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VwGH 20.11.1967, 0907/67

VwGH 20.11.1967, 0907/67

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
AVG §45 Abs3;
VwGG §42 Abs2 litc Z2;
VwGG §42 Abs2 litc Z3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb impl;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc impl;
RS 1
Ein allfälliger Mangel des Parteiengehörs im Verfahren erster Instanz wird durch die im Berufungsverfahren mit der Berufung gegebene Möglichkeit der Stellungnahme saniert.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 0338/56 E RS 2

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Chamrath, und die Hofräte Dr. Dolp, Dr. Kadecka, Dr. Schmid und Dr. Schmelz als Richter, im Beisein des Schriftführers, Administrationsrates Dohnal, über die Beschwerde des VG in S, vertreten durch Dr. Josef Heis, Rechtsanwalt in 6011 Innsbruck, Anichstraße 10/I, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. II b- 433/ 1-1966, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 1.000,-- binnen zwei Wochen zu ersetzen.

Begründung

Die Bezirkshauptmannschaft Landeck/Tirol erkannte den Beschwerdeführer mit Strafverfügung vom schuldig, am um 8 Uhr einen dem Kennzeichen nach bestimmten PKW (T nn.nnn) auf der Pillerseestraße von der Ortsmitte Waidring in Richtung St. Ulrich a.d.P. mit einer Fahrgeschwindigkeit von 80 km/h gelenkt, damit die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit wesentlich überschritten und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. Nr. 159 (StVO), begangen zu haben. Sie verhängte gegen ihn gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO eine Gelstrafe von S 200,-- (Ersatzarreststrafe von zwei Tagen).

Gegen diese Strafverfügung erhob der Beschwerdeführer Einspruch mit der Begründung, dass er in der Nacht vom 20. auf den 21. August beim Frächter Türtscher in Galtür genächtigt und am um 7.30 Uhr in Galtür den Dienst angetreten habe, sodass er sich am fraglichen Tage im Bereiche der Silvretta Hochalpenstraße - Ischgl befunden habe. Das Fahrtenbuch und die Unterlagen lägen bei der Firma Senn auf. Die Behörde erster Instanz ließ Erhebungen durch das Gendarmeriepostenkommando Landeck durchführen und in das Fahrtenbuch Einsicht nehmen. Sie vernahm auch den Meldungsleger als Zeugen zum Einspruchsvorbringen. Dieser bekundete im wesentlichen, das Kennzeichen aus einer Entfernung von etwa 10 m abgelesen zu haben "es dürfte daher ein Irrtum im Ablesen des Kennzeichens ausgeschlossen sein".

Mit Straferkenntnis vom erkannte die Bezirkshauptmannschaft Landeck/Tirol den Beschwerdeführer der gleichen Verwaltungsübertretung wie in der Strafverfügung schuldig und verhängte über ihn auch dieselbe Strafe. Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Tat sei durch die dienstliche Wahrnehmung eines im Verkehrsüberwachungsdienst stehenden Gendarmeriebeamten erwiesen. Die Angaben des Beschwerdeführers, am fraglichen Tag sich im Bereiche der Silvretta Hochalpenstraße - Ischgl befunden zu haben, seien dem Meldungsleger vorgehalten worden, welcher hiezu ausdrücklich erklärt habe, dass er den Tatbestand vollinhaltlich aufrecht halte, und auch ein Irrtum im Ablesen des Kennzeichens nicht erfolgt sei. Die Behörde sei daher in Abwägung des objektiven Wahrheitsgehaltes der Beschuldigtenverantwortung und den Angaben des Meldungslegers zu dem Ergebnis gekommen, dass den Angaben des Meldungslegers, der schon auf Grund seines Diensteides einer besonderen Wahrheitspflicht unterliege, wesentlich mehr Glauben zugebilligt werden müsse.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er im wesentlichen dieselben Einwendungen wie in seinem Einspruch vorbrachte.

Laut Aktenvermerk vom brachte der Beschwerdeführer der Bezirkshauptmannschaft Landeck nochmals zur Kenntnis, dass bei der Ablesung der Kennzeichennummer durch die Gendarmerie ein Irrtum vorgekommen sein müsse. Der Beschwerdeführer wisse, dass es sich nur um das Fahrzeug mit der Nummer T nn.nnn gehandelt haben könne, und dieses gehöre dem Herrn N.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung, ohne ein weiteres Ermittlungsverfahren durchzuführen, als unbegründet ab und bestätigte das erstinstanzliche Straferkenntnis. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, dass das Fahrtenbuch als taugliches Beweismittel ausscheide, da es augenfällig sei, dass die Eintragungen nicht täglich, sondern in einem Zuge für längere Zeiträume durchgeführt worden seien. Zudem ziehe der Beschwerdeführer das richtige Ablesen des Kennzeichens durch den Meldungsleger in Zweifel und behaupte, das Fahrzeug mit der Nummer T nn.nnn gehöre einem Herrn N. Damit könnten die Wahrnehmungen eines ausgebildeten, im Verkehrsdienst stehenden und unter Diensteid aussagenden Gendarmeriebeamten nicht widerlegt werden.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die wegen "Verfahrensmängel und Rechtswidrigkeit" erhobene vorliegende Beschwerde.

