VwGH 05.12.1983, 1055/79
Entscheidungsart: ErkenntnisVS
Rechtssätze
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Normen | |
RS 1 | Die Abgabenbehörden sind zufolge der Unschuldsvermutung des vom österr. Vorbehalt zum Art 5 MRK nicht erfassten Art 6 Abs 2 MRK nicht an die Sachverhaltsannahme oder rechtliche Beurteilung in einem korrespondierenden Abgabenverfahren gebunden. |
Normen | FremdenverkehrsförderungsG Wr 1955 §11 Abs1; FremdenverkehrsförderungsG Wr 1955 §13 Abs1; FremdenverkehrsförderungsG Wr 1955 §20 Abs1; |
RS 2 | Rechtliche Ausführungen zur Frage der Aufenthaltnahme in einem Beherbergungsbetrieb bei Vermietung eines Hotels an den Bund zur fallweisen Unterbringung von Arbeitskräften. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Kobzina, Senatspräsident Dr. Straßmann und die Hofräte Dr. Seiler, Dr. Salcher, Dr. Närr, Dr. Würth, Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn und Dr. Kramer als Richter, im Beisein der Schriftführer Oberkommissär Mag. Gaismayer und Richter Mag. Dr. Walter, über die Beschwerde der HS in W, vertreten durch Dr. Werner Zach, Rechtsanwalt in Wien IV, Brucknerstraße 4, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom , Zl. MDR-S 11/78/Str., betreffend Übertretung des Wiener Fremdenverkehrsförderungsgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 8.130,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Magistrat der Stadt Wien erkannte die Beschwerdeführerin mit Straferkenntnis vom für schuldig, für ihren Beherbergungsbetrieb in Wien, S-straße 35, die Ortstaxe für den Zeitraum vom bis zum im Betrag von S 116.880,-- bis zum nicht abgerechnet und abgeführt, somit verkürzt und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs. 1 in Verbindung mit § 13 Abs. 1 des Gesetzes vom , LGBl. für Wien Nr. 13, betreffend die Fremdenverkehrsförderung in Wien, in der im Beschwerdefall geltenden Fassung (Wiener Fremdenverkehrsförderungsgesetz, WFFG) begangen zu haben, wofür gegen sie gemäß § 20 Abs. 1 desselben Gesetzes eine Geldstrafe von S 35.000,-- verhängt wurde, an deren Stelle im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzarreststrafe in der Dauer von zwei Wochen treten sollte. Aufgrund der - mündlich angebrachten, nicht weiter ausgeführten (§ 51 Abs. 3 VStG 1950) - Berufung der Beschwerdeführerin wurde dieses Straferkenntnis mit der Abänderung, daß die Zitierung des § 13 Abs. 1 WFFG zu entfallen habe, durch den Bescheid der Wiener Landesregierung vom gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 bestätigt. Die Entscheidung wurde unter Hinweis auf § 20 Abs. 1 und § 13 Abs. 1 WFFG damit begründet, eine Abgabe sei bereits dann verkürzt, wenn sie unter Verletzung der Anzeigepflicht nicht zu den vorgesehenen Terminen entrichtet werde. Daß sich dies in bezug auf die Ortstaxe für die Beschwerdeführerin so verhalte, sei unbestritten. Was die Steuerpflicht angehe, sowie zur Schuldfrage werde auf die zutreffende Begründung des erstinstanzlichen Bescheides, im übrigen auf die Entscheidung der Abgabenberufungskommission Bezug genommen, die am die Berufung gegen den Bemessungsbescheid vom über S 116.880,-- Ortstaxe als unbegründet abgewiesen habe. Die verhängte Geldstrafe betrage weniger als ein Drittel des verkürzten Steuerbetrages, sei im Hinblick auf die Strafobergrenze sehr niedrig und nehme auf die als mildernd zu wertende Erstmaligkeit der Übertretung und die nicht günstigen Erwerbs-, Vermögens- und Familienverhältnisse der Beschwerdeführerin ausreichend Bedacht, berücksichtige man, daß das Interesse, dem die Strafdrohung diene, erheblich gefährdet gewesen sei. In der Frage der Steuerpflicht hatte sich der Magistrat in seinem Straferkenntnis mit der Verantwortung der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt, sie habe als Pächterin besagten Hotels laut Untermietvertrag mit der Post- und Telegraphenverwaltung dieser 40 Betten zur Unterbringung von Arbeitskräften überlassen und daher während der Vertragsdauer selbst keinen Beherbergungsbetrieb