VwGH 22.11.1971, 0760/71
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Norm | BauO NÖ 1969 §120 Abs7; |
RS 1 | Aus der Übergangsregelung des § 120 Abs 7 BO für NÖ erfließen insoweit subjektive öffentliche Nachbarrechte, als der auffallende Widerspruch eines Vorhabens zur bestehenden Bebauung innerhalb der geschlossenen Ortschaft Umstände betrifft, die, wären sie Inhalt eines Bebauungsplanes, ein subjektives öffentliches Nachbarrecht begründen würden; dazu gehört insbesondere auch die Bebauungsweise. |
Normen | BauO NÖ 1969 §21 Abs5; BauO NÖ 1969 §3 Abs1; |
RS 2 | Die Bebauungsweise kann durch eine Bauführung nur dann mit bindender Wirkung für künftige Baufälle auf Nachbargrund festgelegt werden, wenn ein Bebauungsplan die Wahlmöglichkeit zwischen zwei Bebauungsweisen ausdrücklich freistellt. |
Norm | BauO NÖ 1969 §21 Abs4; |
RS 3 | § 21 Abs 4 NÖ BO 1969 trifft keine generelle Anordnung über die Notwendigkeit der Einhaltung eines Bauwich, sondern bestimmt lediglich, welche Mindestbreite ein Bauwich aufweisen muß, wenn nach der im Bebauungsplan festgelegten Bebauungsweise überhaupt ein Bauwich einzuhalten ist. |
Norm | VwGG §28 Abs1 Z4; |
RS 4 | Die im § 28 Abs 1 Z 4 VwGG geforderte Bezeichnung des Beschwerdepunktes, verlangt keine Bezeichnung der Gesetzesstelle aus welcher die Rechtsverletzung abgeleitet wird. |
Entscheidungstext
Beachte
Fortgesetztes Verfahren:
1333/73 E ;
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Borotha und die Hofräte Dr. Rath, Dr. Leibrecht, Dr. Hrdlicka und Dr. Straßmann als Richter, im Beisein des Schriftführers Bezirksrichter Dr. Richter, über die Beschwerde der AS in W, vertreten durch Dr. Norbert Kosch, Rechtsanwalt in Wr. Neustadt, Hauptplatz 31, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Stadt Wr. Neustadt vom , Zl. 4 c/1163/70/Ko/A (mitbeteiligte Partei: TW in W), betreffend die Abweisung von Anrainereinwendungen gegen eine Baubewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Stadt Wr. Neustadt hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 1.195,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin hatte gegen die mitbeteiligte Partei mit Schriftsatz vom die Anzeige wegen unbefugter Bauführung erstattet und darin unter anderem darauf hingewiesen, daß die mitbeteiligte Partei an der gemeinsamen Grundgrenze zwischen ihrer und der Liegenschaft der Beschwerdeführerin eine 15 m lange Mauer errichtet habe, die zum Teil - nämlich auf ca. 10 m Länge - in einer Höhe von derzeit 2,37 M ausgeführt sei, laut Angabe der mitbeteiligten Partei aber in der endgültigen Ausführung 2,55 m hoch sein solle; die Mauer mache an einer Stelle einen Knick und dort sei ein 2,55 m hohes Klosett errichtet worden.
Offenbar unter dem Eindruck dieser Anzeige suchte die mitbeteiligte Partei am um Erteilung der Baubewilligung für den Zubau eines Lagerschuppens und eines Pissoirs auf ihrer Liegenschaft in Wr. Neustadt, P-gasse 18, an. Nach dem Bauplan werden sowohl der Schuppen als auch das Pissoir an die westliche Grundgrenze, gerichtet gegen die Liegenschaft der Beschwerdeführerin, angebaut und wird zwischen einem bereits an diese Nachbargrenze angebauten Hauptgebäude sowie den aneinander anschließenden geplanten neuen Gebäuden sowie zwischen diesen und einem gleichfalls an die Nachbargrenze angebauten Garagengebäude auf dem Grund der mitbeteiligten Partei, und zwar an der Grundgrenze, eine Einfriedungsmauer errichtet. Aus dem Lageplan geht weiters hervor, daß auf der Liegenschaft der Beschwerdeführerin ein Gebäude errichtet ist, welches zur Liegenschaft der mitbeteiligten Partei einen Abstand von ca. 9,50 m und zur anderen seitlichen Grundgrenze einen Abstand von ca. 3 m einhält. Die Gebäudehöhe des Schuppens war ursprünglich mit 2,50 m vorgesehen, wurde jedoch später bei der Bauverhandlung auf 2,67 m abgeändert. Die Gebäudehöhe des Pissoirs beträgt 2,55 m. Die Mauer ist zwischen dem geplanten Schuppen und der bestehenden Garage mit einer Höhe von 2,67 m vorgesehen - laut der in der Bauverhandlung festgelegten Baubeschreibung soll der Raum zwischen Garage und Schuppen überdacht werden -, zwischen dem geplanten Pissoir und dem bestehenden Hauptgebäude weist die Mauer laut Bauplan eine Höhe von 1,90 m auf.
