VwGH 22.11.1967, 1076/67
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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RS 1 | Die Angehörigeneigenschaft (§ 123 ASVG) ist nicht ein Recht des Versicherten, sondern eine insofern rechtserhebliche Tatsache, als für Angehörige gemäß § 123 Abs 1 ASVG Anspruch auf die Leistungen der Krankenversicherung des Versicherten besteht. Die Frage, ob eine bestimmte Person als Angehöriger im Sinne des § 123 ASVG gilt, ist daher nicht eine Angelegenheit, über die im Verfahren in Verwaltungssachen mit Bescheid (§ 410 ASVG) entschieden werden kann, sondern die Feststellung der Angehörigeneigenschaft hat Gegenstand des Verfahrens zu bilden, in dem über den Leistungsanspruch des Versicherten abgesprochen wird (Hinweis E , 2495/51, VwSlg 3101 A/1953). |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden, Vizepräsidenten Dr. Dietmann, und die Hofräte Dr. Strau, Dr. Mathis, Dr. Härtel und Dr. Zach als Richter, im Beisein des Schriftführers, Landesgerichtsrates Dr. Pichler, über die Beschwerde der Kärntner Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte in Klagenfurt, vertreten durch Dr. Otfried Fresacher, Rechtsanwalt in Klagenfurt, Theatergasse 9, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom , Zl. SV-189/3/67 (mitbeteiligte Partei: ES in K), betreffend Sozialversicherung (§§ 354, 355 ASVG), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Die beschwerdeführende Kasse hatte mit dem an die mitbeteiligte ES gerichteten Bescheid vom ausgesprochen, daß ihrem Antrag vom auf Mitversicherung ihres 1946 geborenen Sohnes auf Grund ihrer Krankenversicherung bei der Kasse nicht entsprochen werden kann.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Einspruch der mitbeteiligten Partei Folge gegeben und den Kassenbescheid vom aufgehoben. Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides ist folgender Sachverhalt erwiesen: ES ist bei der Kärntner Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte seit pflichtversichert. In ihrem Haushalt und ihrer alleinigen Versorgung befindet sich ihr Sohn AS, der am Fernunterricht der Maturaschule Dr. E. Roland in Wien teilnimmt. Am erlitt AS einen Sportunfall und mußte sich in stationäre Behandlung des Arbeitsunfallkrankenhauses Klagenfurt begeben. Er stand vom bis in Krankenhausbehandlung. Eine Übernahme der hiefür aufgelaufenen Kosten im Betrage von S 3.347,-- lehnte die Kärntner Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte mit der Begründung ab, daß AS die Angehörigeneigenschaft fehle, da er keiner regelmäßigen Schulausbildung nachgehe. Daraufhin ersuchte die Einspruchswerberin mit Schreiben vom um die Übersendung eines Bescheides, damit sie gegen diesen Einspruch erheben könne. Die Einspruchsbehörde gelangte nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zu dem Ergebnis, daß im gegebenen Fall ein Leistungsstreitverfahren vorliege, da es primär um die Übernahme der aufgelaufenen Krankenhauskosten gehe und der Streitfall dadurch ausgelöst worden sei, daß sich die Kärntner Gebietskrankenkasse weigerte, die Krankenhauskosten zu bezahlen. In einem solchen Falle müsse im Leistungsstreitverfahren vor dem zuständigen Schiedsgericht entschieden werden, ob der Krankenversicherungsträger zur Kostenübernahme verpflichtet ist, wobei als Vorfrage auch die Frage der Angehörigeneigenschaft vom Schiedsgericht zu entscheiden sei.
Die beschwerdeführende Kasse beantragt, diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Es sei unrichtig, daß sie die aufgelaufenen Krankenhauskosten bescheidmäßig abgelehnt habe und daß der Antrag der versicherten ES primär um die Aufgelaufenen Krankenhauskosten gehe. Was ihren Antrag auf Mitversicherung ihres Sohnes ausgelöst habe, sei für die Beurteilung, ob es sich um eine Verwaltungssache oder Leistungssache handelt, unerheblich. Es sei unrichtig, daß das Schiedsgericht die Frage der Angehörigeneigenschaft im Leistungsstreitverfahren als Vorfrage zu entscheiden habe. Es handle sich um die im Verwaltungsverfahren zu klärende Hauptfrage, ob der Sohn der Versicherten auf Grund des privaten Schulbesuches mitversichert sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber erwogen:
Das gegenständliche Verfahren ist durch das Schreiben der mitbeteiligten Partei an die beschwerdeführende Kasse vom eingeleitet worden, in dem sie zunächst ausführt, das Unfallkrankenhaus habe ihr mitgeteilt, daß nach einer Rückfrage bei der Kasse der Schulbesuch ihres Sohnes bei der Maturaschule Roland nicht anerkannt werde und sie die angelaufenen Kosten zu bezahlen habe. Dann heißt es wörtlich: „Ich bitte um Mitteilung, ob mein Sohn auf Grund des Schulbesuches in Wien tatsächlich nicht versichert ist, zutreffendenfalls bitte ich um Übersendung eines Bescheides, damit ich gegen diesen Einspruch erheben kann.“ Dieses Begehren auf Erlassung eines Bescheides darüber, ob der Sohn der mitbeteiligten Partei „auf Grund des Schulbesuches in Wien tatsächlich nicht versichert ist“, kann nur als Antrag auf bescheidmäßigen Abspruch über seine Angehörigeneigenschaft nach § 123 Abs. 3 Z. 1 ASVG angesehen werden, wonach Kinder über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus als Angehörige gelten, wenn sie wegen wissenschaftlicher oder sonstiger regelmäßiger Schul- oder Berufsausbildung sich noch nicht selbst erhalten können, u. zw. in der seit geltenden Fassung der 19. Novelle zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 67/1967, bis zur ordnungsmäßigen Beendigung der Ausbildung, längstens jedoch bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres, wird während dieser Zeit der Präsenzdienst absolviert bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres.
