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VwGH 06.09.2012, 2012/18/0056

VwGH 06.09.2012, 2012/18/0056

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Norm
VwGG §46 Abs1;
RS 1
Unterläuft einem Angestellten, dessen Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan wird, erst nach der Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach der Kontrolle desselben durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung und Postaufgabe ein Fehler, so stellt dies ein unvorhergesehenes Ereignis dar. Die Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulativen Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen (Hinweis E , 2001/03/0378).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2004/17/0242 B RS 1
Normen
AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §46 Abs1;
RS 2
Bei fristgebundenen Eingaben kommt der richtigen Adressierung des Schriftstückes eine zentrale Bedeutung zu. Bei der Kontrolle eines solchen Schriftsatzes und seiner Unterfertigung durch den Rechtsvertreter ist daher eine besondere Sorgfalt geboten (Hinweis E , 2007/06/0330).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2009/18/0527 B RS 3
Normen
ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §46 Abs1;
RS 3
Unterferigt ein berufsmäßiger Parteienvertreter einen Schriftsatz, ohne ihn zu lesen, ist dies nicht als minderer Grad des Versehens zu qualifizieren (Hinweis E , 99/06/0132). Einem solchen Verhalten ist eine Vorgangsweise gleichzuhalten, bei der ein berufsmäßiger Parteienvertreter die Ergänzung bzw. Vervollständigung eines von ihm diktierten und bereits kontrollierten, fristgebundenen Schriftsatzes einer Kanzleiangestellten überlässt und ihn sodann ohne eine diesbezügliche Kontrolle unterfertigt, zumal gerade bei Verwendung eines EDV-Systems durch Kanzleikräfte für die Vorbereitung oder Vervollständigung solcher Schriftsätze Fehlbedienungen von Kanzleiangestellten nicht ausgeschlossen sind (Hinweis B , 2008/07/0085).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2009/18/0527 B RS 4

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über 1.) den Antrag des T K in M, vertreten durch Mag. Klaus Philipp, Rechtsanwalt in 7210 Mattersburg, Brunnenplatz 5c, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zlen. UVS-FRG/4/11583/2010-17, UVS-FRG/V/4/7875/2011, betreffend Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (protokolliert zur hg. Zl. 2012/18/0079 WE), sowie 2.) die mit diesem Antrag verbundene Beschwerde derselben Partei gegen den genannten Bescheid (protokolliert zur hg. Zl. 2012/18/0056) (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), den Beschluss gefasst:

Spruch

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

II. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid vom verhängte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien im Instanzenzug gegen den Antragsteller gemäß § 67 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, idF des FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38, ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Am langte beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien eine an ihn adressierte und am zur Post gegebene Bescheidbeschwerde des zu diesem Zeitpunkt durch Rechtsanwältin Frau Mag. Rudel vertretenen Antragstellers ein, welche der Unabhängige Verwaltungssenat Wien mit Schreiben vom "zuständigkeitshalber" an den Verwaltungsgerichtshof weiterleitete. Der Beschwerdeschriftsatz, in dem angegeben wird, dass der Bescheid vom "am zugestellt" worden sei, langte am beim Verwaltungsgerichtshof ein.