Zur Bauverhandlung wurde die Beschwerdeführerin geladen. Die vorerwähnten Änderungen des ursprünglichen Projektes wurden bei der Bauverhandlung mit ihrem Vertreter erörtert. Dieser gab hiebei zu dem Bauvorhaben folgende Erklärung ab: "Meine Darstellung vom halte ich nach wie vor aufrecht und füge dem hinzu, daß (zu ergänzen offenbar: sowohl) das gegenständliche Grundstück als auch das Anrainergrundstück der Frau S als Haus mit Garten schon auf Grund der katastermäßigen Darstellung gedacht (zu ergänzen offenbar: ist) und (zu ergänzen offenbar: diese Umstände) eine Aneinanderreihung von Gebäuden deshalb nicht zulassen, weil dadurch die Lichtverhältnisse beeinträchtigt werden. Außerdem ist (richtig offenbar: sind) durch die beabsichtigte Gebäudehöhe der geplanten Bauwerke die für die umliegenden Gebiete gegebenen vorhandenen Höhen bei Grundstücksabgrenzungen, sofern sie Gärten betreffen, überschritten. Ich spreche mich daher aus den dargelegten Gründen gegen die Bauführung aus." Nach den unbestrittenen Feststellungen in dieser Bauverhandlung besteht für die Liegenschaft der Bauwerberin lediglich ein genehmigter Regulierungsplan für Straßenzwecke, jedoch kein Bebauungsplan.
Mit Bescheid vom erteilte der Magistrat der Stadt Wr. Neustadt der mitbeteiligten Partei gemäß §§ 92 und 100 der Niederösterreichischen Bauordnung, LGBl. Nr. 166/1969, die beantragte Baubewilligung, und zwar unter Vorschreibung einer Reihe von für den vorliegenden Beschwerdefall unerheblichen Auflagen; in dem Bescheid wurde ferner ausgeführt: "Da der beantragten Bauführung öffentliche Rücksichten nicht entgegenstehen, wird die Einrede der Anrainerin AS, daß die beabsichtigte Gebäudehöhe die im betreffenden Gebiet bei Garteneinfriedungen vorhandenen Höhen überschreite, gemäß § 99 der Niederösterreichischen Bauordnung als unbegründet abgewiesen. Die Anrainerin AS wird weiters, da auf Grund des anstandslosen Ergebnisses der Bauverhandlung öffentliche Rücksichten nicht entgegenstehen, mit ihrer privatrechtlichen Einwendung, daß durch die beabsichtigte Bauführung die Lichtverhältnisse in ihrem Garten beeinträchtigt würden, gemäß § 99 Abs. 4 leg. cit. auf den Zivilrechtsweg verwiesen." In der Begründung wurde der Standpunkt vertreten, die öffentlich-rechtliche Einwendung bezüglich Überschreitung der Höhe der in diesem Gebiet vorhandenen Garteneinfriedungen bestehe deshalb nicht zu Recht, weil die Bauliegenschaft mit dem Grundstück der Anrainerin gekuppelt verbaut sei, sodaß "an dieser Gasse" (gemeint offenbar: "an dieser Grenze") Gebäude errichtet werden könnten, die die zulässige Höhe der Hauptgebäude (= Wohngebäude) nicht überschreiten; bei der weiteren Einwendung bezüglich Beeinträchtigung der Lichtverhältnisse im Garten handle es sich um eine privatrechtliche Einwendung, weshalb die Anrainerin damit auf den Zivilrechtsweg zu verweisen gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung und führte darin aus, daß die Liegenschaft der mitbeteiligten Partei gegen Norden an die S-gasse, gegen Osten an die P-gasse und gegen Süden an die K-gasse angrenze, wobei die in diesem Gebiet liegenden Bauflächen keine einheitliche Bebauung aufwiesen und ein Bebauungsplan nicht vorhanden sei, aber die bebauten Flächen die gleichen Eigenschaften, nämlich Haus und Garten, aufwiesen. Überdies hielten die zur S-gasse errichteten Gebäude, mit Ausnahme des Hauses der mitbeteiligten Partei zum Nachbargrund einen Abstand, der etwa einem Bauwich entspreche, ein. Die freie Anordnung der Gebäude sei lediglich durch die vordere