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VwGH 26.06.1978, 0695/77

VwGH 26.06.1978, 0695/77

Entscheidungsart: ErkenntnisVS

Rechtssätze


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Normen
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §50 Abs1;
AVG §50 Abs2;
VStG §24;
VStG §25 Abs1;
VwGG §13 Abs1 Z1;
RS 1
Unter der Voraussetzung, dass sowohl die Meldung eines Sicherheitswachebeamten einschließlich seiner ergänzenden Berichte ("Relationen") als auch die Verantwortung des Beschuldigten - die einander widersprechen - jede in sich schlüssig und in sich widerspruchsfrei sind, berechtigt der im Verwaltungsstrafverfahren - ebenso wie in anderen Verwaltungsverfahren - geltende Grundsatz der freien Beweiswürdigung die Behörde nicht, davon auszugehen, dass allein die Eigenschaft des - als Zeugen nicht vernommen - Anzeigers als Organ der öffentlichen Sicherheit (Meldungsleger) schon ausreicht, den leugnenden Beschuldigten der ihm zur Last gelegten Tat (Übertretung der Verwaltungsvorschrift) als unwiderlegbar überführt und damit als schuldig anzusehen.
Normen
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §50 Abs1;
VStG §24;
VStG §25 Abs2;
RS 2
Die Behörden sind bei der ihnen zustehenden freien Beweiswürdigung berechtigt und verpflichtet zu berücksichtigen, dass der Anzeiger einen Diensteid (iSd § 12 DP bzw ab § 7 BDG) abgelegt hat, durch eine vorsätzliche falsche Anzeige die Amtspflicht nach dem 22. Abschnitt des besonderen Teiles des StGB verletzen würde und dass schließlich die Beamten des Verkehrsaufsichtsdienstes eine besondere Schulung über richtige Wahrnehmungen von Verkehrsvorgängen genossen haben, während der Beschuldigte im Verwaltungsstrafverfahren dadurch, dass er sich bei seiner Anhörung oder förmlichen Vernehmung nicht an die Wahrheit hält, keinerlei Rechtsnachteile zu befürchten hat.
Normen
StVO 1960 §19 Abs6;
StVO 1960 §19 Abs7;
VStG §31 Abs2;
VStG §32 Abs2;
RS 3
Wird ein Beschuldigter von der Behörde innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist nach dem Inhalt der Niederschrift zu jenem Sachverhalt vernommen, der Gegenstand der Anzeige ist (hier:

(schlichte) Vorrangsverletzung iSd § 19 Abs 6 und 7 StVO, während nach der infolge Einspruchs außer Kraft gesetzten Strafverfügung dem Bf Vorrangsverletzung eines Einsatzfahrzeuges iSd § 26 StVO vorgeworfen worden war), ist Verfolgungsverjährung hinsichtlich der dem Bf im Straferkenntnis zur Last gelegten Verwaltungsübertretung (§ 19 Abs 6 und 7 iV mit § 99 Abs 3 lit a StVO) nicht eingetreten.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hinterauer und die Hofräte Dr. Leibrecht, Dr. Jurasek, Onder, Dr. Pichler, Dr. Baumgartner, Dr. Drexler, Dr. Närr und Dr. Weiss als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Aigner, über die Beschwerde des Dr. WB, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom , Zl. 9.01-9172-1976, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Salzburg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 3.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am erstattete der Polizeiwachmann RN der Bundespolizeidirektion Salzburg gegen den Beschwerdeführer die Anzeige, der Anzeiger sei am um 17.30 Uhr mit dem Dienstkraftrad vom Siegmundsplatz kommend Richtung Bürgerspitalplatz mit zirka 40 km/h gefahren. Auf dem Bürgerspitalplatz habe er sein Kraftrad deshalb stark abbremsen müssen, weil der Beschwerdeführer mit einem Pkw Marke BMW, grün lackiert und mit bestimmtem Kennzeichen, vom Parkplatz Bürgerspitalplatz Nr. 1 weggefahren und sich in den fließenden Verkehr eingereiht habe, "ohne sich zu überzeugen". Das Bremsmanöver des Anzeigers sei notwendig gewesen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Die Anzeige enthält ferner weitere, hier nicht verfahrensgegenständliche, Angaben über den Zustand des Führerscheines und über Unmutsäußerungen des Beschwerdeführers.

