VwGH 18.10.1976, 0534/76
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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Normen | BauO NÖ 1969 §120 Abs7 Z2; BauO NÖ 1969 §120 Abs8; BauO NÖ 1969 §4; BauRallg impl; |
RS 1 | Bei der Beurteilung, ob innerhalb der geschlossenen Ortschaft ein geplantes Vorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch steht, werden alle jene Kriterien maßgebend sein, die Inhalt eines Bebauungsplanes sein können. (Hinweis auf E vom , Zl. 1333/73) |
Normen | BauO NÖ 1969 §120 Abs7 Z2; BauO NÖ 1969 §120 Abs8; BauO NÖ 1969 §4; BauRallg impl; VwGG §42 Abs2 lita impl; VwGG §42 Abs2 Z1 impl; |
RS 2 | Bei einem Vorhaben, für dessen Zulässigkeit § 120 Abs 7 Z 2 der NÖ Bauordnung anzuwenden ist, kann dann, wenn es unmittelbar an der Grenze zweier unterschiedlich zu wertender bebauter Gebiete liegt und die Zuordnung zu einem von diesen vorweg nicht möglich ist, die Bewilligung nach der angegebenen Gesetzesstelle nicht versagt werden, falls wenigstens in bezug auf das eine der beiden in Betracht kommenden Gebiete der Bewilligung in der bezeichneten Hinsicht kein Hindernis entgegensteht. (Zu einem gegenteiligen Ergebnis könnte man nur mit der Begründung gelangen, im Zweifel sei bei einem Bauansuchen mit Versagung vorzugehen, ein Grundsatz, welcher sich aus der NÖ BauO nicht ableiten läßt.) |
Entscheidungstext
Beachte
Siehe:
1196/74 E VS VwSlg 9338 A/1977 RS 2
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Striebl und die Hofräte Dr. Hrdlicka, Dr. Straßmann, Dr. Draxler und Dr. Salcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Magistratsoberkommissär Dr. Thumb, über die Beschwerde des Ing. Peter und der Sylvia L in H, vertreten durch Dr. Ferdinand Pieler, Rechtsanwalt in Wien I, Lichtenfelsgasse 5, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. II/2-652/16-1975, betreffend die Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1) Christian S und
2) Brigitte S, beide in M, und 3) Gemeinde M, vertreten durch den Bürgermeister) zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 2.400,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
In einem ersten Rechtsgang erteilte der Bürgermeister der Gemeinde M mit Bescheid vom den Beschwerdeführern auf deren Ansuchen gemäß § 92 der NÖ Bauordnung unter einer Reihe von Auflagen die Bewilligung zum Neubau einer Reithalle auf den Grundstücken 32/2 und 35/1, KG X. Eine hierauf von den Anrainern Christian und Brigitte Sch. - die nun am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof mitbeteiligt sind - eingebrachte Berufung hatte keinen Erfolg. Hingegen behob die Niederösterreichische Landesregierung den von denselben Anrainern mit Vorstellung (§ 61 der NÖ Gemeindeordnung 1973) angefochtenen Bescheid der Gemeindebehörde zweiter Instanz und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Behandlung und Entscheidung wieder an den Gemeinderat, weil das Bauverfahren in wesentlichen Punkten mangelhaft geblieben und dadurch eine Verletzung von Rechten der Vorstellungswerber eingetreten sei. Im fortgesetzten Verfahren erging sodann nach Durchführung einer neuerlichen Verhandlung der Bescheid des Gemeinderates vom , mit welchem die Bewilligung gemäß §§ 100 und 120 Abs. 7 Z. 2 und Abs. 8 der NÖ Bauordnung versagt wurde. Es widerspreche die Grundstücksbezeichnung im Ansuchen jener in den Lageplänen, der Sanitätssachverständige habe Bedenken in Richtung einer Umweltbeeinträchtigung durch die erforderlichen Nebenanlagen geäußert und es ergebe sich aus dem Gutachten des technischen Amtssachverständigen, daß die geplante Reithalle zu der bestehenden Bebauung in Form von Wohnsiedlungshäusern in einem auffallenden Widerspruch stehe. Die nun von den Beschwerdeführern gegen diese Entscheidung erhobene Vorstellung wurde mit dem Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom gemäß § 61 Abs. 3 der NÖ Gemeindeordnung 1973 als unbegründet abgewiesen. Die Aufsichtsbehörde erklärte zwar im Gegensatz zur Gemeindebehörde, es sei die Grundstücksbezeichnung mit 32/1 noch im Verfahren klargestellt worden und es habe gegen die Reithalle selbst keine sanitären Bedenken gegeben, entschied aber, die Bewilligung sei dennoch zu Recht versagt worden, da das Bauwerk in einem auffallenden Widerspruch zu der in der Nachbarschaft vorhandenen Bebauung stehend habe angesehen werden müssen: die Liegenschaft der Beschwerdeführer grenze unbestrittenermaßen im Norden an ein Siedlungsgebiet, dessen Grundstücke mit höchstens 150 m2 großen Objekten verbaut seien, während die geplante Reithalle eine bebaute Fläche von rund 972 m2 hätte einnehmen sollen.