Baufluchtlinie beschränkt. Somit gehe die Erstinstanz zu Unrecht vom Bestehen einer gekuppelten Bebauungsweise aus. Im übrigen habe die Beschwerdeführerin selbst ihr Gebäude in einem ausreichenden Abstand von der gegen die Liegenschaft der mitbeteiligten Partei gerichteten Grundgrenze gebaut, diese jedoch, mangels ausreichender Fläche, ihr Haus seinerzeit an die Grundstücksgrenze gesetzt. Zwischen den beiden Gebäuden befinde sich der Garten der Beschwerdeführerin. Die in dieser Gegend liegenden Grundstücke seien als "Haus mit Garten" genützt, wobei durch die Errichtung eines 2,65 m (richtig: 2,67 m) hohen Gebäudes die umliegende Zaunhöhe bei weitem überschritten und damit die Lichtverhältnisse beim Gartengrundstück der Beschwerdeführerin erheblich beeinträchtigt würden. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin seien auf das öffentliche Recht, nämlich auf § 21 Abs. 4 der Niederösterreichischen Bauordnung gestützt, welche Bestimmung auch dazu diene, eine ausreichende Belichtung der angrenzenden Grundstücke zu ermöglichen.
Mit dem nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, auf einem Stadtsenatsbeschluß vom beruhenden, vom Magistrat der Stadt Wr. Neustadt ausgefertigten Bescheid vom wurde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt. In der Begründung wurde ausgeführt, daß, obgleich es in diesem Gebiet keinen Bebauungsplan gebe, die Liegenschaft der mitbeteiligten Partei tatsächlich in der Natur mit der Liegenschaft der Beschwerdeführerin gekuppelt bebaut sei, da sämtliche Gebäude der mitbeteiligten Partei mit Brandwänden unmittelbar an der Nachbargrenze stünden. Wie aus den Aufzeichnungen des Bauamtes hervorgehe, sei das Haus der Beschwerdeführerin 1906, das der mitbeteiligten Partei 1907 erbaut worden. Daraus gehe hervor, daß die Baubehörde bei Genehmigung des Hauses der Beschwerdeführerin offensichtlich keinerlei Bedacht auf die künftige Bebaubarkeit der Nachbarliegenschaft genommen habe, da diese auf Grund ihrer Gestalt nur gekuppelt bebaut werden könne, dieser Umstand aber bei Erbauung des Hauses der Beschwerdeführerin hätte müssen berücksichtigt werden. Ein fundamentaler Grundsatz der Niederösterreichischen Bauordnung im Hinblick auf das Ortsbild laute dahingehend, daß freistehende äußere Brandwände vermieden bzw. durch spätere Bebauung verdeckt werden müßten. Auf Grund der Lage der Gebäude auf den beiden Liegenschaften müßte bei einem zukünftigen Bauvorhaben der Beschwerdeführerin dieser das Anbauen an die Nachbargrenze zur Verdeckung der bestehenden Brandwand aufgetragen werden. Es handle sich somit um eine gekuppelte Bebauung der beiden Grundstücke, sodaß die gegenständlichen Zubauten mit Recht bewilligt worden seien. Auch die gegen die Zaunhöhe gerichtete Einwendung bestehe nicht zu Recht, da wegen der gekuppelten Bebauung bis zur zulässigen Höhe des Hauptgebäudes gebaut werden dürfe. Schließlich sei die Einrede der Beeinträchtigung der Lichtverhältnisse im Garten mit Recht auf den Zivilrechtsweg verwiesen worden, da der in § 21 Abs. 4 der Niederösterreichischen Bauordnung normierte Bauwich lediglich der Sicherung der Belichtung von Gebäuden mit Aufenthaltsräumen, jedoch nicht der Sicherung der Belichtung von Gärten und anderen unbebauten Grundstücken diene. Im übrigen sehe diese Gesetzesstelle nur eine bestimmte Breite des Bauwiches vor, ordne jedoch nicht an, daß an jeder Nachbargrenze ein Bauwich einzuhalten sei; ob dies erforderlich sei oder nicht, ergebe sich aus der Bebauungsweise (§ 2 Z. 11 der Niederösterreichischen Bauordnung).
