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VwGH 10.10.1980, 0241/80

VwGH 10.10.1980, 0241/80

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
OFG §11 Abs5 litc;
VwRallg impl;
RS 1
Für das Bestehen einer LEBENSGEMEINSCHAFT muß über die Tatbestandsmerkmale der Wohngemeinschaft, Wirtschaftsgemeinschaft und Geschlechtsgemeinschaft hinaus nicht auch noch der Entschluß vorliegen, sich nach außen und formell zur Lebensgemeinschaft zu bekennen. Es wird aber außer den genannten drei Tatbestandsmerkmalen noch eine gewisse Einstellung der Beteiligten zueinander vorliegen müssen, die mit den Worten "gegenseitiger Beistand" umschrieben werden kann (Hinweis E , 2747/55, VwSlg 4247 A/1956).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2542/79 E VwSlg 10095 A/1980 RS 1
Normen
AVG §66 Abs2;
VwRallg;
RS 2
Säumnisbeschwerde des VwGH in der Sache selbst: Anwendung des § 66 Abs 2 AVG 1950.

Entscheidungstext

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

0242/80

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Jurasek und die Hofräte Dr. Liska, Dr. Pichler, Dr. Knell und Dr. Puck als Richter, im Beisein des Schriftführers Regierungskommissär Dr. Dobner, über die Beschwerde der SN in W, vertreten durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt Dr. Ingrid Ruckenbauer in Wien I, Schottengasse 3/VI/16 B, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch den Bundesminister für soziale Verwaltung in einer Angelegenheit der Opferfürsorge, zu Recht erkannt:

Spruch

Den Berufungen der Beschwerdeführerin gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von Wien je vom , Zl. MA 12- 46.783/AB/1 und Zl. MA 12-46.783/R/1, wird Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden gemäß § 66 Abs. 2 AVG 1950 behoben. Die Angelegenheiten werden zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung neuer Bescheide an die Behörde erster Instanz verwiesen.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 3.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am geborene und am verstorbene FS war Inhaber einer Amtsbescheinigung nach dem Opferfürsorgegesetz 1947, BGBl. Nr. 183. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom war ihm Opferrente unter Berücksichtigung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 % ab zuerkannt worden; er bezog diese Opferrente in nach der jeweiligen Gesetzeslage veränderter Höhe bis zu seinem Tode.

Nach dem Ableben des FS beantragte die Beschwerdeführerin "die Gewährung des Sterbeviertels" mit dem Vorbringen, sie sei seit 1942 die Lebensgefährtin des Verstorbenen gewesen. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom wurden der Beschwerdeführerin gemäß § 11 Abs. 4 OFG im Zusammenhalt mit § 48 KOVG die Gebührnisse für das Sterbevierteljahr im Betrag von S 3.114,-- zuerkannt mit der Begründung, es sei erwiesen, daß die Beschwerdeführerin als Lebensgefährtin mit dem verstorbenen Rentenbezieher zur Zeit des Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe.

Am stellte die Beschwerdeführerin bei der Magistratsabteilung 12 des Amtes der Wiener Landesregierung zwei Anträge: 1.) möge sie als Hinterbliebene nach dem verstorbenen Lebensgefährten FS anerkannt und ihr eine Amtsbescheinigung nach dem Opferfürsorgegesetz ausgestellt werden; 2.) möge ihr "Unterhaltsrente bzw. Witwenbeihilfe" nach dem Opferfürsorgegesetz gewährt werden. Mit zwei Bescheiden je vom gab der Landeshauptmann von Wien den Anträgen der Beschwerdeführerin 1.) auf Anerkennung als Hinterbliebene nach dem verstorbenen Opfer gemäß § 1 Abs. 3 lit. b OFG und Ausstellung einer Amtsbescheinigung und 2.) auf Gewährung einer Witwenbeihilfe nach dem verstorbenen Opfer gemäß § 11 Abs. 7 OFG keine Folge. Im zweiterwähnten Bescheid wurde ausgesprochen, daß über die anderen noch offenen Anträge gesondert entschieden werden werde. Die Begründung für beide abweisenden Bescheide gingen dahin, daß das verstorbene Opfer den Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin weder zur Gänze noch zum überwiegenden Teil bestritten habe. Die Beschwerdeführerin beziehe seit vielen Jahren eine Witwenpension von der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, ferner eine Eigenpension. Sie erhalte zur Witwenpension eine Ausgleichszulage, welche so bemessen sei, daß der notwendige Lebensbedarf einer Person damit gedeckt werden könne. Das Opfer habe eine nicht sehr hohe eigene Alterspension bezogen. Aus dem Verhältnis der beiderseitigen Pensionsbezüge ergebe sich, daß die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 lit. b OFG nicht gegeben seien.