Der zuletzt genannte Bescheid wird mit der vorliegenden Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpft. Die Beschwerdeführer erachten sich im Ergebnis in ihrem Recht auf Bewilligung des Bauansuchens verletzt. Entscheidend für die Frage, ob das Vorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch stehe, sei nämlich, so führen sie näher aus, nicht allein die Art der Bebauung der Nachbargrundstücke; vielmehr habe man die ganze, vom Ortskern ausgehende, im wesentlichen bis zum betroffenen Bauplatz reichende Bebauung zu berücksichtigen. Bei einem von der belangten Behörde am vorgenommenen Augenschein sei festgestellt worden, der Betrieb der Beschwerdeführer sei ein solcher der Landwirtschaft. Derartige landwirtschaftliche Betriebe gebe es auch anschließend in südlicher Richtung, in geringer Entfernung zudem einen Reitbetrieb mit 23 Pferden und einer Reitbahn. Das auf Grund dieses Augenscheins erstattete Sachverständigengutachten komme demgemäß zu dem Ergebnis, das Bauvorhaben der Beschwerdeführer liege im Wirtschaftsgarten einer landwirtschaftlich genutzten Liegenschaft. Bei den südlich anschließenden Liegenschaften handle es sich durchwegs um landwirtschaftliche Betriebe. Auch durch die Parzellierung früher ebenfalls landwirtschaftlich genutzter Flächen für ein Wohnsiedlungsgebiet mit etwa zehn Bauplätzen habe sich der Charakter der anschließenden landwirtschaftlichen Liegenschaften nicht geändert. Es grenze daher mit der Reithalle praktisch ein Bauland-Agrargebiet an ein Bauland-Wohngebiet. Weder Bebauungshöhe noch Bebauungsdichte des Vorhabens der Beschwerdeführer widersprächen der innerhalb des geschlossenen Ortsgebietes für landwirtschaftlich genutzte Liegenschaften üblichen Bebauung. Manche, allerdings gegliederte, zusammenhängende Baukörper landwirtschaftlicher Betriebe des Ortes erreichten gleichfalls ein ansehnliches Bauvolumen. Die Form des Baukörpers allein sei aber kein ausreichendes Kriterium für die Annahme eines Widerspruches zur bestehenden Bebauung. Eine Verunzierung des Ortsbildes sei gleichfalls nicht zu erwarten. Aus dem Gutachten, so fahren die Beschwerdeführer fort, ergebe sich also, daß kein Versagungsgrund vorliege. Auch müsse man - hier wird auf ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug genommen - die Grenzen der aus dem Grundrecht des Eigentums erfließenden Baufreiheit im Zweifel zu deren Gunsten ermitteln.
