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VwGH 24.02.1969, 0906/67

VwGH 24.02.1969, 0906/67

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
LBauO Tir §7;
LBauO Tir §8;
RS 1
Sieht ein Flächenwidmungsplan lediglich Baugebiete vor, dann ist für die Beantwortung der Frage der zulässigen Verbauung § 8 TLBO heranzuziehen.
Norm
LBauO Tir §8;
RS 2
Ausführungen zu dem im § 8 TLBO verwendeten Begriff "frei stehend".
Normen
B-VG Art119a Abs5;
GdO Tir 1966 §112;
VwGG §42 Abs2 lita;
VwGG §42 Abs2 Z1 impl;
RS 3
Werden durch einen von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich erlassenen Bescheid wesentliche Verfahrensvorschriften verletzt - zB durch Heranziehung eines für die Beantwortung einer Rechtsfrage ungeeigneten Gutachtens eines Sachverständigen - und nimmt dies die Aufsichtsbehörde nicht wahr, so macht dies ihren Vorstellungsbescheid inhaltlich rechtswidrig.
Normen
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §8;
RS 4
Zur Widerlegung eines Parteienvorbringens genügt es nicht ein Gutachten im vollen Wortlaut wiederzugeben, vielmehr muss dieses Gutachten eine selbständige Würdigung erfahren.
Normen
B-VG Art119a Abs5;
GdO Tir 1966;
RS 5
Die Vorstellungsbehörde kann nur den Bescheid des Gemeinderates, nicht aber den der 1.Instanz aufheben. (Dass das erstinstanzliche Verfahren zu beheben ist, kann somit nur in der Begründung dargelegt werden).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Borotha und die Hofräte Dr. Krzizek, Dr. Lehne, Dr. Leibrecht und Dr. Hrdlicka als Richter, im Beisein des Schriftführers prov. Magistratskonzipist Dr. Macho, über die Beschwerde der VK in R, vertreten durch Dr. Alois Kerber, Rechtsanwalt in Reutte, Lindenstraße 7, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. Ve-1241/2/1967 (mitbeteiligte Parteien: 1.) TS in E, 2.) Gemeinde E, vertreten durch den Bürgermeister), betreffend Abweisung von Anrainereinwendungen zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 1.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Mitbeteiligte des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist Eigentümer der Bp. 295 der KG. X, die mit einem Wohn- und Wirtschaftszwecken dienenden, aus einem Erdgeschoß und einem Obergeschoß bestehenden freistehenden Haus mit etwa quadratischer Grundform (verbaute Fläche 359 m2) bebaut ist. Die Vorderfront dieses Hauses, die nach Südosten orientiert ist, bildet in dieser Richtung die ganze (nordwestliche) Seitenfront eines Dorfplatzes (öffentliches Gut Gp. 3118/11). Die nordöstliche Begrenzung dieses Platzes wird durch das ebenfalls freistehende, auf der Bp. 294 stehende Haus der Beschwerdeführerin gebildet. Südwestlich vom Anwesen des Mitbeteiligten befindet sich das ebenfalls freistehende Anwesen des KP (Bp. 296). Die Abstände dieser drei Anwesen voneinander betragen:

1.) von Haus zu Haus gemessen a) vom Hause des Mitbeteiligten zum Haus der Beschwerdeführerin 7,10 m, b) vom Haus des Mitbeteiligten zum Haus des KP gemessen ca. 5 m.

2.) Die Abstände des Hauses des Mitbeteiligten zu den Grundgrenzen der Liegenschaften der Beschwerdeführerin und des KP betragen a) zur Grundgrenze der Beschwerdeführerin 3,40 m, b) zur Grundgrenze der Liegenschaft des KP 2,65 m. Über die Bauverhältnisse bzw. Abstände der übrigen umliegenden Häuser, die die südliche Begrenzung des Dorfplatzes bilden, finden sich in den Verwaltungsakten keine Angaben.