Gegen beide Bescheide erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Sie legte in ihren Rechtsmitteln dar, daß sie sehr wohl vom verstorbenen Opfer überwiegend erhalten worden sei.

Die belangte Behörde veranlaßte als Berufungsbehörde Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens.

Am erhob die Beschwerdeführerin zu den Zlen. 854, 984/79 Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, weil der Bundesminister über die beiden Berufungen trotz Ablaufes der im § 27 VwGG 1965 genannten Frist noch nicht entschieden habe. Der Verwaltungsgerichtshof setzte der belangten Behörde im Sinne des § 36 Abs. 2 VwGG 1965 eine Frist zur Nachholung der versäumten Entscheidungen. Mit dem - außerhalb der gesetzten Frist an die Beschwerdeführerin zugestellten - Bescheid vom gab die belangte Behörde beiden Berufungen der Beschwerdeführerin keine Folge. In der Begründung dieses Bescheides ging die belangte Behörde, abweichend von der Rechtsansicht der ersten Instanz, nicht auf die Frage der gänzlichen oder überwiegenden Bestreitung des Lebensunterhaltes der Beschwerdeführerin durch das verstorbene Opfer ein, sondern verneinte die Eigenschaft der Beschwerdeführerin als Lebensgefährtin des Opfers, wobei sie sich auf die Ermittlungsergebnisse der ersten Instanz und die im Berufungsverfahren hervorgekommenen weiteren Ermittlungsergebnisse berief. Da die Beschwerdeführerin nicht die Lebensgefährtin des Opfers gewesen sei, bestünde weder ein Anspruch auf Anerkennung als Hinterbliebene noch ein solcher auf Beihilfe nach § 11 Abs. 7 OFG. Mit Beschluß vom , Zlen. 854, 984/79-7, stellte der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren über die Säumnisbeschwerde wegen Klaglosstellung nach § 33 Abs. 1 VwGG 1965 ein. Gegen den Bescheid des Bundesministers vom erhob die Beschwerdeführerin zu Zl. 2013/79 Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Mit Erkenntnis vom , Zl. 2013/79-8, wurde der Bescheid des Bundesministers vom wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben. Das aufhebende Erkenntnis wurde der Beschwerdeführerin frühestens am zugestellt. Nunmehr stellte die Beschwerdeführerin den Antrag auf Wiederaufnahme des über ihre Säumnisbeschwerde eingestellten Verfahrens, welchem Antrag mit Beschluß vom , Zl. 221/80-3, stattgegeben wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat somit im Sinne des § 42 Abs. 5, zweiter Satz VwGG 1965 über die Säumnisbeschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst zu entscheiden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 3 lit. b des Opferfürsorgegesetzes 1947, BGBl. Nr. 183, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 613/1977, (OFG) gilt als Hinterbliebene im Sinne dieses Bundesgesetzes unter anderem die Lebensgefährtin nach einem im Absatz 1 lit. a bis c und im Absatz 2 lit. a genannten Opfer unter der Voraussetzung, daß das Opfer den Lebensunterhalt der genannten Person zur Gänze oder zum überwiegenden Teil bestritten hat. Nach dem letzten Satz dieses Absatzes gelten als Hinterbliebene nach Opfern ferner die in lit. a und b angeführten Personen, sofern das Opfer an einem Leiden gestorben ist, für das es bis zum Tod Anspruch auf Opferrente hatte.

