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VwGH 23.01.1950, 0273/49

VwGH 23.01.1950, 0273/49

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
RS 1
Unter Vorfrage im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. c AVG kann nur eine Frage verstanden werden, die ein konkretes Rechtsverhältnis zum Gegenstand hat, das für den nunmehr zu fällenden Bescheid ein Tatbestandsmerkmal bildet (Hinweis auf E vom , Zl. 1049/47, Slg. Nr. 475/A).
Normen
AVG §71 Abs1 lita
VwGG §46 Abs1
RS 2
Ein bloßer Irrtum über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels stellen keinen Wiedereinsetzungsgrund dar (Hinweis auf B v. , Zl. 1130/48, Slg. Nr. 558/A).
Normen
AVG §69
AVG §71
EGVG Art2 Abs1
VwGG §45
VwGG §46
VwRallg
RS 3
Die Ausschließung der Anwendung des AVG laut Art 2 EGVG bedeutet nicht, daß damit auch die Anwendung jener Verfahrensgrundsätze, die sich schon aus dem Wesen jedes rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens ergeben, deshalb ausgeschlossen sein sollte, weil diese Grundsätze in den Vorschriften des AVG ihren Niederschlag gefunden haben. Daher erscheint es nicht nur zulässig, sondern sogar geboten, die Vorschriften des AVG, soweit sie den Ausfluß solcher allgemeiner Verfahrensgrundsätze darstellen, auch in anderen Verfahren sinngemäß anzuwenden, und zu diesen sinngemäß anwendbaren Vorschriften können im allgemeinen auch die Bestimmungen über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Wiederaufnahme des Verfahrens gezählt werden.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Putz und die Räte Dr. Eichler Dr. Pilat, Dr. Guggenbichler und Dr. Chamrath als Richter, im Beisein des Richters Dr. Klecatsky als Schriftführers über die Beschwerde des Ing. A in P, gegen den Bescheid des Wiener Stadtsenates vom , Pr. Zl. 2244, betreffend Wiederaufnahme eines Entlassungsverfahrens, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwede wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stand als Stadtbaudirektor im Dienst der Gemeinde Wien. Seit befand er sich im Krankenstand. Am suchte er krankheitshalber um einen Urlaub von vier Wochen mit der Bewilligung zum Verlassen des Wohnortes an. Er wurde am amtsärztlich untersucht und reiste, ohne eine Erledigung seines Gesuches abzuwarten, am selben Tage nach N ab.

Am richtete er von dort ein Schreiben an die Stadtbauamtsdirektion, dem Vernehmen nach sei an alle öffentlichen Beamten, die seinerzeit ihren Dienstort verlassen und ihren Dienst bisher nicht angetreten hatten, die Aufforderung ergangen, sich nunmehr bei ihren Dienststellen zu melden. Diesem Auftrag komme er mit dem Bemerken nach, dass ihm am durch die Krankenkasse ein Krankenurlaub von 28 Tagen zugesagt und am vom Gesundheitsamt bewilligt worden sei. Er habe den Urlaub am angetreten, sich an den A begeben und von dort wegen der von den Bestatzungsmächten angeordneten Verkehrsbeschränkungen bisher nicht nach Wien zurückkehren können. Dieses Schreiben wurde von der Magistratsdirektion mit einem Erlass vom des Inhaltes beantwortet, der vom Beschwerdeführer Ende März 1945 erbetene Krankenurlaub sei ihm nicht bewilligt worden, es gelte daher für ihn die Verfügung des Bürgermeisters vom , wonach Beamte, Angestellte und Arbeiter der Stadt Wien, die - ohne beurlaubt zu sein - sich bis nicht zum Dienstantritt gemeldet haben, mit diesem Tage entlassen seien. Zwei folgende Ansuchen des Beschwerdeführers um Widerruf der Entlassung und Versetzung in den dauernden Ruhestand oder gnadenweise Zuerkennung eines Ruhegenusses wurde mit Schreiben des Magistrates vom und vom abgelehnt.