Am brachte der Mitbeteiligte beim Bürgermeister der Gemeinde E einen Antrag auf Bewilligung eines Umbzw. Aufbaues des Wohn- und Wirtschaftsgebäudes auf dem bestehenden Mauerwerk ein. Die wesentliche Änderung gegenüber dem Altbestand bestand darin, daß auf das schon bestehende Obergeschoß ein zweites Obergeschoß aufgebaut werden sollte. Dieses Bauansuchen wurde zunächst im Sinne des § 47 der Tiroler Landesbauordnung (TLBO) der Bezirkshauptmannschaft Reutte zur Begutachtung vorgelegt. In ihrer Äußerung vom an den Bürgermeister der Gemeinde E stellte die Bezirkshauptmannschaft im wesentlichen fest, daß das Bauvorhaben beabsichtige, gegenüber dem schon bestehenden Haus die Traufenhöhe um rund 4,40 m auf nunmehr 8,90 m und die Firsthöhe um rund 4,75 m auf nunmehr rund 12 m zu erhöhen. Mit Rücksicht auf den zu geringen Gebäudeabstand (vom Haus der Beschwerdeführerin rund 7 m und vom Haus des KP rund 5 m) müsse das Bauvorhaben gemäß § 8 TLBO sowie auf Grund der Verordnung zum Schutze des Orts-, Straßen- und Landschaftsbildes abgewiesen werden. Nachdem der Mitbeteiligte im Bauplan einige Änderungen (Umsituierung der Einfahrt zur Tenne und Zurücknahme eines geplanten Aufbaues gegenüber einem Gemeindeweg) vorgenommen hatte, fand über das Bauansuchen am vor dem Bürgermeister der Gemeinde E eine Verhandlung an Ort und Stelle statt, an der auch die Beschwerdeführerin und KP als Anrainer teilgenommen haben. Während KP sich mit dem Bauvorhaben einverstanden erklärte, wendete die Beschwerdeführerin dagegen ein, daß bei dem Bauvorhaben die gesetzlich vorgeschriebenen Abstände sowohl zu ihrem Haus (Bp. 294) als auch zu ihrer daran angrenzenden Liegenschaft (Gp. 1964) nicht eingehalten würden und das Vorhaben schon aus diesem Grunde abgewiesen werden müßte. An dieser Verhandlung nahm auch als technischer Amtssachverständiger Ing. HG teil. Die Niederschrift über diese Verhandlung enthält außer einer Baubeschreibung (Befund) lediglich die Feststellung, daß vom Standpunkt des Orts- und Straßenbildes aus gegen das Bauvorhaben keine Bedenken bestehen sowie daß in Anbetracht der besonderen Umstände das Bauvorhaben gemäß § 85 TLBO genehmigt werden könne. Welches Gutachten der technische Amtssachverständige bei der Verhandlung abgegeben hat, ist aus der Niederschrift nicht zu entnehmen. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde E vom wurde sodann dem Mitbeteiligten gemäß § 49 TLBO die Baubewilligung unter verschiedenen - für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unwesentlichen - Auflagen erteilt. Über die Einwendungen der Beschwerdeführerin wurde dabei nicht abgesprochen. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Hierüber ordnete die Bezirkshauptmannschaft Reutte für den eine Berufungsverhandlung an Ort und Stelle unter Beiziehung des bautechnischen Amtssachverständigen OBR. Dipl.-Ing. S an. Der Amtssachverständige stellte eingangs seines Gutachtens wörtlich fest: "Aus dem Bestand der umliegenden Häuser kann die offene Bauweise nicht abgeleitet werden." Die übrigen Ausführungen des Gutachtens beschäftigten sich ausschließlich mit den bereits wiedergegebenen Abständen, die das Haus des Mitbeteiligten zu den Häusern bzw. Grundgrenzen der beiden Anrainer (darunter der Beschwerdeführerin) aufweist. Hinsichtlich der Abstände zum Haus bzw. zur Grundgrenze der Beschwerdeführerin kam der Amtssachverständige zu dem Ergebnis, daß diesbezüglich gegen das Bauvorhaben kein Einwand zu erheben sei. (Die übrigen Ausführungen betreffen lediglich die entsprechenden Abstände zum Haus bzw. zur Grundgrenze des KP.) Zu einer Entscheidung über die Berufung der Beschwerdeführerin durch die Bezirkshauptmannschaft Reutte ist es jedoch bis zum Ablauf des nicht mehr gekommen. Die Bezirkshauptmannschaft Reutte übermittelte im Februar 1966 unter Bezugnahme auf die inzwischen am (richtig am ) durch das Inkrafttreten der Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1962 bzw. der Novelle zur Tiroler Gemeindeordnung, BGBl. für Tirol Nr. 50/1965 (§ 42 a), geänderte Rechtslage unter Hinweis auf die hiezu ergangenen Übergangsbestimmungen den Akt dem Gemeinderat der Gemeinde E zur weiteren Entscheidung. Nachdem der Mitbeteiligte eine lediglich für den Anrainer KP vom Amtssachverständigen vorgeschlagene Planänderung vorgenommen hatte, gab der Gemeinderat mit Bescheid vom der Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge. Zur Begründung des Bescheides wurde nach einer wörtlichen Wiedergabe des vom Amtssachverständigen in der (von der Bezirkshauptmannschaft Reutte) am durchgeführten Verhandlung erstatteten Gutachtens ausgeführt, daß der Gemeinderat auf Grund dieses Gutachtens beschlossen habe, die Berufung abzuweisen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung an die Tiroler Landesregierung. Mit Bescheid vom gab diese der Vorstellung gemäß § 107 c der Novelle zur Tiroler Gemeindeordnung, LGBl. Nr. 50/1965, Folge, hob den Bescheid des Gemeinderates wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften als rechtswidrig auf und verwies die Angelegenheit an den Bürgermeister der Gemeinde E als erstinstanzliche Baubehörde zur neuerlichen Entscheidung zurück. Zur Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, daß auf Grund des vorliegenden Akteninhaltes nicht geklärt sei, ob für das Baugebiet die geschlossene oder offene Bauweise gelte und ob die dementsprechenden Grenz- und Gebäudeabstände eingehalten worden seien. Auch würden zwei sich widersprechende Gutachten vorliegen, da im Gutachten des Bausachverständigen vom von der offenen Bauweise gesprochen werde, nach dem Gutachten vom hingegen aus dem Bestand der umliegenden Häuser die offene Bauweise nicht abgeleitet werden könne. Weiters sei nicht eindeutig feststellbar, welche Erwägungen für die belangte Behörde maßgebend gewesen und welche besonderen Umstände vorgelegen seien, daß bei der Genehmigung des Bauvorhabens § 85 TLBO herangezogen worden sei.