Da der verstorbene FS offenkundig nicht unter § 1 Abs. 1 lit. a bis c oder Abs. 2 lit. a OFG fällt, ist die erste Voraussetzung für die Anerkennung der Beschwerdeführerin als Hinterbliebene, daß FS an einem Leiden gestorben ist, für das er bis zum Tod Anspruch auf Opferrente hatte. Mit dieser Frage hat sich weder die Behörde erster Instanz noch die belangte Behörde auseinandergesetzt.

Gemäß § 11 Abs. 7 OFG erhalten unter anderem Lebensgefährtinnen nach Inhabern einer Amtsbescheinigung bei Bedürftigkeit eine Beihilfe im Höchstausmaß der nach Absatz 5 gebührenden Unterhaltsrente. Die Beihilfe ist insoweit zu leisten, als das Einkommen der Lebensgefährtin das Ausmaß der Unterhaltsrente zuzüglich eines Betrages von zwei Dritteln der Hinterbliebenenrente nicht erreicht.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt - diesbezüglich in Übereinstimmung mit der belangten Behörde - die Rechtsansicht, daß, abgesehen von der oben erwähnten Frage der Voraussetzung nach § 1 Abs. 3 am Ende OFG, zunächst zu klären ist, ob die Beschwerdeführerin die Lebensgefährtin des verstorbenen Opfers war. § 11 Abs. 7 OFG spricht schlechthin von "Witwen, Lebensgefährtinnen und Waisen nach Inhabern einer Amtsbescheinigung", nicht aber von als Hinterbliebenen anerkannten Personen.

Die diesbezügliche unrichtige Rechtsansicht der Behörde erster Instanz veranlaßte diese, von der Frage der Klärung des Vorliegens einer Lebensgemeinschaft vollkommen abzusehen. Insbesondere wurde auf die zahlreichen, von der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom gestellten Beweisanträge nicht eingegangen. Schon dies ergibt eine solche Mangelhaftigkeit des erstinstanzlich festgestellten Sachverhaltes, daß die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor der Behörde erster Instanz unvermeidlich erscheint.