In der Beschwerde wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes beantragt. Als Beschwerdepunkt wird das subjektive öffentliche Nachbarrecht auf Einhaltung eines Bauwiches nach § 21 Abs. 4 der Niederösterreichischen Bauordnung bezeichnet. Die Beschwerde wird hinsichtlich der behaupteten Verletzung von Verfahrensvorschriften damit begründet, daß die belangte Behörde keine ausreichenden Ermittlungen darüber angestellt habe, welche Bebauungsweise in dem betreffenden Gebiet faktisch herrsche. Bei Vermeidung dieses Mangels wäre hervorgekommen, daß es sich um eine "freie Bauweise" handle und insbesondere das der Liegenschaft der mitbeteiligten Partei gegenüberliegende Grundstück, welches die gleiche Beschaffenheit auf Weise, keinesfalls gekuppelt bebaut worden sei. Bei entsprechender Sachverhaltsermittlung hätte sich auch ergeben, daß nicht sämtliche Gebäude auf dem Bauplatz der mitbeteiligten Partei in gekuppelter Bebauung errichtet worden seien; dies könne insbesondere bei der Garage nicht behauptet werden, weil es bei solchen Bauwerken üblicherweise nur einen Eingang, aber keine sonstigen Öffnungen gebe und daher von einer Brandwand gegen die Grundgrenze nicht gesprochen werden könne. Die behauptete Rechtswidrigkeit des Inhaltes wird damit begründet, daß sich die Einwendung der Beschwerdeführerin nicht auf die in § 22 Abs. 6 der Niederösterreichischen Bauordnung geregelte Belichtung von Wohngebäuden bezogen habe, sondern auf den in § 21 Abs. 4 des Gesetzes geregelten Bauwich, an dessen Einhaltung auch der Nachbar ein Interesse habe, weshalb diese Bestimmung ein subjektives öffentliches Nachbarrecht einräume. Insoweit sei daher die Verweisung auf den Zivilrechtsweg zu Unrecht erfolgt. Als Folge der Nichteinhaltung eines Bauwiches ergebe sich überdies eine Beeinträchtigung des Wertes des Grundstückes der Beschwerdeführerin, da die Belichtung des Gartens vermindert werde. Da ein Bebauungsplan nicht existiere, wäre das Charakteristikum dieses Gebietes, nämlich die Bebauung in Form eines "Hauses mit Garten", der Beurteilung zugrunde zu legen gewesen.