Der Bürgermeister der Gemeinde E ordnete daraufhin für den neuerlich eine Verhandlung an Ort und Stelle an. Bei dieser Verhandlung brachte der Vertreter der Beschwerdeführerin vor, daß alle gegen das Bauvorhaben bisher bereits sowohl in den Verhandlungen als auch in den eingebrachten Rechtsmitteln vorgebrachten Einwendungen aufrecht erhalten werden, darüber hinaus aber noch geltend gemacht werde, daß die Abstände nicht von Mauer zu Mauer bzw. von Mauer zur Grundgrenze zu messen seien, sondern von Dachrand zu Dachrand bzw. vom Dachrand zur Grundgrenze. Bei der Einfahrt zur Tenne handle es sich überdies um einen Teil des Wirtschaftsgebäudes, weshalb hiebei die für Wirtschaftsgebäude vergrößerten Abstände einzuhalten seien. Der technische Amtssachverständige gab bei dieser Verhandlung laut Niederschrift folgende Erklärung ab: "Ich verweise auf das Gutachten von OBR. S, nach dem sich an der Baueingabe nichts geändert hat." Mit Bescheid vom wurde dem Mitbeteiligten vom Bürgermeister der Gemeinde E wiederum die Baubewilligung unter Berufung auf § 49 und 18 TLBO sowie unter Hinweis auf die Garagenordnung erteilt. Einen förmlichen Abspruch über die Einwendungen der Beschwerdeführerin enthielt auch dieser Bescheid nicht. Lediglich in der Begründung wurde darauf verwiesen, daß diese in Anbetracht der Ortsverhältnisse in der Gemeinde E nicht berücksichtigt werden könnten. Da nach Ansicht des Sachverständigen, der auf das Gutachten anläßlich der Berufungsverhandlung am verwiesen habe, nach "Abs. V" offene Bauweise nicht vorliege, sei das Bauvorhaben nach § 18 Abs. 4 TLBO zu genehmigen. Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung entschied der Gemeinderat der Gemeinde E mit Bescheid vom , dessen Spruch lautet: "Der Berufung wird gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 65 TLBO Folge gegeben, der angefochtene Bescheid wird abgeändert, daß er zu lauten hat: ….. die an der Nordostseite des Umbaues gegen die Bp. 294 der Berufungswerberin, Frau VK, vorspringende Tenne (Einfahrt), muß vom äußersten Teil des Hauses K (Schuppen), einen Mindestabstand von 10 m erhalten. Im übrigen bleiben die baupolizeilichen Vorschreibungen des Bescheides vom aufrecht." Zur Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, durch das Sachverständigengutachten vom sei festgestellt worden, daß im gegenständlichen Bauvorhaben offene Bauweise nicht anzunehmen sei. Es sei deshalb die Anwendung des § 18 Abs. 4 TLBO mit den Abstandsbestimmungen 6 m für Gebäude und 3 m von der Grundgrenze möglich. Durch einen Lokalaugenschein am sei neuerlich festgestellt worden, daß bei Einhaltung des 10 m-Abstandes mit der Tenne gegen das Gebäude der Beschwerdeführerin den gesetzlichen Erfordernissen entsprochen sei und das Bauvorhaben somit aus öffentlichen Rücksichten zulässig sei. Auch der Abstand für den landwirtschaftlichen Teil des Gebäudes könne durch die abgeänderte Vorschreibung eingehalten werden. Die Abstände seien nach Angabe der Sachverständigen nicht vom Dachrand, sondern von Mauer zu Mauer zu messen. In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Vorstellung wurde unter Hinweis auf den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom ausgeführt, daß nach wie vor ungeklärt geblieben sei, welche Bauweise im vorliegenden Fall einzuhalten sei. Aus dem Bescheid des Gemeinderates habe die Beschwerdeführerin überdies erfahren, daß am neuerlich ein Lokalaugenschein durchgeführt und dabei "Feststellungen" getroffen worden seien, von denen die Beschwerdeführerin nichts wisse. Daraus ergebe sich, daß das ganze durchgeführte Verwaltungsverfahren aus verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten mangelhaft geblieben sei, weshalb die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt werde.