Der Verwaltungsgerichtshof weist in rechtlicher Hinsicht auf folgende Umstände hin, die bei der Ergänzung des erstinstanzlichen Verfahrens von Bedeutung sein können.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich auch seit dem - von der belangten Behörde zitierten - Erkenntnis vom , Slg. N.F. Nr. 4247/A, mit dem Begriff der Lebensgemeinschaft beschäftigt. Im Erkenntnis vom , Zlen. 2068, 2394/77, verwies der Verwaltungsgerichtshof auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wonach eine Lebensgemeinschaft das Zusammenleben "wie Mann und Frau" voraussetze, also einen Zustand, der für das Zusammenleben von Ehegatten typisch sei. Grundsätzlich werde hiebei Geschlechts-, Wohnungs- und Wirtschaftsgemeinschaft verlangt. Diese Merkmale müßten aber nicht in allen Fällen gleichzeitig vorliegen, wie auch das Fehlen des einen oder anderen Merkmales manchmal auch in einer Ehe vorkomme. Im Erkenntnis vom , Zl. 2542/79, führte der Verwaltungsgerichtshof aus, es sei nach der Rechtsprechung grundsätzlich auf das Vorliegen der oben genannten drei Tatbestandsmerkmale abzustellen. Daß für das Bestehen einer Lebensgemeinschaft über diese Tatbestandsmerkmale hinaus noch der Entschluß vorliegen müsse, sich nach außen wörtlich und formell zu einer Lebensgemeinschaft zu bekennen, werde aber von der Rechtsprechung nicht gefordert. Es könne daher eine Lebensgemeinschaft im oben genannten Sinn auch dann vorliegen, wenn Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft zwar vorliegt, der Gebrauch des Wortes "Lebensgemeinschaft" nach außen von den daran beteiligten Personen aber ausdrücklich vermieden oder verneint wird. Es entspreche nämlich gerade dem Wesen einer Lebensgemeinschaft als faktischem, nicht rechtlichem Verhältnis, daß es auf Willenserklärungen der Partei nach außen, gerichtet auf die Bejahung oder Verneinung des Verhältnisses als solchem - also abgesehen von seinen Tatbestandsmerkmalen - nicht ankomme. Allerdings werde für das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft außer der Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft, die im allgemeinen nach äußerlich erkennbaren Sachverhaltsmerkmalen beurteilt werden könne, noch eine gewisse Einstellung der Beteiligten zueinander vorliegen müssen, die mit den Worten "gegenseitiger Beistand" umschrieben werden könne. So habe der Verwaltungsgerichtshof in dem oben zitierten Erkenntnis Slg. N.F. Nr. 4247/A, ausgeführt, landläufig gehöre zum Wesen einer tatsächlichen Verbindung solcher Art unter anderem, daß die Partner einander im Kampfe gegen alle Not des Lebens beistehen und darum einander an den zur Bestreitung des Unterhaltes verfügbaren Gütern teilhaben lassen. In demselben Erkenntnis wies der Verwaltungsgerichtshof auf Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes des Inhaltes hin, daß sich eine häusliche Gemeinschaft aus einer Wohnungs-, Wirtschafts- und geistigen Gemeinschaft zusammensetzte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich aber auch, vornehmlich in Angelegenheiten der Begünstigung nach §§ 500 ff ASVG, mit der nur relativen Bedeutung von Meldedaten für die Beurteilung der Frage, ob eine Person da oder dort gewohnt habe, beschäftigt. So führte er im Erkenntnis vom , Zl. 2102/77, aus, einer polizeilichen An- oder Abmeldung allein könne in der Frage des Wohnsitzes wenig Beweiswert zukommen, wie der Oberste Gerichtshof in seinen Entscheidungen vom , GlUNF Nr. 6364, und vom , JBl. 1965, Seite 41, ausgeführt habe, und welcher Ansicht der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zlen. 1577, 1578/77, geteilt habe. Der Verwaltungsgerichtshof weist deshalb auf diese Rechtsansicht hin, weil sich die belangte Behörde in ihren Feststellungen vornehmlich auf Meldedaten, Eintragungen in Hauslisten und ähnliches stützte, von der Aufnahme der zahlreich angebotenen Personalbeweise aber Abstand nahm.

Die Behörde erster Instanz wird daher hinsichtlich des Anspruches auf Anerkennung der Beschwerdeführerin als Hinterbliebene zunächst die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 am Ende OFG, sodann die Eigenschaft der Beschwerdeführerin als Lebensgefährtin des verstorbenen Opfers zu prüfen haben. Hinsichtlich des Anspruches auf Beihilfe nach § 11 Abs. 7 OFG wird die Eigenschaft als Lebensgefährtin und die erforderliche Bedürftigkeit im Sinne dieser Gesetzesstelle zu prüfen sein. Nach dem in § 39 Abs. 2 am Ende AVG 1950 niedergelegten Grundsätzen der möglichsten Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis wird die Frage der Eigenschaft als Lebensgefährtin als Voraussetzung beider Ansprüche unter einem zu prüfen sein.

Aus den dargelegten Gründen war hinsichtlich beider angefochtenen Bescheide des Landeshauptmannes gemäß § 66 Abs. 2 AVG 1950 vorzugehen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 55 Abs. 1, erster Satz, 47 Abs. 2 lit. a, 48 Abs. 1 lit. b VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 542.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AVG §66 Abs2;
OFG §11 Abs5 litc;
VwRallg impl;
VwRallg;
Schlagworte
Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1980:1980000241.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
UAAAF-52499