Mit Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Salzburg vom wurde dem Beschwerdeführer - außer der hier nicht verfahrensgegenständlichen Übertretung nach § 71 Abs. 3 des Kraftfahrgesetzes 1967 - zum Vorwurf gemacht, er habe durch Nichtbeachten des Vorranges ein Einsatzfahrzeug (Krad der Bundespolizei) zu unvermitteltem Abbremsen genötigt; er habe hiedurch die Verwaltungsübertretung nach § 19 Abs. 7 in Verbindung mit Abs. 6 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen; es wurde eine Geldstrafe von S 600,-- (Ersatzarreststrafe drei Tage) verhängt.

Im Zuge des über rechtzeitigen Einspruch des Beschwerdeführers durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde der Beschwerdeführer am vor der Bundespolizeidirektion Salzburg als Beschuldigter vernommen, wobei ihm eingangs "der Gegenstandsakt bekannt gegeben" wurde. Zum hier gegenständlichen Sachverhalt verantwortete sich der Beschwerdeführer dahin, als er, vom Siegmundsplatz kommend, auf den Bürgerspitalplatz gefahren sei, sei plötzlich ein dunkelblauer BMW 2000 vom Parkplatz schräg in seine Fahrbahn gefahren, weshalb er abbremsen und den erwähnten Pkw einbiegen lassen musste. Darauf sei der Beschwerdeführer weiter in die Griesgasse gefahren. Dort habe ihn der anzeigende Polizeiwachebeamte N mit seinem Kraftrad überholt und angehalten. Der Polizeiwachebeamte habe dem Beschwerdeführer zum Vorwurf gemacht, er hätte auf dem Bürgerspitalplatz in den Rückspiegel schauen sollen. Der Beschwerdeführer habe erwidert, dass er auf die unmittelbare Gefahr vor sich (das plötzliche und falsche Fahrmanöver des dunkelblauen Pkws Marke BMW 2000) seine ganze Aufmerksamkeit habe richten müssen. Die "Gefahr vor dem Beschwerdeführer" habe Vorrang gehabt gegenüber der Verpflichtung, nach hinten zu schauen. Von dieser wahrheitsgemäßen Schilderung habe sich offenbar der Polizeiwachebeamte überzeugen lassen. Es könne keine Rede davon sein, dass der Beschwerdeführer dem Anzeiger den Vorrang genommen habe.

Im Laufe des Ermittlungsverfahrens wurden zwei vom Beschwerdeführer namhaft gemachte Zeugen vernommen, die aber über den angezeigten Vorfall unmittelbar nichts angeben konnten. Ferner wurden zwei schriftliche Berichte des Anzeigers eingeholt, in denen dieser auf der Richtigkeit seiner Anzeige beharrte. Unrichtig sei demnach, dass der Beschwerdeführer vom Siegmundsplatz in Richtung Bürgerspitalplatz gefahren sei. Richtig sei vielmehr, dass der Beschwerdeführer vom Parkplatz auf dem Bürgerspitalplatz weggefahren und sich hiebei in der angezeigten Weise in den Fließverkehr eingereiht habe. Dadurch habe der Anzeiger stark abbremsen müssen. Der Anzeiger habe den Beschwerdeführer daraufhin in der Griesgasse überholt und mit Handzeichen angehalten. Keinesfalls habe der Anzeiger dem Beschwerdeführer dort zum Vorwurf gemacht, er hätte in den Rückspiegel schauen sollen, vielmehr habe der Anzeiger den Beschwerdeführer darauf aufmerksam gemacht, dass dieser soeben den Vorrang nicht beachtet habe. Im übrigen sei zum Zeitpunkt der Übertretung kein anderes Fahrzeug als das des Beschwerdeführers vom Parkplatz auf dem Bürgerspitalplatz weggefahren.

