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VwGH 04.07.1960, 0582/58

VwGH 04.07.1960, 0582/58

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
BAO §207 Abs2;
VStG §31 impl;
VwRallg;
RS 1
In der Rechtslehre gilt der allgemein anerkannte Grundsatz, daß die Rechtsnachfolge eines Tatbestandes sich nach dem zur Zeit seines Eintrittes geltenden Gesetzes bestimmen und daß die Frage, welche Wirkungen ein solcher Tatbestand hervorgerufen hat, nach den zur Zeit seiner Verwirklichung herrschenden Grundsätzen zu beurteilen ist. Sofern es sich aber um Dauertatbestände handelt - wie die Verjährung, bei der die Rechtsfolgen an die Tatsache geknüpft sind, daß der bestehende Zustand eine bestimmte Zeit gedauert hat - und die Dauertatbestände in die Zeit der Herrschaft der neuen Rechtsnorm hinüberreichen, ist, falls nicht Übergangsbestimmungen etwas besonderes anordnen, davon auszugehen, daß die Rechtsfolgen nach dem neuen Gesetz eintreten. In einem derartigen Fall ist also die Frage, ob Verjährung eingetreten ist, nach den Verjährungsvorschriften des neuen Gesetzes zu beurteilen (vgl Wolff in Klangs Kommentar zum ABGB, 2.Aufl, I Bd S 73).
Norm
BAO §207 Abs2;
RS 2
Bei hinterzogenen Abgabenbeträgen kommt es nicht darauf an, ob der Steuerzahler selbst die Abgabe hinterzogen hat, sondern nur darauf, ob sie überhaupt hinterzogen worden ist.
Norm
BAO §238 Abs1;
RS 3
Das Recht, eine fällige Abgabe einzuheben, kann nicht dem Recht, diese Abgabe festzusetzen, gleichgestellt werden.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Ondraczek und die Räte Dr. Schirmer, Dr. Eichler, Dr. Kaupp und Dr. Kadecka als Richter, im Beisein des Sektionsrates Dr. Heinzl als Schriftführer, über die Beschwerde des AD in W gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA X - 2722/1957, betreffend Vorschreibung von Eingangsabgaben, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer hatte im Jänner und Februar 1950 in Salzburg und im Jänner und Februar 1951 in Wien Rasierklingen gekauft, von denen er wußte, daß es sich um geschmuggelte Ware handelte. In der am durchgeführten Unterwerfungsverhandlung hat er diese Tathandlungen zugegeben und sich einer Geldstrafe wegen Zollhehlerei gemäß § 403 der Abgabenordnung (AO) unterworfen. Diese Unterwerfung ist am rechtswirksam geworden. Mit Bescheid vom hat das Zollamt ihm Eingangsabgaben im Betrage von 9.904 S (9.304 S Zoll und 600 S Ausgleichsteuer) für die von ihm erworbene Ware vorgeschrieben. In der dagegen erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer Verjährung geltend. Die Zollschuld sei gemäß § 86 Abs. 4 des Zollgesetzes, StGBl. Nr. 250/1920, (ZG. 1920) entstanden und gemäß § 93 Abs. 1 dieses Gesetzes spätestens im Februar 1952 verjährt. Gemäß § 93 Abs. 2 ZG 1920 beginne in Zollstraffällen die Verjährung mit dem Tage der Rechtskraft des Urteils, somit im Beschwerdefall am . Die Unterwerfungsverhandlung stelle keine Unterbrechnung der Verjährung des Zollbemessungsrechtes dar. Selbst wenn man aber den gegenteiligen, nach Ansicht des Beschwerdeführers unrichtigen Standpunkt vertreten wollte, wären die Zollforderungen verjährt. Es hätte nämlich danach die Verjährungsfrist am neu zu laufen begonnen und am geendet, sodaß der erst am erlassene Zollbescheid in einem Zeitpunkt ergangen sei, in dem die Zollforderung bereits verjährt war. Ergänzend dazu führte der Beschwerdeführer weiter aus, es könne auch nicht die Verjährungsbestimmung des § 182 des Zollgesetzes 1955 (ZG 1955) zur Anwendung kommen, da Gesetze nicht rückwirkend angewendet werden könnten. Für die Beurteilung der Tathandlungen sei das Zollgesetz 1920 maßgebend und nach den Bestimmungen dieses Gesetzes seien die Zollforderungen verjährt.