2. Über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofs vom zur Bekanntgabe des korrekten Zustelldatums des angefochtenen Bescheides sowie zur Stellungnahme dazu, dass die Beschwerde - ausgehend vom vermuteten Zustelldatum des  - nach der Aktenlage als verspätet anzusehen wäre, bestätigte der Antragsteller mit am zur Post gegebenen Schriftsatz den als Zustelldatum des angefochtenen Bescheides und beantragte die Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist. Seine (damalige) Rechtsvertreterin habe erst auf Grund der Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom , die der Rechtsvertreterin am zugestellt worden sei, davon Kenntnis erlangt, dass die an den Verwaltungsgerichtshof zu richtende Beschwerde vom (zur Post gegeben am ) irrtümlich an die genannte Verwaltungsbehörde adressiert worden sei und im Hinblick darauf die sechswöchige Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Berufungsbescheid vom verstrichen sei. Seine (damalige) Rechtsvertreterin habe den Beschwerdeschriftsatz rechtzeitig vor Ablauf der sechswöchigen Beschwerdefrist selbst geschrieben und dabei übersehen, dass im Anwaltsprogramm "Advokat" bei Anlage des Aktes irrtümlich der Unabhängige Verwaltungssenat Wien als zuständige Behörde angelegt worden sei, weshalb bei automationsunterstützter Erstellung des Schriftsatzes diese Behörde als Adressat ausgeworfen worden sei. Die Beschwerde sei hingegen richtig an den Verwaltungsgerichtshof gerichtet worden, jedoch sei irrtümlich die Adresse falsch bezeichnet worden, weswegen die an den Verwaltungsgerichtshof gerichtete und innerhalb offener Frist abgefertigte Beschwerde dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien übermittelt worden sei. Auch auf dem (in Kopie beigelegten) Aufgabeschein sei als Empfänger der Verwaltungsgerichtshof, abgekürzt mit "VWGH" angeführt. Es sei sohin aufgrund einer Unachtsamkeit in Folge der irrtümlich fälschlich eingegebenen zuständigen Behörde in den Stammdaten des elektronischen Aktes die Berufungsbehörde erfasst worden, weshalb die Beschwerde an diese übermittelt worden sei. Es handle sich um einen minderen Grad des Versehens, welcher sowohl einer sorgfältigen Sekretariatsmitarbeiterin als auch einem berufsmäßigen Parteienvertreter unterlaufen könne. Der Antragsteller sei daher durch ein unvorhersehbares Ereignis daran gehindert gewesen, die sechswöchige Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den obgenannten Berufungsbescheid einzuhalten.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist

1. Anzumerken ist zunächst, dass entgegen dem Vorbringen des Antragstellers die gegenständliche Beschwerde deutlich sichtbar auf der ersten Seite des ebendort von der damaligen Rechtsvertreterin unterfertigten Schriftsatzes nicht den Verwaltungsgerichtshof, sondern " Unabhängiger Verwaltungssenat für Wien" als Empfänger bezeichnet und auch an diesen adressiert ("Muthgasse 62, 1190 Wien") wurde. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass auf der zweiten Seite des Schriftsatzes die "Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof" gerichtet ist. Hierdurch unterscheidet sich der vorliegende Fall von jenen, in denen zwar der Verwaltungsgerichtshof als Adressat richtig benannt, dann jedoch durch eine Mitarbeiterin des Beschwerdevertreters die postalische Adresse falsch angeführt wurde (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. 2009/13/0166).

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach ständiger hg. Judikatur ist das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen innerhalb jenes Rahmens zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers gesteckt wird. Das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung ist dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes demjenigen der Partei oder des Rechtsanwaltes nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden darf. Das Versehen eines solchen Kanzleibediensteten ist dann ein Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Bediensteten nachgekommen ist. Unterläuft einem Angestellten, dessen Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan wird, erst nach der Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach der Kontrolle desselben durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung und Postaufgabe ein Fehler, so stellt dies ein unvorhergesehenes Ereignis dar. Die Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulativen Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen. Der Verwaltungsgerichtshof geht jedoch in ständiger Rechtsprechung auch davon aus, dass der Rechtsanwalt nur rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken ohne nähere Beaufsichtigung einer verlässlichen Kanzleikraft überlassen darf, ohne die gebotene Sorgfaltspflicht (Überwachungspflicht) zu verletzen. Hingegen ist für den Inhalt der von ihm unterfertigten Schriftsätze der Vertreter verantwortlich (vgl. den Beschluss vom , Zl. 2004/17/0242, mwN).