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom gab die Tiroler Landesregierung der Vorstellung gemäß § 112 Abs. 4 TGO 1966 keine Folge. Zur Begründung des Bescheides wurde ausgeführt, daß der Widerspruch zwischen den Sachverständigengutachten nicht mehr bestehe. In der erstinstanzlichen Bauverhandlung am habe nämlich der technische Sachverständige Ing. HG auf das Gutachten des Sachverständigen vom verwiesen und dadurch den Widerspruch, der durch die Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft Reutte vom bishin bestanden habe, beseitigt. Auch durch die Nichtbeiziehung zu dem Lokalaugenschein vom sei die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Parteiengehör nicht verletzt worden. Durch diesen Lokalaugenschein seien nämlich keine neuen Tatsachen oder Beweise erbracht worden, sondern habe dieser lediglich dazu gedient zu prüfen, ob die Berufungsausführungen den Gegebenheiten in der Natur entsprechen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird. Über die Beschwerde und an Hand der von der belangten Behörde vorgelegter Verwaltungsakten hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Rechtswidrigkeit das Inhaltes erblickt die Beschwerdeführerin darin, daß der Gemeinderat der Gemeinde E davon ausgegangen sei, in dem fraglichen Ortsbereich, in dem sich das Anwesen des Mitbeteiligten sowie das der Beschwerdeführerin befindet, sei offene Bauweise nicht gegeben, und daß die belangte Behörde durch Abweisung der Vorstellung diese Auffassung geteilt habe. Die Beschwerde ist begründet. Zunächst ist festzustellen, daß die Gemeinde E nur einen Flächenwidmungsplan im Sinne des § 7 TLBO besitzt, der lediglich "Baugebiete" vorsieht, nicht aber Bestimmungen über die Art der Verbauung enthält. Daraus folgt, daß für die Frage der zulässigen Verbauung § 8 TLBO heranzuziehen ist. Diese Bestimmung besagt, daß, sofern nicht die Bestimmungen des § 69 in Betracht kommen, der Gemeinderat für bestimmte abzugrenzende Gebietsteile die Art der Bebauung in der Weise vorschreiben kann, daß Gebäude nur freistehend errichtet werden dürfen. In diesem Falle sind als freistehend solche Gebäude anzusehen, die von allen Seiten von der Nachbargrenze mindestens 4 m, von anderen Gebäuden in der Regel 8 m entfernt sind. Liegt ein solcher Gemeinderatsbeschluß nicht vor - und dies ist in E der Fall -, so ist die Frage, ob ein Bau in geschlossener Bauweise oder in offener Bauweise (freistehend) zu errichten sei, nach den vorhandenen umliegenden Baubeständen zu beurteilen. Zu dieser Frage wurde von der Bezirkshauptmannschaft Reutte anläßlich der am durchgeführten Berufungsverhandlung vom bautechnischen Sachverständigen OBR. Dipl.-Ing. S ein Gutachten eingeholt. Diesem Gutachten kommt daher für die Frage der Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Baubehörden bzw. der Vorstellungsbehörde Bedeutung zu. Dies deshalb, weil dem Begriff " frei stehend" im Sinne des dritten Satzes des § 8 TLBO ein bestimmter Mindestabstand an sich nicht immanent ist. "Frei", d.