Die belangte Behörde beantragt in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde. Sie hält den Beschwerdeausführungen vorerst entgegen, daß die Niederösterreichische Bauordnung keine "freie Bauweise" kenne, die möglicherweise gemeinte "freie Anordnung der Gebäude" gemäß § 2 Z. 11 lit. d dieses Gesetzes aber zu ihrer Gültigkeit einer Festlegung im Bebauungsplan bedürfte, die nicht erfolgt sei, da es für dieses Gebiet überhaupt keinen Bebauungsplan gebe. Überdies treffe es nicht zu, daß das der Liegenschaft der mitbeteiligten Partei gegenüberliegende Grundstück dieselbe Beschaffenheit wie dieses aufweise; es habe, nämlich eine Frontlänge von 18,50 m gegenüber einer Frontlänge des Grundstückes der mitbeteiligten Partei von 12,95 m. Die Beschwerdeführerin sei aber auch im Unrecht, wenn sie behaupte, es seien nicht alle Gebäude auf dem Bauplatz der mitbeteiligten Partei in gekuppelter Bauweise errichtet worden; die gekuppelte Bebauung sei nämlich deswegen gegeben, weil alle Gebäude an die Nachbargrenze angebaut worden seien, auch die Garage. Es könne der Beschwerdeführerin ferner nicht beigepflichtet werden, wenn sie als die die Belichtung von Wohngebäuden regelnde Bestimmung ausschließlich den § 22 Abs. 6 der Niederösterreichischen Bauordnung ansehe; diese Gesetzesstelle treffe nämlich nur Vorsorge für die ausreichende Belichtung von Wohngebäuden in Beziehung auf die Errichtung anderer Gebäude auf demselben Grundstück. Gegenüber Nachbarliegenschaften werde die ausreichende Belichtung von Wohngebäuden durch § 21 der Niederösterreichischen Bauordnung gewährleistet; eine Beeinträchtigung der Belichtung des Gartens falle nicht unter diese Gesetzesstelle, sodaß die bezügliche Einwendung mit Recht auf den Zivilrechtsweg verwiesen worden sei. Schließlich aber komme der herrschenden Bebauung in Form eines "Hauses mit Garten" nicht die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsfolge zu, da nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 1735/67, die Grenzen der aus dem Grundrecht des Eigentums erfließende Baufreiheit im Zweifel zu Gunsten dieser Freiheit zu ermitteln seien.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Bei der Behandlung der vorliegenden Beschwerde ist vorerst vom geltend gemachten Beschwerdepunkt auszugehen (§ 41 Abs. 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Z. 4 VwGG 1965). Für das Schicksal der Beschwerde ist es daher entscheidend, ob die Beschwerdeführerin in ihrem Rechte auf Einhaltung eines Bauwiches verletzt worden ist, wobei der Gerichtshof der Auffassung ist, daß eine Verletzung dieses Rechtes auch dann wahrzunehmen ist, wenn es sich nicht aus dem in der Beschwerde zitierten § 21 Abs. 4 der Niederösterreichischen Bauordnung, sondern aus einer sonstigen Bestimmung, welche einen Bauwich vorschreibt, ableiten läßt, letzteres deswegen, weil eine Bezeichnung der Gesetzesstelle, aus welcher die Rechtsverletzung abgeleitet wird, im § 28 Abs. 1 Z. 4 VwGG 1965 nicht gefordert wird. Die im Verwaltungsverfahren von der Beschwerdeführerin gerügte Höhe der Gebäude und der Einfriedungsmauer ist, nicht Gegenstand der Prüfung im vorliegenden Beschwerdeverfahren.
Der Umfang der Prüfungsaufgabe des Verwaltungsgerichtshofes wird aber außerdem durch die im Baubewilligungsverfahren von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwendungen gegen das Bauvorhaben bestimmt, da insoweit, als der zur Bauverhandlung geladene Anrainer keine rechtswirksamen Einwendungen erhebt, die Präklusionsfolgen des § 42 AVG 1950 eintreten (siehe die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. N. F. Nr. 4966/A, und vom , Slg. N. F. Nr. 6980/A). Der Gerichtshof ist der Auffassung, daß die von der Beschwerdeführerin bei der Bauverhandlung vom erhobene, eingangs wörtlich wiedergegebene Einwendung bezüglich des Heranbauens an die Grundgrenze nicht nur gegen die Beeinträchtigung der Lichtverhältnisse im Garten gerichtet ist, wie die belangte Behörde dies vermeint; vielmehr muß aus dem diesbezüglichen Vorbringen geschlossen werden, daß die Einwendung primär gegen die "Aneinanderreihung von Gebäuden" gerichtet war und die Beeinträchtigung der Lichtverhältnisse lediglich als Folge dieser Bebauungsweise ins Treffen geführt wurde.