Der Beschwerdeführer erachtet sich zunächst in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt und bringt hiezu vor, dass er vom Inhalt der Einvernahme des Meldungslegers als Zeuge keine Kenntnis erhalten habe und ihm dadurch keine Gelegenheit gegeben worden sei, dazu Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer habe der Berufungsbehörde auch zur Kenntnis gebracht, dass sein PKW mit dem PKW T nn.nnn verwechselt worden sei und dieser PKW einem Herrn N. gehöre. Die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, den Besitzer dieses PKW's zu vernehmen. Im Sinne des § 25 Abs. 1 VStG 1950 hätte die belangte Behörde auch die der Entlastung des Beschwerdeführers dienenden Umstände in gleicher Weise wie die belastenden zu berücksichtigen gehabt. Es wären daher die Besitzer bzw. Angestellten der von der Gendarmerie ermittelten und vom Beschwerdeführer am aufgesuchten Betriebe zu vernehmen gewesen, ob und wann der Beschwerdeführer am bei ihnen vorgesprochen habe. Wenn der Beschwerdeführer tatsächlich am Samstag, den durch Waidring gefahren sein sollte, so hätte er bei einer Fahrtdauer von mindestens drei Stunden, wenn nicht mehr, am Vormittag keine Möglichkeit mehr gehabt, in Galtür Bestellungen für seinen Dienstgeber, der Firma S., aufzunehmen. Nachmittags seien die Handlungen geschlossen, und um 17 Uhr desselben Tages habe der Beschwerdeführer beim Musikvereinsfest mitgeholfen.

Was zunächst die Verletzung des Parteiengehörs anlangt, so ist dazu folgendes zu sagen: Nach § 45 Abs. 3 AVG 1950 ist den Parteien Gelegenheit zu geben, von dem Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Richtig ist, dass die Behörde erster Instanz das Ergebnis der Zeugeneinvernahme des Meldungslegers dem Beschwerdeführer nicht zur Kenntnis gebracht hat. Allein dieser Mangel erscheint dadurch beseitigt, dass der Beschwerdeführer Gelegenheit hatte, in der gegen den erstinstanzlichen Bescheid ergriffenen Berufung zu Wort zu kommen. Im Zuge des Berufungsverfahrens ist aber die belangte Behörde nicht verpflichtet gewesen, dem Beschwerdeführer vor Erlassung des Berufungsbescheides Gelegenheit zu einer weiteren Äußerung zu geben, da diese ohne ergänzende Ermittlungen, die sie dem Beschwerdeführer zur Kenntnis hätte bringen müssen, sohin lediglich auf Grund des erstinstanzlichen Bescheides und der dagegen erhobenen Berufung ihre Entscheidung getroffen hat. Daraus ergibt sich, dass die Behörde die Bestimmung des § 45 Abs. 3 AVG nicht verletzt hat.

Die in den weiteren Beschwerdevorbringen zum Ausdruck gebrachte Rüge ist jedoch begründet.

Der Beschwerdeführer hat bereits im erstinstanzlichen Verfahren darauf hingewiesen, am nicht in Waidring gewesen zu sein, und zum Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung auch auf das Fahrtenbuch verwiesen. Überdies hat er im Berufungsverfahren der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht, dass sein PKW mit einem anderen PKW verwechselt worden sei und dieser einem Herrn N. gehöre. Sicher war es der belangten Behörde gemäß § 45 Abs. 2 AVG überlassen, nach freier Überzeugung unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zu beurteilen, ob die Behauptung des Beschwerdeführers, an diesem Tag mit seinem PKW nicht in Waidring gewesen zu sein, als erwiesen anzunehmen sei oder nicht. Die belangte Behörde hat wohl Einsicht in das Fahrtenbuch genommen, die Eintragungen aber über die Fahrten am nicht überprüft, sondern nur erklärt, dass dieses Fahrtenbuch kein taugliches Beweismittel sei, und den Angaben des Beschwerdeführers den Glauben versagt. Die belangte Behörde hat sich auf die Aussage des Meldungslegers gestützt und auf diese Angaben ihre Entscheidung aufgebaut. Der Meldungsleger gab aber an, dass er das Kennzeichen auf eine Entfernung von etwa 10 m abgelesen habe. "Es dürfte daher ein Irrtum im Ablesen des Kennzeichens ausgeschlossen sein."

Diese Formulierung schließt wohl die Möglichkeit eines Irrtums nicht aus. Die belangte Behörde wäre daher in Erfüllung der im Verwaltungsverfahren herrschenden Offizialmaxime verpflichtet gewesen, den vom Beschwerdeführer angegebenen Besitzer des anderen PKW, Herrn N. über die Frage, ob dieser am durch Waidring gefahren sei, zu vernehmen, sowie auch Erhebungen in Galtür bei jenen Firmen, bei denen der Beschwerdeführer behauptet, für seinen Dienstgeber, der Firma S., Bestellungen aufgenommen zu haben, durchzuführen und in dieser Richtung das Ermittlungsverfahren zu ergänzen. Dass die belangte Behörde selbst nicht davon überzeugt ist, die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Einwände insbesondere, es habe sich um einen Fehler beim Ablesen des Kennzeichens gehandelt, entkräftet zu haben, gibt sie in ihrer Gegenschrift zu und vermeint, dass nach ihrer Ansicht nur eine Entscheidung "in dubio pro reo" ergehen könne.

Dass mithin die Durchführung der oben angeführten Beweismittel für die Behauptung des Beschwerdeführers, an jenem Tag nicht in Waidring mit seinem PKW gefahren zu sein, von entscheidender Bedeutung ist, bedarf keiner weiteren Erörterung.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff. VwGG.

Wien, am

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Normen
AVG §45 Abs3;
VwGG §42 Abs2 litc Z2;
VwGG §42 Abs2 litc Z3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb impl;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc impl;
Schlagworte
Parteiengehör
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1967:1967000907.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
IAAAF-53462