In zwei schriftlichen Stellungnahmen beharrte der Beschwerdeführer auf seiner Version des Sachverhaltes und machte auch Rechtsausführungen dahin, dass ihm die Strafverfügung die Verletzung des Vorranges eines Einsatzfahrzeuges zur Last gelegt habe, während das Kraftrad des Anzeigers zum Tatzeitpunkt keineswegs im Einsatz (im Sinne des § 26 StVO) gewesen sei.

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Salzburg vom wurde der Beschwerdeführer sodann schuldig erkannt, er habe am 15. Juni "1976" um 17.30 Uhr in Salzburg, Bürgerspitalplatz, als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws sich, vom Parkplatz Bürgerspitalplatz Nr. 1 kommend, in den Fließverkehr eingereiht, ohne sich vorher überzeugt zu haben, ob er dadurch andere Verkehrsteilnehmer behindern würde, wodurch ein anderer Verkehrsteilnehmer (Polizeikradfahrer) zum Abbremsen seines Fahrzeuges genötigt worden sei. Er habe hiedurch die Verwaltungsübertretung nach § 19 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 7 StVO begangen; gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO werde eine Geldstrafe von S 600,-- (Ersatzarreststrafe drei Tage) verhängt. In der Begründung wird ausgeführt, das Straferkenntnis stütze sich auf die Anzeige, welche auf Grund eigener dienstlicher Wahrnehmungen erstattet worden sei, ferner auf das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens. Die Behörde habe die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verwaltungsübertretung als erwiesen angenommen, zumal der Sachverhalt von einem sich in Ausübung des Amtes und Dienstes befindlichen Sicherheitswachebeamten wahrgenommen und nachhaltig in seinen beiden Stellungnahmen bestätigt worden sei. Da der Beschwerdeführer die ihm angelastete Verwaltungsübertretung lediglich in Abrede stelle und auch die Zeugenaussagen nichts zu seiner Entlastung beitragen konnten, da es sich ferner beim Meldungsleger um einen im öffentlichen Straßenaufsichtsdienst lange Jahre und mit Erfolg verwendeten Sicherheitswachebeamten handle, dem mit Recht zugebilligt werden könne, dass er sich über Vorgänge des öffentlichen Straßenverkehrs ein objektives und wahrheitsgetreues Urteil bilden könne, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen. Die Argumentation des Beschwerdeführers hinsichtlich der angeblichen Nichtbeachtung des Vorranges eines Einsatzfahrzeuges gehe insofern ins Leere, als dem Beschwerdeführer die Übertretung nach § 19 Abs. 6 und Abs. 7 StVO ohne Bezugnahme auf ein Einsatzfahrzeug zur Last gelegt werde.