Daraus ergibt sich bereits, daß die belangte Behörde, der Erstinstanz folgend, zu Unrecht davon ausgegangen ist, es werde neben der - im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht zur Debatte stehenden - Überschreitung der Gebäudehöhe lediglich eine Beeinträchtigung der Lichtverhältnisse im Garten der Beschwerdeführerin geltend gemacht, welche Einwendung sich nur auf einen Privatrechtstitel stützen könne. Vielmehr werden gemäß § 118 Abs. 9 der Niederösterreichischen Bauordnung subjektiv-öffentliche Rechte der Anrainer durch jene Vorschriften begründet, welche nicht nur den öffentlichen Interessen dienen, sondern im Hinblick auf die räumliche Nähe auch dem Anrainer, wozu nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes auch die Bestimmungen über die Bebauungsweise gehören, also gemäß § 2 Z. 11 der Niederösterreichischen Bauordnung über die Art der Anordnung der Gebäude zu den Grenzen der Bauplätze. Insoweit genießen die Anrainer gemäß § 118 Abs. 8 der Niederösterreichischen Bauordnung Parteistellung gemäß § 8 AVG 1950, das heißt, es ist im Baubewilligungsbescheid über ihre Einwendungen meritorisch abzusprechen. Dieser subjektive Mangel des angefochtenen Bescheides hat die Beschwerdeführerin aus den folgenden Gründen auch in ihren subjektiven öffentlichen Rechten verletzt.
Der Gerichtshof kann zwar der Beschwerdeführerin nicht darin beipflichten, daß bereits die Bestimmung des § 21 Abs. 4 der Niederösterreichischen Bauordnung unter allen Umständen die Einhaltung eines mindesten 3 m breiten Bauwiches vorschreibt. Der Wortlaut dieser Gesetzesstelle ("Der Bauwich muß eine Mindestbreite im Ausmaß der halben Gebäudehöhe, mindestens 3 m, aufweisen") könnte allerdings, für sich allein betrachtet, diese Auffassung nahelegen. Daß eine solche Auslegung jedoch nicht stimmen kann, ergibt sich aus § 2 Z. 11 lit. a der Niederösterreichischen Bauordnung, nach welcher Gesetzesstelle die Bebauungsweise auch eine geschlossene Bebauung sein kann, nämlich dann, wenn die Gebäude beiderseits an die seitlichen Grundstücksgrenzen anzubauen sind; wäre im § 21 Abs. 4 des genannten Gesetzes ein Gebot der Einhaltung eines Bauwiches ausnahmslos für jeden Baufall enthalten, dann könnte es eine geschlossene Bebauung überhaupt nicht geben. Es ist vielmehr grundsätzlich der belangten Behörde darin beizupflichten, daß § 21 Abs. 4 nicht eine generelle Anordnung über die Notwendigkeit der Einhaltung eines Bauwiches trifft, sondern lediglich bestimmt, welche Mindestbreite ein Bauwich aufweisen muß, wenn nach der im Bebauungsplan festgesetzten Bebauungsweise überhaupt ein Bauwich einzuhalten ist. Da für das betreffende Gebiet ein Bebauungsplan nicht besteht, also auch nicht eine offene Bebauung im Sinne des § 2 Z. 11 lit. c der Niederösterreichischen Bauordnung angeordnet ist, kann die Beschwerdeführerin aus § 21 Abs. 4 dieses Gesetzes kein subjektives öffentliches Recht ableiten.
Die belangte Behörde hat jedoch die Übergangsbestimmung des § 120 der Niederösterreichischen Bauordnung übersehen. Gemäß § 120 Abs. 2 dieses Gesetzes gelten die auf Grund des § 5 der Bauordnung für Niederösterreich von 1883 erlassenen Regulierungspläne hinsichtlich der Regelung der Bebauung bis zum Inkrafttreten eines Bebauungsplanes als vereinfachte Bebauungspläne im Sinne der Absätze 3 und 4 dieser Gesetzesstelle. Nach § 120 Abs. 3 der Niederösterreichischen Bauordnung sind die Gemeinden, welche keinen Regulierungsplan oder einen Regulierungsplan ohne Regelung der Bebauung erlassen haben, verpflichtet, einen vereinfachten Bebauungsplan zu erlassen. Im vereinfachten Bebauungsplan sind nach Absatz 4 der genannten Gesetzesstelle jedenfalls die Straßenfluchtlinien und die vorderen Baufluchtlinien festzulegen. Gemäß § 120 Abs. 7 der Niederösterreichischen Bauordnung ist eine Bewilligung gemäß §§ 92 oder 93 in Gemeinden, in denen nur ein
vereinfachter Bebauungsplan gilt, zu versagen, wenn .... (2.)
innerhalb der geschlossenen Ortschaft das geplante Vorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch steht oder
(3.) außerhalb der geschlossenen Ortschaft das geplante Vorhaben die geordnete Entwicklung der Bau- und Siedlungstätigkeit der Gemeinde gefährdet. § 120 Abs. 8 der Niederösterreichischen Bauordnung bestimmt, daß eine Bewilligung gemäß §§ 92 oder 93 in Gemeinden, in denen noch kein Bebauungsplan gemäß Abs. 1 und auch kein vereinfachter Bebauungsplan gemäß Abs. 2 oder 3 gilt, nur unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des Abs. 7 erteilt werden darf und daß außerdem in jeder Bewilligung die Straßenflucht und Baufluchtlinien zu bestimmen sind.
