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VwGH 05.07.1973, 0144/73

VwGH 05.07.1973, 0144/73

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Norm
RS 1
Die Begriffe "Rechtsanspruch" und "rechtliches Interesse" im § 8 AVG gewinnen erst durch die jeweils zur Anwendung kommende Verwaltungsvorschrift einen konkreten Inhalt, wonach allein die Frage der Parteistellung beantwortet werden kann.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 0933/66 E VwSlg 7507 A/1969 RS 1
Norm
RS 2
Auf zivilrechtliche Normen gestützte negative Rechtsansprüche, dh Ansprüche auf Unterlassung bestimmter Verwaltungsakte, können für die Parteistellung nach § 8 AVG 1950 nur dann maßgebend sein, wenn aus den Verwaltungsvorschriften nicht das Gegenteil zu entnehmen ist (Hinweis E , A 665/29, VwSlg 16146 A/1930).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 1625/70 E VwSlg 8031 A/1971 RS 2
Normen
RS 3
Der Kreis der Beteiligten ist weiter als jener der Parteien, da jede Partei Beteiligte, aber nicht jeder Beteiligte Partei des Verwaltungsverfahrens sein muss (Hinweis E , 885/69).
Normen
RS 4
Für die Rechtmäßigkeit der Verwehrung der Akteneinsicht ist es maßgebend, ob der die Akteneinsicht begehrenden Person in dem betreffenden abgeschlossenen Verfahren Parteistellung zugekommen wäre (Hinweis E , 0192/54, VwSlg 4421 A/1957).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 0511/72 E RS 2
Normen
RS 5
Da den Parteien des Verfahrens das Recht auf Akteneinsicht iSd § 17 Abs 1 AVG schon dann zusteht, wenn deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung der RECHTLICHEN INTERESSEN erforderlich ist, so ist dieses Recht umsomehr gegeben, wenn darüber hinaus die Kenntnis der Akten zur Geltendmachung oder Verteidiung eines RECHTSANSPRUCHES einer Partei notwendig erscheint. Die Bestimmung des § 17 Abs 1 AVG ist nur so zu verstehen, daß den Parteien des Verfahrens ein Recht auf uneingeschränkte Akteneinsicht nicht zukommt und Akteneinsicht nur soweit zu gestatten ist, als deren Kenntnis - ZUMINDEST - zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist.
Normen
RS 6
§ 82 StPO und § 219 ZPO enthalten nicht die gleich Regelung wie § 17 Abs 1 AVG.

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dkfm. Dr. Porias und die Hofräte DDr. Dolp, Dr. Schmelz, Dr. Rath und Dr. Jurasek als Richter, im Beisein des Schriftführers Ministerialoberkommissär Dr. Gancz, über die Beschwerde der NN Versicherungs AG in I, vertreten durch Walter Wohlrab, Rechtsanwalt in Kufstein, Pirmoserstraße 7, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. IIb-1035/1-1972, betreffend Akteneinsicht, zu Recht erkannt.

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Bundesland Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am gegen 16 Uhr erlitt Alois F., der Lenker eines VW-Kombi, im Ortsgebiet von Brixen im Thale einen Verkehrsunfall. Im Zusammenhang damit wurde gegen den Genannten bei der Bezirkshauptmannschaft Kufstein ein Verwaltungsstrafverfahren wegen der Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO 1960 eingeleitet. Nach rechtskräftigem Abschluß dieses Verfahrens beantragte die beschwerdeführende Versicherungsgesellschaft in einer am bei der vorgenannten Behörde eingelangten Eingabe mit der Begründung Akteneinsicht in diesen Verwaltungsstrafakt gegen Alois F., daß letzterer bei ihr haftpflichtversichert gewesen sei und die beschwerdeführende Partei an die durch den Unfall Geschädigten Schadenersatzleistungen habe erbringen müssen. Für den Fall, daß Alois F. wegen der Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO 1960 schuldig erkannt worden sei, stehe der beschwerdeführenden Partei gemäß