In der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer zunächst Verfolgungsverjährung deshalb geltend, weil ihm mit der Strafverfügung zur Last gelegt worden sei, den Vorrang eines Einsatzfahrzeuges verletzt zu haben; hingegen sei wegen der im Straferkenntnis beurteilten Tat (Vorrangverletzung nach § 19 Abs. 6 und 7 StVO) keine rechtzeitige Verfolgungshandlung erfolgt. Es sei unzulässig, dass die Behörde die strafbaren Tatbestände auswechsle. Im übrigen habe der Beschwerdeführer die ihm angelastete Verwaltungsübertretung nicht nur "lediglich in Abrede gestellt", sondern der Anzeige eine solche Darstellung des Sachverhaltes entgegengestellt, aus der sich mit logischer Notwendigkeit ergebe, dass die Behauptungen des Meldungslegers nicht richtig sein könnten. Die Behauptungen des Meldungslegers seien unhaltbar.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dieser Berufung nicht Folge und bestätigte das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe, dass die Jahreszahl "1976" durch "1975" ersetzt werde. Nach Wiedergabe des angefochtenen Straferkenntnisses sowie des Berufungsvorbringens stellte die belangte Behörde den Unterschied der Tatbestände einerseits nach § 19 Abs. 6 StVO, andererseits nach § 26 Abs. 5 StVO dar. Auf Grund der Anzeige habe sich keineswegs ergeben, dass der Meldungsleger sich im Einsatz im Sinne des § 26 StVO befunden habe. Auch in der Strafverfügung vom sei dem Beschwerdeführer die Übertretung nach § 19 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 7 StVO zur Last gelegt worden, wobei die Behörde sich dabei aber insofern im Ausdruck vergriffen habe, als sie die Vorrangverletzung als gegenüber einem Einsatzfahrzeug begangen bezeichnet habe. Die Berufungsbehörde könne aber nicht finden, dass es sich hier um einen Subsumtionsfehler handle, die Behörde erster Instanz dem Beschwerdeführer in Wahrheit die (andere) Übertretung nach § 26 Abs. 5 StVO angelastet habe und dass deshalb Verfolgungsverjährung eingetreten sei. Maßgebend könne allein nur das dem Beschwerdeführer angelastete Verhalten sein, welches im vorliegenden Fall in der Vorrangverletzung durch unachtsames Einreihen in den fließenden Verkehr bestünde. Zwischen den dem Beschwerdeführer angelasteten Verhaltensweisen in der Strafverfügung und im Straferkenntnis bestünde kein Unterschied. Zur Beweisfrage werden die Angaben des Meldungslegers wiedergegeben und ihnen die Angaben des Beschwerdeführers gegenübergestellt. Bei den eindeutigen und in sich widerspruchsfreien Darstellungen des Meldungslegers gehe es aber fehl, dem Meldungsleger daraus einen Vorwurf zu machen, dass er nicht ausdrücklich auf eine bestimmte Behauptung des Beschwerdeführers eingegangen sei. Da der Meldungsleger als Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei dienst- und strafrechtlichen Folgen zur Angabe der Wahrheit verpflichtet sei und da es ihm als im Verkehrsüberwachungsdienst geschulten Organ auch zuzutrauen sei, hinsichtlich unmittelbar vor ihm abgelaufener Verkehrsvorgänge richtige Wahrnehmungen und Feststellungen zu treffen, dürfe ihm insbesondere zugetraut werden, zwischen einem abbremsenden und einem wegfahrenden Fahrzeug unterscheiden zu können und ein Fahrzeug der Marke BMW nicht mit einem "zufällig" vorhandenen zweiten Fahrzeug der gleichen Marke und Type zu verwechseln. Die Berufungsbehörde sehe auf Grund der klaren, nachdrücklich bestätigten und widerspruchsfreien Angaben des Meldungslegers keinen Grund, die dem Beschwerdeführer angelastete Übertretung nicht als hinreichend erwiesen anzusehen. Demgegenüber müssten die Darlegungen des Beschwerdeführers als reine Schutzbehauptung gewertet werden, zumal dieser alle seiner Verteidigung dienlichen Behauptungen vorbringen konnte, aber nicht in der Lage gewesen sei, für sein Vorbringen irgendwelche Beweise anzubieten. Daher erweise sich die Berufung als unbegründet.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen vorliegenden Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Die Rechtsrüge wird dahin ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer mit der ursprünglichen Strafverfügung ein anderer Sachverhalt zur Last gelegt worden sei als jener, den ihm das spätere Straferkenntnis zur Last gelegt habe. Hinsichtlich des letztgenannten Sachverhaltes sei Verfolgungsverjährung eingetreten. Die Verletzung von Verfahrensvorschriften erblickt der Beschwerdeführer darin, dass seine Ausführungen im Verfahren vor der ersten Instanz zumindest ebenso widerspruchslos gewesen seien wie jene des Meldungslegers. Es sei daher durch nichts gerechtfertigt, die Angaben des Beschwerdeführers schlechthin als "Schutzbehauptung" darzustellen. Um dem Grundsatz der materiellen Wahrheit gerecht zu werden, wäre es vielmehr Aufgabe der belangten Behörde gewesen, festzustellen, weshalb der Beschwerdeführer die Situation bei der ersten Wahrnehmung genau wiedergeben konnte; dies sei vom Meldungsleger auch niemals bestritten worden. Daraus ergebe sich aber mit logischer Notwendigkeit, dass die Sachverhaltsdarstellung des Meldungslegers nicht richtig sein könne. Wenn auch die grundsätzlichen Ausführungen der belangten Behörde über die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht in Zweifel gezogen werden sollten, hätte doch im vorliegenden Fall die belangte Behörde zur Klärung des Sachverhaltes zumindest eine persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers und eine Gegenüberstellung mit dem Meldungsleger durchführen müssen. Eine weitere Rechtswidrigkeit des Inhaltes bestünde darin, dass die bloße Behauptung der besonderen Qualifikation der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes keine Begründung dafür sei, bei einander widersprechenden und einander ausschließenden Sachverhaltsdarstellungen allein deshalb der Darstellung des Behördenorganes zu folgen. Dieser Teil der gegebenen Begründung sei nicht bloß als Beweiswürdigung, sondern schon als selbstständige normative Grundlage für die Verwaltungsstrafe anzusehen. Wenn dem Beschwerdeführer vorgeworfen werde, er habe für seine Darstellung keinerlei Beweismittel vorbringen können, so gelte dies ebenso für die Darstellung des Meldungslegers. Es sei nicht Aufgabe des Beschwerdeführers, seine Unschuld zu beweisen; vielmehr hätte die Behörde die Verwirklichung des Tatbestandes nachweisen müssen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde auf Grund der vorliegenden Verwaltungsakten und einer Gegenschrift der belangten Behörde in einem gemäß § 13 Z. 2 und 3 VwGG 1965 verstärkten Senat erwogen:

