VwGH 30.11.2011, 2011/04/0070
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | |
RS 1 | Es kann dahingestellt bleiben, ob die Wirtschaftskammerwahl 2010 in den Anwendungsbereich des Art. 141 B-VG fällt, weil eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Entscheidung über Säumnisbeschwerden nicht vorgesehen ist und die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Entscheidung über eine Säumnisbeschwerde daher auch dann nicht durch Art. 133 Z. 1 B-VG ausgeschlossen ist, wenn es sich um eine Wahl handelt, bezüglich derer die Überprüfung von Bescheiden nach Art. 141 B-VG dem Verfassungsgerichtshof vorbehalten ist (vgl. sinngemäß das E eines verstärkten Senates vom , 96/01/0258, unter Hinweis auf das E des Verfassungsgerichtshofes vom , K I- 3/95, VfSlg. 14.555). |
Normen | |
RS 2 | Die Auffassung der Behörde, eine Verletzung der Entscheidungspflicht liege nicht vor, weil sie gemäß § 38 AVG zur Aussetzung des Verfahrens (gemeint: auch schon vor Erhebung der Säumnisbeschwerden) berechtigt gewesen wäre, wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt (dem B vom , Zlen. 671, 672/48, lag ein nicht vergleichbarer Fall zugrunde, in welchem eine gesetzliche Verpflichtung zur Verfahrensunterbrechung bestand und der Entscheidung daher ein gesetzliches Hindernis entgegenstand). Vielmehr ist für die Säumnis und die Zulässigkeit der Beschwerde gemäß Art. 132 B-VG der hier unstrittige Umstand entscheidend, dass über die Beschwerden gemäß § 98 Abs. 4 WKG 1998 nicht innerhalb der Frist des § 27 VwGG entschieden wurde, wobei es (im Unterschied zur Bestimmung des § 73 Abs. 2 AVG und im Unterschied zur Kostenersatzpflicht gemäß § 55 VwGG) nicht auf eine schuldhafte Verzögerung der Behörde ankommt (Hinweis B vom , 2008/07/0217). Selbst wenn im gegenständlichen Verfahren das AVG und damit auch dessen § 73 nicht anwendbar wären, änderte dies nichts an der Entscheidungspflicht der belangten Behörde (Hinweis E vom , 2007/06/0149, oder das E des Verfassungsgerichtshofes vom , B 533/99, u.a.). |
Normen | AVG §38; VwGG §36 Abs2 idF 2004/I/089; |
RS 3 | Unter dem Begriff "den Bescheid" in § 36 Abs. 2 erster Satz VwGG bzw. "der Bescheid" in § 36 Abs. 2 letzter Satz VwGG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 88/1997 ist jeder Bescheid zu verstehen, der die geltend gemachte Säumnis der belangten Behörde beendet, ohne dass es nach der Novellenfassung darauf ankommt, ob der Bescheid vor oder nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof erlassen wurde. Nach der Rechtsprechung beendet auch ein Aussetzungsbescheid nach § 38 AVG die Entscheidungspflicht der Behörde (vgl. die hg. Beschlüsse je vom , Zlen. 2005/16/152 und 2005/16/0158, m.w.N.). Wird ein Aussetzungsbescheid wie hier während des Säumnisbeschwerdeverfahrens erlassen, dann bedeutet dies nach der Novellenfassung des § 36 Abs. 2 letzter Satz VwGG einen Einstellungsfall nach dieser Gesetzesstelle (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. 2007/12/0176). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie 2008/05/0097 B RS 3
(hier: ohne den ersten Satz) |
Normen | |
RS 4 | Mit dem Vorbringen der belangten Behörde, eine schuldhafte Verzögerung der Entscheidungspflicht sei ihr nicht vorzuwerfen, weil sie (gemeint: auch schon vor Erhebung der Säumnisbeschwerden) berechtigt gewesen wäre, die Verfahren gemäß § 38 AVG auszusetzen, wird § 55 Abs. 2 Z. 1 VwGG angesprochen. Die gesetzlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung sind aber schon deshalb nicht erfüllt, weil nicht dargetan wird, dass der genannte Umstand der bf Partei vor Einbringung der Säumnisbeschwerden bekanntgegeben wurde (Hinweis B 2008/07/0217, und die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, zu § 55 VwGG referierte hg. Rechtsprechung). |
Entscheidungstext
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2011/04/0071
2011/04/0072
2011/04/0073
2011/04/0074
2011/04/0109
2011/04/0076
2011/04/0077
2011/04/0107
2011/04/0108
2011/04/0075
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Grünstäudl und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Dr. Greisberger, in den Beschwerdesachen der beschwerdeführenden Partei X, vertreten durch den Zustellungsbevollmächtigten Mag. Dr. A in B, dieser vertreten durch Dr. Witt & Partner Rechtsanwälte, in 1040 Wien, Argentinierstraße 20A/2A, gegen den Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend, jeweils wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit des Wirtschaftskammergesetzes 1998, den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Verfahren werden eingestellt.
Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei in jedem der genannten Verfahren Aufwendungen in der Höhe von EUR 773,20 (insgesamt somit in Höhe von EUR 8.505,20) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Begehren der belangten Behörde auf Zuerkennung von Kostenersatz wird abgewiesen.
Begründung
Mit im Wesentlichen gleichlautenden, zu den genannten hg. Zlen. protokollierten Schriftsätzen vom hat die beschwerdeführende Partei beim Verwaltungsgerichtshof Säumnisbeschwerden gemäß Art. 132 B-VG eingebracht, weil über ihre am 14. und eingebrachten Beschwerden gemäß § 98 Abs. 4 Wirtschaftskammergesetz 1998 gegen näher bezeichnete Bescheide der Hauptwahlkommission der Wirtschaftskammer Wien (betreffend das Wahlergebnis der Wirtschaftskammerwahl 2010 in Wien hinsichtlich einer jeweils bezeichneten Fachorganisation) seitens der belangten Behörde nicht innerhalb der Frist des § 27 VwGG entschieden worden sei.
Innerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 36 Abs. 2 VwGG gesetzten Frist hat die belangte Behörde mit Schreiben vom Bescheide vom 5. und (samt Zustellnachweis) vorgelegt, mit denen sie die genannten Verwaltungsverfahren bis zum Abschluss eines bei der Staatsanwaltschaft Wien anhängigen Verfahrens im Sinne des § 38 AVG ausgesetzt hat.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass aus Anlass des vorliegenden Falles dahingestellt bleiben kann, ob die verfahrensgegenständliche Wahl in den Anwendungsbereich des Art. 141 B-VG fällt, weil eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Entscheidung über Säumnisbeschwerden nicht vorgesehen ist und die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Entscheidung über eine Säumnisbeschwerde daher auch dann nicht durch Art. 133 Z. 1 B-VG ausgeschlossen ist, wenn es sich um eine Wahl handelt, bezüglich derer die Überprüfung von Bescheiden nach Art. 141 B-VG dem Verfassungsgerichtshof vorbehalten ist (vgl. sinngemäß das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Zl. 96/01/0258, unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , K I-3/95, VfSlg. 14.555).
Die Auffassung der belangten Behörde im Schreiben vom , eine Verletzung der Entscheidungspflicht liege nicht vor, weil sie gemäß § 38 AVG zur Aussetzung des Verfahrens (gemeint: auch schon vor Erhebung der Säumnisbeschwerden) berechtigt gewesen wäre, wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt (dem von ihr zitierten Beschluss vom , Zlen. 671, 672/48, lag ein nicht vergleichbarer Fall zugrunde, in welchem eine gesetzliche Verpflichtung zur Verfahrensunterbrechung bestand und der Entscheidung daher ein gesetzliches Hindernis entgegenstand). Vielmehr ist für die Säumnis und die Zulässigkeit der Beschwerde gemäß Art. 132 B-VG der hier unstrittige Umstand entscheidend, dass über die Beschwerden gemäß § 98 Abs. 4 Wirtschaftskammergesetz 1998 nicht innerhalb der Frist des § 27 VwGG entschieden wurde, wobei es (im Unterschied zur Bestimmung des § 73 Abs. 2 AVG und im Unterschied zur Kostenersatzpflicht gemäß § 55 VwGG) nicht auf eine schuldhafte Verzögerung der Behörde ankommt (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. 2008/07/0217, und die dort referierte Rechtsprechung, sowie die bei Mayer, B-VG, 4. Auflage (2007), unter VI. zu § 27 VwGG referierte hg. Judikatur).