Artikel 6 der Verordnung des Bundesministeriums für Finanzen vom über die Festsetzung von Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (AKHB 1967), BGBl. Nr. 401, ein Regreßrecht bis zu dem Betrag von S 30.000,-- zu. Da die beschwerdeführende Versicherungsgesellschaft beabsichtige, von diesem Regreßrecht Gebrauch zu machen, besitze sie ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom wurde dieser Antrag auf Akteneinsicht abgewiesen. Nach der Begründung dieses Bescheides sei die Frage - ob die Behörde demjenigen, der berechtigt sei, im gerichtlichen Wege den Ersatz des Schadens zu verlangen, der ihm durch eine als Verwaltungsübertretung bestrafte Tat zugefügt worden sei, Einsicht in die Akten über die Bestrafung wegen dieser Verwaltungsübertretung zu gestatten habe, obwohl dem Antragsteller im Verwaltungsstrafverfahren weder die Stellung eines Privatanklägers noch eines Privatbeteiligten zugekommen sei - zu verneinen. Hierfür sei die Erwägung maßgebend, daß dem Antragsteller ein Rechtsanspruch oder ein rechtliches Interesse, aus dem sich die Parteistellung in bezug auf die Akteneinsicht ableiten lasse, nicht zukomme. Es liege nur ein Interesse an einer Information für einen allfälligen Zivilprozeß vor. Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei Berufung. Mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom wurde dieser Berufung keine Folge gegeben. In der Begründung dieses Bescheides verwies die Berufungsbehörde auf § 17 Abs. 1 AVG 1950, wonach die Behörde, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, den Parteien die Einsicht und die Abschriftnahme der Akten oder Aktenteile zu gestatten habe, deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich sei. Parteien im Verwaltungsstrafverfahren seien kraft Gesetzes der Beschädigte (§ 32 Abs. 1 VStG 1950), der Privatankläger (§56 Abs. 2 VStG 1950) und der Privatbeteiligte (§ 57 Abs. 1 VStG 1950), im konkreten Verwaltungsstrafverfahren somit lediglich der Beschuldigte Alois F. Dem Versicherer räume weder das Verwaltungsstrafgesetz 1950 noch auch die übertretene Verwaltungsvorschrift Parteistellung ein. Des weiteren finde sich auch in den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960 keine Regelung, die den Personenkreis, dem gemäß § 17 AVG 1950 Akteneinsicht zustehe, erweitern würde. Da somit der beschwerdeführenden Partei in dem im übrigen rechtskräftig

abgeschlossenen Verwaltungsstrafverfahren Parteistellung

abgeschlossenen Verwaltungsstrafverfahren Parteistellung nicht zugekommen sei, sei ihr zu Recht die begehrte Akteneinsicht verweigert worden. Soweit die Berufung vermeine, die Begriffe "Partei" und "rechtliches Interesse" des § 17 Abs. 1 AVG 1950 müsse in einem weiteren Umfang verstanden werden, insbesondere seien die beiden Begriffe nicht bloß auf jenes Verfahren zu beziehen, in welches Akteneinsicht begehrt werde, sondern es genüge vollauf, wenn dem Einsichtswerber in einem in einer anderen Angelegenheit eingeleiteten oder erst einzuleitenden Verfahren Parteistellung zukomme und zur Geltendmachung seiner rechtlichen Interessen in diesem Verfahren die Akteneinsicht in das erste Verfahren erforderlich sei, so müsse auf den Schlußsatz der von der Beschwerdeführerin zitierten Anmerkung 1) zu § 17 AVG 1950 in Mannlicher "Das Verwaltungsverfahren" hingewiesen werden, in dem klar zum Ausdruck gebracht werde, daß diese zugunsten der Rechtsuchenden mögliche Auslegung in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Billigung gefunden habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes geltend gemacht wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß der Vorschrift des § 17 Abs. 1 AVG 1950, die nach § 24 VStG 1950 auch im Verwaltungsstrafverfahren gilt, hat die Behörde, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, den Parteien die Einsicht und Abschriftnahme der Aktenteile zu gestatten, deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die sich auf den klaren Wortlaut der genannten Gesetzesstelle stützt, ist Voraussetzung für die Gestattung der Akteneinsicht, daß der die Akteneinsicht begehrenden Person in dem betreffenden abgeschlossenen Verfahren Parteistellung zugekommen ist (vgl. dazu z.B. die Erkenntnisse vom , Slg. N.F. 4421/A, vom , Slg. N.F. 5649/A, vom , Zl. 404/67, und vom , Zl. 511/72). Ob einer Person in einem bestimmten Verfahren Parteistellung zukommt, regelt grundsätzlich die - ebenfalls gemäß § 24 VStG 1950 im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendende - Bestimmung des § 8 AVG 1950 im Zusammenhang mit den jeweils zur Anwendung kommenden Verwaltungsvorschriften (vgl. dazu die Erkenntnisse vom , Slg. N.F. 5258, und vom , Slg. N.F. 7507/A). Gemäß § 8 AVG 1950 sind Personen, die eine Tätigkeit der Behörde bezieht, Beteiligte und, insoweit sie an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses beteiligt sind, Parteien. Da demnach jede Partei Beteiligte aber nicht jeder Beteiligte Partei des Verwaltungsverfahrens sein muß, ist der Kreis der Beteiligten weiter als jener Parteien (vgl. dazu das Erkenntnis vom , Zl. 885/69).