Die Rechtsausführung der Beschwerde hinsichtlich der behaupteten eingetretenen Verfolgungsverjährung geht fehl. Es mag dahingestellt bleiben, ob dem Beschwerdeführer mit der Strafverfügung vom tatsächlich eine andere Verwaltungsübertretung zur Last gelegt worden ist als jene, der der Beschwerdeführer mit dem späteren Straferkenntnis schuldig erkannt wurde. Der Beschwerdeführer wurde nämlich am , somit innerhalb der im Jahre 1975 geltenden dreimonatigen Verjährungsfrist des § 31 Abs. 2 VStG 1950, von einer Behörde als Beschuldigter vernommen, und zwar nach dem Inhalt der Niederschrift zu eben jenem Sachverhalt, der Gegenstand der Anzeige war. In dieser Anzeige ist aber nie davon die Rede, dass der Beschwerdeführer den Vorrang eines Einsatzfahrzeuges im Sinne des § 26 StVO verletzt habe, vielmehr wirft ihm die Anzeige nur eine (schlichte) Vorrangverletzung im Sinne des § 19 Abs. 6 und 7 StVO vor. Aus diesem Grund ist Verfolgungsverjährung hinsichtlich der dem Beschwerdeführer im Straferkenntnis zur Last gelegten Verwaltungsübertretung nicht eingetreten.

Über die Verfahrensrüge wurde erwogen:

Gemäß § 45 Abs. 2 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Gemäß § 46 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) kommt als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Slg. N.F. Nr. 8619/A, ausgeführt, der in dieser Gesetzesstelle normierte Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeute nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niedergelegte Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliege. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG 1950 habe nur zur Folge, dass - sofern in den besonderen Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt sei -, die Würdigung der Beweise keinen anderen gesetzlichen Regeln unterworfen sei. Diese Regelung schließe keinesfalls eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung aus, ob der Sachverhalt genügend ermittelt ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig seien. Schlüssig seien aber solche Erwägungen nur dann, wenn sie unter anderem den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut, entsprechen. Wesentliche Mängel der Sachverhaltsfeststellung einschließlich der Beweiswürdigung führten daher zur Aufhebung eines Bescheides.

Im vorliegenden Fall liegen an Beweismitteln im wesentlichen vor: die Meldung des Beamten, der den Vorgang wahrgenommen hat, und zwei ergänzende Berichte desselben einerseits, und das Ergebnis der Vernehmung des Beschwerdeführers als Beschuldigten andererseits. Jede der beiden - im Zuge des Verwaltungsverfahrens - gegebenen Sachverhaltsdarstellungen ist in sich schlüssig. Sie sind insofern als widerspruchsfrei anzusehen.