Selbst wenn im gegenständlichen Verfahren das AVG und damit auch dessen § 73 nicht anzuwenden wären, änderte dies nichts an der Entscheidungspflicht der belangten Behörde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/06/0149, oder das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 533/99, u.a.). Es ist auch nicht strittig, dass die in § 27 VwGG vorgesehene Frist für die Entscheidung durch die belangte Behörde vor Einbringung der Säumnisbeschwerden bereits abgelaufen war.
Gemäß § 36 Abs. 2 VwGG ist bei Säumnisbeschwerden nach Art. 132 B-VG der belangten Behörde aufzutragen, innerhalb einer Frist bis zu drei Monaten den Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliegt. Die Frist kann einmal verlängert werden, wenn die belangte Behörde das Vorliegen von in der Sache gelegenen Gründen nachzuweisen vermag, die eine fristgerechte Erlassung des Bescheides unmöglich machen. Wird der Bescheid erlassen oder wurde er vor Einleitung des Vorverfahrens erlassen, so ist das Verfahren über die Säumnisbeschwerde einzustellen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. den hg. Beschluss vom , Zl. 2008/05/0097, und die dort referierte Judikatur) beendet auch ein Aussetzungsbescheid nach § 38 AVG die Entscheidungspflicht der Behörde. Wird ein Aussetzungsbescheid während des Säumnisbeschwerdeverfahrens erlassen, dann bedeutet dies gemäß § 36 Abs. 2 letzter Satz VwGG einen Einstellungsfall nach dieser Gesetzesstelle. Dies gilt auch im vorliegenden Fall, da die Bescheide über die Aussetzung der bei der belangten Behörde anhängigen Verfahren dem Rechtsbestand angehören, mögen sich diese auch nicht unmittelbar auf § 38 AVG stützen.
Daher waren die Verfahren über die vorliegenden Säumnisbeschwerden gemäß § 36 Abs. 2 VwGG einzustellen.
Die Entscheidung über die Zuerkennung von Aufwandersatz an die beschwerdeführende Partei gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 55 Abs. 1 zweiter Satz VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Nach der letztgenannten Bestimmung war der beschwerdeführenden Partei, da die belangte Behörde die genannten Bescheide vom 5. und erlassen hat, jeweils nur der halbe Schriftsatzaufwand (zuzüglich der entrichteten Gebühr gemäß § 24 Abs. 3 VwGG) zuzuerkennen. Mit dem Vorbringen der belangten Behörde, eine schuldhafte Verzögerung der Entscheidungspflicht sei ihr nicht vorzuwerfen, weil sie (gemeint: auch schon vor Erhebung der Säumnisbeschwerden) berechtigt gewesen wäre, die Verfahren gemäß § 38 AVG auszusetzen, wird § 55 Abs. 2 Z. 1 VwGG angesprochen. Die gesetzlichen Voraussetzungen dieser Bestimmung sind aber schon deshalb nicht erfüllt, weil nicht dargetan wird, dass der genannte Umstand der beschwerdeführenden Partei vor Einbringung der Säumnisbeschwerden bekanntgegeben wurde (vgl. auch dazu den zitierten hg. Beschluss Zl. 2008/07/0217, und die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, zu § 55 VwGG referierte hg. Rechtsprechung).
Aus § 55 Abs. 1 VwGG folgt, dass die belangte Behörde nicht als obsiegend im Sinne des § 47 Abs. 1 VwGG anzusehen ist, sodass der Antrag der belangten Behörde, ihr Kostenersatz für Schriftsatz- und Vorlageaufwand zuzuerkennen, abzuweisen war.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen | AVG §38; AVG §73 Abs2; B-VG Art132; B-VG Art133 Z1; B-VG Art141; VwGG §27; VwGG §36 Abs2 idF 2004/I/089; VwGG §55 Abs2 Z1; VwGG §55; WKG 1998 §98 Abs4; |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2011:2011040070.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
NAAAF-51810