Über die Beschwerde sowie über die Gegenschriften der belangten Behörde und der mitbeteiligten Parteien hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Da in der Gemeinde M im Zeitpunkt der zuletzt getroffenen gemeindebehördlichen Entscheidung zweiter Rechtsstufe kein Bebauungsplan in Geltung stand, war Abs. 8 des § 120 in Verbindung mit Abs. 7 Z. 2 der eben angeführten Stelle der NÖ Bauordnung anzuwenden, wonach eine Bewilligung gemäß §§ 92 und 93 dann zu versagen ist, wenn innerhalb der geschlossenen Ortschaft das geplante Vorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch steht. Die belangte Behörde hat in Übereinstimmung mit der Rechtsmittelbehörde der Gemeinde einen solchen Widerspruch für gegeben angesehen; die Beschwerdeführer stellen ihn in Abrede. In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 1333/73, auf das unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung dieses Gerichtshofs, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen wird, ausgesprochen, daß bei der Beurteilung der eben bezeichneten tatbestandsmäßigen Voraussetzungen alle jene Liegenschaften zu berücksichtigen sind, die innerhalb eines von der Behörde abzugrenzenden Gebietes, welches als Maßstab heranzuziehen ist, miteinander nach der überwiegend herrschenden faktischen Bebauung ein im wesentlichen einheitliches, zusammenhängendes Ganzes bilden, das sich nach dem äußeren Eindruck von angrenzenden Gebieten abhebt. Dabei werden als Unterscheidungsmerkmal alle jene Kriterien zu gelten haben, die Inhalt eines Bebauungsplanes (§§ 4 ff der NÖ Bauordnung) sein können. Das Ermittlungsverfahren hat nun gezeigt, daß sich nördlich des Vorhabens der Beschwerdeführer entlang einer im Westen angrenzenden Aufschließungsstraße eine Wohnsiedlung mit Gebäuden befindet, die ihrer Art und Größe nach in einem bemerkenswerten Unterschied zum strittigen Bauvorhaben stehen. Diesem Bereich, und nur ihm, hat die belangte Behörde ebenso wie die die Bewilligung versagende Baubehörde das Vorhaben der Beschwerdeführer zugerechnet. Geschah dies zu Recht - danach ist nun weiter zu fragen -, war die Baubewilligung bei der gegebenen Sachlage unzweifelhaft zu versagen. Der jetzt angefochtene wie der gemeindebehördliche Bescheid lassen jedoch, obwohl im Verfahren auf Gemeindeebene und vor der Vorstellungsbehörde von zwei unterschiedenen Bebauungsgebieten ausführlich die Rede war, jede Begründung dafür, warum sich das Projekt der Beschwerdeführer nicht mit jenem Baubestand in Beziehung setzen läßt, der in anderen, nach den örtlichen Umständen in Betracht kommenden Richtungen anschließt, vermissen. Da im Westen die Aufschließungsstraße verläuft und unmittelbar im Süden Gartenflächen liegen, die als unbebaut nicht zum Vergleich herangezogen werden können, handelt es sich dabei um die weiter südlich und östlich folgenden Liegenschaften. Mit Bezug auf diese wurde bei dem von der Aufsichtsbehörde am vorgenommenen Augenschein festgestellt, es seien dies landwirtschaftliche Betriebe mit den Hauptgebäuden an der Landesstraße (im Osten) und mit den Nebengebäuden im Hof. Im Nordosten schließe ein von den Beschwerdeführern gepachtetes Grundstück an, das zu einem landwirtschaftlichen Betrieb gehöre. Die Reithalle liege also in überwiegend mit landwirtschaftlichen Gebäuden bebautem Gebiet und grenze unmittelbar an ein reines Wohnsiedlungsgebiet. Auch im Gutachten des bautechnischen Sachverständigen vom heißt es, mit der Reithalle schließe praktisch ein Bauland-Agrargebiet unmittelbar an ein Bauland-Wohngebiet. Eine Würdigung des Ermittlungsergebnisses in der Richtung, ob das strittige Vorhaben auch zur bestehenden Verbauung im ersteren Bereich - der im übrigen als ganzer eindeutig abzugrenzen wäre (vgl. das schon angeführte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes) - in auffallendem Widerspruch stehe, fehlt. Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid auf die diesbezüglichen wie die Gemeindeinstanz vor ihr auf die schon damals vorliegenden Verfahrensergebnisse nicht eingegangen. Daß aber nur das von diesen Behörden ihren Entscheidungen zugrunde gelegte bebaute Gebiet richtigerweise für die Beurteilung der bestehenden Bebauung heranzuziehen sei, ist ebensowenig einsichtig geworden. Es kann im Gegenteil bei einem Vorhaben, für dessen Zulässigkeit § 120 Abs. 7 Z. 2 der NÖ Bauordnung anzuwenden ist, dann, wenn es unmittelbar an der Grenze zweier unterschiedlich zu wertender bebauter Gebiete liegt und die Zuordnung zu einem von diesen vorweg - wie dies etwa für ein Nebengebäude gälte, welches sich nach dem Standort des Hauptgebäudes zu richten hätte - nicht möglich ist, die Bewilligung nach der angegebenen Gesetzesstelle nicht versagt werden, falls wenigstens in bezug auf das eine der beiden in Betracht kommenden Gebiete der Bewilligung in der bezeichneten Hinsicht kein Hindernis entgegensteht. Will man sich, wenn andere Kriterien fehlen, in solchen Grenzfällen nicht dem Vorwurf einer jeweils willkürlichen Entscheidung für die notwendige Zuordnung aussetzen, könnte man zu dem gegenteiligen Ergebnis nämlich nur mit der Begründung gelangen, im Zweifel sei bei einem Bauansuchen mit Versagung vorzugehen, ein Grundsatz, welcher sich aus der Nö Bauordnung nicht ableiten ließe.
Schon der vor der belangten Behörde bekämpfte gemeindebehördliche Bescheid litt sonach an einem in bezug auf den möglichen Ausgang des Verfahrens wesentlichen Begründungsmangel und hätte zufolge der dadurch bewirkten Verletzung von Rechten der Einschreiter gemäß § 61 Abs. 3 der NÖ Gemeindeordnung 1973 aufgehoben werden müssen. Da die belangte Behörde die vor ihr angefochtene Entscheidung dessenungeachtet, und ohne diesen Mangel auf Grund der von ihr selbst vorgenommenen Ergänzung des Verfahrensergebnisses in ihrem eigenen, diese nicht verwertenden Bescheid zu vermeiden, aufrechterhalten hat, belastete sie letzteren mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, was zu dessen Aufhebung gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 zu führen hatte.
Zur Behandlung des weiteren, auch von der Sache her verfehlten Antrages der Beschwerdeführer, die seinerzeitige Baubewilligung als rechtskräftig erteilt zu erklären, ist der Gerichtshof nicht zuständig. Die von den mitbeteiligten Anrainern und der Gemeinde vorgenommene Gegenüberstellung eines der Landwirtschaft zuzurechnenden Reitstalles und einer, von den Beschwerdeführern zumindest durch Zurückziehung des sogenannten Exposes augenscheinlich in Abrede gestellten, Reitsportanlage betrifft Fragen der Flächenwidmung sowie des Verwendungszweckes, die anläßlich der Versagung weder im gemeinde- noch im aufsichtsbehördlichen Bescheid angeschnitten wurden, weil jeweils vornehmlich auf den auffallenden somit nach außen in Erscheinung tretenden Widerspruch zum anschließenden Wohnsiedlungsgebiet abgestellt worden war. Da nach der Aktenlage gegen den seinerzeit bewilligenden Bescheid allein die Anrainer Christian und Brigitte Sch. Vorstellung erhoben hatten, waren neben der Gemeinde nur sie dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren als Mitbeteiligte beizuziehen.
Der Ausspruch über die Kosten beruht auf den §§ 47 ff VwGG 1965 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 316/1976 und der Verordnung BGBl. Nr. 4/1975. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den die gesetzlich festgelegten Pauschalsätze für den Schriftsatzaufwand übersteigenden Betrag.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Normen | BauO NÖ 1969 §120 Abs7 Z2; BauO NÖ 1969 §120 Abs8; BauO NÖ 1969 §4; BauRallg impl; VwGG §42 Abs2 lita impl; VwGG §42 Abs2 Z1 impl; |
Schlagworte | Planung Widmung BauRallg3 Ermessen Vorstellungsbehörde (B-VG Art119a Abs5) |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1976:1976000534.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
DAAAF-52901