 BewG eine niedrigere Bewertung als die mit dem Nennwert rechtfertigen. Diese Auffassung findet sich übrigens auch im Urteil des Bundesfinanzhofes vom , BStBl. 1956, III, S. 49, dessen Rechtssatz lautet: "Der Umstand, daß der Zinssatz einer Hypothekaranforderung nicht unerheblich unter dem üblichen Zinssatz liegt, kann eine niedrigere Bewertung der Forderung als mit ihrem Nennwert jedenfalls dann rechtfertigen, wenn durch Kündigungsbeschränkungen die Realisierbarkeit der Forderung für längere Zeit eingeschränkt oder ausgeschlossen ist."
Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich den im vorhergehenden Absatz wiedergegebenen Rechtsmeinungen an. Es liegt nämlich auf der Hand, daß eine Verzinsung von bloß 1 % wirtschaftlich weitgehend der Unverzinslichkeit einer Forderung gleichkommt. Betrachtet man nun die extrem lange Laufzeit des vom Beschwerdeführer aufgenommenen Darlehens mit einem unverzinslichen Darlehen gleicher Laufzeit, so würde der Ansatz des Nennbetrages im Beschwerdefall einerseits, anderseits der Ansatz der abgezinsten Darlehensvaluta im Vergleichsfall zu einem Ergebnis führen, das nach Ansicht des Gerichtshofes mit dem durch die Verfassung gewährleisteten Gleichheitsgrundsatz unvereinbar wäre. Bei einer Abzinsung gemäß § 14 Abs. 3 BewG von 4 v. H. (ab 1971 auf Grund der Bewertungsgesetz-Novelle 1971 sogar 5,5 v.H.) wäre das Ergebnis das, daß die unverzinsliche Schuld nur mit einem Bruchteil ihres Nennwertes bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Vermögens abzuziehen wäre (vgl. die Tabellen bei "BewG 4103" in "steuerrechtliche Tabellensammlung", Verlag Orac), während das mit bloß 1 % verzinsliche Darlehen das steuerpflichtige Vermögen im vollen Nennbetrag vermindern würde. Da nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Gesetze im Zweifel verfassungskonform - das bedeutet nicht gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz verstoßend - auszulegen sind, ist es gerechtfertigt, in einer im Vergleich zum üblichen Zinsfuß wesentlich niedrigeren Verzinsung jedenfalls dann einen zu einer niedrigeren Bewertung der Kapitalforderung (auf der Seite des Schuldners der Kapitalschuld) führenden "besonderen Umstand" zu erblicken, wenn es sich um ein in einem sehr langen Zeitraum zu tilgendes und unkündbares Darlehen handelt. Die Rechtsansicht, daß mit 1 v. H. verzinsliche Darlehen gemäß dem Wohnbauförderungsgesetz 1954, BGBl. Nr. 153, im Umfang der Differenz zwischen 1 v.H. und dem gesetzlichen Zinssatz des § 14 Abs. 3 BewG abzuzinsen sind, wird übrigens auch im Schrifttum vertreten (vgl. Twaroch-Wittmann-Frühwald a.a.O. S 99).
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt aus vorstehenden Gründen die Rechtsansicht, daß unter "besonderen Umständen", die zu einer vom Nennwert abweichenden niedrigeren Bewertung einer Kapitalforderung (-schuld) gemäß § 14 Abs. 1 BewG führen, solche Umstände zu verstehen sind, die vom Normalfall erheblich abweichen, der aus den im Wirtschaftsleben jeweils durchschnittlich geltenden Kreditkonditionen zu erschließen ist. Die Tatsache, daß aus rechts- oder sozialpolitisch bestimmten Gründen einem größeren Bevölkerungskreis Darlehen zu besonders günstigen Bedingungen zugestanden werden, schließt "besondere Umstände" im Sinne der genannten Gesetzesstelle nicht aus, weil als maßgebliches Kriterium, für das Vorliegen "besonderer Umstände" die vom Regelfall abweichenden Kreditkonditionen selbst und nicht die mehr oder weniger große Zahl von Personen anzusehen ist, denen Darlehen zu vom Kapitalmarkt wesentlich abweichenden Bedingungen gewährt werden. Damit aber erweist sich die vorliegende Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 427.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Sammlungsnummer | VwSlg 4677 F/1974 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1974:1973001093.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
HAAAF-53873