Der Gerichtshof ist nun der Auffassung, daß aus der Anordnung des § 120 Abs. 8, bzw. des § 120 Abs. 7, insoweit subjektivöffentliche Nachbarrechte erwachsen, als der nach letzten Gesetzesstelle für die Beurteilung heranzuziehende Maßstab, wäre er Inhalt eines Bebauungsplanes, solche Nachbarrechte begründen würde, da solche Bestimmungen eben nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern im Hinblick auf die räumliche Nähe auch dem Anrainer dienen (§ 118 Abs. 9 BO), sodaß insbesondere auch die in der Übergangsregelung enthaltenen Bestimmungen über die Bebauungsweise von den Nachbarn mit Einwendung geltend gemacht werden können.
Der belangten Behörde wäre es somit oblegen festzustellen, ob das geplante Bauvorhaben innerhalb der geschlossenen Ortschaft stattfinden soll - wofür die Aktenlage zu sprechen scheint - und ob bejahendenfalls das geplante Vorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch steht. Dabei durfte sich die belangte Behörde nicht lediglich auf die Bebauung der Liegenschaft der mitbeteiligten Partei und die Bebauung der Liegenschaft der Beschwerdeführerin beschränken, da § 120 Abs. 7 Z. 2 der Niederösterreichischen Bauordnung offenbar den geordneten Weiterausbau der Ortschaft bezweckt, folglich nicht einzelne Bauführungen auf benachbarten Bauplätzen der Erreichung des Gesamtzieles entgegenstehen können. Überdies ist die belangte Behörde zu Unrecht davon ausgegangen, daß die mitbeteiligte Partei durch das Heranbauen ihres Wohngebäudes und ihrer Garage an die Grundgrenze der Beschwerdeführerin zwischen diesen beiden Liegenschaften die gekuppelte Bebauungsweise festgelegt habe; die Liegenschaft der Beschwerdeführerin wurde nämlich nach der Sachverhaltsfeststellung der belangten Behörde zuerst bebaut, und zwar in offener Bebauung. Überhaupt kann die Bebauungsweise durch eine Bauführung nur dann mit bindender Wirkung für künftige Baufälle auf Nachbargrund festgelegt werden, wenn ein Bebauungsplan die Wahlmöglichkeit zwischen zwei Bebauungsweisen ausdrücklich freistellt. Die aus der grundsätzlichen Baufreiheit
erfließende Befugnis, mangels eines Bebauungsplanes das
Gebäude nach freier Willensentschließung an beliebiger Stelle des Bauplatzes zu errichten, wie dies nach der Bauordnung für Niederösterreich von 1883 möglich war, vermag keinesfalls eine Bindung für die Bebauung des Nachbargrundes herbeizuführen, umsoweniger dann, wenn der Nachbargrund zum Zeitpunkte dieser Bauführung bereits nach einer anderen Bebauungsweise bebaut war.
Somit ist der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt
ergänzungsbedürftig geblieben. Der angefochtene Bescheid
war daher gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Somit konnte auch gemäß § 39 Abs. 2 lit. c VwGG 1965 von der Durchführung der von der Beschwerdeführerin beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
Der Ausspruch über die Kosten gründet sich auf §§ 47 ff VwGG 1965 und die Verordnung des Bundeskanzleramtes vom , BGBl. Nr. 4.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | BauO NÖ 1969 §120 Abs7; BauO NÖ 1969 §21 Abs4; BauO NÖ 1969 §21 Abs5; BauO NÖ 1969 §3 Abs1; VwGG §28 Abs1 Z4; |
Sammlungsnummer | VwSlg 8114 A/1971 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1971:1971000760.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
AAAAF-53242