2. Dem Antragsvorbringen zufolge hat die damalige Rechtsvertreterin des Antragstellers den Beschwerdeschriftsatz rechtzeitig vor Ablauf der sechswöchigen Beschwerdefrist selbst geschrieben und dabei übersehen, dass im Anwaltsprogramm "Advokat" bei Anlage des Aktes irrtümlich der Unabhängige Verwaltungssenat Wien als zuständige Behörde eingetragen worden sei, weshalb bei automationsunterstützter Erstellung des Schriftsatzes diese Behörde als Adressat ausgeworfen worden sei.

Aus diesem Antragsvorbringen geht somit hervor, dass die Rechtsvertreterin einen fristgebundenen und zum Teil durch das EDV-Programm automatisch erstellten Schriftsatz unterfertigte, ohne diesen in Bezug auf den dort angeführten Empfänger zu kontrollieren. Die Überwachung der Erstellung eines Adressteils durch ein EDV-Programm unterliegt dabei seiner Kontrolle wie die Erstellung eines Adressteils durch einen verlässlichen Kanzleimitarbeiter. Gerade bei fristgebundenen Eingaben kommt der richtigen Adressierung des Schriftstückes eine zentrale Bedeutung zu. Bei der Kontrolle eines solchen Schriftsatzes und seiner Unterfertigung durch den Rechtsvertreter ist daher eine besondere Sorgfalt geboten (vgl. in diesem Zusammenhang etwa den hg. Beschluss vom , Zl. 2009/18/0527, mwH).

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgeführt, dass etwa dann, wenn ein berufsmäßiger Parteienvertreter einen Schriftsatz unterfertigt, ohne ihn zu lesen, dies nicht als minderer Grad des Versehens zu qualifizieren ist. Einem solchen Verhalten ist eine Vorgangsweise gleichzuhalten, bei der ein berufsmäßiger Parteienvertreter die Ergänzung bzw. Vervollständigung eines von ihm diktierten und bereits kontrollierten, fristgebundenen Schriftsatzes einer Kanzleiangestellten überlässt und ihn sodann ohne eine diesbezügliche Kontrolle unterfertigt, zumal gerade bei Verwendung eines EDV-Systems durch Kanzleikräfte für die Vorbereitung oder Vervollständigung solcher Schriftsätze Fehlbedienungen von Kanzleiangestellten nicht ausgeschlossen sind (vgl. dazu den angeführten hg. Beschluss vom ).

Indem die damalige Rechtsvertreterin des Antragstellers die in Frage stehende Beschwerde unterfertigte, ohne sie hinsichtlich der als Adressat genannten Behörde, die vom EDV-System nach entsprechender Eingabe automatisch hinzugefügt worden war, zu kontrollieren, ist sie der dargelegten gebotenen Überwachungspflicht nicht nachgekommen, sodass ihr, und damit dem Beschwerdeführer, ein Verschulden an der Fristversäumung anzulasten ist, das den Grad eines bloßen Versehens im Sinn des § 46 Abs. 1 VwGG übersteigt.

3. Dem Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnte daher nicht stattgegeben werden.

Zur Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid

1. Wird ein Antrag nicht bei der dafür zuständigen Behörde eingebracht, hat diese gemäß § 6 Abs. 1 AVG den Antrag ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu weisen. In diesem Fall wird der Fristenlauf weder gehemmt noch unterbrochen, sodass ein bei der unzuständigen Stelle eingebrachtes fristgebundenes Anbringen nur dann nicht verspätet ist, wenn das Schriftstück noch innerhalb der Frist bei der zuständigen Behörde einlangt (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 6 Rz 11 mwN).

2. Die unstrittig nach Ablauf der Beschwerdefrist () beim Verwaltungsgerichtshof (am ) eingelangte Beschwerde war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Beschwerdefrist des § 26 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1 impl;
VwGG §46 Abs1;
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2012:2012180056.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
VAAAF-51910

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