h. in erster Linie "ohne Stütze", stehen grundsätzlich alle Gebäude, die nicht mit anderen zusammengebaut sind (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 7/62, auf das auch in der Beschwerde verwiesen wird.) Dieses Gutachten beginnt - wie bereits in der Sachverhaltsdarstellung wiedergegeben - eingangs mit der Feststellung, daß aus dem Bestand der umliegenden Häuser die offene Bauweise nicht abgeleitet werden könne. In den weiteren detaillierten Ausführungen beschäftigt sich dieses Gutachten aber dann nur mehr mit den Häusern des Mitbeteiligten, der Beschwerdeführerin und des KP. Aus dieser Beschreibung ergibt sich aber völlig eindeutig, daß diese drei Häuser zueinander als "frei stehend" angesehen werden müssen. Denn zwischen dem Haus des Mitbeteiligten zu dem der Beschwerdeführerin wurde ein Abstand von rund 7 m bzw. zum Haus des KP ein Abstand von rund 5 m festgestellt. Welche Abstände die übrigen "umliegenden" Häuser aufweisen, darüber finden sich in diesem Gutachten keinerlei Ausführungen. Nun steht aber auf Grund des in den Akten erliegenden Lageplanes fest, daß sich in der näheren Umgebung außer diesen drei Häusern auch noch andere befinden. Es sind dies in erster Linie diejenigen, die die südliche Begrenzung des Dorfplatzes bilden, dessen nordöstliche und nordwestliche Begrenzung durch die beiden Häuser des Mitbeteiligten und der Beschwerdeführerin gebildet wird. Soweit aus dem Lageplan erkennbar ist, stehen aber auch die übrigen Häuser mehr oder minder "frei". Wenn daher der Sachverständige zu dem Ergebnis kam, daß aus dem Bestand der umliegenden Häuser die offene Bauweise nicht abgeleitet werden könne, dann hätte er diese Behauptung, da sie zunächst mit dem Lageplan im Widerspruch steht, begründen müssen. Daraus allein ergibt sich bereits, daß dieses Gutachten als Grundlage für die nach § 8 vierter Satz der Tiroler Landesbauordnung zu treffende rechtliche Entscheidung der Baubehörden nicht dienen konnte. Damit sind die Bescheide der Baubehörden bereits wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften rechtswidrig. Der angefochtene Bescheid ist hingegen, da er diese Verletzung in der Sphäre der Beschwerdeführerin als Vorstellungswerberin nicht erkannt hat, als inhaltlich rechtswidrig anzusehen. Dazu kommt noch, wie bereits in der Sachverhaltsdarstellung wiedergegeben, daß sich die Baubehörden darauf beschränkt haben, das Gutachten des Amtssachverständigen vom im vollen Wortlaut wiederzugeben und damit allein die Abweisung der Einwendungen bzw. Berufung der Beschwerdeführerin zu begründen. Damit ist aber insbesondere der Gemeinderat der ihm im § 45 AVG auferlegten Verpflichtung, den Sachverständigenbeweis - abgesehen von dem bereits aufgezeigten Fehler, der diesem Gutachten anhaftet - selbständig zu würdigen, und damit auch der ihm nach § 60 AVG auferlegten Begründungspflicht nicht nachgekommen (vgl. hiezu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. N. F. Nr. 1019/A, vom , Slg. N. F. Nr. 1262/A, vom , Slg. N. F. Nr. 1934/A, u. v. a.). Bei dieser Rechtslage war es entbehrlich, noch das weitere Beschwerdevorbringen zu untersuchen, ob der Gemeinderat nicht auch dadurch, daß er zu den bei seinem Lokalaugenschein am gemachten Feststellungen, auf die er sich dann im Bescheid vom berufen hatte, der Beschwerdeführerin vor Erlassung des Bescheides keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte, Verfahrensrechte verletzt hat.