Daraufhin stellte der Beschwerdeführer am an den Magistrat den Antrag, das Verfahren betreffend seine Entlassung auf Grund des § 68 c AVG. wieder aufzunehmen. Er habe am beim Verwaltungsgerichtshof erfahren, dass die Verfügung des Bürgermeisters vom gesetzwidrig sei.

Diese Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes „- so heisst es in der von einem Rechtsanwalt überreichten Eingabe - ist eine Vorfrage im Sinne des § 69 c AVG und mit Rücksicht auf den Tag, wo ich sie erfahren habe, ist die in diesem Paragraphen gesetzte Frist von 14 Tagen gewahrt.“ Der Beschwerdeführer beantrage daher die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäss § 69, allenfalls die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäss § 7 AVG, da es sich auch um ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis handle und der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert gewesen sei, die Frist (gemeint wohl die Frist zur Berufung gegen die Entlassung) einzuhalten. Vorsichtshalber erhebe der Beschwerdeführer auch Berufung gemäss § 61 AVG gegen den Bescheid des Magistrates vom , der keine Rechtsmittelbelehrung enthalten habe.

Der Magistrat lehnte das Begehren ab, der Beschwerdeführer berief und der Stadtsenat wies seine Berufung mit Beschluss vom ab.

Gegen diese Abweisung hat der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben. Die Verfügung des Bürgermeisters, welche die Entlassung der Bediensteten ausgesprochen habe, die sich bis nicht zum Dienstantritt gemeldet haben, sei gesetzwidrig. Der angefochtene Bescheid suche durch formelle Fragen die Wiederaufnahme des Verfahrens zu umgehen. Das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz sei sinngemäss anzuwenden, daher kamen auch die Bestimmungen über die Wiedereinsetzung und Wiederaufnahme in Betracht. Die Entlassung beruhe auf dem ungültig erkannten Erlass und das sei zweifellos eine Vorfrage im Sinne des Gesetzes.

Dieser Beschwerde musste der Erfolg versagt bleiben.

Wie der Gerichtshof in seinem Erkenntnis Slg. 225 A/47 aus Anlass der Beschwerde eines anderen Beamten der Gemeinde Wien nach Befragung eines verstärkten Senates dargetan hat, stellt der Erlass des Bürgermeisters, der die Entlassung der Beamten ausgesprochen hat, die dem Dienst ohne Urlaub über den hinaus ferngeblieben waren, einen an die Beamten gerichteten Sammelbescheid dar, der seinem Inhalte nach als gesetzwidrig anzusehen ist. Die Tatsache der Gesetzwidrigkeit eines Bescheides berechtigt den Verwaltungsgerichtshof jedoch im Sinne der Artikel 130 und 131 B-VG. nicht ohne weiteres, den Bescheid aufzuheben, eine solche Aufhebung kann vom Gerichtshof vielmehr nur ausgesprochen werden, wenn und soweit der Bescheid von der betroffenen Partei nach Erschöpfung des Instanzenzuges rechtzeitig mit Beschwerde angefochten wurde. Im vorliegenden Falle wurde die Entlassungsverfügung des Bürgermeisters dem Beschwerdeführer am 17, Jänner 1946 mitgeteilt, der Beschwerdeführer hatte diese Verfügung daher gemäss § 100 der Wiener Stadtverfassung binnen zwei Wochen von der Zustellung dieser Mitteilung mit Berufung („Beschwerde“) an den Stadtsenat anfechten und wenn dieser seine Berufung abgewiesen hatte, gegen dessen Bescheid binnen sechs Wochen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof einbringen müssen. Er hat das versäumt und damit die Möglichkeit verloren, durch Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof eine Aufhebung seiner mit dem Bescheid des Bürgermeisters vom verfügten Entlassung herbeizuführen (vgl. Slg. 96 A/47 ).