geführt, es sei ihr in dieser Zeit keine Einflußnahme auf die Führung des Hauses zugestanden und mangels Kenntnis der jeweils anwesenden Personen die Berechnung der Ortstaxe auch nicht möglich gewesen. Hierauf war im wesentlichen erwidert worden, die Qualifikation als Beherbergungsbetrieb sei durch die Einräumung des Benützungsrechtes in Form einer pauschalen Vergabe - wobei keine Notwendigkeit zu körperlicher Anwesenheit des jeweiligen Gastes bestanden habe - keineswegs verlorengegangen; erklärter Zweck sei die Unterbringung von Personen gewesen, und es seien auch für einen Beherbergungsbetrieb typische Leistungen erbracht worden; man müsse davon ausgehen, daß während des ganzen Zeitraumes die der Menge der Betten entsprechende Anzahl von Personen Aufenthalt genommen habe. Die Richtigkeit der Berechnung der Ortstaxe als solche sei nicht in Zweifel gezogen worden; ein Bedienungsgeld und ein allfälliger Heizzuschlag hätten gemäß § 11 Abs. 2 WFFG nur dann nicht in die Bemessungsgrundlage eingerechnet werden dürfen, wenn diese Kosten in vom Magistrat vidierten Zimmerpreistabellen gesondert ausgewiesen worden wären; derartige Tabellen lägen jedoch nicht vor. In der Verschuldensfrage hatte die Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz der Beschwerdeführerin ein hohes Maß an Fahrlässigkeit angelastet; nach dem Untermietvertrag sei mit dem an die Beschwerdeführerin geleisteten Betrag ausdrücklich auch die Ortstaxe als abgegolten bezeichnet worden; die Beschwerdeführerin habe vom Bestehen dieser Pflicht als Hotelinhaberin schon vorher Kenntnis gehabt; sie hätte sich zumindest bei der Behörde vergewissern müssen, ob ihr Verhalten der Rechtslage entspreche.
Der Berufungsbescheid der Wiener Landesregierung wird mit der vorliegenden Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpft. Die Beschwerdeführerin erachtet sich dabei nach ihrem Vorbringen in dem Recht verletzt, nicht bestraft zu werden. Sie führt aus, in Anbetracht der gänzlichen Vermietung des Objektes habe nicht sie, sondern den Mieter die Pflicht zur Abrechnung und Abführung der vorgeschriebenen Ortstaxe getroffen; ihr selbst sei der Verwendungszweck des Hotels für den Mieter nicht bekannt und dieser seinerseits nicht verpflichtet gewesen, ihr darüber Auskunft zu geben. Davon abgesehen sei der Abgabenanspruch bereits verjährt gewesen. Die belangte Behörde habe zudem nicht zu erkennen gegeben, nach welchen Bemessungsgrundlagen die vorgeschriebene Ortstaxe errechnet worden sei; diesbezüglich fehle jedes Beweismittel und jede für eine Feststellung geeignete Entscheidungsgrundlage. Auf die Verantwortung der Beschwerdeführerin sei nicht eingegangen worden. Schließlich wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, insbesondere den Mieter durch einen informierten Vertreter zur Frage, während welcher Zeit das Hotel zur Gänze belegt gewesen sei, zu vernehmen.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 13 Z. 1 VwGG 1965 (in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 203/1982) verstärkten Senat erwogen:
Gemäß § 11 Abs. 1 WFFG hat, wer im Gebiet der Stadt Wien in einem Beherbergungsbetrieb gegen Entgelt Aufenthalt nimmt, die Ortstaxe zu entrichten, sofern er nicht nach § 12 von deren Leistung befreit ist. Gemäß § 13 Abs. 1 WFFG haben die Inhaber der Beherbergungsbetriebe die Ortstaxe von den Beherbergten einzuheben, dem Magistrat bis zum 14. des der Beherbergung nächstfolgenden Monates eine Abgabenerklärung einzureichen und die Abgabe zu entrichten. Die Inhaber der Beherbergungsbetriebe haften für die Begleichung der Ortstaxe durch die Beherbergten. Nach § 20 Abs. 1 WFFG sind Handlungen oder Unterlassungen, durch die die Abgabe hinterzogen oder fahrlässig verkürzt wird, als Verwaltungsübertretungen mit Geldstrafe bis zum Fünfzigfachen des Verkürzungsbetrages zu bestrafen. Gemäß Abs. 3 dieses Paragraphen hat der Magistrat das Strafverfahren in allen Fällen nach den Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes durchzuführen (vgl. § 254 FinStrG).