Die belangte Behörde wies die Berufung ab. Der Beschwerdeführer übersehe, daß die Verjährung ein eigener Tatbestand sei, der von dem Tatbestand, an den sich die Entstehung der Abgabenschuld knüpft, unterschieden werden müsse. Ein Dauertatbestand sei erst dann als verwirklicht anzusehen, wenn das letzte Tatbestandsmerkmal - bei der Verjährung der Ablauf der Verjährungsfrist - verwirklicht ist. Im Fall einer Gesetzesänderung sei die Verjährung nach dem neuen Gesetze zu beurteilen, wenn die Verjährungsfrist während der Geltung des bisherigen Gesetzes noch nicht abgelaufen ist. Im vorliegenden Falle sei durch die Unterwerfungsverhandlung festgestellt, daß es sich um einen Zollstraffall handle. In solchen Fällen beginne die Verjährung erst mit dem Tage der Rechtskraft des Urteils zu laufen. Am , dem Zeitpunkte des Inkrafttretens des neuen Zollgesetzes 1955, habe also eine Verjährung der streitigen Abgabenforderungen überhaupt noch nicht zu laufen begonnen. Die Frage der Verjährung sei daher nach den Bestimmungen des Zollgesetzes 1955 zu prüfen. Nach § 182 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 15 des Abgabeneinhebungsgesetzes (BGBl. Nr. 87/1951, AbgEG) verjähre aber das Recht, eine fällige Abgabe einzufordern, binnen sechs Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, nachdem die Abgabe fällig geworden ist. Am , dem Zeitpunkte der Zustellung des Abgabenbescheides, sei die sechsjährige Verjährungsfrist für die in Rede stehenden Abgabenforderungen noch nicht abgelaufen gewesen.

In der gegen diesen Bescheid beim Verwaltungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wird der Standpunkt der belangten Behörde als rechtswidrig bekämpft. Die streitigen Abgabenforderungen seien gemäß § 93 Abs. 1 ZG 1920 innerhalb Jahresfrist verjährt und das anhängige Strafverfahren habe die Verjährung nicht hindern können, weil der Beschwerdeführer sich nur in der Strafsache unterworfen und niemals die bereits verjährten Abgabenforderungen anerkannt habe. Die Ansicht, daß die Verjährungsfrist erst am Tage der Unterwerfung zu laufen begonnen habe, sei unrichtig. Dies zeige die Überlegung, daß das Gesetz keine Frist bestimme, wie lange die Durchführung eines Strafverfahrens dauern dürfe. Nach der Ansicht der belangten Behörde würde für Zollforderungen bei gleichzeitiger Eröffnung eines Strafverfahrens die Verjährung während der ganzen Dauer des Strafverfahrens zuzüglich der sechsjährigen Verjährungsfrist laufen. Dies könne der Gesetzgeber nicht gewollt haben.

Der Gerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Die Frage, nach welcher Norm die Verjährung der streitigen Abgabenforderungen zu prüfen ist, wurde von der belangten Behörde damit beantwortet, die Verjährung habe während der Herrschaft des Zollgesetzes 1920 noch gar nicht zu laufen begonnen und sei daher nach den Bestimmungen des am in Kraft getretenen Zollgesetzes 1955 zu beurteilen. Dieses sehe aber gemäß § 182 in Verbindung mit § 15 AbgEG eine sechsjährige Verjährungsfrist vor.