Nun glaubt der Beschwerdeführer allerdings, dass er gegen die Versäumung der Frist für die Berufung (Beschwerde) an den Stadtsenat in sinngemässer Anwendung der Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes die Wiedereinsetzung verlangen könne, und zwar einerseits, weil der Bescheid, mit dem seine Entlassung ausgesprochen wurde, keine Rechtsmittelbelehrung enthalten hat, andererseits, weil er selbst die Berufung nur wegen eines Irrtumes über die wahre Rechtslage unterlassen bete und über diesen Irrtum erst durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes aufgeklärt worden sei. Hiezu muss jedoch zunächst bemerkt werden, dass die Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes auf das Verfahren in Dienstrechtssachen nicht ohne weiteres angewendet werden dürfen, weil Artikel II (6) EVGV das Verfahren in solchen Angelegenheiten aus dem Anwendungsbereich des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes ausdrücklich ausschliesst. Das bedeutet nun allerdings nicht, dass damit auch die Anwendung jener Verfahrensgrundsätze, die sich schon aus dem Wesen jedes rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens ergeben, in Dienstrechtssachen deshalb ausgeschlossen sein sollte, weil diese Grundsätze auch in den Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes ihren Niederschlag gefunden haben. Daher erscheint es nicht nur zulässig, sondern sogar geboten, die Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes, soweit sie den Ausfluss solcher allgemeiner Verfahrensgrundsätze darstellen, auch im Verfahren in Dienst Rechtssachen sinngemäss anzuwenden, und zu diesen sinngemäss anwendbaren Vorschriften können im allgemeinen auch die Bestimmungen über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Wiederaufnahme des Verfahrens gezählt werden, Dagegen stellt sich das Gebot, dem Bescheid eine Rechtsmittelbelehrung beizufügen, als eine blosse Formvorschrift dar, deren sinngemässe Anwendung im Verfahren in Dienstrechtssachen nicht gefordert werden kann (vgl. Slg. 96 A/47).

Daher kann das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung im Bescheid über die Entlassung des Bfrs. schob aus diesem Grunde eine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Berufung (Beschwerde) an den Stadtsenat nicht rechtfertigen. Dazu kommt, dass das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung auch nach § 71 AVG keinen hinreichenden Wiedereinsetzungsgrund bilden würde.

Ebensowenig kann ein Wiedereinsetzungsanspruch aber auch aus dem Irrtum des Beschwerdeführers über die wahre Rechtslage abgeleitet werden. Denn, wenn der Beschwerdeführer in seinem Irrtum ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis zu erkennen glaubt, das ihn-an der Einhaltung der Beschwerdefrist verhindert habe und daher den Anspruch auf Wiedereinsetzung im Sinne des § 71 (1) a AVG zu begründen vermöge, so irrt er, da ein blosser Irrtum über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels niemals ein. Ereignis darstellen kann, das die Einbringung des Rechtsmittels verhindert, d.h, unmöglich macht (vgl. Slg. 558 A/48). Bei dieser Rechtslage könnte als Mittel, die Aufhebung des gesetzwidrigen Entlassungsbescheides zu erzwingen, nur mehr ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens in Betracht kommen. Einen solchen Antrag hat denn der Beschwerdeführer auch gestellt und mit dem Hinweis auf § 69 (1) c AVG, zu begründen versucht.

Nach der bezogenen Vorschrift des § 69 (1) c AVG ist das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren wiederaufzunehmen, wenn ein Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über, eine solche Vorfrage von der hier zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde. Was dabei unter einer Vorfrage zu verstehen ist, hat der Gerichtsort in seinem Erkenntnis Slg. 475 A/47 näher ausgeführt. Es kann darunter nur eine Frage verstanden werden, die ein konkretes Rechtsverhältnis zum Gegenstand hat, das für den nunmehr zu fällenden Bescheid ein Tatbestandselement bildet.