Die Behörden des Verwaltungsstrafverfahrens sind der Darstellung des Anzeigers gefolgt, wobei die Behörde erster Instanz darauf Gewicht legte, dass sich der Anzeiger "in Ausübung des Amtes und Dienstes" befunden habe, die belangte Behörde dagegen darauf hinwies, dass der Anzeiger "als Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei dienst- und strafrechtlichen Folgen zur Angabe der Wahrheit verpflichtet sei". Die Behörden beider Instanzen verwiesen auf die besondere Schulung der Beamten im Verkehrsaufsichtsdienst, wonach solche Organe fähig seien, über Verkehrsvorgänge richtige Wahrnehmungen zu machen.

Die genannten Behörden sind bei der ihnen zustehenden freien Beweiswürdigung berechtigt und verpflichtet zu berücksichtigen, dass der Anzeiger einen Diensteid im Sinne des bis in Geltung gestandenen § 12 der Dienstpragmatik oder ein Gelöbnis im Sinne des § 7 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes, BGBl. Nr. 329/1977, abgelegt hat, dass er durch eine vorsätzliche falsche Anzeige strafbare Verletzungen der Amtspflicht nach dem 22. Abschnitt des Besonderen Teiles des Strafgesetzbuches zu verantworten hätte, ferner dass die Beamten des Verkehrsaufsichtsdienstes eine besondere Schulung genossen haben, die sie befähiget, über Verkehrsvorgänge richtige Wahrnehmungen zu machen und dass andererseits der Beschwerdeführer als Beschuldigter des Verwaltungsstrafverfahrens dadurch, dass er sich bei seiner Anhörung oder förmlichen Vernehmung nicht an die Wahrheit hält, keinerlei Rechtsnachteile zu befürchten hat.

Diese Berechtigung bzw. Verpflichtung enthebt die Verwaltungsstrafbehörde in Fällen, in denen sowohl das Vorbringen des Meldungslegers als auch jenes des Beschuldigten in sich schlüssig sind, aber nicht der Verpflichtung, den Meldungsleger gegebenenfalls als Zeugen zu vernehmen. Die Vernehmung als Zeuge hat, ganz abgesehen von der Frage der strafrechtlichen Sanktion, im Lichte der Erforschung der materiellen Wahrheit schon insofern den Vorzug gegenüber einem schriftlichen Bericht, als die Zeugenvernehmung ihrem Wesen nach in Frage und Antwort des Vernehmenden und des Zeugen besteht, woraus an sich schon durch die Betrachtung des Fragenkomplexes von verschiedenen Gesichtspunkten aus mehr Aufklärung zu gewinnen sein wird als aus schriftlichen Darlegungen desjenigen, der den Sachverhalt schon einmal schriftlich - nämlich in der Anzeige - geschildert hat.

Dieser Gedanke kommt zum Teil im Erkenntnis vom , Zl. 564/58, zum Ausdruck. Dieses Erkenntnis behandelte eine Beschwerdesache nach dem Opferfürsorgegesetz, wobei unter anderem eine Gesundheitsschädigung zu beurteilen war. In den Verwaltungsakten war in einem Amtsvermerk das Ergebnis der mündlichen und fernmündlichen Befragung zweier den Beschwerdeführer behandelnder Ärzte festgehalten worden. Der Verwaltungsgerichtshof führte unter Hinweis auf § 46 AVG 1950 zunächst aus, dass grundsätzlich auch formlose Befragungen als Beweismittel in Frage kommen könnten. Die Behörde könne sich daher in Fällen, die nicht weiter strittig seien, mit einer solchen Auskunft begnügen. Wo aber widersprechende Beweisergebnisse vorlägen und der Beweiswürdigung besondere Bedeutung zukomme, sei es im Interesse der Erforschung der materiellen Wahrheit nicht zulässig, sich mit solchen formlosen Befragungen zu begnügen. Die belangte Behörde hätte deshalb, fuhr der Verwaltungsgerichtshof fort, entsprechend dem Grundsatz der Amtswegigkeit des Verfahrens, der auch den wesentlichen Grundsatz der materiellen Wahrheit des festzustellenden Sachverhaltes in sich schließe, die beiden Ärzte als Zeugen niederschriftlich vernehmen müssen. Denn abgesehen davon, dass bei einer ohne Abfassung einer Niederschrift vorgenommenen mündlichen oder fernmündlichen Befragung die Möglichkeit eines Missverständnisses wesentlich größer sei, werde die Glaubwürdigkeit einer entsprechend der Vorschrift des § 50 AVG 1950 vorgenommenen Zeugenaussage schon im Hinblick auf die Sanktion des (damaligen) Art. IX EGVG 1950 im allgemeinen wesentlich höher sein als die formlose Einholung einer mündlichen oder fernmündlichen Auskunft.