Im vorliegenden Fall ist aber die beschwerdeführende Partei in dem gegen Alois F. geführten Verwaltungsstrafverfahren nicht einmal Beteiligte gewesen, weil sie weder die Tätigkeit der Behörde in Anspruch genommen noch sich die Tätigkeit der Behörde auf sich bezogen hat. Ist aber die beschwerdeführende Partei in dem gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren nicht einmal beteiligt gewesen, dann kann sie - da auch die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen - nicht Partei sein und es steht ihr daher mangels Parteistellung in diesem abgeführten Verwaltungsstrafverfahren ein Recht auf Akteneinsicht nicht zu.

Gegen diese Auslegung wird in der Beschwerde zunächst eingewendet, daß der beschwerdeführenden Partei deshalb Parteistellung in dem gegen Alois F. geführten Verwaltungsstrafverfahren ein Recht auf Akteneinsicht nicht zu.

Gegen diese Auslegung wird in der Beschwerde zunächst eingewendet, daß der beschwerdeführenden Partei deshalb Parteistellung in dem gegen Alois F. geführten Verwaltungsstrafverfahren und daher auch ein Anspruch auf Akteneinsicht zukomme, weil sie an der Sache vermöge eines rechtlichen Interesses beteiligt sei, welches sich daraus ergebe, daß ihr im Falle der Bestrafung des Alois F. wegen der Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 1 StVO 1960 ein Regreßrecht gegen diesen gemäß Art. 6 AHB zustehe. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom , Slg.N.F. 2903/A, und vom , Slg. N.F. 8031/A), würde wohl der Umstand, daß das behauptete rechtliche Interesse seinen Ursprung in Verhältnissen des Privatrechtes und nicht im öffentlichen Recht habe, an sich die Parteistellung im Verwaltungsverfahren nicht ausschließen, weil auch im Privatrecht begründete Interessen rechtliche Interessen sein können und daher bei Anwendung des § 8 AVG 1950 in Betracht zu ziehen sind. Entscheidend für die Parteistellung im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung ist jedoch nach der Rechtsprechung, daß die Sachentscheidung in die Rechtssphäre des Betreffenden überhaupt bestimmend eingreift und weiters, daß darin eine unmittelbare, nicht bloß abgeleitete und mittelbare Wirkung zum Ausdruck kommt. Nun ging es in dem gegen Alois F. wegen der Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 1 StVO 1960 durchgeführten Verwaltungsstrafverfahren nur um die Frage, ob der Genannte diese Verwaltungsübertretung begangen hat und bejahendenfalls, welche Strafe über ihn zu verhängen sei. Es wurde aber damit nicht entschieden, ob der beschwerdeführenden Partei ein Regreßrecht gegen Alois F. zusteht, vielmehr ist ein verurteilendes Straferkenntnis lediglich eine - und nicht die einzige - Voraussetzung für die Zuerkennung eines Regreßrechtes. Da das gegen Alois F. durchgeführte Verwaltungsstrafverfahren jedenfalls nicht unmittelbar in die Rechtssphäre der beschwerdeführenden Partei bestimmend eingegriffen hat, sondern das Verwaltungsstrafverfahren auf diese nur eine mittelbare Wirkung ausüben konnte, vermag auch das der beschwerdeführenden Versicherungsgesellschaft allenfalls zustehende Regreßrecht eine Parteistellung in dem Verfahren gegen Alois F. nicht zu begründen.