Den Abgabenstrafbehörden oblag es im Beschwerdefall, die Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes und die rechtliche Beurteilung, ob und in welchem Ausmaß Ortstaxe verkürzt wurde, nicht nur in bezug auf die subjektive, sondern auch die objektive Tatseite in Wahrung des Grundsatzes der Amtswegigkeit des Verfahrens und der materiellen Wahrheit (§ 25 VStG 1950 sowie § 24 VStG 1950 in Verbindung mit § 37 und § 39 Abs. 2 AVG 1950) ohne Einschränkung eigenständig vorzunehmen. Dies in Hinsicht darauf, daß der Inhalt des Bescheides, mit dem die Haftung für eine bestimmte Abgabenschuld gegenüber der Beschwerdeführerin geltend gemacht wurde, weder was die Sachverhaltsannahme noch was die rechtliche Beurteilung betrifft, Gegenstand einer Bindung für die Abgabenstrafbehörde war und auch die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK in verfassungskonformer Auslegung vom österreichischen Vorbehalt Art. 5 MRK nicht umfaßt wird. Die dementgegen eine eingeschränkte Bindung der Abgabenstrafbehörden an die Sachverhaltsannahme der Abgabenbehörden bejahende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wie sie etwa in den Erkenntnissen vom , Zl. 2510/55, Slg. Nr. 1717/F, vom , Zl. 1295/56, vom , Zl. 2169/61, vom , Zl. 1572/64, vom , Zl. 68/74, Slg. Nr. 4679/F, vom , 1358/75, Slg. Nr. 4924/F, vom , Zl. 856/77, und vom , Zl. 81/14/0160, zum Ausdruck kommt, wird nicht mehr aufrechterhalten.
Nach dem im Beschwerdefall vorliegenden Sachverhalt legte die Beschwerdeführerin ihren Hotelbetrieb als nicht mehr lohnend mit still und vermietete das ganz Haus bis zum an den Bund, vertreten durch die Post- und Telegraphendirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, zur Unterbringung von Arbeitskräften. In einem solchen Fall ist jedoch die tatbestandsmäßige Voraussetzung für die Entrichtung einer Ortstaxe gemäß dem § 11 Abs. 1 WFFG, die gemäß dem § 20 Abs. 1 WFFG verkürzt werden könnte, nicht erfüllt. Denn es nahm weder die bezeichnete Direktion selbst in einem Beherbergungsbetrieb Aufenthalt noch kam es zu einer entgeltlichen - sei es auch nur mittelbaren - vertraglichen Verpflichtung zwischen der Beschwerdeführerin und jenen Arbeitskräften, denen die Post- und Telegraphenverwaltung während des angegebenen Zeitraumes durch fallweise Überlassung von Räumlichkeiten in dem von ihr gemieteten Gebäude einen vorübergehenden Aufenthalt ermöglichte.
Da die belangte Behörde die Rechtslage insofern verkannte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 221/1981, insbesondere auch deren Art. III Abs. 2.
Soweit in diesem Erkenntnis auf frühere Erkenntnisse verwiesen ist, die nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlicht sind, wird an Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung dieses Gerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | |
Sammlungsnummer | VwSlg 5836 F/1983 |
Schlagworte | Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Rechtliche Beurteilung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1983:1979001055.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
RAAAF-53754