Hingegen ist einzuräumen, dass der Verwaltungsgerichtshof in der Begründung einzelner seiner Erkenntnisse Rechtsansichten äußerte, die schon fast als Beweisregeln angesehen werden könnten, die aber mit dem dem Verwaltungsstrafverfahren innewohnenden Grundsatz der Erforschung des wahren Sachverhaltes nicht vereinbar sind, wenn auch der konkrete, den verschiedenen Erkenntnissen zu Grunde liegende Sachverhalt geeignet gewesen sein mag, im Einzelfall die Richtigkeit solcher Aussagen zu erweisen. So wurde im Erkenntnis vom , Zl. 1656/69, ausgeführt, aus den Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1950 gehe nicht hervor, dass das anzeigende Wacheorgan persönlich zu vernehmen sei, vielmehr sei die Behörde berechtigt, die Meldung allein ihrem Straferkenntnis zu Grunde zu legen, wenn sie der Meinung sei, dass eine solche Wachemeldung zum Nachweis einer bestimmten Tatsache genüge. Wenn - was aus diesem Erkenntnis nicht ausdrücklich hervorgeht - die belangte Behörde diese ihre Meinung unter Bedachtnahme auf die Umstände des Einzelfalles bestimmt begründet, wird an diesem Rechtssatz gewiss keine Kritik zu üben sein; nur besteht die Möglichkeit, dass darunter - gewiss nicht nach den Intentionen des Verwaltungsgerichtshofes - bloß eine Meinung schlechthin ohne konkrete Begründung verstanden werden kann. So wurde z.B. das letztgenannte Erkenntnis in einem weiteren Erkenntnis (vom , Zl. 1075/69) wie folgt zitiert:

"Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 1656/69, ausgesprochen, dass es nicht erforderlich ist, den Meldungsleger zu vernehmen, vielmehr ist die Behörde berechtigt, dessen Meldung allein dem Straferkenntnis zu Grunde zu legen."

Ein solcher allgemein ausgesprochener Rechtssatz lässt sich aber nach der nunmehr vertretenen Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes weder mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung noch mit der Forderung der Erforschung der materiellen Wahrheit in Einklang bringen.

Der im Verwaltungsstrafverfahren - ebenso wie in anderen Verwaltungsverfahren - geltende Grundsatz der freien Beweiswürdigung berechtigt die Behörde nicht davon auszugehen, dass allein die Eigenschaft eines nicht als Zeuge vernommenen Anzeigers als Organ der öffentlichen Sicherheit (Meldungsleger) schon ausreicht, einen leugnenden Beschuldigten der ihm zur Last gelegten Tat (Übertretung einer Verwaltungsvorschrift) als unwiderlegbar überführt und damit als schuldig ansehen zu können.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 3 VwGG 1965 aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG 1965 in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 542.

Wien, am

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AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §50 Abs1;
AVG §50 Abs2;
StVO 1960 §19 Abs6;
StVO 1960 §19 Abs7;
VStG §24;
VStG §25 Abs1;
VStG §25 Abs2;
VStG §31 Abs2;
VStG §32 Abs2;
VwGG §13 Abs1 Z1;
Sammlungsnummer
VwSlg 9602 A/1978
Schlagworte
freie Beweiswürdigung
Beweismittel Amtspersonen Meldungsleger Anzeigen Berichte
Zeugenaussagen
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1978:1977000695.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
TAAAF-53133