Die Beschwerde erweist sich damit als begründet und es war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG. 1965 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich - obgleich dies im vorliegenden Verfahren nicht aufgegriffen werden kann - mit Rücksicht auf den in der Sachverhaltsdarstellung zitierten Spruch des Bescheides der Tiroler Landesregierung vom , mit dem der ersten Vorstellung der Beschwerdeführerin Folge gegeben worden war, veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß dieser Spruch mit Art. 119 a Abs. 5 B-VG bzw. § 112 Abs. 5 TGO 1966 in Widerspruch stand. Die Landesregierung ist zufolge dieser Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes bzw. der Tiroler Gemeindeordnung lediglich berechtigt, den Bescheid des Gemeinderates aufzuheben, nicht aber das ganze bisher abgeführte Verwaltungsverfahren einschließlich des Bescheides des Bürgermeisters als Baubehörde erster Instanz. Wenn die Vorstellungsbehörde der Ansicht sein sollte, daß das ganze bisher durchgeführte Ermittlungsverfahren derart mangelhaft war, daß auch der Bescheid der ersten Instanz behoben werden muß, so kann sie dies lediglich in der Begründung ihres aufhebenden Bescheides, an die zufolge § 112 Abs. 5 letzter Satz TGO 1966 der Gemeinderat bei seiner neuerlichen Entscheidung gebunden ist, zum Ausdruck bringen. Pflicht des Gemeinderates ist es dann, den Bescheid des Bürgermeisters aufzuheben und diesem eine neuerliche Durchführung des erstinstanzlichen Verfahrens aufzutragen.

Der Ausspruch über die Kosten gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 lit. b VwGG 1965 sowie auf Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzleramtes, BGBl. Nr. 4/1965.

Wien, am

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AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §8;
B-VG Art119a Abs5;
GdO Tir 1966 §112;
GdO Tir 1966;
LBauO Tir §7;
LBauO Tir §8;
VwGG §42 Abs2 lita;
VwGG §42 Abs2 Z1 impl;
Schlagworte
Beweismittel Sachverständigenbeweis Besonderes Fachgebiet
Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Behandlung von
Parteieinwendungen Ablehnung von Beweisanträgen Abstandnahme von
Beweisen
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1969:1967000906.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
HAAAF-53458