Ein Leistungsanspruch ist mit diesem Begehren nicht geltend gemacht worden, wenn es auch durch die Ablehnung der Kostenübernahme seitens der beschwerdeführenden Kasse gegenüber dem Krankenhaus ausgelöst worden war. Denn nach § 354 ASVG sind Leistungssachen, die Angelegenheiten, in denen es sich um 1. Feststellung des Bestandes des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung handelt, soweit hiebei nicht die Versicherungszugehörigkeit (§§ 13 bis 15), die Versicherungszuständigkeit (§§ 26 bis 30), die Leistungszugehörigkeit (§ 245) oder die Leistungszuständigkeit (§ 246) in Frage steht. (Die weiteren Z. 2 und 3 kommen im gegenständlichen Falle nicht in Betracht.) Auf die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung war das Begehren der mitbeteiligten Partei nicht gerichtet.
Nach § 355 ASVG sind alle nicht gemäß § 354 als Leistungssachen geltenden Angelegenheiten, für die nach § 352 die Bestimmungen dieses Teiles gelten, Verwaltungssachen. Das Oberlandesgericht Wien hat in seiner von der Beschwerde zitierten Entscheidung vom , 15 R 146/63, SSV IV Nr. 7, SV Slg. IX Nr. 14. 927 ausgesprochen: „Die Feststellung, ob ein Kind als Angehöriger seiner versicherten Mutter im Sinne des § 123 Abs. 1 und 2 ASVG gilt, ist Verwaltungssache im Sinne des § 355, weil es sich nicht um die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung handelt.“ Doch hat das Oberlandesgericht Wien in seiner Entscheidung vom , 15 R 38/63, SSV III Nr. 74, die Auffassung vertreten, daß die Entscheidung über die Angehörigeneigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 2 BKVG 1937 eine Vorfrage ist, die von Schiedsgericht in der in jenem Falle dort anhängig gewesenen Leistungssache nach § 354 ASVG zu entscheiden wäre.
Bei Prüfung der Frage, ob im Beschwerdefall in dem entgegen der Meinung der belangten Behörde ein Leistungsstreitverfahren nicht vorliegt, Rechte der beschwerdeführenden Kasse durch die Aufhebung ihres Bescheides vom verletzt worden sind, darf aber nicht übersehen werden, daß nach § 355 ASVG, nur solche nicht gemäß § 354 als Leistungssachen geltende Angelegenheiten Verwaltungssachen sind, „für die nach § 352 die Bestimmungen dieses Teiles gelten“. Nach der generellen Norm des § 352 gelten die Bestimmungen dieses Teiles für das Verfahren zur Durchführung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes; Es ergibt sich somit die Frage, in welchen Fällen nach den, Bestimmungen dieses Bundesgesetzes der Versicherungsträger einen Bescheid zu erlassen hat. Über „Bescheide der Versicherungsträger in Verwaltungssachen“ bestimmt § 410 ASVG, daß der Versicherungsträger in Verwaltungssachen, zu deren Behandlung er nach § 409 berufen ist, einen Bescheid zu erlassen hat, wenn er die sich aus diesem Bundesgesetz in solchen Angelegenheiten ergebenden Rechte und Pflichten von Versicherten und von deren Dienstgebern feststellt. Dementsprechend ist nach den anschließend aufgezählten Beispielsfällen gemäß Punkt 7 ein Bescheid zu erlassen, wenn der Versicherte oder der Dienstgeber die Bescheiderteilung zur Feststellung der sich für ihn aus diesem Gesetz ergebenden Rechte und Pflichten verlangt.
Das Begehren der mitbeteiligten Partei auf Erlassung eines Bescheides darüber, ob ihr Sohn „auf Grund seines Schulbesuches in Wien tatsächlich nicht mitversichert ist“, verlangt nun - richtig verstanden - eine Bescheiderteilung darüber, ob ihr Sohn nach § 123 Abs. 3 Z. 1 ASVG über den Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus noch als Angehöriger zu gelten habe. Damit wird aber nicht die Feststellung eines sich für die Versicherte aus diesem Bundesgesetz ergebenden Rechtes verlangt. Die Angehörigeneigenschaft ist nicht ein Recht des Versicherten, sondern eine insofern rechtserhebliche Tatsache, als für Angehörige gemäß § 123 Abs. 1 ASVG Anspruch auf die Leistungen der Krankenversicherung des Versicherten besteht. Die Feststellung einer solchen Tatsache hat aber nicht Gegenstand einer gesonderten Bescheiderteilung des Versicherungsträgers im Sinne des § 410 ASVG, sondern des Verfahrens zu bilden, in dem über den Leistungsanspruch des Versicherten abgesprochen wird.
Aus diesen Erwägungen ist die beschwerdeführende Kasse durch die mit dem angefochtenen Bescheid erfolgte Aufhebung ihres über das Begehren der mitbeteiligten Partei meritorisch absprechenden Bescheides in einem Recht nicht verletzt worden und war ihre Beschwerde daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 als unbegründet abzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI | ECLI:AT:VWGH:1967:1967001076.X00 |
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Fundstelle(n):
LAAAF-53811