Nun gilt in der Rechtslehre wohl der allgemein anerkannte Grundsatz, daß die Rechtsfolgen eines Tatbestandes sich nach dem zur Zeit seines Eintritts geltenden Gesetze bestimmen und daß die Frage, welche Wirkungen ein solcher Tatbestand hervorgerufen hat, nach den zur Zeit seiner Verwirklichung herrschenden Grundsätzen zu beurteilen ist. Soferne es sich aber um Dauertatbestände handelt - wie die Verjährung, bei der die Rechtsfolgen an die Tatsache geknüpft sind, daß der bestehende Zustand eine bestimmte Zeit gedauert hat - und die Dauertatbestände in die Zeit der Herrschaft der neuen Rechtsnorm hinüberreichen, ist, falls nicht Übergangsbestimmungen etwas besonderes anordnen, davon auszugehen, daß die Rechtsfolgen nach dem neuen Gesetz eintreten. In einem derartigen Fall ist also die Frage, ob Verjährung eingetreten ist, nach den Verjährungsvorschriften des neuen Gesetzes zu beurteilen (vgl. Wolff in Klang's Kommentar zum ABGB., 2. Auflage, I. Band, S. 73).

Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Frage der Verjährung einer Zollschuld, die gemäß § 86 Abs. 4 des Zollgesetzes 1920 kraft Gesetzes entstanden ist. Gemäß § 93 Abs. 1 dieses Gesetzes verjähren Zollforderungen der Zollverwaltung innerhalb Jahresfrist vom Tage der Entstehung der Zollschuld. Nach Abs. 2 beginnt die Verjährungsfrist in Zollstraffällen mit der Rechtskraft des Urteils. Der Beschwerdeführer glaubt nun, der Umstand, daß das Gesetz eine Frist, wie lange die Durchführung des Strafverfahrens dauern dürfe, nicht vorsehe, lasse den Schluß berechtigt erscheinen, daß die Bestimmungen des § 93 Abs. 2 keine Anwendung finden könnten und auch in seinem Fall die Verjährung der Forderungen nach § 93 Abs. 1 dieses Gesetzes nach Ablauf eines Jahres ab Entstehung eingetreten sei. Für eine derartige Auslegung lassen aber die bezogenen klaren Verjährungsbestimmungen keinen Raum. Da es sich unbestrittenermaßen um einen Zollstraffall handelt, bei dem das Strafverfahren am durch Unterwerfung abgeschlossen worden ist - die Unterwerfung steht nach § 445 AO einer Verurteilung gleich -, hat die Verjährungsfrist vor diesem Zeitpunkt überhaupt nicht zu laufen begonnen und eine Verjährung nach den Bestimmungen des Zollgesetzes 1920 kann daher nicht eingetreten sein.

Im Zeitpunkte der Unterwerfung stand aber das Zollgesetz 1920 nicht mehr in Geltung, da am bereits das derzeit geltende Zollgesetz 1955 in Kraft getreten ist. Dieses neue Gesetz bestimmt in seinem § 182, daß für die Verjährung fälliger Zoll- und Ersatzforderungen sowie von Forderungen an die Zollverwaltung auf Zollerstattungen die für die Bundesabgaben bestehenden Vorschriften gelten. Damit bedient sich das Gesetz einer Ausdrucksweise, die auch im § 15 AbgEG vorkommt. Diese Gesetzesstelle regelt die Verjährung des Rechtes, fällige Abgaben einzuheben, und bestimmt dafür eine sechsjährige Frist. Somit muß auch § 182 ZG 1955 den Vorschriften über die sogenannte Einhebungsverjährung zugerechnet werden. Über die Bemessungsverjährung, d.h. die Verjährung des Rechtes, eine Abgabe (hier: den Zoll) festzusetzen, enthält das Zollgesetz 1955 keine Anordnung. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß das Zollfestsetzungsrecht auch derzeit keiner Verjährung unterliege. Zwar wird gemäß § 175 ZG. 1955 die Zollschuld mit ihrer Entstehung fällig. Dessen ungeachtet kann aber das Recht, eine fällige Abgabe einzuheben, nicht dem Rechte, diese Abgabe festzusetzen, gleichgestellt werden. Mangels einer Vorschrift über die Verjährung des Zollbemessungsrechtes muß auf die sonst für öffentliche Abgaben geltenden Vorschriften zurückgegriffen werden.