Der Verwaltungsgerichtshof kann sich auch nicht der Auslegung der beschwerdeführenden Partei anschließen, daß ein Recht schon dann bestehe, wenn die die Akteneinsicht begehrende Person in einem anderen Verfahren Partei sei und die Geltendmachung oder Verteidigung ihrer Interessen in diesem anderen Verfahren die Kenntnis der Akten erfordere. Denn eine derartige Regelung ist im § 17 Abs. 1 AVG 1950 nicht zum Ausdruck gebracht worden. Wie bereits oben ausgeführt hat daher auch der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, daß Akteneinsicht nur den Parteien dieses Verfahrens - und nicht etwa den Parteien eines anderen Verfahrens - zusteht (vgl. dazu die Erkenntnisse vom , Slg. N.F. 4421/A, vom , Slg. N.F. 5649/A, und vom , Zl. 511/72).

In der Beschwerde wird weiters die Ansicht vertreten, daß der Parteibegriff des § 17 Abs. 1 und jener des § 8 AVG 1950 nicht derselbe sei. Da im § 17 Abs. 1 AVG 1950 den Parteien nur zur Durchsetzung ihrer rechtlichen Interessen Akteneinsicht zu gewähren sei, käme man nach Ansicht der beschwerdeführenden Versicherungsgesellschaft bei Gleichsetzung der in den beiden Gesetzesstellen gebrauchten Parteibegriffe zu dem der Absicht des Gesetzgebers zweifellos widersprechenden Ergebnis, daß eine Partei kraft Rechtsanspruches von der Akteneinsicht ausgeschlossen wäre, während einer Partei, die an der Sache nur vermöge eines rechtlichen Interesses beteiligt ist, ein Anspruch auf Akteneinsicht zukäme. Der beschwerdeführenden Partei ist aber entgegenzuhalten, daß die Bestimmung des § 17 Abs. 1 AVG 1950 nur so zu verstehen ist, daß den Parteien des Verfahrens ein Recht auf uneingeschränkte Akteneinsicht nicht zukommt und Akteneinsicht nur soweit zu gestatten ist, als deren Kenntnis - zumindest - zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Da schon den Parteien ein Recht auf Akteneinsicht zusteht, wenn deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung der rechtlichen Interessen erforderlich ist, so ist dieses Recht umsomehr gegeben, wenn darüber hinaus die Kenntnis der Akten zur Geltendmachung oder Verteidigung eines Rechtsanspruches einer Partei notwendig ist.

Schließlich ist auch der Hinweis der beschwerdeführenden Partei auf die in der Strafprozeßordnung und in der Zivilprozeßordnung hinsichtlich der Akteneinsicht enthaltenen Bestimmungen nicht maßgebend, weil in diesen Gesetzen, wie sich schon aus dem Wortlaut des § 82 StPO und des § 219 ZPO ergibt, nicht die gleiche Regelung getroffen werden sollte.

Die Beschwerde war daher als unbegründet gemäß § 42 Abs. 1 VwGG 1965 abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 57 ff VwGG 1965 im Zusammenhang mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 427.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
Sammlungsnummer
VwSlg 8444 A/1973
Schlagworte
Parteibegriff Parteistellung strittige Rechtsnachfolger Zustellung
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1973:1973000144.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
OAAAF-52355