Im vorliegenden Falle glaubt der Beschwerdeführer eine solche Vorfrage in der Frage erblicken zu können, ob die Verfügung des Bürgermeisters vom  mit der die Entlassung einer Reihe von Beamten ausgesprochen wurde, mit dem geltenden Recht in Einklang zu bringen ist. Dabei fast der Beschwerdeführer diese Bürgermeisterverfügung anscheinend als eine allgemeine Rechtsnorm auf, von deren Gültigkeit seiner Entlassung abhänge. Wäre diese Auffassung des Beschwerdeführers vom Wesen der Bürgermeisterverfügung richtig, dann könnte die Frage nach deren Gesetzmässigkeit schon deshalb keine Vorfrage im Sinne des § 69 AVG, bilden, weil sie nicht das Bestehen eines konkreten Rechtsverhältnisses, sondern die Gesetzmässigkeit einer Verordnung zum Gegenstand hätte, eine Frage, die nur vom Verfassungsgerichtshof im Verfahren nach Art. 139 B-VG hätte entschieden werden und deren Verneinung durch ein Erkenntnis dieses Gerichtshofes nur zu den in Art. 89 B-VG und § 60 VerfGG vorgesehenen Folgen, nicht aber zur Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne des § 69 AVG, hätte führen können.

In Wahrheit verkennt jedoch der Beschwerdeführer das Wesen der Bürgermeisterverfügung. Denn wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem bereits bezogenen Erkenntnis Slg. 225 A/47 ausgeführt hat, stellt diese Verfügung nicht eine allgemeine Rechtsnorm dar, auf Grund welcher erst an die einzelnen Beamten Entlassungsbescheide zu ergehen gehabt hätten, sie ist vielmehr als Sammelbescheid zu werten, der die Entlassung der betroffenen Beamten selbst und mit unmittelbarer Wirkung ausgesprochen hat. Es handelt sich also bei der in Rede stehenden Bürgermeisterverfügung allerdings um die Regelung konkreter Rechtsverhältnisse, allein nicht um Rechtsverhältnisse, deren Bestehen erst eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Entlassung bilden würde, sondern bereite um diese Entlassung selbst. Hätte also das vom Beschwerdeführer bezogene Erkenntnis Slg. Nr. 225 A/47 die Bürgermeisterverfügung, soweit sie sich auf den Beschwerdeführer bezogen hat, aufgehoben, dann wäre damit auch schon die Entlassung des Beschwerdeführers selbst beseitigt und bliebe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens kein Gegenstand. Tatsächlich hat sich das bezogene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes aber nicht auf den nunmehrigen Beschwerdeführer, sondern auf einen anderen Beamten der Gemeinde Wien bezogen, er kann daher auf den Fall des Beschwerdeführers keinerlei rechtverbindliche Wirkung ausüben.

Auf die weitere Frage einzugehen, ob der Magistrat der Gemeinde Wien das in Rede stehende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes nicht zur Währung des Rechtsgedankens zum Anlass hatte nehmen sollen, nunmehr auch die Entlassungen aller jener Beamten zu überprüfen, die von der Bürgermeisterverfügung getroffen waren, aber eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof unterlassen hatten, bleibt dem Gerichtshof versagt. Ebensowenig konnte der Gerichtshof aus Anlass der vorliegenden Beschwerde auch darüber absprechen, welche Ansprüche der Beschwerdeführer etwa aus der durch § 140 der Dienstordnung für die Beamten der Bundeshauptstadt Wien geänderten Rechtslage ableiten könnte, Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs hatte sich vielmehr auf die Frage zu beschränken, ob die Abweisung des Begehrens des Bfrs. auf Wiedereinsetzung oder Wiederaufnahme des Verfahrens gesetzwidrig war und diese Frage musste es aus den dargetanen Grün den verneinen.

Die Beschwerde musste daher als unbegründet abgewiesen werden.

Wien, am

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AVG §38
AVG §69
AVG §69 Abs1 litc
AVG §71
AVG §71 Abs1 lita
EGVG Art2 Abs1
VwGG §45
VwGG §46
VwGG §46 Abs1
VwRallg
Sammlungsnummer
VwSlg 1196 A/1950;
Schlagworte
Verfahrensgrundsätze außerhalb des Anwendungsbereiches des AVG VwRallg10/2 Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Allgemein VwRallg10/1
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1950:1949000273.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
WAAAF-52536