§ 144 AO enthält nun die allgemeine Vorschrift, daß hinterzogene Abgabenbeträge in zehn Jahren verjähren. Dabei kann es nach richtiger Ansicht nicht darauf ankommen, ob der Steuerschuldner selbst die Abgabe hinterzogen hat, sondern nur darauf, ob sie überhaupt hinterzogen worden ist. Zum Tatbestande des Zollschmuggels gehört aber die Hinterziehung des Zolles. Somit muß auch im vorliegenden Fall angenommen werden, daß das Recht des Bundesschatzes, die hinterzogenen Zollbeträge festzusetzen, erst nach Ablauf von zehn Jahren verjährt. Allerdings sind der Ausübung dieses Bemessungsrechtes durch die Einhebungsverjährung nach § 15 AbgEG bestimmte zeitliche Grenzen gesetzt, denn die Ausübung des Bemessungsrechtes in einem Zeitpunkte, in dem bereits die Verjährung des Rechtes auf Einhebung der fälligen Abgabe eingetreten ist, wäre widersinnig.

Im vorliegenden Fall ist nun unbestrittenermaßen der Zoll für die streitigen Waren hinterzogen worden und die Zollschuld ist gemäß § 86 Abs. 4 ZG 1920 infolge der Erwerbung der zollhängigen Waren durch den Beschwerdeführer, der nach den Feststellungen der Zollbehörde die Zollhängigkeit der Waren kannte, in der Person des Beschwerdeführers entstanden. Im Zeitpunkte der Erlassung des Zollbescheides waren seit der Entstehung der Zollschuld noch keine zehn Jahre verstrichen. Aber auch ein früherer Eintritt der Verjährung des Bemessungsrechtes infolge Ablaufes der Frist für die Einhebungsverjährung kam nicht in Betracht. Denn einerseits enthält das Zollgesetz 1920 keine Bestimmung darüber, wann eine gemäß § 86 Abs. 4 dieses Gesetzes von Gesetzes wegen enstandene Zollschuld fällig wird, sodaß mangels einer derartigen Vorschrift im vorliegenden Falle die Fälligkeit der Zollschuld erst nach Ablauf der im Zollbescheide festgesetzten zweiwöchigen Leistungsfrist eingetreten sein kann (§ 5 Abs. 1 AbgEG), andererseits beginnt nach § 15 Abs. 1 AbgEG der Lauf der Frist für die Einhebungsverjährung erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe fällig geworden ist.

Die belangte Behörde hat somit nicht geirrt, wenn sie das Recht, dem Beschwerdeführer den Zoll für die strittigen eingeführten Waren vorzuschreiben, nicht für verjährt angesehen hat. Das gleiche gilt aber nach § 15 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (vom , DRGBl. I S. 942) auch für die Verjährung des Rechtes auf Bemessung der Umsatz-Ausgleichsteuer, weil nach dieser Gesetzesvorschrift auf die Erhebung der Ausgleichsteuer" die für die Zölle geltenden Vorschriften sinngemäß anzuwenden sind.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war demgemäß abzuweisen.

Wien, am

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Normen
BAO §207 Abs2;
BAO §238 Abs1;
VStG §31 impl;
VwRallg;
Schlagworte
Rechtsgrundsätze Verjährung im öffentlichen Recht VwRallg6/6
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1960:1958000582.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
OAAAF-52971